Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 27.09.2023, RV/2100423/2022

Fehlende Voraussetzungen für eine Bescheidänderung nach § 295 (1) BAO (kein wirksamer Grundlagenbescheid, kein Änderungsbedarf)

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht (BFG) hat durch die Richterin***Ri*** in der Beschwerdesache des ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch Hopmeier Wagner Kirnbauer Rechtsanwälte OG , Rathausstraße 15, 1010 Wien, und Hopmeier Wagner Kirnbauer Rechtsanwälte OG , Rathausstraße 15, 1010 Wien, über die Beschwerde vom gegen den zur Steuernummer ***BF1StNr1*** ergangenen Bescheid des Finanzamtes X (jetzt Dienststelle des ***FA*** ) vom betreffend Einkommensteuer 2011 zu Recht erkannt:

I. Der angefochtene Bescheid wird abgeändert.

Der Einkommensteuerbescheid 2011 vom wird gemäß § 200 (2) BAO für endgültig erklärt.

Die Bemessungsgrundlagen und die Höhe der festgesetzten Abgabe sind dem als Beilage angeschlossenen Berechnungsblatt zu entnehmen und bilden einen Bestandteil des Spruches dieses Erkenntnisses.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Im anhängigen Beschwerdeverfahren gegen den ESt-Bescheid 2011 vom bekämpft der beschwerdeführende Masseverwalter (MV/Bf) die im Gefolge einer Außenprüfung (AP) vorgenommene Verminderung eines Verlustanteiles aus einer Beteiligung des Insolvenzschuldners (IS) an einer Personengesellschaft, mit der Begründung, dass der zugrundeliegende "Bescheid der XY GmbH& Co KG vom unrichtig ist und daher nicht als Grundlage der Steuerberechnung für die Einkommensteuer 2011 des beschwerdegegenständlichen Steuerschuldners dienen kann". Da ihm die Berechnung des Verlustanteiles nicht vorliege, sei die Abgabennachforderung für ihn nicht nachvollziehbar.

Das Finanzamt Österreich (FA) hält dem Beschwerdebegehren im Vorlagebericht vom die Bestimmung des § 252 Abs. 1 BAO entgegen und verweist darauf, dass Einwendungen gegen einen Grundlagenbescheid im Verfahren gegen den Grundlagenbescheid vorzubringen sind.

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

I. Dem Beschwerdeverfahren gegen den ESt-Bescheid 2011 vom liegt nach dem Ergebnis des durchgeführten finanzgerichtlichen Ermittlungsverfahrens (Auswertung eines nachgeholten Mängelbehebungsverfahrens, der Vorlageunterlagen und von Recherchen in den Datenbanken der Abgabenbehörde und des Firmenbuches) der nachfolgende Sachverhalt zugrunde:

Am erging erklärungsgemäß ein gemäß § 200 (1) BAO vorläufiger ESt-Bescheid 2011 an den nunmehrigen IS (Zustellung an dessen damalige steuerliche Vertretung).
Der Grund für die Vorläufigkeit waren Ungewissheiten im Zusammenhang mit der Einkunftsquelleneigenschaft nicht verfahrensgegenständlicher Vermietungstätigkeiten des IS.

In den Besteuerungsgrundlagen des ESt-Bescheides 2011 vom war u.a. ein Verlustanteil von 3.111,10 € aus einer Beteiligung des IS an der XY Holding GmbH & Co KG, FN 777777a, StNr 77-777/7777a (nachfolgend XY- KG) enthalten, der mit dem Anteil des IS aus einem Bescheid über die Feststellung von Einkünften nach § 188 BAO (nachfolgend F-Bescheid) 2011 an die XY- KG vom übereinstimmte.

Aufgrund der Feststellungen im Zuge einer AP bei der XY- KG wurde der F-Bescheid 2011 vom mit als Bescheid intendierten Erledigungen vom (vermeintlich) gemäß § 303 (1) BAO wiederaufgenommen und durch einen neuen F-Bescheid 2011 ersetzt, mit welchem dem IS nunmehr ein verminderter Verlustanteil von 2.755,97 € zugewiesen wurde.

Die beiden Erledigungen vom ergingen an die XY- KG zu Handen des IS (Geschäftsführer des Komplementär-GmbH).

