Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 18.10.2023, RV/5100794/2020

FB-Indexierung (Aufhebung nach EuGH-Urteil)

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch den Richter ***Ri*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***4******Bf1-Adr*** betreffend Beschwerde vom gegen den Abweisungsbescheid des ehemals ***FA***, nunmehr FAÖ DS ***3***, vom betreffend Auszahlung der Familienbeihilfe ohne Indexierung ab , für das Kind ***1***, SVNr. ***2***, zu Recht erkannt:

I. Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben. Der angefochtene Bescheid wird aufgehoben.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

Der Antrag v. , eingelangt am beim zuständigen ehemaligen Finanzamt DS ***3***, lautete wie folgt:

"Antrag auf Familienbeihilfe ab , sehr geehrte Damen und Herren, gemäß dem Artikel 67. der Verordnung (EG) Nr.: 883/2004 unterliegt eine natürliche Person den Rechtsvorschriften des EU-Mitgliedstaates in dem sie entweder ein Dienstverhältnis hat oder sich überwiegend aufhält. Durch die Erwerbstätigkeit zahlt die natürliche Person Sozialversicherung dadurch sie übereinen Zugriff zum österreichischen Sozialsystem verfügt. Bezugnehmend auf die oben genannten EU- Verordnung beantrage ich die Auszahlung der Familienbeihilfe ohne Indexierung ab , da die EU-Verordnung subsidiär anwendbar (in der Rechtshierarchie an der ersten Stelle vor den nationalen Rechtsbestimmungen steht) ist. Mit freundlichen Grüßen"

Abweisungsbescheid Familienbeihilfe vom

"Ihr Antrag vom , eingelangt am (Betreff: Antrag auf Familienbeihilfe ab ) auf Gewährung der Familienbeihilfe in Höhe der in § 8 Familienlastenausgleichsgesetz 1967 (FLAG 1967) festgelegten Beträge und auf Gewährung des Kinderabsetzbetrages in Höhe des in § 33 Abs. 3 erster Satz des Einkommensteuergesetzes 1988 (EStG 1988) festgelegten Betrages wird für das folgende Kind abgewiesen.


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Familien- oder Nachname
***7***
Zeitraum
Geburtsdatum Kind ***5***
***6***

Begründung:

Ihr Schreiben vom wird als Antrag auf Gewährung der Familienbeihilfe in Höhe der in § 8 des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 festgelegten Beträge und auf Gewährung des Kinderabsetzbetrages in Höhe des in § 33 Abs. 3 erster Satz des Einkommensteuergesetzes 1988 festgelegten Betrages gewertet. Gemäß § 8a des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 sind die Beträge an Familienbeihilfe und gemäß § 33 Abs. 3 Z 2 des Einkommensteuergesetzes 1988 ist der Kinderabsetzbetrag für Kinder, die sich ständig in einem anderen Mitgliedstaat der EU oder Hoheitsgebiet einer anderen Vertragspartei des Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz aufhalten, an das Preisniveau des Wohnortstaates anzupassen. Die Beträge an Familienbeihilfe nach § 8a des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 und des Kinderabsetzbetrages nach § 33 Abs. 3 Z 2 des Einkommensteuergesetzes 1988 wurden mit der Familienbeihilfe-Kinderabsetzbetrag-EU-Anpassungsverordnung (BGBl. II Nr. 318/2018) kundgemacht und gelten ab . Da sich ihr Kind ständig in Ungarn aufhält, besteht nur ein Anspruch auf die Familienbeihilfe nach § 8a des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 sowie auf den Kinderabsetzbetrag nach § 33 Abs. 3 Z 2 des Einkommensteuergesetzes 1988, und ihr Antrag wird daher abgewiesen."

