keine Familienbeihilfe - 3-jährige Lehrzeit war verstrichen, anschließend als Arbeiterin tätig gewesen
Revision (Amtsrevision) beim VwGH anhängig zur Zahl Ra 2024/16/0008.
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch den Senatsvorsitzenden Dr. ***RR.***, den Richter ***R.*** sowie die fachkundigen Laienrichter ***Beisitzer*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom betreffend Rückzahlung von für ***[Tochter]*** für den Zeitraum April 2021 bis Oktober 2022 bezogenen Beträgen an Familienbeihilfe und Kinderabsetzbetrag, St.Nr. ***StNr-Bf1*** (SVNR ***SVNR-Bf1***), nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am in Anwesenheit der Schriftführerin ***SF*** zu Recht erkannt:
I. Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO teilweise Folge gegeben.
Der angefochtene Bescheid wird betreffend die Monate August 2022 bis Oktober 2022 aufgehoben. Betreffend den übrigen Zeitraum, somit betreffend die Monate April 2021 bis Juli 2022 wird die Beschwerde gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.
II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
I. Verfahrensgang
Das Finanzamt erließ (am ) folgenden beschwerdegegenständlichen Bescheid:
Rückforderungsbescheid Einzahlung
- Familienbeihilfe (FB)
- Kinderabsetzbetrag (KG)
für das Kind
Name des Kindes VNR/Geb.dat. Art der Beihilfe Zeitraum
… …0999 FB Apr. 2021 - Okt. 2022 KG Apr. 2021 - Okt. 2022
Der Rückforderungsbetrag beträgt
Art der Beihilfe Summe in €
FB € 3.316,90
KG € 1.109,60
Rückforderungsbetrag gesamt: € 4.426,50
Sie sind verpflichtet, diesen Betrag nach § 26 Abs. 1 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 in Verbindung mit § 33 Abs. 3 Einkommensteuergesetz 1988 zurückzuzahlen.
Begründung
Zu … ***Vorname*** …:
Für volljährige Kinder steht Familienbeihilfe nur unter bestimmten, im § 2 Abs. 1 lit. b bis e Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG 1967) in der ab gültigen Fassung genannten Voraussetzungen zu.Als anspruchsbegründend wird Folgendes bestimmt:
• Zeiten einer Berufsausbildung bzw. -fortbildung
• Zeiten zwischen dem Abschluss einer Schulausbildung und dem frühestmöglichen Beginn bzw. der frühestmöglichen Fortsetzung der Berufsausbildung
• Zeiten zwischen der Beendigung des Präsenz- oder Ausbildungs- oder Zivildienstes und dem Beginn bzw. der frühestmöglichen Fortsetzung der Berufsausbildung
• das dauernde Unvermögen, sich selbst wegen einer Behinderung Unterhalt zu
verschaffen.
Die Beschwerdeführerin (Bf.) erhob Beschwerde wie folgt:
Da mein Brief welchen ich geschickt habe, verloren gegangen ist, schicke ich damit meiner Tochter Zeugnisse die gefehlt haben. Bitte um neue Kalkulation des Betrages.
Das Finanzamt erließ eine abweisende Beschwerdevorentscheidung, dies mit folgender Begründung:
Wir haben Sie aufgefordert, uns Unterlagen zu senden. Da Sie das nicht getan haben, kommen Sie Ihrer Mitwirkungspflicht nicht nach (§ 119 Bundesabgabenordnung). Eine Familienleistung kann daher nicht ausgezahlt werden.
Für volljährige Kinder steht Familienbeihilfe nur unter bestimmten, im § 2 Abs. 1 lit. b bis e Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG 1967) in der ab gültigen Fassung genannten Voraussetzungen zu.
Als anspruchsbegründend wird Folgendes bestimmt:
• Zeiten einer Berufsausbildung bzw. -fortbildung
• Zeiten zwischen dem Abschluss einer Schulausbildung und dem frühestmöglichen Beginn bzw. der frühestmöglichen Fortsetzung der Berufsausbildung
• Zeiten zwischen der Beendigung des Präsenz- oder Ausbildungs- oder Zivildienstes und dem Beginn bzw. der frühestmöglichen Fortsetzung der Berufsausbildung
• das dauernde Unvermögen, sich selbst wegen einer Behinderung Unterhalt zu
verschaffen.
