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Bescheidbeschwerde – Senat – Erkenntnis, BFG vom 13.11.2023, RV/3100123/2020

Geschäftsführerhaftung: Keine hinreichende Feststellung der Uneinbringlichkeit bei der Primärschuldnerin

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Senatsvorsitzende R1, den Richter R2 sowie die fachkundigen Laienrichter R3 und R4 in der Beschwerdesache Bf, Bf_Adr, über die Beschwerde vom gegen den Haftungsbescheid gem. § 9 BAO des Finanzamtes Kufstein Schwaz (nunmehr FA Österreich) vom , Steuernummer Bf_StNr, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung am in Anwesenheit der Schriftführerin SF zu Recht erkannt:

I. Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO Folge gegeben. Der angefochtene Bescheid wird aufgehoben.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

1. Mit Vorhalt vom wurde der Beschwerdeführer (Bf) unter Verweis auf seine Vertreterstellung iSd § 9 BAO sowie die Uneinbringlichkeit der aushaftenden Abgabenschuldigkeiten dazu aufgefordert darzutun, dass er keine Verletzung abgabenrechtlicher Pflichten der primärschuldnerischen M GmbH zu verantworten habe.

In der Vorhaltsbeantwortung vom wurde vor allem geltend gemacht, dass der Bf nicht mit der Wahrnehmung der abgabenrechtlichen Pflichten der Primärschuldnerin betraut gewesen sei. Der zweite selbständig vertretungsbefugte Geschäftsführer, Gf_2, habe gegenüber dem Bf behauptet, ein Fachmann für finanzielle und steuerliche Belange zu sein; darüber hinaus sei die M GmbH von der C_Stb GmbH bzw. deren Mitarbeiter B steuerlich vertreten gewesen. Es sei von einer engen Verstrickung von Herrn B und Herrn Gf_2 auszugehen, welche nicht nur gemeinsam die steuerlichen und finanziellen Angelegenheiten der Primärschuldnerin geregelt hätten, sondern auch beide als Geschäftsführer bzw. Vertreter der Ges_SA (Anm.: Alleingesellschafterin der M GmbH) bzw. deren Tochtergesellschaften aufgetreten seien. Nach seinem Wechsel zur Steuerberatungskanzlei X habe B eine Anfrage des Bf im Herbst 2017, ob dieser der X die Vollmacht zur steuerlichen Vertretung der M GmbH erteilen können, abgelehnt bzw. verlangt, dass Herr Gf_2 diese Vollmacht erteilen müsse.

Unter Anführung von UFS-Rechtsprechung wurde vorgebracht, bei mehreren Geschäftsführern sei, wenn eine - auch nur konkludente - Aufgabenverteilung bestehe, derjenige Geschäftsführer zur Haftung heranzuziehen, der für die abgabenrechtlichen Belange zuständig sei.

Da die abgabenrechtlichen Pflichten der M GmbH von zwei Fachleuten wahrgenommen worden seien, erscheine eine Überwachung dieser Personen durch den Bf nicht zweckdienlich.

Auf eine Stellungnahme zur Uneinbringlichkeit lt. Haftungsvorhalt wurde in der Vorhaltsbeantwortung "ohne Anerkennung der Ausführungen" verzichtet.

2. In einem weiteren Ergänzungsersuchen vom forderte die Abgabenbehörde den Bf zur Vorlage von Unterlagen zum Nachweis seines Vorbringens im Schreiben vom auf. Dem Bf wurde außerdem seine (Allein)Geschäftsführertätigkeit bei zwei weiteren inländischen GmbH´s vorgehalten, aus der auf Erfahrung in steuerlichen Angelegenheiten zu schließen sei; zu seiner Behauptung, von der Steuerfreiheit der Umsätze der M GmbH ausgegangen zu sein, wurde ihm vorgehalten, dass diese zum Teil in Rechnungen 20 % österreichische Umsatzsteuer ausgewiesen habe, sodass eine Steuerschuld lt. Rechnung eingetreten sei.

In der Stellungnahme vom wurde eingangs der vom Bf ausfindig gemachte italienische Wohnsitz von Gf_2 bekannt gegeben. Im Weiteren wurde ausgeführt, dass behördlicher Schriftverkehr am Firmensitz der Primärschuldnerin (zugleich Wohnadresse des Bf) eingegangen sei, Rechnungen, Belege und Dokumente des täglichen Geschäftsbetriebes habe der Bf jedoch nicht erhalten. Nach Ausführungen dazu, über welches steuerliche Wissen ein "einfacher" Geschäftsführer für gewöhnlich verfüge, wurde unter Verweis auf eine Entscheidung des Unabhängigen Finanzsenates dargelegt, dass eine Aufgabenverteilung zwischen Geschäftsführern nicht notwendigerweise schriftlich fixiert sein müsse. Betreffend Bankkonten der Primärschuldnerin und Zeichnungsberechtigungen zu diesen wurde ausgeführt, dass die M GmbH über mehrere Konten verfügt habe, der Bf selbst aber nur für das Konto bei der A_Bank zeichnungsberechtigt gewesen sei; diese Zeichnungsberechtigung habe er nie in Anspruch genommen.

4. Mit Bescheid vom wurde der Bf zur Haftung für folgende offenen Abgabenschuldigkeiten der M GmbH herangezogen:

[...]

