Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 15.12.2023, RV/7102013/2023

Außergewöhnliche Belastungen (Erwerbsminderung, Krankendiätverpflegung, Kurkosten...)

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht erkennt durch die Richterin Mag. Monika Ahorn in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom betreffend Einkommensteuer (Arbeitnehmerveranlagung) 2021 (Steuernummer ***BF1StNr1*** ) zu Recht:

I. Der angefochtene Bescheid wird gemäß § 279 BAO teilweise im Sinne des Beschwerdebegehrens abgeändert.

Das Einkommen beträgt nach Abzug von Sonderausgaben und außergewöhnlichen Belastungen 30.574,08 Euro und die festgesetzte Einkommensteuer nach Abzug der anrechenbaren Lohnsteuer und Rundung - 558,00 Euro (Gutschrift).

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

In der Arbeitnehmerveranlagung für das Jahr 2020 machte die Beschwerdeführerin (in Folge: Bf.) folgende Positionen als außergewöhnliche Belastung geltend: Kurkosten (KZ 734) 2.011,78 Euro; zusätzliche Kosten aus eigener Behinderung (KZ 476) 3.030,34 Euro; Erwerbsminderung von 40 Prozent sowie Diätverpflegung wegen Diabeteserkrankung.

Im Erstbescheid vom versagte die Abgabenbehörde, mangels vollständiger Vorlage geeigneter Unterlagen, die Anerkennung der aus eigener Behinderung stammenden außergewöhnlichen Belastungen, anerkannte die geltend gemachten Kurkosten und berücksichtigte den Betrag von 3.030,34 Euro als Krankheitskosten mit Selbstbehalt (KZ 730).

In der dagegen eingebrachten Beschwerde ersuchte die Bf. um Fristverlängerung zur Beibringung der abverlangten Unterlagen, da das Sozialministerium den Fall neu begutachten müsse.

Nachdem die Bf. die fehlenden Unterlagen vorgelegt hatte, änderte die Abgabenbehörde mit Beschwerdevorentscheidung vom den Einkommensteuerbescheid 2021 insofern ab, als die Erwerbsminderung im Ausmaß von 40 % aufgrund des vorgelegten Gutachtens erst ab dem Veranlagungsjahr 2023 Berücksichtigung finden könne, da das Gutachten nicht rückwirkend erstellt wurde. Auch der Pauschbetrag für die Diätverpflegung könne daher nur als außergewöhnliche Belastung mit Selbstbehalt berücksichtigt werden. Die beantragten Kurkosten wurden ohne weitere Begründung nicht als außergewöhnliche Belastung anerkannt.

Im Vorlagebericht bezog die Abgabenbehörde ua zu den beantragten Kurkosten ausführlich Stellung und beantragte der Beschwerde im Sinne der Beschwerdevorentscheidung teilweise stattzugeben.

Nach telefonischen Rückfragen der Richterin bei der Bf., der Abgabenbehörde und dem Sozialministeriumservice hinsichtlich bereits in früheren Jahren erfolgten Überprüfungen der Erwerbsminderung und Diätverpflegung, waren ältere Unterlagen nicht aufzufinden. Mit Schreiben vom bestätigte das Sozialministeriumservice das Vorliegen einer Diätverpflegung (D1) zumindest seit dem Jahr 2021. Die Abgabenbehörde gab diesbezüglich eine Stellungnahme ab.

II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

1. Sachverhalt

Bei der Bf. lag im Jahr 2021 eine Erwerbsminderung im Ausmaß von 40 Prozent sowie die Notwendigkeit der Krankendiätverpflegung (Zucker) vor. Sie bezog 2021 keine pflegebedingten Geldleistungen.

Die Bf. hatte zusätzliche Aufwendungen in Verbindung mit der Behinderung iHv 265,30 Euro. Andere Ausgaben für Krankheitskosten beliefen sich auf 2.640,20 Euro.

2. Beweiswürdigung

Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich aus den von der Abgabenbehörde übermittelten Aktenteilen, weiteren Ermittlungsergebnissen des Gerichtes sowie aus Abfragen des elektronischen Steueraktes durch das Gericht.