Zu diesem Zeitpunkt war einerseits die XY- KG rechtlich nicht mehr existent (Vermögensübernahme gem. § 142 UGB durch die Komplementär-GmbH, FN 999999z als Gesamtrechtsnachfolgerin im März 2015) und anderseits der IS, aufgrund eines im Jahr 2017 über sein Vermögen eröffneten Insolvenzverfahrens, weder ein befugter Vertreter der XY- GmbH, noch als Zustellungsbevollmächtigter der XY- KG zur Empfangnahme der intendierten Bescheide vom berechtigt.

Nach Abschluss einer beim IS zum Zeitraum 2005-2016 geführten AP (für 2009-2014 Prüfung gem. § 99 FinStrG) erging am u.a. der verfahrensgegenständliche ESt-Bescheid 2011 an den beschwerdeführenden Masseverwalter im Insolvenzverfahren des IS.
Der auf Basis des § 200 (2) BAO erlassene Bescheid enthielt als einzige betragsmäßige Änderung gegenüber dem vorläufigen Erstbescheid vom den verminderten Verlustanteil aus der als F-Bescheid 2011 an die XY- KG intendierten Erledigung des FA vom (ESt-Nachforderung 129,- €).

Die Beschwerde gegen den ESt-Bescheid 2011 vom war (wie die Rechtmittel gegen weitere AP-Bescheide) mit der unterbliebenen Zustellung des zugehörigen AP-Berichtes vom "begründet".

Nach der Zustellung des AP-Berichts am erging - ohne Mängelbehebungsverfahren oder weitere Ermittlungen - am eine abweisende Beschwerdevorentscheidung (BVE) an den Bf, weil trotz zwischenzeitiger Zustellung des AP-Berichtes keine "darüberhinausgehenden Einwände vorgebracht wurden."
Zudem merkte die Abgabenbehörde in der BVE an, dass "dem angefochtenen Bescheid kein Feststellungsverfahren nach § 188 BAO zu Grunde liegt".

Mit Vorlageantrag vom begehrte der Bf die Vorlage seines Rechtsmittels gegen den ESt-Bescheid 2011 vom an das BFG.
Die Rechtsmittelvorlage an das BFG erfolgte knapp zwei Jahre später.

In der Zwischenzeit verwies der Bf in einem finanzgerichtlichen Mängelbehebungsverfahren zu den Rechtsmitteln gegen die ebenfalls aufgrund der AP im Dez. 2019 ergangenen USt- und ESt-Bescheide für 2012-2016 auf das Fehlen einer Bescheidgrundlage für die Korrektur seines Gewinnanteiles 2012 aus der Beteiligung an der XY- KG (MV-Eingabe 7.Sept 2020 zu RV/2100647/2020).
Das zur Stellungnahme aufgeforderte FA bestätigte mit Schriftsatz vom die zur StNr 77-777/7777a der ehemaligen XY- KG ergangene Erledigung zur Gewinnfeststellung 2012 vom als "Nichtbescheid" infolge der im März 2015 gemäß § 142 UGB erfolgten Vermögensübernahme durch die XY- GmbH.

Im Gegensatz dazu verwies das FA im verfahrensgegenständlichen Vorlagebericht vom auf eine im AP-Bericht vom Dez.2019 festgehaltene Anpassung des Verlustanteiles aus der Beteiligung des IS an der XY- KG aufgrund des - ebenfalls am - an die XY- KG ergangenen "F-Bescheides 2011". Da der Erlassung des angefochtenen Bescheides "somit die Bestimmungen des § 295 Abs. 1 BAO zu Grunde" gelegen seien, komme § 252 Abs. 1 BAO zum Tragen, weshalb die Abweisung des Rechtsmittels gegen den bekämpften ESt-Bescheid 2011 beantragt werde.

Die XY- GmbH, FN 999999z (Gesamtrechtsnachfolgerin der XY- KG, FN 777777a) war kurz davor, am , nach Durchführung eines Insolvenzverfahrens infolge Vermögenslosigkeit gem. § 40 FBG im Firmenbuch gelöscht worden.

Das Erlassen eines F-Bescheides 2011 zur StNr 77-777/7777a an die XY- GmbH als Gesamtrechtsnachfolgerin der ehemaligen XY- KG bzw. an den Masseverwalter der XY- GmbH ist der abgabenbehördlichen Datenbank nicht zu entnehmen.

