Hinterziehungsvorsatz betreffend Familienbeihilfe nicht nachgewiesen
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin Ri in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom betreffend Rückforderung von Familienbeihilfe und Kinderabsetzbeträgen für den Zeitraum August 2014 bis November 2022 zu Recht erkannt:
I. Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO teilweise Folge gegeben. Soweit der Bescheid über den Zeitraum August 2014 bis November 2017 abspricht wird er ersatzlos aufgehoben. Der Rückforderungszeitraum wird auf die Monate Dezember 2017 bis November 2022 eingeschränkt.
II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
I. Verfahrensgang
Die Beschwerdeführerin(Bf.) bezog für die Kinder ***1*** und ***4***, beide geboren am tt.11.2013, von November 2013 bis November 2022 Familienbeihilfe und Kinderabsetzbeträge.
Nachdem die belangte Behörde intern Kenntnis davon erlangt hatte, dass ***4*** im Juli 2014 verstorben war, forderte sie mit Bescheid vom die Familienbeihilfe und die Kinderabsetzbeträge für das Kind ***4*** für den Zeitraum August 2014 bis November 2022 zurück und begründete dies wie folgt:
***3***st am verstorben, da Sie dies dem Finanzamt nicht gemeldet haben, ist
die Familienbeihilfe und der Kinderabsetzbetrag bis November 2022 ausbezahlt worden.
Mit Ablauf Juli 2014 ist der Anspruch erloschen, daher wird der oben angeführte Zeitraum
rückgefordert.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde vom , in der die Bf. folgendes vorbrachte:
In unserem Schock gingen wir davon aus, dass nach der Abmeldung beim Magistrat alle
(für uns emotional sehr belastenden) Behördenwege erledigt sind. Ich habe ***4*** auch in
keiner Steuererklärung angeführt bzw. für ihn keine Steuerbegünstigungen geltend
gemacht.
Nach 8,5 Jahren die Beträge zurückzahlen zu müssen, ist für mich sehr hart, ich denke
auch, dass hier zumindest teilweise verjährte Beträge zurückgefordert werden, weshalb
ich laut Rechtsmittelbelehrung Beschwerde gegen den Rückforderungsbescheid erhebe.
Falls keine Verjährung vorliegt, ersuche ich um "Nachsicht" und Absehen von der
Rückforderung bzw. Ausbuchen der rückgeforderten Beträge, da die Rückzahlung nicht
absehbar war und daher sehr hart für mich wäre. Soweit ich mich über "Google"
informiert habe, kann man im Falle von Unbilligkeit von der Rückforderung absehen.
Meiner Meinung nach liegt in meinem Fall Unbilligkeit vor.
Wir gingen davon aus, dass durch die Abmeldung beim Magistrat alles erledigt ist. Die
Behörden müssten doch soweit vernetzt sein, dass dies dann umgehend weitergemeldet
wird. Außerdem habe ich jährlich in meiner Steuererklärung angegeben, dass ich 1 Kind
habe - für mich waren die jährlichen Steuererklärungen die einzigen "Erklärungen"
gegenüber dem Finanzamt, dass eine Todesmeldung gesondert nötig ist, war mir nicht
bekannt.
Mit Beschwerdevorentscheidung vom wurde die Beschwerde als unbegründet abgewiesen und der Rückforderungszeitraum wie folgt begründet:
…………..Soweit jedoch eine Abgabe hinterzogen ist, beträgt die Verjährungsfrist zehn Jahre.
Da die gesetzlichen Voraussetzungen für einen Anspruch auf Familienbeihilfe nicht vorlagen,
Sie das Wegfallen der Familienbeihilfe auch nicht gemeldet haben und Sie die fortlaufende
Zahlung der Familienbeihilfe billigend in Kauf genommen haben bzw. sich damit abgefunden
haben, kann von einem zumindest bedingt vorsätzlichem Handeln ausgegangen werden.