Dass die Bf. Pflegegeld bezogen habe wurde nicht behauptet und ist auch nicht ersichtlich.

2.1. Erwerbsminderung und Krankendiätverpflegung

Das Gericht konnte dem elektronischen Steuerakt entnehmen, dass die Bf. bereits seit dem Jahr 1994 die Erwerbsminderung im Ausmaß von 40 Prozent sowie die Krankendiätverpflegung wegen Zuckerkrankheit jährlich geltend machte und dies seit diesem Jahr von der Abgabenbehörde auch in jedem Jahr anerkannt wurde.

Dem Sachverständigengutachten des Bundesamtes für Soziales und Behindertenwesen, Landesstelle Wien vom ist zu entnehmen, dass von Dr. ***1***, Ärztin für Allgemeinmedizin ein Befund vom darüber vorliege, dass die Bf. seit dem 25. Lebensjahr an Diabetes mellitus Typ I (insulinpflichtig) erkrankt sei. Im Gutachten wurde Diabetes mellitus im oberen Rahmensatz bei mehrmals täglicher Insulindosis und daraus ein Gesamtgrad der Behinderung im Ausmaß von 40 Prozent als Dauerzustand festgestellt. Weiters liegen Mehraufwendungen wegen Krankendiätverpflegung aufgrund D1 - Zuckerkrankheit und einem Grad der Behinderung von 40 Prozent vor.

Bei einem von der Richterin mit der Bf. geführten Telefonat gab diese an, sie sei Anfang der 90er Jahre beim Polizeiarzt (Amtsarzt) gewesen, der Diabetes mit 40 prozentiger Erwerbsminderung festgestellt habe. Eine eigene Bestätigung habe sie damals nicht erhalten, da diese unmittelbar dem Finanzamt übermittelt worden sei, weshalb sie diese nun auch nicht vorlegen könne.

Mit der Abgabenbehörde geführte Telefonate brachten keine Klärung darüber, ob eine Überprüfung der Voraussetzungen seit dem Jahr 1994 erfolgt ist, da diesbezügliche Nachforschungen (in so weit zurückliegende Zeiträume) erfolglos gewesen seien.

Beim Sozialministeriumservice waren laut einem Telefonat mit der zuständigen Abteilungsleiterin auch keine älteren Unterlagen mehr aufzufinden. Mit Schreiben vom bestätigte das Sozialministeriumservice eine durch den Leidenszustand (D1) bedingte Krankendiätverpflegung zumindest seit dem Jahr 2021.

Für das Bundesfinanzgericht ist es glaubhaft, dass bereits seit vielen Jahren eine Diabetes mellitus Erkrankung bei der Bf. vorliegt, die jedenfalls auch bereits im Jahr 2021 zu einem Grad der Erwerbsminderung von 40 Prozent und einer nötigen Krankendiätverpflegung geführt hat. Begründet wird dies damit, dass es für das Gericht einerseits nicht glaubhaft ist, dass bei einer diesbezüglichen Erkrankung seit dem 25. Lebensjahr und erstmaliger Geltendmachung im Jahr 1994, von Seiten der Abgabenbehörde diesbezüglich niemals eine Überprüfung stattgefunden hat. Dem elektronischen Akt ist im Jahr 1994 auch ein expliziter Hinweis auf einen zum Vorjahr geänderten Prozentsatz einer Behinderung zu entnehmen. Das Gericht geht daher vielmehr davon aus, dass aufgrund dieses Hinweises damals eine Überprüfung stattgefunden hat und lediglich die diesbezüglichen Unterlagen aufgrund des weit zurückliegenden Zeitraumes nicht mehr vorhanden sind. Auch hat das Sozialministeriumservice bestätigt, dass zumindest seit dem Jahr 2021 eine Krankendiätverpflegung (D1) erforderlich ist.

Die Aussage der Bf., dass die Erwerbsminderung bereits in den 90er Jahren festgestellt worden sei ist für das Gericht glaubhaft, da auch im Jahr 1994 erstmals diesbezügliche außergewöhnliche Belastungen für die Erwerbsminderung und Krankendiätverpflegung geltend gemacht wurden. Weniger glaubhaft ist für das Gericht, dass die Abgabenbehörde bei erstmaliger Geltendmachung dieser außergewöhnlichen Belastungen - damals im Jahr 1994 (oder in einem der Folgejahre) - keinerlei Überprüfung vorgenommen hat.

