Kenntnisstand bei Antrag auf Wiederaufnahme des Verfahrens; kein subjektives öffentliches Recht auf amtswegige Wiederaufnahme des Verfahrens
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht erkennt durch die Richterin Mag. Corinna Engenhart in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch die LMG Steuerberatungsgesellschaft mbH., Sochorgasse 3, 2512 Tribuswinkel, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom betreffend Abweisung des Antrags auf Wiederaufnahme des Verfahrens gemäß § 303 BAO betreffend Einkommensteuer 2017 und 2018 sowie betreffend Umsatzsteuer 2017, Steuernummer ***BF1StNr1***, zu Recht:
I. Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.
II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
I. Verfahrensgang
Mit Schriftsatz vom stellte der Beschwerdeführer - unter Beifügung der entsprechenden Steuererklärungen und Jahresabschlüsse - einen Antrag auf Wiederaufnahme der Verfahren betreffend Einkommensteuer für die Jahre 2017 und 2018 sowie betreffend Umsatzsteuer 2017.
Begründend führte der Beschwerdeführer aus, die Beendigung seines Betriebes sei mit angezeigt worden. Dies habe jedoch nur die Beendigung des operativen Geschäftes betroffen, die Abwicklung der Betriebsaufgabe habe bis September 2018 angedauert. Für das Jahr 2017 ergäbe sich ein Verlust. Zudem seien Grundstück und Gebäude ***Adresse*** zu weniger als 20% betrieblich genutzt worden und daher dem Privatvermögen zuzuordnen.
Mit Vorhalt vom wurde der Beschwerdeführer von der belangten Behörde zur Stellungnahme bzw. zur Vorlage von Unterlagen aufgefordert.
Mit Bescheiden vom wies die belangte Behörde die Anträge auf Wiederaufnahme der Verfahren betreffend Einkommensteuer 2017 und 2018 ab, da der Beschwerdeführer den Vorhalt vom nicht beantwortet habe.
In seiner Beschwerde gegen diese Bescheide brachte der Beschwerdeführer vor, dass er den Vorhalt nicht erhalten und daher keine Gelegenheit zur Stellungnahme gehabt habe.
Mit Beschwerdevorentscheidung vom gab die belangte Behörde der Beschwerde statt und hob die Abweisungsbescheide vom auf. In der Begründung dieser Beschwerdevorentscheidung selbst sowie in einem zusätzlichen Vorhalt vom wurde der Beschwerdeführer ein weiteres Mal zur Stellungnahme sowie zur Vorlage von Unterlagen aufgefordert. Im Vorhalt vom gab die belangte Behörde zudem an, die Betriebsaufgabe im Jahr 2018 (basierend auf der Abmeldung des Gewerbes am sowie die Abmeldung bei der Sozialversicherung am ) anzuerkennen.
Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid vom wurde der Antrag vom auf Wiederaufnahme der Verfahren betreffend Einkommensteuer für die Jahre 2017 und 2018 sowie betreffend Umsatzsteuer 2017 wiederum mangels Beantwortung der Vorhalte von der belangten Behörde abgewiesen.
Gegen diesen Bescheid richtet sich die vorliegende Beschwerde vom , in der der Beschwerdeführer angab, die Vorhalte beantwortet und mittels Einschreiben an die belangte Behörde gesendet zu haben.
Im Rahmen der von der belangten Behörde in Auftrag gegebenen Mängelbehebung vom ergänzte der Beschwerdeführer die Begründung seiner Beschwerde dahingehend, dass der Behörde neue Unterlagen bzw. Beweismittel zur Kenntnis gebracht worden seien, die zu einer Wiederaufnahme der Verfahren berechtigen bzw. die Behörde zur Wiederaufnahme verpflichten würden. Die aktuell rechtskräftigen Bescheide der Jahre 2017 und 2018 entsprächen nicht den wahren wirtschaftlichen Gegebenheiten. Der Rechtsrichtigkeit sei diesbezüglich gegenüber der Rechtsbeständigkeit Vorrang zu geben. Zudem legte der Beschwerdeführer die Beantwortung der an ihn gerichteten Vorhalte sowie Unterlagen betreffend den Verkauf des Betriebsinventars, die Raumaufteilung und betriebliche Nutzung des Grundstückes und Gebäudes ***Adresse*** und die anschließende Veräußerung des Miteigentumsanteils des Beschwerdeführers daran sowie eine Bestätigung einer Bank bezüglich der im Jahr 2018 erfolgten Tilgung von Zinsverbindlichkeiten vor.
