§ 303 Abs. 1 lit. b BAO: Irrtümlich zu niedriges Pendlerpauschale beantragt - kein Wiederaufnahmegrund
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter***Ri*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom betreffend Abweisung des Antrages vom auf Wiederaufnahme des mit Einkommensteuerbescheid 2020 vom abgeschlossenen Verfahrens, Steuernummer ***BF1StNr1***, zu Recht erkannt:
Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.
Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
Verfahrensgang
Der Beschwerdeführer (Bf) beantragte in seiner elektronisch am für das Jahr 2020 eingebrachten Erklärung zur Arbeitnehmerveranlagung die Berücksichtigung eines Pendlerpauschales iHv € 1.293,00 und eines Pendlereuros iHv € 79,85 als Werbungskosten.
Das Finanzamt erließ den Einkommensteuerbescheid 2020 am antragsgemäß.
Mit der am beim Finanzamt in Papierform eingereichten Erklärung L1 zur ArbeitnehmerInnenveranlagung 2020 und dem Vermerk "Bitte um Wiederaufnahme!" stellte der Bf den Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 303 BAO hinsichtlich der Berücksichtigung eines Pendlerpauschales in Höhe von € 1.899,00 und eines Pendlereuros in Höhe von € 82,00. Aus den beigefügten am abgefragten zwei Ausdrucken vom Pendlerrechner und den handschriftlichen Ergänzungen kommt zum Ausdruck, dass der Bf offensichtlich vom bis seine Arbeitsstätte in ***1*** und vom 2.6. bis 6.11 und vom 21.12.bis 31.12. in ***2*** hatte und sich seiner Meinung nach unter Berücksichtigung dieses Umstandes ein höheres Pendlerpauschale und ein höherer Pendlereuro als in seiner elektronisch eingebrachten Erklärung vom ergibt.
Das Finanzamt wies diesen Antrag auf Wiederaufnahme mit dem angefochtenen Bescheid vom mit der Begründung ab, dass ein Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 303 Abs. 1 BAO nur in jenen Fällen zulässig sei, in denen Tatsachen oder Beweismittel neu hervorkommen, die im Verfahren nicht geltend gemacht werden konnten. Umstände, die zum Zeitpunkt der Bescheid-Erlassung bereits bekannt gewesen wären, jedoch nicht beantragt wurden, würden keinen tauglichen Wiederaufnahmegrund bilden. Das Wiederaufnahmeverfahren habe nicht den Zweck, allfällige Versäumnisse zu sanieren. Die Wiederaufnahme des Verfahrens stehe außerdem im Ermessen der Abgabenbehörde.
Dagegen erhob der Bf fristgerecht Beschwerde, indem er den angefochtenen Bescheid an das Finanzamt übermittelte und darauf handschriftlich "Beschwerde" vermerkte und weiters anführte, das Pendlerpauschale würde zustehen laut Bundesministerium, es sei irrtümlich vergessen worden einzutragen. Er bitte um positive Erledigung.
Das Finanzamt verweigerte in der abweisenden Beschwerdevorentscheidung weiterhin die Wiederaufnahme des Verfahrens und führte in seiner Begründung aus, dass sich aus der jüngsten Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (, unter Hinweis auf das Erkenntnis des ) ergeben würde, dass die Antragswiederaufnahme (Neuerungstatbestand) tatbestandmäßig voraussetzt, dass die geltend gemachten Tatsachen oder Beweismittel dem Antragsteller im abgeschlossenen Verfahren noch nicht bekannt waren. Anderenfalls sei der Wiederaufnahmeantrag aus Rechtsgründen abzuweisen (§ 303 BAO idF FVwGG 2012). Aus dem klaren Wortlaut des § 303 Abs. 1 lit. b iVm Abs. 2 lit. b BAO sei abzuleiten, dass bei einem Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens das Neuhervorkommen von Tatsachen aus der Sicht des Antragstellers zu beurteilen sei. Umstände, die zum Zeitpunkt der Bescheid-Erlassung bereits bekannt gewesen seien, jedoch nicht beantragt wurden, würden keinen tauglichen Wiederaufnahmegrund bilden. Das Wiederaufnahmeverfahren habe nicht den Zweck, allfällige Versäumnisse zu sanieren. Die Beschwerde gegen die Abweisung des Wiederaufnahmeantrages hätte daher abgewiesen werden müssen.