Das Gericht geht in freier Beweiswürdigung somit davon aus, dass die Erwerbsminderung sowie die Notwendigkeit der Krankendiätverpflegung jedenfalls bereits im Jahr 2021 vorgelegen sind.

2.2. Kurkosten:

Bezüglich der als außergewöhnliche Belastung unter der Kennzahl 734 geltend gemachten Kurkosten iHv 2.011,78 Euro legte die Bf. im behördlichen Verfahren zwei Belege der ***3*** GmbH jeweils vom vor. Eine Rechnung für ein Doppelzimmer mit Vollpension (DZ/VP) für den Aufenthalt vom 13. - über 1.358,- Euro und eine weitere für medizinisch therapeutische Leistungen über 727,- Euro.

Eine ärztliche Verordnung für diesen Aufenthalt wurde nicht vorgelegt, vielmehr gab die Bf. in ihrem Vorlageantrag an, dass es sich um eine "nicht ärztlich angeordnete Kur" gehandelt habe.

2.3. Krankheitskosten

Als zusätzliche Kosten aufgrund der Behinderung machte die Bf. unter der Kennzahl 476 3.030,34 Euro geltend. Aufgrund der mit Vorhaltsbeantwortung vom vorgelegten Belege ergibt sich folgende Aufstellung:

[...]

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Zu Spruchpunkt I. (Abänderung)

§ 34 EStG 1988 lautet auszugsweise:
"(1) Bei der Ermittlung des Einkommens (§ 2 Abs. 2) eines unbeschränkt Steuerpflichtigen sind nach Abzug der Sonderausgaben (§ 18) außergewöhnliche Belastungen abzuziehen. Die Belastung muss folgende Voraussetzungen erfüllen:
1. Sie muss außergewöhnlich sein (Abs. 2).
2. Sie muss zwangsläufig erwachsen (Abs. 3).
3. Sie muss die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit wesentlich beeinträchtigen (Abs. 4).
Die Belastung darf weder Betriebsausgaben, Werbungskosten noch Sonderausgaben sein.

(2) Die Belastung ist außergewöhnlich, soweit sie höher ist als jene, die der Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse, gleicher Vermögensverhältnisse erwächst.

(3) Die Belastung erwächst dem Steuerpflichtigen zwangsläufig, wenn er sich ihr aus tatsächlichen, rechtlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann.

(4) Die Belastung beeinträchtigt wesentlich die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, soweit sie einen vom Steuerpflichtigen von seinem Einkommen (§ 2 Abs. 2 in Verbindung mit Abs. 5) vor Abzug der außergewöhnlichen Belastungen zu berechnenden Selbstbehalt übersteigt. Der Selbstbehalt beträgt bei einem Einkommen
von höchstens 7
300Euro ………………………….6%.
mehr als 7
300Euro bis 14600Euro …………8%.
mehr als 14
600Euro bis 36400 Euro ……...10%.
mehr als 36
400Euro ……………………………..12%.
Der Selbstbehalt vermindert sich um je einen Prozentpunkt
-
wenn dem Steuerpflichtigen der Alleinverdienerabsetzbetrag oder der Alleinerzieherabsetzbetrag zusteht
-
wenn dem Steuerpflichtigen kein Alleinverdiener- oder Alleinerzieherabsetzbetrag zusteht, er aber mehr als sechs Monate im Kalenderjahr verheiratet oder eingetragener Partner ist und vom (Ehe-)Partner nicht dauernd getrennt lebt und der (Ehe-)Partner Einkünfte im Sinne des §33 Abs.4 Z1 von höchstens 6000Euro jährlich erzielt
-
für jedes Kind (§106).
[…]
(6) Folgende Aufwendungen können ohne Berücksichtigung des Selbstbehaltes abgezogen werden:
[…]
- Mehraufwendungen aus dem Titel der Behinderung, wenn die Voraussetzungen des § 35 Abs. 1 vorliegen, soweit sie die Summe pflegebedingter Geldleistungen (Pflegegeld, Pflegezulage, Blindengeld oder Blindenzulage) übersteigen.
[…]
(7)
Für Unterhaltsleistungen gilt folgendes:
[…]
4.
Darüber hinaus sind Unterhaltsleistungen nur insoweit abzugsfähig, als sie zur Deckung von Aufwendungen gewährt werden, die beim Unterhaltsberechtigten selbst eine außergewöhnliche Belastung darstellen würden. Ein Selbstbehalt (Abs. 4) auf Grund eigener Einkünfte des Unterhaltsberechtigten ist nicht zu berücksichtigen.
[…]"