Familienbeihilfenanspruch besteht nur dann, wenn die Ausbildung ernsthaft und zielstrebig betrieben wird. Dies wird dann anzunehmen sein, wenn die Vorbereitung auf die Ablegung der Prüfungen die volle Zeit des Kindes in Anspruch nimmt und das Kind zu den Prüfungsterminen innerhalb eines angemessen Zeitraums antritt.
Ihre Tochter ***Vorname*** hat gemäß Daten der Sozialversicherung die Lehre bis 10/2020 absolviert.
Die Familienbeihilfe für den Zeitraum 11/2020 - 03/2021 steht Ihnen gemäß §15 FLAG noch
zu.
Ab 04/2021 konnte keine ernsthafte Berufsausbildung mehr nachgewiesen werden.
Genaue Bestätigungen über den Besuch der Berufsschule wurden im Zuge der Beschwerdeerledigung abverlangt aber nicht vorgelegt.
Im von der Bf. eingebrachten Vorlageantrag wurde auf die Beschwerde vom verwiesen und das Vorbringen wie folgt ergänzt:
"Wegen meines Tochters psychischen Zustand kann sie im Moment keine Lehrabschlussprüfung antreten oder abschliessen. Ihre Zeugnisse wurden unbegründet abgewiesen obwohl jetzt wir endlich auch eine diagnose darstellen können (kurz und langversionen). Sie ist im moment arbeitslos und hat und wird eine kurs bei Phönix Projekt besuchen, da sie meine tochter helfen können und wieder in der arbeitswelt reinbringen. Das sie die prüfung nachholt wird noch ein wenig zeit dauern weil sie muss sich wieder vorbereiten dafür und Sachen die sie in der lehre nicht gelernt hat, lernen kann. Wir können die diagnose und ams bestätigung mit der Zeugnisse nachreichen aber der betrag um 4000+ euro nur mit schwer schulden einzahlen das wahrscheinlich nach jahrzehnten abzahlen können. Unbegründet abgewiesen haben wir nicht verstanden weil das Finanzamt hat alle unterlagen was meine Tochter von der schule hatte und der Prüfung wird umbedingt nachgeholt. Da bitte ich sie zumindest auf eine Minderung der betrag weil wir das leider nicht leisten können. Dankeschön
Ich beantrage eine mündliche Verhandlung und/oder die Entscheidung durch den Senat."
Die Beschwerdevorlage erfolgte mit nachstehendem Sachverhalt und Anträgen:
Sachverhalt:
Mit Rückforderungsbescheid vom (Dok.1) wurden die Familienbeihilfe und der Kinderabsetzbetrag für die Tochter der Beschwerdeführerin (Bf.) betreffend den Zeitraum April 2021 bis Oktober 2022 zurückgefordert, da das Anspruchsüberprüfungsschreiben vom (Dok.6) und auch die diesbezügliche Erinnerung vom (Dok.7) unbeantwortet geblieben waren.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde vom (Dok.2), welcher Berufsschulzeugnisse der Tochter vom (Kosmetikerin) und vom (Masseurin) angeschlossen waren.
Mit Ergänzungsersuchen vom (Dok.8) wurde die Bf. aufgefordert die genaue Berufsausbildung der Tochter im Zeitraum April 2021 bis Oktober 2022 nachzuweisen und eine Schulbestätigung über den genauen Zeitraum des Berufsschulbesuches vorzulegen.
Der Antwort der Tochter der Bf. vom (Dok.9) ist zu entnehmen, dass sie derzeit aufgrund psychischer Erkrankung den Lehrabschluss nicht machen könne und sie außer den bereits vorgelegten Zeugnissen keine Unterlagen beibringen könne, da sie die Berufsschule nicht mehr besuche.
Mit Beschwerdevorentscheidung vom (Dok.3) wurde die Beschwerde der Bf. als unbegründet abgewiesen, da die Ausbildung lt. Sozialversicherungsauszug mit Oktober 2021 beendet worden sei und mangels Beibringung von Unterlagen eine ernsthaft und zielstrebig betriebene Ausbildung ab April 2021 nicht nachgewiesen worden sei.
Dem Vorlageantrag vom (Dok.4) waren ein klinisch-psychologisches Gutachten vom sowie Berufsschulzeugnisse vom , , , und angeschlossen. Die Abhaltung einer mündlichen Verhandlung und/oder die Entscheidung durch den Senat sowie die nochmalige Aussetzung der Einhebung wurden beantragt. Ein Antrag auf Gewährung des Erhöhungsbetrages zur Familienbeihilfe wurde seitens der Bf. nicht gestellt.