II. Zu den unverzichtbaren Voraussetzungen für die Wirksamkeit eines abgabenbehördlichen Bescheides gehören die Bezeichnung der Person/Personenvereinigung, an die er ergeht, im Spruch und die Zustellung an denjenigen, für den er seinem Inhalt nach bestimmt ist (§ 93 Abs 2 BAO bzw. § 97 Abs 1 BAO).

Nach § 200 Abs 1 BAO kann die Abgabenbehörde die Abgabe vorläufig festsetzen, wenn nach den Ergebnissen des Ermittlungsverfahrens die Abgabepflicht zwar noch ungewiss, aber wahrscheinlich ist oder wenn der Umfang der Abgabepflicht noch ungewiss ist.

Nach Beseitigung der Ungewissheit ist die vorläufige Abgabenfestsetzung durch eine endgültige Festsetzung zu ersetzen. Gibt die Beseitigung der Ungewissheit zu einer Berichtigung der vorläufigen Festsetzung keinen Anlass, ist ein Bescheid zu erlassen, der den vorläufigen zum endgültigen Abgabenbescheid erklärt (§ 200 Abs 2 BAO).

§ 295 Abs 1 BAO lautet: "Ist ein Bescheid von einem Feststellungsbescheid abzuleiten, so ist er ohne Rücksicht darauf, ob die Rechtskraft eingetreten ist, im Fall der nachträglichen Abänderung, Aufhebung oder Erlassung des Feststellungsbescheides von Amts wegen durch einen neuen Bescheid zu ersetzen oder, wenn die Voraussetzungen für die Erlassung des abgeleiteten Bescheides nicht mehr vorliegen, aufzuheben. Mit der Änderung oder Aufhebung des abgeleiteten Bescheides kann gewartet werden, bis die Abänderung oder Aufhebung des Feststellungsbescheides oder der nachträglich erlassene Feststellungsbescheid rechtskräftig geworden ist.

Nach § 252 Abs 1 BAO kann ein Bescheid, dem Entscheidungen zugrunde liegen, die in einem Feststellungsbescheid getroffen wurden, nicht mit der Begründung angefochten werden, dass die im Feststellungsbescheid getroffenen Entscheidungen unzutreffend sind.

Zufolge § 279 Abs 1 BAO ist das BFG berechtigt, sowohl im Spruch als auch hinsichtlich der Begründung seine Anschauung an die Stelle jener der Abgabenbehörde zu setzen und demgemäß den angefochtenen Bescheid nach jeder Richtung abzuändern, aufzuheben oder die Bescheidbeschwerde als unbegründet abzuweisen.

III. Nach der VwGH-Judikatur soll § 295 (1) BAO gewährleisten, dass abgeleitete Bescheide dem aktuell vorliegenden Grundlagenbescheid (und der materiellen Rechtslage) entsprechen. Die grundsätzliche Funktion der Vorschrift besteht demnach darin, abgeleitete Bescheide mit den aktuellen Inhalten der zu Grunde liegenden Feststellungsbescheide in Einklang zu bringen.

Der angeführte Wortlaut und Zweck des § 295 (1) BAO setzen voraus, dass aufgrund eines nachträglich ergangenen Feststellungsbescheides eine Änderung oder die Aufhebung eines davon abgeleiteten Bescheides erforderlich ist (vgl. und , je mit Verweisen auf Ritz/Koran BAO Kommentar7 § 295 BAO, Rz 9).

Davon abgesehen, sind die tatbestandsmäßigen Voraussetzungen des § 295 (1) BAO erst mit Ergehen eines wirksamen Feststellungbescheides erfüllt. Entsprechend besteht bis dahin bei einem abgeleiteten Bescheid weder ein Änderungsbedarf noch eine amtswegige Änderungspflicht im Sinne des § 295 (1) BAO.

Bei Gesamtrechtsnachfolge, wie sie etwa mit einer Vermögensübernahme nach § 142 UGB verbunden ist, gehen die sich aus Abgabenvorschriften ergebenden Rechte und Pflichten des Rechtsvorgängers auf den Rechtsnachfolger über. Für Personengesellschaften des Unternehmensrechtes resultiert aus einer Vermögensübernahme nach § 142 UGB der Verlust der Parteifähigkeit.

Die Anführung von Bescheidadressaten ohne Parteifähigkeit führt nach der VwGH-Rechtsprechung zu nichtigen Erledigungen ohne Bescheidcharakter.