§ 35 EStG 1988 (idF BGBl. I Nr. 103/2019) lautet auszugsweise:
"(1) Hat der Steuerpflichtige außergewöhnliche Belastungen
- durch eine eigene körperliche oder geistige Behinderung,
[…]
und erhält weder der Steuerpflichtige noch sein (Ehe-)Partner noch sein Kind eine pflegebedingte Geldleistung (Pflegegeld, Pflegezulage, Blindengeld oder Blindenzulage), so steht ihm jeweils ein Freibetrag (Abs. 3) zu.
[…]
(2) Die Höhe des Freibetrages bestimmt sich nach dem Ausmaß der Minderung der Erwerbsfähigkeit (Grad der Behinderung). […]
Die Tatsache der Behinderung und das Ausmaß der Minderung der Erwerbsfähigkeit (Grad der Behinderung) sind durch eine amtliche Bescheinigung der für diese Feststellung zuständigen Stelle nachzuweisen. Zuständige Stelle ist:
[…]
In allen übrigen Fällen sowie bei Zusammentreffen von Behinderungen verschiedener Art das Bundesamt für Soziales und Behindertenwesen; dieses hat den Grad der Behinderung durch Ausstellung eines Behindertenpasses nach §§ 40 ff des Bundesbehindertengesetzes, im negativen Fall durch einen in Vollziehung dieser Bestimmungen ergehenden Bescheid zu bescheinigen.
(3)Es wird jährlich gewährt
bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von […]
35 % bis 44 % ein Freibetrag von 164 Euro
[…].
(5) Anstelle des Freibetrages können auch die tatsächlichen Kosten aus dem Titel der Behinderung geltend gemacht werden (§ 34 Abs. 6).
[…]"

Verordnung über außergewöhnliche Belastungen idF BGBl II 430/2010 lautet auzugsweise:
§ 1
(1) Hat der Steuerpflichtige Aufwendungen
- durch eine eigene körperliche oder geistige Behinderung,
- bei Anspruch auf den Alleinverdienerabsetzbetrag durch eine Behinderung des (Ehe-)Partners (§ 106 Abs. 3 EStG 1988),
- ohne Anspruch auf den Alleinverdienerabsetzbetrag durch eine Behinderung des (Ehe-)Partners (§ 106 Abs. 3 EStG 1988), wenn dieser Einkünfte im Sinne des § 33 Abs. 4 Z 1 EStG 1988 von höchstens 6 000 Euro jährlich erzielt, oder
[…]

so sind die in den §§ 2 bis 4 dieser Verordnung genannten Mehraufwendungen als außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen.
(2) Eine Behinderung liegt vor, wenn das Ausmaß der Minderung der Erwerbsfähigkeit (Grad der Behinderung) mindestens 25% beträgt.
(3) Die Mehraufwendungen gemäß §§ 2 bis 4 dieser Verordnung sind nicht um eine pflegebedingte Geldleistung (Pflegegeld, Pflegezulage oder Blindenzulage) oder um einen Freibetrag nach § 35 Abs. 3 EStG 1988 zu kürzen.