Daher kommt die zehnjährige Verjährungsfrist bei hinterzogenen Abgaben zu tragen. Die
Tatsache, dass Sie sich damit abgefunden haben, ist zwar in dieser Situation verständlich,
jedoch ändert es nichts an der zu Unrecht bezogenen Familienbeihilfe……
Im Vorlageantrag vom verwies die Bf. auf ihr bisheriges Vorbringen.
II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:
1. Sachverhalt
Die Geschwister ***4*** und ***1*** wurden am tt.11.2013 geboren.
Auf Grund eines formlosen Antrages vom erging am eine Mitteilung an die Bf., wonach ihr von November 2013 bis Oktober 2030 Familienbeihilfe für ***1*** und ***4*** zusteht.
Das Kind ***4*** ist am tt.7.2014 verstorben.
Diesbezüglich erfolgte keine Meldung durch die Beschwerdeführerin (Bf.) an die belangte Behörde.
Die Bf. hat bis November 2022 durchgehend für zwei Kinder Familienbeihilfe bezogen.
2. Beweiswürdigung
Beweis wurde aufgenommen durch Einsicht in den von der belangten Behörde vorgelegten Verwaltungsakt.
3. Rechtliche Beurteilung
3.1. Zu Spruchpunkt I.
Gemäß § 2 Abs. 1 lit. a FLAG 1967 haben Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, Anspruch auf Familienbeihilfe für minderjährige Kinder.
Gemäß § 10 Abs. 2 FLAG 1967 wird die Familienbeihilfe vom Beginn des Monats gewährt, in dem die Voraussetzungen für den Anspruch erfüllt werden. Der Anspruch auf Familienbeihilfe erlischt mit Ablauf des Monats, in dem eine Anspruchsvoraussetzung wegfällt oder ein Ausschließungsgrund hinzukommt.
Vom Wohnsitzfinanzamt wird diesbezüglich eine Mitteilung gem. § 12 FLAG 1967 ausgestellt.
Gemäß § 207 Abs. 4 BAO (Bundesabgabenordnung) verjährt das Recht, die Rückzahlung zu Unrecht bezogener Beihilfen zu fordern, in fünf Jahren. Allerdings gilt § 207 Abs. 2 zweiter Satz sinngemäß, wonach die Verjährungsfrist zehn Jahre beträgt, soweit eine Abgabe hinterzogen ist. Liegt dem zu Unrecht erfolgten Beihilfenbezug eine Hinterziehungsabsicht zugrunde, beträgt die Verjährungsfrist somit zehn Jahre (Lenneis/Wanke, FLAG-Kommentar, 2. Auflage, § 26 Tz 39 mit Hinweis auf ).
Der Abgabenhinterziehung macht sich gemäß § 33 Abs. 1 FinStrG schuldig, wer vorsätzlich unter Verletzung einer abgabenrechtlichen Anzeige-, Offenlegungs- oder Wahrheitspflicht eine Abgabenverkürzung bewirkt.
Gemäß § 25 FLAG 1967 sind Personen, denen Familienbeihilfe gewährt wird, verpflichtet, Tatsachen, die bewirken, dass der Anspruch auf Familienbeihilfe erlischt, zu melden. Die Meldung hat innerhalb eines Monats, gerechnet vom Tag des Bekanntwerdens der zu meldenden Tatsache beim zuständigen Finanzamt zu erfolgen.
Auf diese Meldepflicht wird der Bezieher der Familienbeihilfe in der an ihn ergehenden Mitteilung über das Bestehen des Beihilfenanspruches ausdrücklich aufmerksam gemacht. Der Antragsteller nimmt daher mit der ihm zugesandten Mitteilung zur Kenntnis, dass er sämtliche Änderungen seiner im Antrag gemachten Angaben binnen eines Monats dem zuständigen Finanzamt zu melden hat. In der Mitteilung wird ferner auf mögliche Sanktionen bei Unterlassen der Mitteilung (z.B. Rückforderungen) hingewiesen (Lenneis/Wanke, a.a.O., § 25 Tz 3).