Beschwerde vom

"Sehr geehrte Damen und Herren, anbei sende ich ihnen die Beschwerde gegen den Abweisungsbescheid. Die originale Unterlage werde ich Ihnen auch per Post zusenden. Mit freundlichen Grüßen, ***Bf1*** Versicherungsnummer: ***8***

Gemäß dem Artikel 67. der Verordnung (EG) Nr.: 883/2004 unterliegt eine natürliche Person den Rechtsvorschriften des EU-Mitgliedstaates in dem sie entweder ein Dienstverhältnis hat oder sich überwiegend aufhält. Durch die Erwerbstätigkeit zahlt die natürliche Person Sozialversicherung dadurch sie über einen Zugriff zum österreichischen Sozialsystem verfügt. Bezugnehmend auf die oben genannten EU- Verordnung beantrage ich die Auszahlung der Famiiienbeihilfe ohne Indexierung ab , da die EU-Verordnung anwendbar (in der Rechtshierarchie an der ersten Stelle vor den nationalen Rechtsbestimmungen steht) ist."

Beschwerdevorentscheidung v.

Ihre Beschwerde wird als unbegründet abgewiesen. Gemäß § 8a des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 sind die Beträge an Familienbeihilfe und gemäß § 33 Abs. 3 Z 2 des Einkommensteuergesetzes 1988 ist der Kinderabsetzbetrag für Kinder, die sich ständig in einem anderen Mitgliedstaat der EU oder Hoheitsgebiet einer anderen Vertragspartei des Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz aufhalten, an das Preisniveau des Wohnortstaates anzupassen. Die Beträge an Familienbeihilfe nach § 8a des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 und des Kinderabsetzbetrages nach § 33 Abs. 3 Z 2 des Einkommensteuergesetzes 1988 wurden mit der Familienbeihilfe-Kinderabsetzbetrag-EU-Anpassungsverordnung (BGBl. II Nr. 318/2018) kundgemacht und gelten ab .Da sich ihr Kind ständig in Ungarn aufhält, besteht nur ein Anspruch auf die Familienbeihilfe nach§ 8a des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 sowie auf den Kinderabsetzbetrag nach § 33Abs. 3 Z 2 des Einkommensteuergesetzes 1988."

Vorlageantrag v.

"Sehr geehrte Damen und Herren, mit Beschwerdevorentscheidung vom 10.01,2020 zum Abweisungsbescheid vom wurde meine Beschwerde vom als unbegründet abgewiesen. Hiermit lege ich einen Antrag auf die Entscheidung vom 10,01.2020 über die Beschwerde ein. Begründung: gemäß dem Artikel 67. der Verordnung (EG) Nr.: 883/2004 unterliegt eine natürliche Person den Rechtsvorschriften des EU-Mitgliedstaates in dem sie entweder ein Dienstverhältnis hat oder sich überwiegend aufhält. Durch die Erwerbstätigkeit zahlt die natürliche Person Sozialversicherung dadurch sie über einen Zugriff zum österreichischen Sozialsystem verfügt. Bezugnehmend auf die oben genannten EU- Verordnung beantrage ich die Auszahlung der Familienbeihilfe ohne Indexierung ab , da die EU-Verordnung subsidiär anwendbar (in der Rechtshierarchie an der ersten Stelle vor den nationalen Rechtsbestimmungen steht) ist".

Stellungnahme des Finanzamtes DS ***3*** A im Vorlagebericht v. :

Nach geltender Rechtslage sind gemäß § 8a des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 die Beträge an Familienbeihilfe und gemäß § 33 Abs. 3 Z 2 des Einkommensteuergesetzes 1988 ist der Kinderabsetzbetrag für Kinder, die sich ständig in einem anderen Mitgliedstaat der EU oder Hoheitsgebiet einer anderen Vertragspartei des Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz aufhalten, an das Preisniveau des Wohnortstaates anzupassen. Die Beträge an Familienbeihilfe nach § 8a FLAG und des Kinderabsetzbetrages nach § 33 Abs. 3 Z 3 des EStG wurden mit der Familienbeihilfe-Kinderabsetzbetrag-EU-Anpassungsverordnung (BGBl. II Nr. 318/2018) kundgemacht und gelten ab . Da sich das Kind ständig in Ungarn aufhält, bestehe kein Anspruch auf die Familienbeihilfe nach § 8 des FLAG sowie auf den Kinderabsetzbetrag nach § 33 Abs. 3 Z 2 EStG. Es wird beantragt, die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.