Mit Beschwerdevorentscheidung vom wies die belangte Behörde die Beschwerde ab und führte begründend aus, dass nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes der Wissensstand aus der Sicht des Antragstellers für den Neuerungstatbestand maßgebend sei. Mit dem Ablauf der Veranlagungsperiode habe der Abgabenpflichtige Kenntnis von den für die Erstellung der Abgabenerklärungen erforderlichen Umstände gehabt. Die verspätete Vorlage einer von der Schätzung abweichenden Erklärung sei kein "Hervorkommen neuer Tatsachen" und die Wiederaufnahme daher nicht zulässig.
Die belangte Behörde führte weiter aus, dass der Gebäudewert in Höhe von € 50.000 bereits im Jahr 2017 berücksichtigt worden sei und es im Jahr 2018 zu keiner geänderten Beurteilung kommen würde. Die Nichtgeltendmachung einer AfA stelle keinen Wiederaufnahmegrund dar. Das Gebäude mit Anschaffungsdatum 1982 sei im Jahr 2018 bzw. in allen nicht verjährten Jahren, bereits vollständig abgeschrieben gewesen. Zudem seien die Entnahmewerte der LKWs nicht dargelegt worden, im vorgelegten Kaufvertrag seien diese nicht enthalten.
Hinsichtlich des geltend gemachten Zinsaufwandes verwies die belangte Behörde darauf, dass es sich bei dem Beschwerdeführer um einen § 5-Ermittler handle und deshalb verpflichtend Rückstellungen für ungewissen Verbindlichkeiten zu bilden seien. Es sei nicht nachvollziehbar, worum es sich bei der im Jahr 2018 getilgten Verbindlichkeit handle, da nur ein allgemeines Schreiben der Bank vorgelegt worden sei, wonach es sich um Zinsaufwendungen handeln solle. Diese wären jedoch gemäß § 9 EStG 1988 rückzustellen gewesen.
Diese Tatsachen seien dem Beschwerdeführer bekannt gewesen und würden daher keine Wiederaufnahmegründe darstellen. Auf Grund der Ergebnisse des Vorhalteverfahrens und den dargelegten Gründen werde auch eine amtswegige Wiederaufnahme nicht durchgeführt.
Der Beschwerdeführer beantragte mit Schriftsatz vom die Beschwerde dem Bundesfinanzgericht vorzulegen und führte weiters aus, dass schon alleine die Tatsache, dass die Behörde für das Veranlagungsjahr 2018 zunächst vom Vorliegen der Voraussetzungen für die Durchführung einer Arbeitnehmerveranlagung ausgegangen sei, in weiterer Folge aber die Betriebsaufgabe im Jahr 2018 anerkannt habe und der Beschwerdeführer den Jahresabschluss 2018 samt Steuererklärungen vorgelegt habe, durchaus einen Wiederaufnahmegrund darstelle. Die belangte Behörde sei bisher von einer Betriebsaufgabe im Jahr 2017 ausgegangen und habe dies auch in den Schätzungsbescheiden so berücksichtigt. Wie im Vorhalteverfahren nachgewiesen worden sei, habe es sich dabei jedoch um eine falsche Annahme gehandelt. Die Bescheide hätten daher abgeändert werden müssen. Selbst wenn die Wiederaufnahme von Amts wegen eine Ermessensentscheidung darstelle, so sei diese Ermessensübung - insbesondere hinsichtlich der vollständigen Nichtberücksichtigung der Betriebsaufgabe im Jahr 2018 - nicht plausibel.
Im Vorlagebericht vom gab die belangte Behörde an, dass die Abweisung des Antrags auf Wiederaufnahme mit der Beschwerdevorentscheidung vom mangels neu hervorgekommener Tatsachen sowie mangels steuerlicher Auswirkungen erfolgte.