Die Mitteilung, dass ein Kind, für welches Familienbeihilfe beantragt und bezogen wurde, verstorben ist, gehört jedenfalls zu diesen meldepflichtigen Umständen. Die Bf. hätte daher den Umstand, dass das Kind ***4*** verstorben ist, dem Finanzamt melden müssen. Die Unterlassung dieser Meldung stellt eine Verletzung einer abgabenrechtlichen Anzeigepflicht dar; die Meldepflicht im Sinne des § 25 FLAG 1967 ist eine spezielle abgabenrechtliche Anzeigepflicht (Ritz, BAO, § 123 Tz 2). Für die Verletzung dieser Pflicht ist im Familienlastenausgleichsgesetz keine Sanktion vorgesehen, jedoch regelt § 26 FLAG 1967 eine objektive Rückzahlungsverpflichtung für jeden vor, der Familienbeihilfe zu Unrecht, d.h. ohne dass dem Bezug ein entsprechender Anspruch zu Grunde liegen würde, bezogen hat. Für die
Rückzahlungsverpflichtung dem Grunde nach ist daher die Verschuldensfrage ohne Belang (vgl. zB , ).
Gemäß § 26 Abs. 1 FLAG 1967 ist zu Unrecht bezogene Familienbeihilfe zurückzuzahlen. Dies gilt gemäß § 33 Abs. 3 EStG, der auf § 26 FLAG 1967 verweist, auch für zu Unrecht bezogene Kinderabsetzbeträge.
Die Bf. hat unzweifelhaft Familienbeihilfe für ein verstorbenes Kind, somit ohne zu Grunde liegenden Anspruch bezogen. Die Rückforderung erfolgte daher dem Grunde nach zu Recht.
Die Verschuldensfrage ist jedoch i.Z. mit den oben zitierten Verjährungsbestimmungen der Bundesabgabenordnung für die Frage von Belang, für welchen Zeitraum die zu Unrecht bezogene Familienbeihilfe zurückgefordert werden darf.
Dieser beträgt gem. § 207 Abs. 4 BAO grundsätzlich fünf Jahre, verlängert sich jedoch auf zehn Jahre, wenn hinsichtlich des unrechtmäßigen Bezuges vorsätzliches Handeln anzunehmen ist.
Vorsätzlich handelt, wer einen Sachverhalt verwirklichen will, der einem gesetzlichen Tatbild entspricht; dazu genügt es, dass der Täter diese Verwirklichung ernstlich für möglich hält und sich mit ihr abfindet (§ 8 Abs. 1 FinStrG).
Demgegenüber handelt fahrlässig, wer die Sorgfalt außer Acht lässt, zu der er nach den Umständen verpflichtet und nach seinen geistigen und körperlichen Verhältnissen befähigt ist und die ihm zuzumuten ist, und deshalb nicht erkennt, dass er einen Sachverhalt verwirklichen könne, der einem gesetzlichen Tatbild entspricht. Fahrlässig handelt auch, wer es für möglich hält, dass er einen solchen Sachverhalt verwirkliche, ihn aber nicht herbeiführen will (§ 8 Abs. 2 FinStrG).
Der bedingte Vorsatz im Sinne des zweiten Halbsatzes dieser Bestimmung setzt kein Wissen über eine Tatsache oder eine Wahrscheinlichkeit, sondern nur das Wissen einer Möglichkeit voraus. Da der Täter den Umstand aber "ernstlich" für möglich halten muss, ist eine Möglichkeit in einem konkreteren Sinn, wie sie etwa einem durch Bedenken erweckten Zweifel entspricht, gemeint (; ). Der OGH hat klarstellend ausgesprochen, dass "ernstlich für möglich halten" so zu verstehen ist, dass der Täter die Tatbestandsverwirklichung (den verpönten Erfolg) als naheliegend ansieht (ständige Rechtsprechung seit , veröffentlicht in EvBl 1975/192 = JBl 1975, 384).
Laut den Begründungen im bekämpften Bescheid und in der Beschwerdevorentscheidung ging die belangte Behörde offenbar davon aus, dass bereits die Verletzung der in § 25 FLAG 1967 geregelten Meldepflicht die Anwendbarkeit der zehnjährigen Verjährungsfrist rechtfertigt.