Beweismittel:
insbesondere
Beschwerde vom (Dok.2)
AJ-WEB-Auskunft Tochter vom (Dok.11)
Stellungnahme:
Um von einer Berufsausbildung sprechen zu können, ist außerhalb des im § 2 Abs. 1 lit b FLAG besonders geregelten Besuchs einer Einrichtung iSd § 3 StudFG nach der ständigen Rechtsprechung des VwGH das ernstliche, zielstrebige und nach außen erkennbare Bemühen um einen Ausbildungserfolg erforderlich (vgl. , mwN). Ziel einer Berufsausbildung in diesem Sinn ist es, die fachliche Qualifikation für die Ausübung des angestrebten Berufes zu erlangen. Das Ablegen von Prüfungen, die in einer Ausbildungsvorschrift vorgesehen sind, ist essenzieller Bestandteil der Berufsausbildung. Eine Berufsausbildung liegt daher nur dann vor, wenn die Absicht zur erfolgreichen Ablegung der vorgeschriebenen Prüfungen gegeben ist. Dagegen kommt es nicht darauf an, ob die erfolgreiche Absicht tatsächlich gelingt (vgl. ).
Zur Qualifikation als Berufsausbildung iSd § 2 Abs. 1 lit. b FLAG 1967 kommt es (überdies) nicht nur auf das "ernstliche und zielstrebige Bemühen um den Studienfortgang" an, sondern die Berufsausbildung muss auch in quantitativer Hinsicht die volle Zeit des Kindes in Anspruch nehmen ().
Die Lehre der Tochter der Bf. zur Friseurin und Perückenmacherin (Dok.5) hat lt. AJ-WEB-Auskunft vom (Dok.11) lehrvertragsgemäß am geendet. Von bis war die Tochter weiterhin bei ihrem ehemaligen Lehrherrn beschäftigt. Die Lehrabschlussprüfung wurde bislang nicht abgelegt.
Wie den von der Bf. erstmals mit der Beschwerde vom (Dok.2) übermittelten Berufsschulzeugnissen der Tochter vom bzw. vom zu entnehmen ist, habe die Tochter in den Schuljahren 2020/21 und 2021/22 betreffend ihre Zusatzausbildungen zur Kosmetikerin bzw. Masseurin weiterhin die Berufsschule für Schönheitsberufe in 1140 Wien besucht. Dabei seien in beiden Schuljahren lt. Stundentafeln jeweils insgesamt 11 Wochenstunden zu absolvieren gewesen.
Da die Tochter der Bf. lt. den vorgelegten Zeugnissen jeweils von der Teilnahme an einem Großteil der vorgesehenen Unterrichtsgegenstände befreit war, war der von ihr zu bewältigende wöchentliche Zeitaufwand für den Schulbesuch jedoch noch geringer.
Der Berufsschulbesuch der 2. Fachklasse für Kosmetiker im Schuljahr 2020/21 und Masseure im Schuljahr 2021/22 hat nach Ansicht des Finanzamtes somit zu keiner Zeit die volle Zeit der Tochter in Anspruch genommen.
Das Finanzamt beantragt daher die Abweisung der Beschwerde.
In der über Antrag der Bf. durchgeführten mündlichen Verhandlung ergab sich Folgendes:
Bf.: Die detaillierten Ausführungen des Bf. sind richtig und vollständig. Hinzufügen möchte ich nur, dass mehrere Gegenstände der Friseurlehre bei den nachfolgenden Lehren angerechnet worden sind. Aus diesem Grund waren nur mehr einzelne Fächer zu absolvieren.
Zum Abbruch der Friseurlehre ist es deshalb gekommen, weil ich im Zuge der Lehre Depressionen bekommen habe, die in ein Borderlinesyndrom gemündet sind. Ich hielt die Stresssituation, die sich im Salon ergeben hat nicht mehr aus.
Über Nachfragen gebe ich an, dass ich bis dato auch über keine Lehrabschlussprüfung verfüge. Ich habe aber vor, die LAP noch nachzuholen, sobald es mir wieder besser geht. In der Zeit, in der die LAP zu machen gewesen wäre, habe ich Corona bekommen. Ich glaube, das war im Okt./Nov. 2021.