§ 2
(1) Als Mehraufwendungen wegen Krankendiätverpflegung sind ohne Nachweis der tatsächlichen Kosten bei
- Tuberkulose, Zuckerkrankheit, Zöliakie oder Aids……………………………………..70 Euro
[…]
pro Kalendermonat zu berücksichtigen.
[…]
(4) Nicht regelmäßig anfallende Aufwendungen für Hilfsmittel (zB Rollstuhl, Hörgerät, Blindenhilfsmittel) sowie Kosten der Heilbehandlung sind im nachgewiesenen Ausmaß zu berücksichtigen.

3.1.1.Erwerbsminderung und Krankendiätverpflegung

In ihrer Stellungnahme zur Bestätigung des Sozialministeriumservice vom weist die Abgabenbehörde (unter Hinweis auf ; , RV/7100491/2016 und , RV/7101832/2016) darauf hin, dass die Behörde an die Bescheinigung durch das Sozialministeriumservice gebunden sei. § 166 BAO sei in diesem Fall nicht anzuwenden, da der Gesetzgeber in den §§ 35ff EStG 1988 explizit regle wie der Behinderungsgrad zu bescheinigen sei. Die rückwirkende Ausstellung eines Behindertenpasses sei nicht möglich. Eine Bescheinigung, wie jene vom , die den Behinderungsgrad rückwirkend feststelle, könne nur unter der Voraussetzung, wenn die Behinderung die Folge eines Ereignisses (zB Unfall) sei, als Nachweis angesehen werden. In diesem Fall gelte der festgestellte Grad der Behinderung auch für Zwecke der Steuerermäßigung rückwirkend bis zum Zeitpunkt des Ereignisses. In anderen Fällen sei die rückwirkende Feststellung eines Grades der Behinderung nicht möglich. Anders sei der Sachverhalt zu beurteilen, wenn die letzte Bescheinigung vor dem Jahr 2005 erfolgte. Diese seien solange weiter gültig, bis eine aktuellere Einstufung erfolge.

Der Behörde ist zuzustimmen, dass sie an die Bescheinigung des Sozialministeriumservice gebunden ist (§ 35 Abs. 2 EStG 1988). Weshalb sie sich nicht an die rückwirkend ausgestellte Bescheinigung des Sozialministeriumservice gebunden fühlt, ist für das Gericht nicht nachvollziehbar. Den Lohnsteuerrichtlinien, die lediglich einen Auslegungsbehelf für die Finanzverwaltung, für das Bundesfinanzgericht allerdings keine maßgebende Rechtsquelle darstellen, ist - wie die Behörde in Ihrer Stellungnahme auch anführt - zu entnehmen, dass die rückwirkende Feststellung des Grades einer Behinderung nur in ganz bestimmten Fällen möglich ist. Im hier vorliegenden speziellen Fall wurde eine "rückwirkende" Bestätigung ausgestellt, wobei wie in der Beweiswürdigung bereits ausführlich dargestellt wurde, davon auszugehen ist, dass es sich nicht um eine erstmalige Feststellung handelt. Im Gegensatz dazu sind die Sachverhalte der von der Behörde angeführten Entscheidungen des Bundesfinanzgerichtes allesamt so ausgestaltet, dass hier erstmalige Feststellungen durch das Sozialministeriumservice erfolgt sind und diese nicht für ein bereits zurückliegendes Jahr Wirkung entfalten können.

Aus den angeführten Gründen waren für das Jahr 2021 aufgrund der Erwerbsminderung im Ausmaß von 40 Prozent ein jährlicher Freibetrag gemäß § 35 Abs. 3 EStG 1988 (idF BGBl. I Nr. 103/2019) iHv 164,- Euro sowie ein Pauschbetrag wegen Krankendiätverpflegung (Zucker) gemäß § 2 Abs. 1 VO über außergewöhnliche Belastungen iHv monatlich 70,- Euro (12*70= 840,- Euro) zu berücksichtigen.

3.1.2.Kurkosten:

Nicht jeder durchgeführte Kuraufenthalt führt zu einer außergewöhnlichen Belastung. Erforderlich ist ein bestimmtes, unter ärztlicher Aufsicht und Betreuung durchgeführtes Heilverfahren (). Die Reise muss zur Heilung oder Linderung einer Krankheit nachweislich notwendig sein (). Für das Vorliegen der Voraussetzungen ist der Steuerpflichte nachweispflichtig (). Erforderlich ist die Vorlage eines vor Antritt der Kur ausgestellten ärztlichen Zeugnisses (), aus dem sich die Notwendigkeit und die Dauer der Reise sowie das Reiseziel ergeben ().