Aus der Abfrage des Gerichtes v. ging weiters noch hervor, dass seither die Familienleistungen für ***5*** eingestellt wurden.

II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

1. Sachverhalt

Der Bf beantragte mit Antrag vom die Auszahlung in Höhe der in § 8 aFLAG festgelegten Beträge und die Auszahlung des Kinderabsetzbetrages in Höhe der in § 33 Abs. 3 Z 2 festgelegten Betrages. Über andere Anträge war hier nicht zu entscheiden.

Datenblatt


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antragstellende Person
***Bf1***
Adresse
***Bf1-Adr***
SVNr
***4***
Geburtsdatum
***9***
Partnerin
Frau ***10***
Adresse
***11***
SVNr
***12***
Geburtsdatum
***13***

Der Bf., Herr ***Bf1***, wohnhaft am Familienwohnsitz in ***11***, Ungarn, ist ungarischer Staatsbürger und war seit bis in Österreich beschäftigt (Abfrage des Gerichtes v. in der FB-Datenbank).

Mit Antrag v. , eingelangt beim ehemaligen FA DS ***3*** am , wurde für das Kind ***5***, geb. am ***6*** ,die Auszahlung der Familienbeihilfe ohne Indexierung 01012019 beantragt. Das Kind war im Zeitpunkt der Antragstellung 7 Jahre alt. Sein Kind wohnte ständig in einem anderen Mitgliedstaat der Union (hier: Ungarn). Die ungarische Kindesmutter und Ehegattin des Bf war seit in Ungarn beschäftigt. Der Familienwohnsitz befand sich unstrittig in Ungarn. In Ungarn wurden Familienleistungen an die Ehegattin und Kindesmutter für das gemeinsame minderjährige Kind gezahlt, in Österreich erhielt der Bf. die Ausgleichszahlung.

2. Beweiswürdigung

Der Sachverhalt ergibt sich aus den dem BFG übermittelten Aktenteilen sowie den internen FB-Datenbanken. Der Sachverhalt ist unstrittig.

3.Rechtliche Beurteilung

3.1. Zu Spruchpunkt I. (Stattgabe)

Die Rechtsfrage wurde in der Zwischenzeit vom EuGH und vom BFG gelöst:

Wie im Erkenntnis ausgeführt, ist § 8a FLAG 1967 und § 33 Abs. 3 Z 2 EStG 1988 infolge Verdrängung durch das Unionsrecht in der in diesem Verfahren gegebenen Sachverhaltskonstellation nicht anzuwenden.

In Bezug auf die strittige Rechtsfrage entspricht der hier maßgebende Sachverhalt jenem der Entscheidung :

Rechtssätze:

1)Der Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts besagt, dass das Unionsrecht dem Recht der Mitgliedstaaten vorgeht. Dieser Grundsatz verpflichtet daher alle mitgliedstaatlichen Stellen, den verschiedenen Bestimmungen des Unionsrechts volle Wirksamkeit zu verschaffen, wobei das Recht der Mitgliedstaaten die diesen Bestimmungen zuerkannte Wirkung im Hoheitsgebiet dieser Staaten nicht beeinträchtigen darf. Nach diesem Grundsatz ist ein nationales Gericht, das im Rahmen seiner Zuständigkeit die Bestimmungen des Unionsrechts anzuwenden hat und nationale Rechtsvorschriften nicht im Einklang mit den Anforderungen des Unionsrechts auslegen kann, verpflichtet, für die volle Wirksamkeit dieser Bestimmungen Sorge zu tragen, indem es erforderlichenfalls jede - auch spätere - entgegenstehende Bestimmung des nationalen Rechts aus eigener Entscheidungsbefugnis unangewendet lässt, ohne dass es die vorherige Beseitigung dieser Bestimmung auf gesetzgeberischem Weg oder durch irgendein anderes verfassungsrechtliches Verfahren beantragen oder abwarten müsste.