Über Befragen gebe ich an, dass ich derzeit noch über keinen Nachweis des Borderlinesyndroms verfüge. Die im Akt befindliche Unterlage "Maßnahme Psychosoziale Diagnostik" hat sich auf die Depressionen bezogen.
Abschließend möchte ich noch sagen: Der Betrag ist für mich sehr groß, ich kann lediglich Raten bezahlen.
II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:
1. Sachverhalt
Im Oktober 2017 schlossen die Tochter der Bf. und der Friseur B. einen Lehrvertrag ab (dem Antrag auf Zuerkennung der Familienbeihilfe Beih 1 angeschlossener Lehrvertrag):
Lehrberuf(e): FRISEURIN UND PERÜCKENMACHERIN (STYLISTIN)
tatsächliche Lehrzeit: bis
Lehrzeit: 3,0 Jahre (It. Lehrberufsliste)
Der Lehrling ist zum Besuch der Berufsschule verpflichtet. …
Bei der Sozialversicherung war die Tochter der Bf. (mit obigem Lehrvertrag übereinstimmend) von bis als Arbeiterlehrling gemeldet (Sozialversicherungsdatenauskunft).
Anschließend (nach Beendigung des Lehrverhältnisses durch Zeitablauf) - von bis - war die Tochter der Bf. bei demselben Dienstgeber (Friseur B.) als Arbeiterin gemeldet (Sozialversicherungsdatenauskunft), somit auch (noch) im ab April 2021 beginnenden Beschwerdezeitraum.
Der Besuch der zweiten Fachklasse für den Lehrberuf Kosmetikerin durch die Tochter der Bf. fiel fast zur Gänze in den Zeitraum, in dem sie bereits als Arbeiterin (bei demselben Dienstgeber) beschäftigt war (wie im vorstehenden Absatz angeführt: ab beim Friseur B. Arbeiterin):
Das Jahres- und Abschlusszeugnis der Tochter ***Vorname*** der Bf. vom - Schülerin der 2Kb (zweite Fachklasse) für den Lehrberuf Kosmetikerin - betreffend das Schuljahr 2020/21 weist Folgendes aus:
Pflichtgegenstand Beurteilung
Politische Bildung Befreit
Deutsch und Kommunikation Befreit
Berufsbezogene Fremdsprache Englisch Befreit
Angewandte Wirtschaftslehre Befreit
Fachkunde Gut
Fachpraktikum Gut
Sie hat gemäß § 22 Abs. 2 lit. h des Schulunterrichtsgesetzes die 2. Klasse (11. Schulstufe) mit gutem Erfolg abgeschlossen.
Sie wurde von der Teilnahme an den Pflichtgegenständen Politische Bildung, Deutsch und Kommunikation, Berufsbezogene Fremdsprache Englisch und Angewandte Wirtschaftslehre gemäß § 23 Abs. 1 des Schulpflichtgesetzes 1985 befreit.
Sie besuchte eine Klasse, in der aus schulorganisatorischen Gründen kein Unterricht mit erweitertem oder vertieftem Bildungsangebot erfolgte.
Sie hat das Bildungsziel der Berufsschule für den Lehrberuf Kosmetikerin erreicht und damit die Berufsschulpflicht in diesem Lehrberuf erfüllt.
Die Stundentafel: Kosmetiker/Kosmetikerin weist aus:
Fachkunde 120 100
Fachpraktikum 80 120
Am sowie im Zeitraum bis war die Tochter der Bf. arbeitssuchend (Sozialversicherungsdatenauskunft).
Von bis bezog die Tochter der Bf. Arbeitslosengeld (Sozialversicherungsdatenauskunft).
Im Zeitraum bis war die Tochter der Bf. Angestellte einer Wiener Tabak Trafik (Sozialversicherungsdatenauskunft).
Im Zeitraum bis bezog die Tochter der Bf. Arbeitslosengeld und war arbeitssuchend (Sozialversicherungsdatenauskunft).