Eine vor Antritt der Kur ausgestellte ärztliche Verordnung liegt nicht vor, weshalb der Abgabenbehörde zuzustimmen ist, dass die Abzugsfähigkeit der Kosten verneint wurde.

3.1.3.Krankheitskosten:

Gemäß § 1 Abs. 3 iVm § 4 Verordnung über außergewöhnliche Belastungen sind Kosten der Heilbehandlung ohne Anrechnung des Freibetrages gemäß § 35 Abs. 3 EStG 1988 zusätzlich zu berücksichtigen. Dabei handelt es sich um Maßnahmen, die zur Heilung oder Linderung einer Krankheit nachweislich erforderlich sind. Auch Kosten für Medikamente zählen dazu, sofern sie im Zusammenhang mit der Behinderung stehen (vgl Fuchs in Doralt/Kirchmayr/Mayr/Zorn, EStG21 § 35 Rz 17).

Die Kosten für jene Medikamente, die im Zusammenhang mit der Behinderung Diabetes Mellitus stehen (265,30 Euro), waren als zusätzliche Kosten aus dem Titel der Behinderung (KZ 476 - ohne Selbstbehalt) zu berücksichtigen.

Weitere durch Krankheit verursachte aber ohne Zusammenhang mit der Behinderung stehende Aufwendungen können als außergewöhnliche Belastungen (mit Selbstbehalt) gemäß § 34 Abs. 4 EStG 1988 abgezogen werden.
Keine außergewöhnlichen Belastungen sind allerdings Aufwendungen für Stärkungsmittel und Nahrungsergänzungsmittel (vgl Jakom/Peyerl, EStG16 § 34 Rz 90), weshalb Kosten für "Dr. Böhm" und "Buerlecithin" nicht berücksichtigt werden konnten.

Zu den geltend gemachten Aufwendungen für ***2***, den Ehemann der Bf., ist Folgendes auszuführen:
Gemäß § 34 Abs. 7 Z. 4 EStG 1988 sind Unterhaltsleistungen (zwischen Eheleuten) insoweit als außergewöhnliche Belastung abzugsfähig, als sie zur Deckung von Aufwendungen gewährt werden, die beim Unterhaltsberechtigten selbst eine außergewöhnliche Belastung darstellen würden. Daher können die Ausgaben für die Brillen des Ehemannes grundsätzlich außergewöhnliche Belastungen (mit Selbstbehalt) bei der Bf. darstellen.
Weil die Summe unter dem gegenzurechnenden Selbstbehalt liegt, erübrigt sich eine weitere Überprüfung, ob die für den Ehemann geltend gemachten Rechnungen tatsächlich von der Bf. bezahlt wurden.

Zusammengefasst waren folgende außergewöhnliche Belastungen zu berücksichtigen:

Aufwendungen vor Abzug des Selbstbehaltes (§34 (4) EStG 1988) ........... - 2.640,20 Euro Selbstbehalt .................................................................................................. 2.640,20 Euro Freibetrag wegen eigener Behinderung (§ 35 (3) EStG 1988) .....................- 164,00 Euro
Pauschbeträge nach der Verordnung über außergewöhnliche
Belastungen wegen eigener Behinderung....................................................- 840,00 Euro Nachgewiesene Kosten aus der eigenen Behinderung nach der
Verordnung über außergewöhnliche Belastungen ..................................... - 265,30 Euro

3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Da im vorliegenden Fall entscheidungswesentlich die in freier Beweiswürdigung vorgenommene Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes (Zeitpunkt des Vorliegens der Erwerbsminderung) war, liegen die Voraussetzungen für eine Revisionszulassung nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht vor.

Es war daher gemäß § 25a Abs. 1 VwGG spruchgemäß zu entscheiden.

Wien, am

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Materie
Steuer
betroffene Normen
ECLI
ECLI:AT:BFG:2023:RV.7102013.2023

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at