II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:
1. Sachverhalt
Gegenüber dem Beschwerdeführer wurden die Besteuerungsgrundlagen - mit der Begründung, dass der Beschwerdeführer die entsprechenden Erklärungen nicht abgegeben habe - für die Einkommensteuer und Umsatzsteuer für das Jahr 2017 im Schätzungsweg ermittelt und diese mit Bescheiden vom gegenüber dem Beschwerdeführer festgesetzt. Für das Jahr 2018 wurde die Einkommensteuer mittels Arbeitnehmerveranlagung mit Bescheid vom festgesetzt.
Mit Schriftsatz vom stellte der Beschwerdeführer - unter Beifügung der entsprechenden Steuererklärungen und Jahresabschlüsse - einen Antrag auf Wiederaufnahme der Verfahren betreffend Einkommensteuer für die Jahre 2017 und 2018 sowie betreffend Umsatzsteuer 2017.
Der Beschwerdeführer stützt seinen Antrag auf Wiederaufnahme der Verfahren darauf, dass er seinen Betrieb nicht bereits Ende des Jahres 2017, sondern erst im Laufe des Jahres 2018 aufgegeben habe. Zudem seien Grundstück und Gebäude ***Adresse*** zu weniger als 20% betrieblich genutzt worden und seien daher dem Privatvermögen zuzuordnen.
Nach Ansicht des Bundesfinanzgerichtes waren dem Beschwerdeführer diese Umstände im Zeitpunkt der Erlassung der Einkommen- und Umsatzsteuerbescheide für das Jahr 2017 sowie des Einkommensteuerbescheides für das Jahr 2018 bereits bekannt
2. Beweiswürdigung
Der festgestellte und im Beschwerdeverfahren unbestritten gebliebene Sachverhalt gründet sich auf den Inhalt des vorgelegten Verwaltungsaktes sowie das Vorbringen des Beschwerdeführers.
Das Bundesfinanzgericht geht grundsätzlich davon aus, dass einem Abgabepflichtigen in der Regel am Ende eines Veranlagungsjahres sämtliche Tatsachen bekannt sind bzw. er über sämtliche Beweismittel verfügt, die für die steuerliche Veranlagung maßgeblich sind. Wenn die Bemessungsgrundlagen - wie teilweise im beschwerdegegenständlichen Fall - wegen Nichtabgabe der Abgabenerklärungen von der belangten Behörde im Schätzungswege ermittelt werden und der Abgabepflichtige später die fehlende Erklärung in Verbindung mit einem Wiederaufnahmeantrag einreicht, liegen im Regelfall keine aus seiner Sicht neu hervorgekommenen Tatsachen vor. Auch im Fall einer verspäteten Abgabenerklärung beruhen die darin enthaltenen Angaben auf Tatsachen oder Beweismitteln, die im Zeitpunkt der Erlassung des jeweiligen Bescheides bereits existierten und dem Abgabepflichtigen daher grundsätzlich bekannt sein mussten (vgl. ).
Dass der Zeitpunkt der Betriebsaufgabe und das Ausmaß der betrieblichen Nutzung des Gebäudes, auf die der Beschwerdeführer seinen Antrag auf Wiederaufnahme der Verfahren stützt, ihm ausnahmsweise doch erst nach Bescheiderlassung bekannt geworden sein sollten, wird vom Beschwerdeführer nicht behauptet und konnte auch vom Bundesfinanzgericht nicht festgestellt werden. In diesem Zusammenhang ist auch darauf zu verweisen, dass in der Begründung der Beschwerdevorentscheidung auf die Maßgeblichkeit des Kenntnisstandes des Antragsstellers für das Neuhervorkommen von Tatsachen bei der Wiederaufnahme eines Verfahrens auf Antrag hingewiesen wurde und der Beschwerdevorentscheidung diesbezüglich somit der Charakter eines Vorhalts zukommt (vgl. ).
Nach dem Gesamtbild der Verhältnisse konnte das Bundesfinanzgericht daher in freier Beweiswürdigung von den obigen Sachverhaltsfeststellungen ausgehen.