Das Jahres- und Abschlusszeugnis der Tochter ***Vorname*** der Bf. vom - Schülerin der 2MZ (zweite Fachklasse) für den Lehrberuf Masseurin - betreffend das Schuljahr 2021/22 weist Folgendes aus:
Pflichtgegenstand Beurteilung
Politische Bildung Befreit
Deutsch und Kommunikation Befreit
Berufsbezogene Fremdsprache Englisch Befreit
Angewandte Wirtschaftslehre Befreit
Anatomie und Physiologie Genügend
Fachkunde Genügend
Fachberatung und Fachpraktikum Gut
Sie wurde von der Teilnahme an den Pflichtgegenständen Politische Bildung, Deutsch und Kommunikation, Berufsbezogene Fremdsprache Englisch und Angewandte Wirtschaftslehre gemäß § 23 Abs. 1 des Schulpflichtgesetzes 1985 befreit.
Sie besuchte eine Klasse, in der aus schulorganisatorischen Gründen kein Unterricht, mit erweitertem oder vertieftem Bildungsangebot erfolgte.
Sie hat das Bildungsziel der Berufsschule für den Lehrberuf Masseurin erreicht und damit die Berufsschulpflicht in diesem Lehrberuf erfüllt.
Stundentafel: Masseur/Masseurin
Anatomie und Physiologie 60 60
Fachkunde 60 60
Fachberatung und-Fachpraktikum 120 100
In den Zeiträumen bis sowie bis war die Tochter der Bf. arbeitssuchend (Sozialversicherungsdatenauskunft).
Ansprüche aus der Arbeitslosenversicherung bzw. Beihilfenbezüge nach dem Arbeitsmarktservicegesetz bezog die Tochter der Bf. wie folgt (AMS- Bestätigung
vom ):
von bis Leistungsart Tagsatz
Arbeitslosengeld … EUR
Arbeitslosengeld … EUR
Arbeitslosengeld … EUR
Arbeitslosengeld - Schulung * … EUR
pauschalierte Kursnebenkosten … EUR
Arbeitslosengeld - Schulung * … EUR
pauschalierte Kursnebenkosten … EUR
Arbeitslosengeld - Schulung* … EUR
pauschalierte Kursnebenkosten … EUR
* Leistungsart GT: Leistungsart zur Deckung Schulung (Abgabeninformationssystemabfrage)
Von bis nahm die Tochter der Bf. an der Maßnahme "Psychosoziale Diagnostik" im Ausmaß von 84 Einzel- und Gruppenstunden teil (Klinisch-psychologisches Gutachten vom ):
…
Vorbefunde
Es liegen keine Vorbefunde vor. …
Diagnosen
Rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradige Episode (ICD-10: F33.1)
…
Aus klinisch-psychologischer Sicht wird (die Tochter der Bf.) derzeit als mittelgradig eingeschränkt arbeitsfähig angesehen; eine Integration am ersten Arbeitsmarkt scheint möglich.
2. Beweiswürdigung
Die getroffenen Detailfeststellungen beruhen auf den jeweils angeführten Grundlagen und sind unstrittig. Weiterer Ausführungen zur Beweiswürdigung bedarf es daher nicht.
3. Rechtliche Beurteilung
3.1. Zu Spruchpunkt I.
§ 2 Abs. 1 lit. b Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG) bestimmt:
Anspruch auf Familienbeihilfe haben Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, für volljährige Kinder, die das 24. Lebensjahr noch nicht vollendet haben und die für einen Beruf ausgebildet oder in einem erlernten Beruf in einer Fachschule fortgebildet werden, wenn ihnen durch den Schulbesuch die Ausübung ihres Berufes nicht möglich ist.
Die Familienbeihilfe wird gemäß § 10 Abs. 2 FLAG 1967 vom Beginn des Monats gewährt, in dem die Voraussetzungen für den Anspruch erfüllt werden. Der Anspruch auf Familienbeihilfe erlischt mit Ablauf des Monats, in dem eine Anspruchsvoraussetzung wegfällt oder ein Ausschließungsgrund hinzukommt.
Wer Familienbeihilfe zu Unrecht bezogen hat, hat gemäß § 26 Abs. 1 FLAG 1967 die entsprechenden Beträge zurückzuzahlen.
Gemäß § 33 Abs. 3 EStG 1988 steht Steuerpflichtigen, denen auf Grund des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 Familienbeihilfe gewährt wird, im Wege der gemeinsamen Auszahlung mit der Familienbeihilfe ein Kinderabsetzbetrag zu.
Wurden Kinderabsetzbeträge zu Unrecht bezogen, ist § 26 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 anzuwenden.