2) Der EuGH () hat eindeutig ausgesprochen, dass Art. 67 VO 883/2004 dahin auszulegen ist, dass die Familienleistungen, die ein Mitgliedstaat (Vertragsstaat) Erwerbstätigen gewährt, deren Familienangehörige in diesem Mitgliedstaat (Vertragsstaat) wohnen, exakt jenen entsprechen müssen, die er Erwerbstätigen gewährt, deren Familienangehörige in einem anderen Mitgliedstaat (Vertragsstaat) wohnen (Rn. 47). Kaufkraftunterschiede zwischen den Mitgliedstaaten (Vertragsstaaten) rechtfertigen im Hinblick auf diese Bestimmung nicht, dass ein Mitgliedstaat (Vertragsstaat) dieser zweiten Personengruppe Leistungen in anderer Höhe gewährt als der ersten Personengruppe (Rn. 47). Im Hinblick auf die Wohnsitzfiktion des Art. 67 VO 883/2004 und der Beiträge von Wanderarbeitnehmern zur Finanzierung der sozialpolitischen Maßnahmen des Aufnahmemitgliedstaats dürfen die Mitgliedstaaten (Vertragsstaaten) gemäß dieser Verordnung die Familienleistungen nicht nach Maßgabe des Wohnstaats der Kinder des Begünstigten anpassen (Rn. 51).

3) Eine Indexierung von Sozialleistungen für Kinder, die in einem anderen Mitgliedstaat (Vertragsstaat) wohnen als der Arbeitnehmer, an Hand der Kaufkraftunterschiede zwischen den Mitgliedstaaten (Vertragsstaaten) wäre, selbst wenn dies das Sekundärrecht zuließe, was nicht der Fall ist, nach dem Primärrecht der Union (Art. 45 AEUV) ungültig (, unter Hinweis auf , Pinna, EU:C:1986:1).

Verdrängungswirkung des Unionsrechts

Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH sind die Wirkungen des Grundsatzes des Vorrangs des Unionsrechts für alle Einrichtungen eines Mitgliedstaats verbindlich, ohne dass dem insbesondere die innerstaatlichen Bestimmungen, auch wenn sie - was hier nicht der Fall ist - Verfassungsrang haben, entgegenstehen könnten (vgl. , Internationale Handelsgesellschaft, EU:C:1970:114, Rn. 3; , C-379/19, C-547/19, C-811/19 und C-840/19, Euro Box Promotion u. a., EU:C:2021:1034, Rn 251; , RS, EU:C:2022:99, Rn. 50).

Der Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts besagt, dass das Unionsrecht dem Recht der Mitgliedstaaten vorgeht. Dieser Grundsatz verpflichtet daher alle mitgliedstaatlichen Stellen, den verschiedenen Bestimmungen des Unionsrechts volle Wirksamkeit zu verschaffen, wobei das Recht der Mitgliedstaaten die diesen Bestimmungen zuerkannte Wirkung im Hoheitsgebiet dieser Staaten nicht beeinträchtigen darf. Nach diesem Grundsatz ist ein nationales Gericht, das im Rahmen seiner Zuständigkeit die Bestimmungen des Unionsrechts anzuwenden hat und nationale Rechtsvorschriften nicht im Einklang mit den Anforderungen des Unionsrechts auslegen kann, verpflichtet, für die volle Wirksamkeit dieser Bestimmungen Sorge zu tragen, indem es erforderlichenfalls jede - auch spätere - entgegenstehende Bestimmung des nationalen Rechts aus eigener Entscheidungsbefugnis unangewendet lässt, ohne dass es die vorherige Beseitigung dieser Bestimmung auf gesetzgeberischem Weg oder durch irgendein anderes verfassungsrechtliches Verfahren beantragen oder abwarten müsste (vgl. , Costa, 6/64, EU:C:1964:66, S. 1270 und 1271; , C-624/18 und C-625/18, A. K. u. a., EU:C:2019:982, Rn. 157, 158 und 160; , C-512/18 und C-520/18, La Quadrature du Net u. a., EU:C:2020:791, Rn. 214 und 215; , G. D., EU:C:2022:258, Rn. 118).

