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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 02.11.2023, RV/7103606/2023

Fortgesetztes Verfahren: Bindung an Abgabenbescheide

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch R über die Beschwerde des H, vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom , Steuernummer S, betreffend Haftung gemäß § 9 BAO zu Recht erkannt:

Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

Mit dem Beschluss des Handelsgerichtes Wien vom Datum1, S, wurde ein Insolvenzverfahren über die im Jahr 2017 errichtete G.GmbH mangels kostendeckenden Vermögens nicht eröffnet. Die Gesellschaft wurde aufgelöst.
Am Datum2 wurde die Gesellschaft infolge Vermögenslosigkeit gemäß § 40 FBG im Firmenbuch gelöscht.
Der Beschwerdeführer (Bf.) fungierte von der Gründung der GmbH bis Datum4 als deren alleiniger Geschäftsführer.

Mit dem Haftungsbescheid vom wurde der Bf. vom Finanzamt Österreich gemäß § 9 BAO als Haftungspflichtiger für die aushaftenden Abgabenschuldigkeiten der G.GmbH in der Höhe von insgesamt 128.953,79 € (Umsatzsteuer für die Zeiträume 01 bis 07/2019) in Anspruch genommen.
Gegen den Bescheid brachte der Bf. das Rechtsmittel der Beschwerde ein.

Mit dem Erkenntnis vom , RV/7100924/2023, hob das Bundesfinanzgericht den Bescheid des Finanzamts mit der Begründung auf, die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Haftungsinanspruchnahme des Bf. lägen nicht vor, weil nicht festgestellt werden könne, worin die schuldhafte Pflichtverletzung des Bf. für die (angebliche) Nichtmeldung von Umsatzsteuer in der Höhe von 128.953,79 € gelegen sei.

Mit dem Erkenntnis vom , Ra 2023/13/0060, hob der Verwaltungsgerichtshof das Erkenntnis des Bundendesfinanzgerichtes wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit auf und führte zum Verschulden des Bf. aus:

"Geht einem Haftungsbescheid ein Abgabenbescheid voran, so ist die Behörde daran gebunden und hat sich in der Entscheidung über die Heranziehung zur Haftung grundsätzlich an den Abgabenbescheid zu halten. Die Verschuldensprüfung hat dabei von der objektiven Richtigkeit der Abgabenfestsetzung auszugehen. Einwendungen gegen die Richtigkeit der Festsetzung der Umsatzsteuer sind hingegen nur in einem gemäß § 248 BAO durchzuführenden Abgabenverfahren, nicht jedoch im Haftungsverfahren zu klären (vgl. , mwN).

Abgabenrechtliche Pflichten werden nicht erfüllt, wenn Abgaben, die zu entrichten gewesen wären, nicht entrichtet worden sind (vgl. , mwN).

Dem hier vorliegenden Haftungsbescheid gingen Abgabenbescheide (Festsetzung der Umsatzsteuer für die Monate Jänner bis Juli 2019) voran. Im Haftungsverfahren ist nach der bereits angeführten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes von der Richtigkeit dieser Abgabenfestsetzung auszugehen und diese der Verschuldensprüfung zu Grunde zu legen. Demnach ist im Haftungsverfahren aber davon auszugehen, dass der Mitbeteiligte unrichtige Abgabenerklärungen abgegeben und insoweit keine Abgaben entrichtet hat (vgl. neuerlich ).

Entgegen der Ansicht des Bundesfinanzgerichts ist demnach im Haftungsverfahren - bei Zugrundelegung der Sachverhaltsannahmen des Bundesfinanzgerichts - davon auszugehen, dass der Mitbeteiligte seine abgabenrechtlichen Verpflichtungen schuldhaft verletzt hat und dies auch für die Uneinbringlichkeit ursächlich war."

Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

Gemäß § 63 Abs. 1 VwGG sind, wenn der Verwaltungsgerichtshof einer Revision stattgegeben hat, die Verwaltungsgerichte und die Verwaltungsbehörden verpflichtet, in der betreffenden Rechtssache mit den ihnen zu Gebote stehenden rechtlichen Mitteln unverzüglich den der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtshofes entsprechenden Rechtszustand herzustellen.

Bei der Erlassung der Ersatzentscheidung ist das Verwaltungsgericht an die Rechtsauffassung des VwGH im aufhebenden Erkenntnis gebunden. Diese Bindungswirkung gilt auch für die Verfahrensparteien und den VwGH selbst. Der Spruch und die tragende Rechtsansicht der Begründung des VwGH-Erkenntnisses entfalten normative Wirkung. Entsprechend den allgemeinen Grenzen der Rechtskraft gilt diese Bindungswirkung für die dem Erkenntnis zugrunde liegende Sach- und Rechtslage (vgl. dazu Zorn, Rechtswirkungen des verwaltungsgerichtlichen Erkenntnisses im fortgesetzten Verfahren, S. 264 ff in Holoubek/Lang, Das verwaltugnsgerichtliche Verfahren in Steuersachen; Götzl/Gruber/Reisner/Winkler, Das neue Verfahrensrecht der Verwaltungsgerichte zu § 63 VwGG, Rz. 1 bis 4; Schick, Die Rechtswirkungen der Entscheidungen des VwGH, S. 261 f in Holobouek/Lang, Das Verfahren vor dem VwGH; Twardosz, Handbuch VwGH-Verfahren, S. 200 ff).

Gemäß § 9 Abs. 1 BAO haften die in den §§ 80 ff. bezeichneten Vertreter neben den durch sie vertretenen Abgabepflichtigen für die diese treffenden Abgaben insoweit, als die Abgaben infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können.