§ 26 Abs. 1 FLAG normiert eine objektive Erstattungspflicht desjenigen, der die Familienbeihilfe zu Unrecht bezogen hat. Diese Verpflichtung zur Rückerstattung ist von subjektiven Momenten unabhängig. Entscheidend ist somit lediglich, ob der Empfänger die Beträge zu Unrecht erhalten hat (, mit Verweis auf das Erkenntnis , mit der dort angeführten Judikatur).
Das österreichische duale Lehrlingsausbildungssystem sieht eine Kombination aus praktischer Ausbildung in einem Betrieb im Rahmen eines Lehrverhältnisses und aus schulischer Ausbildung an einer Berufsschule vor. Die Lehrausbildung in einem gesetzlich anerkannten Lehrverhältnis stellt im Allgemeinen unstrittig eine Berufsausbildung iSd § 2 Abs. 1 lit. b FLAG 1967 dar (vgl. Lenneis in Csazar/Lenneis/Wanke [Hrsg], FLAG § 2 Rz 45 Stichwort "Lehrausbildung").
Demgemäß hat der Verwaltungsgerichtshof etwa betreffend den Lehrberuf Veranstaltungstechnik ausgesprochen, dass sich die Berufsausbildung "jedenfalls auf die Dauer eines Lehrverhältnisses und des Berufsschulbesuches erstreckt" (vgl. ).
Im Erkenntnis vom , RV/7101269/2018, erwog das Bundesfinanzgericht:
Im Zeitraum Juni 2011 bis September 2011 bezog der Sohn der Bf. Arbeitslosengeld. Er befand sich daher nicht in Berufsausbildung, sodass für diesen Zeitraum Familienbeihilfe und Kinderabsetzbeträge nicht zustehen.
Im Erkenntnis vom , RV/4100059/2018, erwog das Bundesfinanzgericht:
Vielmehr ergibt sich aus der Vormerkung als "arbeitssuchend" beim Arbeitsmarktservice, dass eine Berufsausbildung in der Folge nicht mehr in Erwägung gezogen wurde.
Anspruch auf Arbeitslosengeld besteht, wenn der Antragsteller arbeitsfähig ist und dem Arbeitsmarkt zur Verfügung steht (vgl. bspw. ).
Arbeitslose haben grundsätzlich Anspruch auf Arbeitslosengeld (www.ams.at), wenn sie diese Bedingungen erfüllen:
- sie sind arbeitsfähig, arbeitswillig und arbeitslos.
- sie haben sich bei ihrem AMS arbeitslos gemeldet.
- sie sind am Arbeitsmarkt vermittelbar.
- sie sind bereit, eine Arbeit von mindestens 20 Stunden pro Woche aufzunehmen. Ausnahme: Sie haben Betreuungspflichten für ein Kind unter 10 Jahren oder für ein Kind mit Behinderung und es gibt nachweislich keine Betreuung, die es Ihnen ermöglicht, mindestens 20 Stunden pro Woche zu arbeiten: Dann reicht es, wenn Sie bereit sind, eine Arbeit von mindestens 16 Stunden pro Woche aufzunehmen.
- sie haben für eine gewisse Zeit arbeitslosenversicherungspflichtig gearbeitet (Anwartschaft).
- und: Die maximale Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes ist noch nicht abgelaufen.
Im die Beschwerde abweisenden Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes vom , RV/7102386/2020, wurde erwogen:
Besuchte die Tochter der Bf. an ein oder zwei Tagen der Woche, wenige Stunden pro Woche, die Berufsschule, liegt auf der Hand, dass nicht davon gesprochen werden kann, daneben sei eine Berufsausübung nicht möglich gewesen.
Dass Bewerbungsgespräche und aktive Bewerbungen um eine neue Lehrstelle keine Ausbildung gemäß der zitierten Bestimmung darstellen, wurde vom Finanzamt in der Beschwerdevorlage zutreffend angeführt und bedarf keiner weiteren Ausführungen.
Mit dieser Beurteilung steht im Einklang, dass die Tochter der Bf. nahezu im gesamten Rückforderungszeitraum Arbeitslosengeld bezogen und damit die oben angeführten Voraussetzungen zu erfüllen hatte.