Die Entscheidungen des EuGH binden alle Gerichte der Mitgliedstaaten auch für andere Fälle; sie schaffen objektives Recht (vgl. u. v. a.). Alle Gerichte der Mitgliedstaaten haben im Rahmen ihrer Zuständigkeit das Unionsrecht uneingeschränkt anzuwenden und für die volle Wirksamkeit der unionsrechtlichen Normen Sorge zu tragen, indem sie erforderlichenfalls jede entgegenstehende Bestimmung des nationalen Rechts aus eigener Entscheidungsbefugnis unangewendet lassen (vgl. u. a.).

Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union wird durch die Auslegung einer Vorschrift des Unionsrechts, die der Gerichtshof vornimmt, erläutert und verdeutlicht, in welchem Sinne und mit welcher Tragweite diese Vorschrift seit ihrem Inkrafttreten zu verstehen und anzuwenden ist oder gewesen wäre. Daraus folgt, dass die Gerichte die Vorschrift in dieser Auslegung auch auf Rechtsverhältnisse, die nach Inkrafttreten dieser Vorschrift und vor Erlass des auf das Ersuchen um Auslegung ergangenen Urteils entstanden sind, anwenden können und müssen, wenn alle sonstigen Voraussetzungen für die Anrufung der zuständigen Gerichte in einem die Anwendung dieser Vorschrift betreffenden Streit vorliegen (vgl. , TE, EU:C:2019:665, Rn. 53; , Hein, EU:C:2018:1018, Rn. 56 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Nur der Gerichtshof kann in Ausnahmefällen und aus zwingenden Erwägungen der Rechtssicherheit eine vorübergehende Aussetzung der Verdrängungswirkung herbeiführen, die eine unionsrechtliche Vorschrift gegenüber mit ihr unvereinbarem nationalem Recht ausübt (vgl. , G. D., EU:C:2022:258, Rn. 119).

Eine solche zeitliche Beschränkung der Wirkungen einer Auslegung des Unionsrechts durch den Gerichtshof ist im nicht erfolgt.

Nationales Recht, das in einer konkreten Konstellation im Widerspruch zu unmittelbar anwendbarem Unionsrecht steht, wird für diese Konstellation verdrängt. Nationales Recht bleibt insoweit unangewendet, als ein Verstoß gegen unmittelbar anwendbares Unionsrecht gegeben ist. Steht der Anwendung einer nationalen Norm der Anwendungsvorrang unmittelbar anwendbaren Unionsrechts entgegen, wäre die Anwendung der nationalen Norm einer denkunmöglichen Gesetzesanwendung gleichzuhalten, die mit den Vorgaben des gleichheitsrechtlichen Willkürverbotes nicht zu vereinbaren ist (vgl. ). Die Verdrängungswirkung des Unionsrechts hat zur Folge, dass die nationale gesetzliche Regelung in jener Gestalt anwendbar bleibt, in der sie nicht mehr im Widerspruch zum Unionsrecht steht.

Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichthofs erreicht die Verdrängung des nationalen Rechts "bloß jenes Ausmaß, das gerade noch hinreicht, um einen unionsrechtskonformen Zustand herbeizuführen" (vgl. ; ; ).

Lässt das Unionsrecht für eine bestimmte Konstellation mehrere Lösungen zu, ist es Aufgabe des Gesetzgebers, innerhalb des vom Unionsrecht vorgegebenen Rahmens eine nationale Regelung zu normieren. Solange der Gesetzgeber diese Entscheidung nicht getroffen hat, und soweit dem Unionsrecht unmittelbare Anwendbarkeit zukommt, muss der Rechtsanwender eine "bereinigte Rechtslage" zur Anwendung bringen. Bestehen mehrere gleichwertige unionsrechtskonforme Lösungen, hat nach dieser Rechtsprechung der Rechtsanwender nicht ein freies Wahlrecht, sondern hat nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs jene Lösung zur Anwendung zu bringen, mit welcher materiell am wenigsten in das nationale Recht eingegriffen wird. Soweit als möglich ist nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs die normative Anordnung des nationalen Gesetzgebers aufrechtzuerhalten (vgl. ; ; ).

