Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 13.12.2023, RV/3100231/2023

Überwiegende Unterhaltszahlung durch Vater: Gemäß § 6 Abs. 5 FLAG 1967 liegt kein Eigenanspruch auf Familienbeihilfe vor

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin***Ri*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom , Ordnungsbegriff XX1, betreffend Abweisung des Antrages auf Familienbeihilfe ab Oktober 2022 zu Recht erkannt:

Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof
nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang:

1. Mit Antrag vom hat A (= Beschwerdeführerin, Bf), geb. 05/2001, Studentin (voraussichtliche Beendigung der Ausbildung 06/2025), für sich die Zuerkennung der Familienbeihilfe (FB) beantragt.

2. Vorgelegt wurden eine Inskriptions- und eine Studienerfolgsbestätigung der Universität Ort1 zum Bachelorstudium Pharmazie ab Wintersemester 2021/22 (ECTS bisher 30) sowie eine "Beilage zum Selbstantrag" samt Ergänzungsschreiben, worin die Bf ua. angibt:
Sie wohnt selbständig im Studentenheim; die monatlichen Lebenshaltungkosten betragen durchschnittlich € 881 (Miete € 281, so. Kosten € 500, Ausbildung € 100); diese Kosten werden finanziert durch Unterhaltszahlungen des Vaters B mit € 815 und von der Mutter C mit € 150; daneben habe die Bf im Sommer durch einen Ferialjob ein eigenes Einkommen in Höhe von mtl. ca. € 700 erzielt.

3. Das Finanzamt hat den Antrag mit Bescheid vom , Ordnungsbegriff XX1, ab Oktober 2022 abgewiesen; dies mit der Begründung, dass der Vater den überwiegenden Unterhalt leiste und ihm der FB-Anspruch zustehe.

4. In der dagegen rechtzeitig erhobenen Beschwerde bringt die Bf vor, sie sei in sehr schwierigen familiären Verhältnissen aufgewachsen, teils in Einrichtungen für obdachlose Jugendliche und des X-Verein untergebracht gewesen und habe regelmäßig Psychotherapie beansprucht. Sie habe dennoch die Matura abgelegt und ein Studium begonnen. Da der Vater, mit dem kein Kontakt bestehe, im Februar 2022 plötzlich die Unterhaltszahlung eingestellt habe, habe sie diesbezüglich ein Exekutionsverfahren einleiten müssen. Dieses Verfahren sei derzeit still gelegt, könne jedoch jederzeit reaktiviert werden. Sie benötige daher dringend die Familienbeihilfe als Selbstbezieherin als Grundlage für ihren Lebensunterhalt. Zum Nachweis ihrer Angaben hat die Bf Bestätigungen des Vereins YY und der Dr. C. DD, Fachärztin f. Kinder- und Jugendpsychiatrie, vorgelegt; weiters eine gerichtliche Bewilligung der Gehaltsexekution v. März 2022 gegen den Vater B betr. die ausständigen (2 Monate) und laufenden Unterhaltszahlungen an die Bf in Höhe von mtl. € 815.

5. In Beantwortung eines Ergänzungsersuchens des Finanzamtes hat die Bf im Schreiben v. ua. mitgeteilt:
Aufgrund der Launen des Vaters sei ihre finanzielle Situation unsicher; sie leide wegen Existenzängsten an psychischen Problemen. Nachdem der Vater der gerichtlichen Aufforderung zur Nachzahlung des Unterhaltes nachgekommen sei, wäre das Exekutionsverfahren seit März 2022 stillgelegt und könne - bei ev. fehlender Unterhaltsleistung - wieder aufleben. Beigelegt ist ein Gerichtsprotokoll v. samt Überweisungsbestätigungen, wonach der Vater den Unterhalt an die Bf für die Monate Feber, März und April 2022 zur Einzahlung brachte, im Weiteren die Zahlung von monatlich € 815 eingehalten und daraufhin um Aufschub der Forderungsexekution ersucht hat.
Im Übrigen habe die Bf seit 2018 die Familienbeihilfe im Eigenbezug bezogen, an den bisherigen Umständen habe sich nichts geändert. Dem beigelegten Kontoauszug der Bf betr. den Zeitraum Feber - September 2022 ist zu entnehmen, dass FB und Kinderabsetzbetrag monatlich vom FAÖ an sie überwiesen wurde.

6. Die abweisende Beschwerdevorentscheidung vom wurde unter Verweis auf bezughabende Gesetzesbestimmungen und den gegebenen Sachverhalt dahin begründet, dass bei überwiegender Kostentragung durch den Vater kein Eigenanspruch des Kindes/der Bf iSd §§ 2 und 6 FLAG 1967 vorliege.