In den Erkenntnissen vom , RV/7102441/2016 und , RV/3100447/2020, erwog das Bundesfinanzgericht:
Es besteht kein Zweifel, dass insbesondere die Lehrausbildung in einem gesetzlich anerkannten Lehrverhältnis eine Berufsausbildung iSd FLAG darstellt (s ). Diese Lehrausbildung steht auf zwei Säulen: zum einen die praktische Ausbildung im Betrieb (in der Regel 75 bis 80 % der Lehre), und zum anderen die Ausbildung in der Berufsschule (so genanntes "duales System" der Lehrausbildung).
Im Erkenntnis vom , RV/7103185/2022, erwog das Bundesfinanzgericht:
War das Lehrverhältnis des Enkelkindes D. im Juni 2019 vorzeitig aufgelöst worden, besuchte das Enkelkind der Bf. in der Folge bis Anfang Juli 2020 zwar (1-mal wöchentlich) die Berufsschule, kam es nicht zur Fortsetzung der begonnenen Lehre auf Grund eines Lehrvertrages bei einem anderen Lehrbetrieb, kann nicht davon gesprochen werden, dass die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1 lit. b FLAG erfüllt wurden. Vielmehr hatte sich das Enkelkind bereits 1 Tag nach der Auflösung des Lehrvertrages als arbeitsuchend gemeldet (und damit die diesbezüglichen o.a. (arbeitsmarktrechtlichen) Bedingungen erfüllt) und bezog Arbeitslosengeld und war sodann, nach Bezug von Notstandshilfe bzw. Überbrückungshilfe wie oben angegeben, in den Monaten Jänner bis März 2020 als Arbeiterin tätig.
Im (jüngst ergangenen) Erkenntnis vom , RV/7100574/2022 erwog das Bundesfinanzgericht:
Das Bundesfinanzgericht nimmt bei Schulen für Berufstätige einen erforderlichen wöchentlichen Zeitaufwand von durchschnittlich 20 bis 25 Stunden zuzüglich Hausaufgaben an (vgl. ), insgesamt von mindestens 30 Wochenstunden (vgl. ; "Echtstunden" zu 60 Minuten, ), um von einer Berufsausbildung i.S.d. FLAG 1967 zu sprechen (vgl. ; ). Ein Berufsschulbesuch nimmt bei einer ganzjährigen Berufsschule rund 20% der Ausbildungszeit des Kindes in Anspruch (die restliche Ausbildungszeit wird im Lehrbetrieb verbracht). Wird wie hier nur einmal wöchentlich die Berufsschule besucht, steht mangels überwiegender zeitlicher Auslastung des Kindes Familienbeihilfe nicht zu (vgl. ; ; ).
Die Bf hat vorgebracht, seit April 2021 20 Wochenstunden gearbeitet und zur Vorbereitung auf die Lehrabschlussprüfung Masseurin seit April 2021 etwa 8 bis 10 Wochenstunden aufgewandt zu haben. Damit ist seit April 2021 die Voraussetzung, dass die weitaus überwiegende Arbeitszeit für die Ausbildung verwendet werden muss, damit eine Berufsausbildung gemäß FLAG 1967 vorliegt, nicht erfüllt.
Umfasst im beschwerdegegenständlichen Fall der Rückforderungszeitraum die Monate April 2021 bis Oktober 2022 (vgl. den Rückforderungsbescheid) ergibt sich auf Grund der obigen Detailfeststellungen Folgendes:
Am Beginn des Rückforderungszeitraumes - April 2021 - war das Lehrverhältnis [Friseurin und Perückenmacherin (Stylistin)] durch Zeitablauf bereits seit rd. ½ Jahr (seit ) beendet.
April bis :
Im (beschwerdegegenständlichen) Zeitraum April 2021 bis (Anfang) Juli 2021
- besuchte die Tochter der Bf. die zweite Fachklasse für den Lehrberuf Kosmetikerin (des
Schuljahres 2020/21) - wobei sie (nur) 2 (Pflicht)Gegenstände, Fachkunde und
Fachpraktikum, besuchte (von 4 Pflichtgegenständen war sie befreit; mehrere Gegenstände
…wurden angerechnet, aus diesem Grund waren nur mehr einzelne Fächer zu absolvieren;
vgl. die Niederschrift über die mündliche Verhandlung) und
- war Arbeiterin beim Friseur B., bei dem sie (wie bereits gesagt) zuvor als Friseurlehrling tätig
war und die (Friseur)Lehre rd. ½ Jahr davor beendet hatte (die Lehrabschlussprüfung wurde
bis dato nicht abgelegt; vgl. die Niederschrift über die mündliche Verhandlung ).