Wenn die Abgabenbehörde zu dem Schluss kommt, dass die Beihilfen im Sinne des § 207 Abs 2 BAO hinterzogen wurden, so setzt eine solche Beurteilung jedoch eine eindeutige, ausdrückliche und nachprüfbare bescheidmäßige Feststellungen über die Abgabenhinterziehung voraus und sind die maßgebenden Hinterziehungskriterien der Straftatbestände von der Abgabenbehörde nachzuweisen (Ritz, BAO, §207 Tz 15). Die Abgabenbehörde hat es aber verabsäumt, im Bescheid jene Umstände und Überlegungen aufzuzeigen bzw. jene Feststellungen zu treffen, die erkennen lassen, dass die Bf. vorsätzlich gehandelt hat (vgl. und die dort zitierte Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes).
Im vorliegenden Fall liegen nach Auffassung des Bundesfinanzgerichtes keine klar erkennbaren Umstände vor, aus denen mit Erfolg auf ein nachweisbar vorsätzliches Handeln der Bf. geschlossen werden kann.
Es ist der Bf. zuzugestehen, dass sie sich durch den Tod ihres Kindes zunächst in einer psychischen Ausnahmesituation befand. Es ist aber dennoch nicht verständlich, dass die Bf. ohne weitere Erkundigungen einzuholen davon ausging, dass mit der behördlichen Abmeldung beim Magistrat-damit kann nur die Abmeldung im Zentralen Melderegister gemeint sein-eine Verständigung des Finanzamtes über das Erlöschen des Anspruches auf Familienbeihilfe verbunden sei. Ebenso gab es keinen Grund anzunehmen, dass die Angabe "nur" eines Kindes in der elektronisch eingereichten Erklärung zur Arbeitnehmerveranlagung Auswirkungen auf die Überprüfung des Anspruches auf den Bezug von Familienbeihilfe haben würde.
Weiters ist festzuhalten, dass die Bf. bis Juli 2014 für zwei Kinder Familienbeihilfe bezogen hat, sodass davon ausgegangen werden muss, dass ihr die Höhe der bezogenen Leistung bekannt war. Die Bf. hat es daher in fahrlässiger Weise verabsäumt, sich zu informieren, ob die die Familienbeihilfe auszahlende Behörde vom Tod ihres Kindes Kenntnis erlangt hat und ob die Höhe der Leistung entsprechend angepasst wurde.
Da der Bf. vorsätzliches Handeln nicht nachgewiesen werden kann, ist auf die Rückforderung die allgemeine Verjährungsbestimmung des § 207 Abs. 4 BAO anzuwenden. Der Rückforderungszeitraum beträgt daher fünf Jahre ab dem Monat der Bescheiderlassung.
Was die von der Bf. in Erwägung gezogene Möglichkeit, eine Nachsicht zu erwirken betrifft, steht es ihr frei, bei der belangten Behörde einen entsprechenden Antrag auf Nachsicht gemäß § 236 BAO einzubringen. Ein Nachsichtsverfahren ist ein von der Rückforderung getrenntes Verfahren. Die Gewährung einer Nachsicht liegt im Ermessen des Finanzamtes (vgl. Wanke in Lenneis/Wanke (Hrsg), FLAG2 § 26, Rz 78).
Über eine Nachsicht ist nicht im gegenständlichen Beschwerdeverfahren betreffend den Rückforderungsbescheid zu entscheiden. Das Nachsichtsverfahren ist ein eigenes Verwaltungsverfahren, welches das Finanzamt aufgrund eines entsprechenden Antrages gegebenenfalls zu entscheiden hat.
Es war daher wie im Spruch zu entscheiden.
3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
m vorliegenden Fall ist die Entscheidung nicht von der Lösung einer Rechtsfrage abhängig, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Soweit Rechtsfragen zu beurteilen waren, folgt das Gericht einer existierenden, einheitlichen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, Tatfragen sind einer Revision nicht zugänglich.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer |
betroffene Normen | § 207 Abs. 4 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2023:RV.7102207.2023 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at