7. Im Vorlageantrag wurde ergänzend eingewendet, das Verhältnis zu den Eltern sei nach wie vor zerrüttet. Der Vater sei seinen Obsorgepflichten nicht bzw. erst nach Androhung einer Unterhaltsklage nachgekommen; durch Einstellung der Unterhaltszahlungen habe er ihren Studienerfolg gefährdet. Nach Abzug fixer Kosten verbleibe ihr ein Betrag unter dem Existenzminimum.

II. Sachverhalt:

Die Bf, geb. im Mai 2001, hat im Mai 2019 die Volljährigkeit erreicht. Sie hat nach erfolgreicher Absolvierung der Matura ab Oktober 2021 mit dem Bachelorstudium Pharmazie begonnen, das sie zielstrebig betreibt (siehe Inskriptions- und Studienerfolgsbestätigungen).
Nach eigenen Angaben wohnt die Bf selbständig in Ort1 in einem Studentenheim. Ihre durchschnittlichen monatlichen Lebenshaltungskosten betragen gesamt € 881, die durch die Unterhaltszahlungen vom Vater in Höhe von € 815 sowie von der Mutter in Höhe von € 150 finanziert werden; in den Sommermonaten erzielt die Bf durch Ferialjobs ein eigenes Einkommen (lt. Beilage zum Eigenantrag + Ergänzungsschreiben v. ).
Nach einem beim Bezirksgericht eingeleiteten Exekutionsverfahren hat der Vater B zunächst den ausständigen Unterhalt von mtl. € 815 (Feber-April 2022) nachgezahlt und kommt seither seinen mtl. Unterhaltsverpflichtungen gegenüber der Bf regelmäßig nach (siehe BG-Exekutionsbewilligung, BG-Protokoll v. + Überweisungsbestätigungen). Aus diesem Grund wurde das Exekutionsverfahren mittlerweile ruhend gestellt, kann jedoch - im Falle nicht gezahlten Unterhalts durch den Vater - jederzeit wieder aufleben (siehe eigene Angaben der Bf).

III. Beweiswürdigung:

Obige Sachverhaltsfeststellungen konnten anhand der eigenen Angaben der Bf und der von ihr beigebrachten Unterlagen getroffen werden und sind unbestritten.

IV. Rechtslage:

Gemäß § 2 Abs. 1 Familienlastenausgleichsgesetz (FLAG), BGBl 1967/376 idgF., haben Anspruch auf Familienbeihilfe Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, …
b) für volljährige Kinder, die das 24. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und die für einen Beruf ausgebildet oder in einem erlernten Beruf in einer Fachschule fortgebildet werden, wenn ihnen durch den Schulbesuch die Ausübung ihres Berufes nicht möglich ist …

Nach § 2 Abs. 2 FLAG 1967 hat Anspruch auf Familienbeihilfe für ein im Abs. 1 genanntes Kind grundsätzlich die Person, zu deren Haushalt das Kind gehört. Eine Person, zu deren Haushalt das Kind nicht gehört, die jedoch die Unterhaltskosten für das Kind überwiegend trägt, hat dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn keine andere Person nach dem ersten Satz anspruchsberechtigt ist.

Betreffend den "Eigenanspruch auf Familienbeihilfe" wird in § 6 FLAG 1967 bestimmt:

(1) Anspruch auf Familienbeihilfe haben auch minderjährige Vollwaisen, wenn
a) sie im Inland einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben,
b) ihnen nicht Unterhalt von ihrem Ehegatten oder ihrem früheren Ehegatten zu leisten ist und
c) für sie keiner anderen Person Familienbeihilfe zu gewähren ist.

(2) Volljährige Vollwaisen haben Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn auf sie die Voraus-setzungen des Abs. 1 lit a bis c zutreffen und wenn sie
a) das 24. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und für einen Beruf ausgebildet werden
..…
(4) Als Vollwaisen gelten Personen, deren Vater verstorben, verschollen oder nicht festgestellt und deren Mutter verstorben, verschollen oder unbekannt ist.

(5) Kinder, deren Eltern ihnen nicht überwiegend Unterhalt leisten und deren Unterhalt nicht zur Gänze aus Mitteln der Kinder- und Jugendhilfe oder nicht zur Gänze aus öffentlichen Mitteln zur Sicherung des Lebensunterhaltes und des Wohnbedarfes getragen wird, haben unter denselben Voraussetzungen Anspruch auf Familienbeihilfe, unter denen eine Vollwaise Anspruch auf Familienbeihilfe hat (Abs. 1 bis 3).