3. Rechtliche Beurteilung
3.1. Zu Spruchpunkt I. (Abweisung)
Gemäß § 303 Abs 1 lit b BAO kann ein durch Bescheid abgeschlossenes Verfahren auf Antrag einer Partei oder von Amts wegen wiederaufgenommen werden, wenn Tatsachen oder Beweismittel im abgeschlossenen Verfahren neu hervorgekommen sind und deren Kenntnis allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.
Gemäß der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist bei der Wiederaufnahme auf Antrag das Neuhervorkommen von Tatsachen aus der Sicht des Antragstellers zu beurteilen (vgl. ). Tatsachen, die dem Antragsteller schon vorher bekannt gewesen sind, deren steuerliche Berücksichtigung er aber unterlassen hat, eröffnen ihm daher keinen Antrag auf Wiederaufnahme (vgl. ).
Aus den im Rahmen der Beweiswürdigung dargelegten Gründen geht das Bundesfinanzgericht davon aus, dass die Tatsachen und Beweismittel - den Zeitpunkt der Betriebsaufgabe sowie das Ausmaß der betrieblichen Nutzung des Gebäudes -, auf die der Beschwerdeführer die von ihm beantragte Wiederaufnahme stützt, ihm zum Zeitpunkt der Bescheiderlassung bereits bekannt waren.
Mit seinem Vorbringen gelingt es dem Beschwerdeführer - den als Wiederaufnahmewerber die Behauptungs- und Beweispflicht hinsichtlich des Vorliegens des Wiederaufnahmegrundes trifft (vgl. ) - daher nicht, dass Vorliegen neu hervorgekommener Tatsachen oder Beweismittel iSd § 303 Abs 1 lit b BAO darzulegen.
Da der Wiederaufnahmetatbestand des § 303 Abs 1 lit b BAO mangels Vorliegens neu hervorgekommener Tatsachen oder Beweismittel nicht erfüllt ist, hat die belangte Behörde den Antrag auf Wiederaufnahme der Verfahren betreffend Einkommensteuer für die Jahre 2017 und 2018 sowie betreffend Umsatzsteuer 2017 zu Recht abgewiesen.
Soweit der Beschwerdeführer rügt, dass die belangte Behörde die gegenständlichen Verfahren nicht amtswegig wiederaufgenommen hat und in diesem Zusammenhang ausführt, dass die von ihm im Rahmen der Wiederaufnahmegründe vorgebrachten Umstände jedenfalls für die belangte Behörde "neu hervorgekommene Tatsachen" darstellen würden, ist ihm zunächst zu entgegnen, dass Gegenstand des angefochtenen Bescheides und somit Sache des Beschwerdeverfahrens die Abweisung der vom Beschwerdeführer beantragten Wiederaufnahme gemäß § 303 Abs. 1 lit b BAO, nicht aber die (Nicht-) Durchführung einer Wiederaufnahme von Amts wegen durch die belangte Behörde ist (vgl. zur Abgrenzung der Sache des Beschwerdeverfahrens einerseits durch die geltend gemachten Wiederaufnahmegründe sowie andererseits dahingehend, ob die Wiederaufnahme vom Abgabepflichtigen beantragt oder von Amts wegen durchgeführt wurde, ). Der bloße Hinweis in der Begründung der Beschwerdevorentscheidung, dass die Verfahren auch von Amts wegen nicht wiederaufgenommen werden würden, ändert daran nichts. Zudem besteht nach ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes kein subjektives öffentliches Recht auf eine (vom Beschwerdeführer angeregte) amtswegige Wiederaufnahme eines Verfahrens (vgl. ).
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.
3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Die Rechtsfrage, auf wessen Kenntnisstand hinsichtlich des Hervorkommens neuer Tatsachen oder Beweismittel iSd § 303 Abs 1 lit b BAO abzustellen ist, ist durch die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes geklärt (vgl. ). Das vorliegende Erkenntnis weicht von dieser Rechtsprechung nicht ab. Die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof ist daher nicht zulässig.
Wien, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer |
betroffene Normen | § 303 Abs. 1 lit. b BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2023:RV.7100485.2023 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at