Dagegen erhob der Bf fristgerecht den Vorlageantrag indem er die Beschwerdevorentscheidung an das Finanzamt übermittelte und darauf handschriftlich "Beschwerde" vermerkte und weiters ausführte, er bitte um Weiterleitung an das Bundesfinanzgericht.
Das Finanzamt legte die Beschwerde an das Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vor und beantragte die Abweisung der Beschwerde, da kein Neuerungstatbestand im Sinne des § 303 Abs. 1 lit. b BAO vorliegen würde. Ergänzend wurde darauf verwiesen, dass nach Ansicht des Finanzamtes dem Bf die Fahrten zwischen Wohnort und Arbeitsstätte, die für die Geltendmachung von Ausgaben für diese Fahrten als Werbungskosten Voraussetzung seien, im abgeschlossenen Einkommensteuerverfahren bekannt gewesen wären. Angesichts dieses Umstandes könne aus der Sicht des Bf keinesfalls von einer "neu hervorgekommenen Tatsache" im Sinne des § 303 Abs. 1 lit. b BAO gesprochen werden. Das Wiederaufnahmeverfahren habe nicht den Zweck, allfällige Versäumnisse zu sanieren.
Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:
Sachverhalt
Der Bf beantragte in seiner ersten elektronisch eingebrachten Erklärung zur Arbeitnehmerveranlagung 2020 vom ein Pendlerpauschale iHv € 1.293,- und einen Pendlereuro iHv € 79,85 als Werbungskosten zu berücksichtigen. Am , also ungefähr ein Jahr, nachdem das Finanzamt den Einkommensteuerbescheid am erklärungsgemäß erlassen hat, stellte der Bf einen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens und machte anstatt € 1.293,00 ein Pendlerpauschale iHv € 1.899,00 und anstatt € 79,85 einen Pendlereuro iHv € 82,00 als Werbungskosten geltend. Als Begründung legte er zwei Ausdrucke vom Pendlerrechner mit Abfragetag und abgefragten Tag vor. Aus der Beschwerde gegen den angefochtenen Bescheid geht hervor, dass das Pendlerpauschale irrtümlich einzutragen vergessen wurde.
Strittig ist, ob dem Antrag des Bf auf Wiederaufnahme des Verfahrens neu hervorgekommene Tatsachen (Neuerungstatbestand) iSd § 303 Abs. 1 BAO zu Grunde liegen.
Beweiswürdigung
Als Begründung für seinen Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens legte der Bf zwei Ausdruck aus dem Pendlerrechner mit Abfragetag vor, wobei für den Zeitraum 1.1. bis als Anschrift der Arbeitsstätte ***3***, und für die Zeiträume 2.6. bis 6.11 und 21.12. bis als Arbeitsstätte ***4***, angegeben wurde. Die angeführten Zeiträume lassen sich aus den dem Einkommensteuerbescheid zugrundeliegenden Lohnzetteln nachvollziehen.
Im Übrigen ergibt sich der festgestellte Sachverhalt aus den vom Finanzamt vorgelegten Unterlagen und dem Vorbringen des Bf und ist nicht weiter strittig.
Rechtsgrundlagen und rechtliche Beurteilung
Gemäß § 303 Abs. 1 lit. b BAO kann ein durch Bescheid abgeschlossenes Verfahren auf Antrag einer Partei oder von Amts wegen wiederaufgenommen werden, wenn Tatsachen oder Beweismittel im abgeschlossenen Verfahren neu hervorgekommen sind und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anderslautenden Bescheid herbeigeführt hätte (Neuerungstatbestand).
Nach dem BAO Kommentar - Digital First, Rzeszut/Tanzer/Unger, TZ 17 zu § 303 BAO sind unter dem Begriff "Tatsachen" iSd § 303 Abs. 1 lit b BAO ausschließlich die mit dem Sachverhalt des abgeschlossenen Verfahrens zusammenhängenden tatsächlichen Umstände zu subsumieren (vgl. zB ; ). Damit sind Sachverhaltselemente gemeint, die bei einer entsprechenden Berücksichtigung zu einem anderen Ergebnis als vom erlassenden Bescheid zum Ausdruck gebracht geführt hätten. Derartige Sachverhaltselemente sind etwa Zustände, Vorgänge, Beziehungen oder Eigenschaften (vgl. ; ; ; ; ; ). "Tatsachen" iSd § 303 Abs. 1 lit b BAO sind also dem realen "Seinsbereich" angehörende Gegebenheiten, die als solche (als Sachverhalt) eine Entscheidungsgrundlage für den abschließenden Bescheid bilden. Dazu gehören nicht nur sinnlich wahrnehmbare Umstände, sondern auch innere Vorgänge, soweit sie rational feststellbar sind. Als innere Vorgänge kommen Ansichten, Absichten oder Gesinnungen, die der Selbstbeobachtung eines anderen zugänglich sind (wie zB die Zahlungswilligkeit; vgl. dazu ), in Betracht.