Gemäß § 80 Abs. 1 BAO haben die zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen und die gesetzlichen Vertreter natürlicher Personen alle Pflichten zu erfüllen, die den von ihnen Vertretenen obliegen, und sind befugt, die diesen zustehenden Rechte wahrzunehmen.

Voraussetzung für die Haftungsinanspruchnahme nach den §§ 9 und 80 BAO ist eine Abgabenforderung gegen die vom Haftungspflichtigen vertretene Gesellschaft, seine Stellung als Vertreter, die Uneinbringlichkeit dieser Abgabenforderung, eine Pflichtverletzung des Vertreters, ein Verschulden des Vertreters an der Pflichtverletzung und die Ursächlichkeit der Pflichtverletzung für die Uneinbringlichkeit ().

Die Umsatzsteuern 01 bis 07/2019 wurden gegenüber der Gesellschaft mit den Abgabenbescheiden vom , , , und rechtskräftig festgesetzt. Die Abgabenbescheide wurden dem angefochtenen Haftungsbescheid beigelegt.

Unbestritten ist, dass der Bf. im Zeitraum der Fälligkeit der gegenständlichen Abgaben alleiniger Geschäftsführer der G.GmbH war.

Die G.GmbH wurde am Datum2 infolge Vermögenslosigkeit gemäß § 40 FBG im Firmenbuch gelöscht. Die aushaftenden Umsatzsteuern in der Höhe von 128.953,79 € sind bei der Primärschuldnerin daher uneinbringlich.

Nach den Ausführungen im Erkenntnis des VwGH, an die das Bundesfinanzgericht, wie oben ausgeführt, gebunden ist, ist von der Richtigkeit der Abgabenfestsetzung auszugehen und diese der Verschuldensprüfung zu Grunde zu legen. Demnach ist im gegenständlichen Haftungsverfahren davon auszugehen, dass der Bf. seine abgabenrechtlichen Verpflichtungen schuldhaft verletzt hat und diese Verletzung für die Uneinbringlichkeit der Abgaben ursächlich war.

Sämtliche Voraussetzungen für die Haftungsinanspruchnahme des Bf. liegen daher vor.

Nach Lehre und Rechtsprechung ist die Heranziehung zur Haftung in das Ermessen der Abgabenbehörde gestellt, wobei die Ermessensentscheidung im Sinne des § 20 BAO innerhalb der vom Gesetz gezogenen Grenzen nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände zu treffen ist. Dem Gesetzesbegriff "Billigkeit" ist dabei die Bedeutung "berechtigte Interessen der Partei", dem Gesetzesbegriff "Zweckmäßigkeit" die Bedeutung "öffentliches Anliegen an der Einbringung der Abgaben" beizumessen.

Wesentliches Ermessenskriterium ist die Vermeidung eines endgültigen Abgabenausfalls. Aus dem auf die Hereinbringung der Abgabenschuld beim Haftenden gerichteten Besicherungszweck der Haftung folgt, dass die Geltendmachung der Haftung in der Regel ermessenskonform ist, wenn die betreffende Abgabe beim Primärschuldner uneinbringlich ist ().

Ist eine Einbringlichmachung bei der Primärschuldnerin unzweifelhaft nicht möglich, kann die Frage der Einbringlichkeit der Haftungsschuld beim Haftenden von der Abgabenbehörde bei ihren Zweckmäßigkeitsüberlegungen vernachlässigt werden ().

Die Einkommens- und Vermögensverhältnisse des Bf. sind daher im Rahmen der Ermessensentscheidung im Sinne der zitierten Rechtsprechung nicht zu berücksichtigen.

Nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (z.B. , 2006/13/0159) ist dem Element der Zumutbarkeit der Heranziehung eines Haftungspflichtigen angesichts lange verstrichener Zeit im Rahmen der behördlichen Ermessensübung besondere Bedeutung beizumessen.
Im vorliegenden Fall stand die Uneinbringlichkeit der im Jahr 2019 fälligen Abgabenschuldigkeiten spätestens mit der am Datum2 erfolgten amtswegigen Löschung der Gesellschaft im Firmenbuch fest.
Bereits im Vorhalt vom wurde der Bf. zur Stellungnahme hinsichtlich der aushaftenden Abgaben der G.GmbH aufgefordert; der Haftungsbescheid wurde am erlassen. Aufgrund dieser Aktenlage kann auch nicht von einem langen Zeitabstand zwischen dem Entstehen der Abgabenschuld oder der Feststellung der Uneinbringlichkeit der Abgaben bei der Primärschuldnerin einerseits und der bescheidmäßigen Inanspruchnahme zur Haftung andererseits ausgegangen werden ().

Im Hinblick auf das oben festgestellte Verschulden des Bf. an der Uneinbringlichkeit der haftungsgegenständlichen Selbstbemessungsabgaben, dem Umstand, dass der Bf. alleiniger Geschäftsführer der GmbH war und die ohne Zeitverzug vom Finanzamt geltend gemachte Haftung des Bf. ist es daher zweckmäßig, diesen zur Haftung der gegenständlichen Abgaben heranzuziehen. Billigkeitsgründe zu Gunsten des Bf. wurden im Verfahren weder vorgebracht noch liegen solche nach der Aktenlage vor.

Zulässigkeit einer Revision

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Im Hinblick auf die Frage des Verschuldens des Bf. und die Kausalität der Pflichtverletzung für die Uneinbringlichkeit der Abgaben war das Bundesfinanzgericht an das Erkenntnis des VwGH gebunden.

Über eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung war im fortgesetzten Verfahren nicht zu entscheiden.

Graz, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 9 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
ECLI
ECLI:AT:BFG:2023:RV.7103606.2023

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at