Unzulässigkeit einer Indexierung an Hand der Kaufkraft in den einzelnen Mitgliedstaaten (Vertragsstaaten)

Ein derartiger Fall liegt hier nicht vor. Der EuGH hat eindeutig ausgesprochen, dass Art. 67 VO 883/2004 dahin auszulegen ist, dass die Familienleistungen, die ein Mitgliedstaat (Vertragsstaat) Erwerbstätigen gewährt, deren Familienangehörige in diesem Mitgliedstaat (Vertragsstaat) wohnen, exakt jenen entsprechen müssen, die er Erwerbstätigen gewährt, deren Familienangehörige in einem anderen Mitgliedstaat (Vertragsstaat) wohnen (Rn. 47). Kaufkraftunterschiede zwischen den Mitgliedstaaten (Vertragsstaaten) rechtfertigen im Hinblick auf diese Bestimmung nicht, dass ein Mitgliedstaat (Vertragsstaat) dieser zweiten Personengruppe Leistungen in anderer Höhe gewährt als der ersten Personengruppe (Rn. 47).

Im Hinblick auf die Wohnsitzfiktion des Art. 67 VO 883/2004 und der Beiträge von Wanderarbeitnehmern zur Finanzierung der sozialpolitischen Maßnahmen des Aufnahmemitgliedstaats dürfen die Mitgliedstaaten (Vertragsstaaten) gemäß dieser Verordnung die Familienleistungen nicht nach Maßgabe des Wohnstaats der Kinder des Begünstigten anpassen (Rn. 51).

Eine Indexierung von Sozialleistungen für Kinder, die in einem anderen Mitgliedstaat (Vertragsstaat) wohnen als der Arbeitnehmer, an Hand der Kaufkraftunterschiede zwischen den Mitgliedstaaten (Vertragsstaaten) wäre, selbst wenn dies das Sekundärrecht zuließe, was nicht der Fall ist, nach dem Primärrecht der Union (Art. 45 AEUV) ungültig (Rn. 57 unter Hinweis auf , Pinna, EU:C:1986:1).

Der Bf. in der hier anhängigen Rechtssache ist Unionsbürgerin (Ungarn), er war in Österreich erwerbstätig, sein Kind wohnte ständig in einem anderen Mitgliedstaat der Union (hier Ungarn).

Nichtanwendung von § 8a FLAG 1967 und § 33 Abs. 3 Z 2 EStG 1988

Die einzige unionsrechtskonforme Lösung der hier anhängigen Rechtssache kann nur darin bestehen, gemäß dem § 8a FLAG 1967 und § 33 Abs. 3 Z 2 EStG 1988 infolge Verdrängung durch das Unionsrecht nicht anzuwenden.

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Der Gerichtshof der Europäischen Union hat die Rechtsfrage, ob ein Anpassungsmechanismus in Form der Indexierung nach der Kaufkraft in den einzelnen Mitgliedsstaaten bzw. Vertragsstaaten in Bezug auf die Familienbeihilfe und den Kinderabsetzbetrag für Erwerbstätige, deren Kinder ständig in einem anderen Mitgliedstaat wohnen, mit dem Unionsrecht vereinbar ist, eindeutig beantwortet. Basierend auf der geltenden österreichischen Rechtslage gibt es nur eine unionsrechtskonforme Lösung, nämlich auf Aufhebung des angefochtenen Bescheids und damit die Auszahlung des Unterschiedsbetrags ohne Anwendung einer Indexierung in Bezug auf Kaufkraftunterschiede in den einzelnen Mitgliedstaaten. Es liegt daher nunmehr keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung vor.

Die Revision ist daher nicht zuzulassen.

Bemerkt wird, dass gemäß § 34 Abs. 1a VwGG der Verwaltungsgerichtshof bei der Beurteilung der Zulässigkeit der Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG an den Ausspruch des Verwaltungsgerichts gemäß § 25a Abs. 1 VwGG nicht gebunden ist.

Linz, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
Schlagworte
Unionsbürger
EuGH-Urteil
Vorabentscheidungsverfahren
Ungarn
Kinderabsetzbetrag
FB-Indexierung
ECLI
ECLI:AT:BFG:2023:RV.5100794.2020

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at