Gemäß den obigen Rechtsausführungen stehen einem Familienbeihilfenanspruch zwei Umstände entgegen:
- infolge des (durch Zeitablauf) mit beendeten (Friseur)Lehrverhältnisses
kommt das "duale System" der Lehrausbildung in diesem Zeitraum nicht mehr zum Tragen
- die Tochter der Bf. war als Arbeiterin tätig
03. Juli bis Anfang September 2021:
Im (beschwerdegegenständlichen) Zeitraum von 03. Juli bis Anfang September 2021 war die Tochter der Bf. Arbeiterin beim Friseur B., bei dem sie (wie bereits gesagt) zuvor als Friseurlehrling tätig gewesen war.
Gemäß den obigen Rechtsausführungen steht einem Familienbeihilfenanspruch folgender Umstand entgegen:
- die Tochter der Bf. war als Arbeiterin tätig
Anfang September 2021 bis August 2022:
Im (beschwerdegegenständlichen) Teilzeitraum Anfang September 2021 bis
- besuchte die Tochter der Bf. die zweite Fachklasse für den Lehrberuf Masseurin (des
Schuljahres 2021/22 - wobei sie (nur) 3 (Pflicht)Gegenstände, Anatomie und Physiologie,
Fachkunde sowie Fachberatung und Fachpraktikum besuchte (von 4 Pflichtgegenständen war
sie befreit) und
- war im Teilzeitraum bis Arbeiterin beim Friseur B., bei dem sie (wie bereits
gesagt) zuvor als Friseurlehrling tätig und die (Friseur)Lehre rd. 1 Jahr davor beendet hatte,
- war im Teilzeitraum bis arbeitssuchend und bezog von
bis Arbeitslosengeld,
- war im Teilzeitraum bis Angestellte einer Wiener Tabak Trafik
und
- bezog im Teilzeitraum von 01. Juni bis Arbeitslosengeld und war
arbeitssuchend.
Gemäß den obigen Rechtsausführungen stehen einem Familienbeihilfenanspruch drei Umstände entgegen:
- das "duale System" der Lehrausbildung kommt in diesem Zeitraum nicht zum Tragen
- die Tochter der Bf. war als Arbeiterin tätig
- die Tochter der Bf. war arbeitssuchend bzw. bezog Arbeitslosengeld
08. August bis :
Von 08. August bis , von 27. August bis sowie von 05. Oktober bis bezog die Tochter der Bf. Arbeitslosengeld - Schulung und erhielt vom AMS pauschalierte Kursnebenkosten: Leistungsart GT: Leistungsart zur Deckung Schulung (Abgabeninformationssystemabfrage).
Hierbei handelte es sich im folgende Schulung der Tochter der Bf.:
job.move - Skill Base für Personen von 21 bis 24 Jahre (von 08.08. bis lt. Schreiben vom ; Internet ww…: ams at content und koordinationsstelle.at/ angebot/):
Ziele
Berufliche Orientierung und Perspektivenentwicklung
Vermittlung von Basisbildungskenntnissen
Unterstützung bei der Arbeits- und Lehrstellensuche
Integration in den 1. Arbeitsmarkt
Förderdauer
Individuelle Verweildauer: 5 bis 15 Wochen
Projektdauer: …
Stundenausmaß
24 Stunden pro Woche an 5 Tagen (Montag bis Freitag zwischen 8:00 und 18:00 Uhr)
Auf Grund dieser Schulung der Tochter der Bf., die 24 Stunden/Woche zuzüglich Vorbereitungszeiten betrug, wird der Beschwerde betreffend die Monate August, September und Oktober 2022 stattgegeben.
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
Anmerkung:
Für das Vereinbaren von Ratenzahlungen ist - wie bereits in der mündlichen Verhandlung angesprochen - das Finanzamt zuständig.
3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden auf der Sachverhaltsebene zu lösenden Fall nicht gegeben.
Wien, am
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Materie | Steuer FLAG |
betroffene Normen | § 2 Abs. 1 lit. b FLAG 1967, Familienlastenausgleichsgesetz 1967, BGBl. Nr. 376/1967 |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2023:RV.7101725.2023 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at