Zweck der Wiederaufnahme wegen Neuerungen ist die Berücksichtigung von bisher unbekannten, aber entscheidungswesentlichen Sachverhaltselementen. Gemeint sind also Tatsachen oder Beweismittel, die zwar im Zeitpunkt der Bescheiderlassung "im abgeschlossenen Verfahren" bereits existierten, aber erst danach hervorgekommen sind (; ).
Bei der beantragten Wiederaufnahme ist das Neuhervorkommen von Tatsachen aus der Sicht des Antragstellers zu beurteilen (vgl. ). Das bedeutet, dass Tatsachen, die dem Antragsteller bereits im abgeschlossenen Verfahren bekannt waren, keinen Grund für eine Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 303 Abs. 1 lit b BAO darstellen können.
Es ist davon auszugehen, dass die als Tatsachen zu wertenden Arbeitsorte und die mit den erforderlichen Fahrstrecken zwischen Wohn- und Beschäftigungsorten verbundenen Aufwendungen im Jahr 2020 bereits zum Zeitpunkt der elektronisch am eingebrachten Erklärung zur Arbeitnehmerveranlagung dem Bf bekannt waren. Dies wird dadurch bezeugt, dass der Bf in seiner Beschwerde angibt, dass er das "Pendlerpauschale … irrtümlich vergessen (hat) einzutragen". Nach der ständigen Rechtsprechung des VwGH lassen sich die nachteiligen Folgen einer früheren unzutreffenden Würdigung oder Wertung des der Partei bekannten Sachverhaltes oder einer fehlerhaften rechtlichen Beurteilung bei unveränderter Tatsachenlage nicht nachträglich im Wege der Wiederaufnahme des Verfahrens beseitigen (vgl. Predota/Rzeszut in Rzeszut/Tanzer/Unger, BAO: Stoll Kommentar - Digital First 2.06 zu § 303 BAO Rz 18 mit der dort angeführten höchstgerichtlichen Judikatur).
Hinzu kommt, dass das Wiederaufnahmeverfahren nicht den Zweck hat, allfällige Versäumnisse einer Partei im Verwaltungsverfahren zu sanieren, sondern es soll die Möglichkeit bieten, bisher unbekannten, aber entscheidungswesentlichen Sachverhaltselementen Rechnung zu tragen (, mwN).
Irrtümlich nicht in die Erklärung zur Arbeitnehmerveranlagung eingetragene aber dem Bf bekannte Werbungskosten begründen somit im Sinne der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes keinen Wiederaufnahmegrund aus dem Titel neuhervorgekommener Tatsachen.
Hingewiesen wird darauf, dass das Bundesfinanzgericht mit Erkenntnis , bei ähnlichem Sachverhalt das Hervorkommen neuer Tatsachen iSd § 303 Abs. 1 lit. b BAO verneint hat.
Da somit im vorliegenden Fall von im Jahr 2023 neu hervorgekommenen Tatsachen im Sinne des § 303 Abs. 1 lit. b BAO nicht gesprochen werden kann, war die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.
Unzulässigkeit der ordentlichen Revision
Gemäß § 25a VwGG hat das Verwaltungsgericht im Spruch seines Erkenntnisses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist.
Gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere, weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Nachdem die Beschwerde insoweit keine für die Entscheidung maßgeblichen Rechtsfragen aufwirft, denen im Sinne der zitierten Bestimmungen grundsätzliche Bedeutung zukäme, war unter Hinweis auf die zitierte eindeutige und einheitliche Rechtsprechung die Unzulässigkeit einer ordentlichen Revision auszusprechen.
Graz, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer |
betroffene Normen | § 303 Abs. 1 lit. b BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 |
Verweise | Predota/Rzeszut in Rzeszut/Tanzer/Unger, BAO: Stoll Kommentar - Digital First 2.06 zu § 303 BAO Rz 18 BFG, RV/2100171/2023 |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2023:RV.2100454.2023 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at