Ein Dokument, das Form und Inhalt eines Feststellungsbescheides nach § 188 BAO aufweist, dem aber keine Bescheidqualität zukommt, entfaltet keine Wirkung.
Letzteres gilt auch bei der Anführung eines /Zustellung an einen wegen eines laufenden Insolvenzverfahrens nicht voll handlungsfähigen Zustellempfänger (vgl. Ritz/Koran a.a.O § 9 ZustellG, Rz 17).
Die Erledigung des gegen ein derartiges Dokument gerichteten Rechtsmittels kann nur in dessen Zurückweisung bestehen.

Handelt es sich bei einer als Feststellungsbescheid intendierten Erledigung um einen Nichtbescheid, ist eine darauf gestützte Änderung gemäß § 295 Abs. 1 BAO rechtswidrig. Wird der gemäß § 295 Abs. 1 BAO geänderter Bescheid mit Rechtsmittel bekämpft, ist er aufzuheben (vgl. ; ; ; ; ; ; ; , je mwV)

Wie festgestellt, erging der im anhängigen Verfahren angefochtene ESt-Bescheid 2011 vom auf Basis des § 200 (2) BAO (endgültiger Bescheid nach einem vorläufigen Bescheid) und enthielt als betragsmäßige Änderung ausschließlich die Anpassung der Verlusttangente des IS aus der Beteiligung an der XY- KG, StNr 77-777/7777a an die als F-Bescheid 2011 intendierte FA-Erledigung vom .

Der einzig wirksam ergangene F-Bescheid 2011 zur XY- KG datiert vom und weist dem IS eben jenen Verlustanteil von 3.111,10 € zu, den er bereits in seiner ESt-Erklärung 2011 zum Ansatz gebracht hatte. Dieser Verlustanteil hatte in den erklärungsgemäß ergangenen ESt-Bescheid 2011 vom Eingang gefunden und machte daher eine Änderung nach § 295 (1) BAO entbehrlich.

Da sich der zur StNr 77-777/7777a ergangene F-Bescheid 2011 der XY- KG vom - wegen des fehlenden Bescheidcharakters der zur selben Steuernummer ergangenen FA-Erledigungen betreffend Wiederaufnahme und Gewinnfeststellung 2011 vom - bis heute im Rechtsbestand befindet, bleibt beim verfahrensgegenständlichen ESt-Bescheid 2011 vom für eine Anwendung des § 295 (1) BAO kein Raum.

Mangels Rechtswirkungen eines Nichtbescheides bedurfte es zur Beseitigung von Auswirkungen der abgabenbehördlichen Erledigungen zur StNr 77-777/7777a vom keiner dagegen eingebrachten Beschwerden.

Entsprechend kommt im anhängigen Verfahren § 252 (1) BAO nicht zum Tragen.

Nachdem zur StNr 77-777/7777a bis zum Ergehen der gegenständlichen Entscheidung kein rechtswirksamer F-Bescheid 2011 mit geänderter Verlusttangente für den Bf erlassen wurde, wird der Verlustanteil 2011 aus der Beteiligung an der XY- KG, dem Beschwerdebegehren folgend, in der ursprünglichen Höhe von 3.111,10 € berücksichtigt, zumal die zwischenzeitige FB-Löschung der Gesamtrechtsnachfolgerin der XY- KG einen wirksamen F-Bescheid 2011 auch für die Zukunft nicht erwarten lässt.

Da die endgültige Abgabenfestsetzung nach § 200 (2) BAO in der Beschwerde nicht bekämpft wurde, erfolgt mit dem gegenständlichen Erkenntnis eine Endgültigerklärung des ES-Bescheides 2011 vom gemäß Satz 2 der Bestimmung.

Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Im anhängigen Verfahren lagen die genannten Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer Revision nicht vor. Soweit nicht Sachverhaltsfragen maßgeblich waren, folgt die Entscheidung dem eindeutigen Wortlaut der verwendeten gesetzlichen Bestimmungen sowie der angeführten VwGH-Judikatur.

Beilage: 1 Berechnungsblatt

Graz, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 97 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 295 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 200 Abs. 2 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 279 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 93 Abs. 2 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
Verweise







ECLI
ECLI:AT:BFG:2023:RV.2100423.2022

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at