Ein "Eigenanspruch" besteht damit für minderjährige und volljährige Vollwaisen sowie für (minderjährige und volljährige) Kinder, die den Vollwaisen gleichgestellt sind (§ 6 Abs. 5 FLAG, sog. "Sozialwaisen"). Voraussetzung für den Eigenanspruch ist allerdings, dass keiner anderen Person für das Kind Familienbeihilfe zu gewähren ist (§ 6 Abs. 1 lit c und Abs. 2 FLAG). Das bedeutet, dass
a) primär diejenige Person anspruchsberechtigt ist, zu deren Haushalt ihr Kind gehört
(gem. § 2 Abs. 2 und 3 FLAG);
b) subsidiär dann, wenn keine Person die Wohnung mit ihrem Kind teilt (zB das Kind
führt einen eigenen Haushalt), die Person anspruchsberechtigt ist, die die
Unterhaltskosten für das Kind überwiegend trägt, und
c) zuletzt dem mj. oder volljährigen Vollwaisen und dem gleichgestellten Kind
(§ 6 Abs. 5) ein Eigenanspruch zusteht.

V. Erwägungen:

§ 6 Abs. 5 FLAG 1967 bezweckt die Gleichstellung von Kindern, deren Eltern ihnen nicht überwiegend Unterhalt leisten, mit Vollwaisen, für die niemand unterhaltspflichtig ist und die deshalb einen eigenen Anspruch auf Familienbeihilfe haben. Der Gesetzgeber will mit dieser Bestimmung in jenen Fällen Härten vermeiden, in denen Kinder sich weitgehend selbst erhalten müssen (vgl. ; ).
Der Wortlaut des § 6 Abs. 5 FLAG legt bereits nahe, dass es ausschließlich auf das tatsächliche (überwiegende) Leisten oder Nichtleisten von Unterhalt durch die Eltern ankommt, unabhängig davon, ob eine Unterhaltsverpflichtung oder die freiwillige Leistung von Unterhalt vorliegt (vgl. ).

Im Gegenstandsfall steht zunächst fest, dass die Bf bei keinem Elternteil haushaltszugehörig ist, sondern im eigenen Haushalt in einem Studentenheim wohnt.
Zugleich ist nach den eigenen Angaben der Bf und anhand der von ihr beigebrachten Unterlagen davon auszugehen, dass die gesamten von ihr lt. Aufstellung selbst bezifferten Lebenshaltungskosten monatlich rund € 881 betragen. Diese werden von beiden Elternteilen durch Unterhaltszahlungen, vom Vater in Höhe von mtl. € 815 und von der Mutter in Höhe von mtl. € 150, finanziert. Demnach werden die Unterhaltskosten für die Bf weitaus überwiegend vom Vater, nämlich im Ausmaß von rund 90 %, getragen.

Damit ist aber die Beschwerde bereits entschieden. Da es sich bei der Bf zweifelsfrei nicht um ein Kind handelt, dessen Eltern ihm nicht überwiegend Unterhalt leisten, sind die Voraussetzungen nach § 6 Abs. 5 FLAG 1967 nicht erfüllt und ist damit ein Eigenanspruch nicht gegeben.

Festzuhalten ist, dass das Vorliegen des Eigenanspruchs bzw. die Erfüllung der diesbezüglichen Kriterien allein aufgrund der objektiv gegebenen Sachverhaltsmomente in Anwendung der geltenden gesetzlichen Bestimmungen zu beurteilen ist. Die von der Bf eingewendeten, durchaus als "prekär" zu betrachtenden familiären Verhältnisse vermögen sohin an gegenständlich rechtlicher Beurteilung nichts zu ändern. Ein in vorhergehenden Zeiträumen seitens der Abgabenbehörde allenfalls - unter gleichen Voraussetzungen - zu Unrecht zugestandener FB-Eigenanspruch ist nicht präjudiziell. Zudem erscheint - entgegen dem betreffenden Einwand - die finanzielle Situation der Bf nach Ansicht des Bundesfinanzgerichts insofern nicht als unsicher, als das derzeit ruhende Exekutionsverfahren für den Fall, dass der Vater seiner Unterhaltspflicht nicht mehr nachkommen sollte, wiederum auflebt, dh. das Gericht die Gehaltsexekution oä. jederzeit wieder verfügen könnte.

Der Beschwerde konnte daher kein Erfolg beschieden sein und war spruchgemäß zu entscheiden.

Unzulässigkeit einer Revision:

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Die Lösung der zu beurteilenden Frage, ob ein Eigenanspruch gegeben ist, ergibt sich bereits anhand der bezughabenden Gesetzesbestimmungen in Zusammenhalt mit der obgenannten VwGH-Judikatur zum Gesetzeszweck. Nachdem sohin keine Rechtsfrage von "grundsätzlicher Bedeutung" vorliegt, ist eine Revision nicht zulässig.

Innsbruck, am

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Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at