Dem Haftungsbescheid, in dessen Begründung dem Bf in erster Linie eine Verletzung von Aufsichts- und Kontrollpflichten vorgeworfen wurde, waren Ablichtungen der Umsatzsteuerfestsetzungsbescheide 11/2016, 01-03/2017 und 04-06/2017 samt Bescheidbegründung in Form des BP-Berichtes vom , sowie des Umsatzsteuerjahresbescheides 2017 vom beigelegt. Zur Ermessensübung wurde, neben der Uneinbringlichkeit der aushaftenden Abgabenschuldigkeiten bei der Primärschuldnerin, angeführt, dass der zweite Geschäftsführer Gf_2 für die Abgabenbehörde nicht greifbar sei.

5. Nach zweimaliger Fristverlängerung wurde am die Beschwerde gegen den Haftungsbescheid sowie gem. § 248 BAO gegen den Umsatzsteuerbescheid 2017 eingebracht.

Ergänzend zu den Stellungnahmen vom und vom wurde zum Thema der Aufgabenverteilung zwischen den beiden Geschäftsführern der M GmbH vorgebracht, dass die Abgabenbehörde selbst in der Begründung des Haftungsbescheides Indizien für die bestehende konkludente Ressortverteilung genannt habe. So sei bereits beim Antrittsbesuch ersichtlich gewesen, dass der Bf nicht der Ansprechpartner für das Finanzamt für steuerliche und finanzielle Belange sein werde. Dies sei auch bei der Außenprüfung im September 2017 klar erkennbar gewesen und werde in der Begründung des Haftungsbescheides ausgeführt, dass der Bf ohne Rücksprache mit Herrn Gf_2 und der C_Stb GmbH nicht in der Lage gewesen sei, Informationen oder Belege vorzulegen. Eine schuldhafte Pflichtverletzung des Bf liege hier nicht vor, da, wie in den Stellungnahmen bereits ausgeführt, die abgabenrechtlichen Belange der Primärschuldnerin von zwei Fachleuten wahrgenommen worden seien. Eine Verpflichtung des Bf, trotzdem die Umsatzsteuerpflicht oder die Zeichnungsberechtigung von Konten zu prüfen, würde jede Ressortverteilung ad absurdum führen. Das Ermessen sei im Haftungsbescheid insofern falsch geübt worden, als das Finanzamt trotz des Umstandes, dass der Bf selbst infolge der Uneinbringlichkeit seines eigenen sechsstelligen Investments zu den Geschädigten der M GmbH gehöre, keine Billigkeitsgründe erkannt habe. Gegen den Umsatzsteuersachbescheid werde Beschwerde gem. § 248 BAO erhoben. Es sei dem Finanzamt unbenommen, die voraussichtliche Aufhebung jenes Bescheides und damit die Korrektur des Haftungsbetrages auf Null im Wege des Ermessens bereits im Haftungsverfahren zu berücksichtigen.

6. Nach Ergehen der abweisenden Beschwerdevorentscheidung am wurde am der Vorlageantrag gestellt. In der Begründung der Beschwerdevorentscheidung wurde ausführlich in Abrede gestellt, dass eine Ressortverteilung, die dem Mitgeschäftsführer Gf_2 eine ausschließliche Zuständigkeit für abgabenrechtliche Angelegenheiten zugewiesen hätte, bestanden habe. Vielmehr seien beide Geschäftsführer mit der Besorgung der Abgabenangelegenheiten betraut gewesen. Darüber hinaus wurde dem Bf neuerlich die Verletzung einer, auch gegenüber Steuerberatern bestehenden, Überwachungspflicht zum Vorwurf gemacht. Weiters wurde angemerkt, dass jener Herr Gf_2 sich nicht im Bundesgebiet aufhalte. An ihn gerichtete Schreiben seien bislang an keine der vermuteten Adressen zustellbar. Der Umstand, dass der Bf selbst allenfalls Geschädigter der Primärschuldnerin sei, könne im Ermessen nicht zu einer Minderung der Haftung führen.

II. Sachverhalt

1. Die primärschuldnerische M GmbH wurde mit Errichtungserklärung vom gegründet. Alleingesellschafterin ist die Ges_SA mit Sitz in L. Mit Gesellschafterbeschluss vom wurden Gf_2 und der Bf zu jeweils selbständig vertretungsbefugten Geschäftsführern der M GmbH bestellt.

2. Der Sitz der M GmbH ist seit der Gründung am Wohnsitz des Bf in Bf_Adr; nachdem der Bf gegenüber der Alleingesellschafterin Ges_SA am seinen sofortigen Rücktritt als Geschäftsführer der M GmbH erklärt hatte, wurde er auf seinen Antrag vom als Geschäftsführer aus dem Firmenbuch gelöscht. Auf sein Einschreiten hin wurde außerdem am amtswegig im Firmenbuch angemerkt, dass die GmbH über keine für Zustellungen maßgebliche Geschäftsanschrift verfüge.

Der Bf war vom bis als gewerberechtlicher Geschäftsführer der M GmbH eingetragen.

3. Die objektive Uneinbringlichkeit der aushaftenden Abgabenschulden im Zeitpunkt der Haftungsinanspruchnahme des Bf wurde nicht hinreichend festgestellt.

III. Beweiswürdigung, Rechtslage und Erwägungen

1. Gemäß § 9 Abs. 1 BAO haften die in den §§ 80ff bezeichneten Vertreter neben den durch sie vertretenen Abgabepflichtigen für die diese treffenden Abgaben insoweit, als die Abgaben infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können.

Gemäß § 80 Abs. 1 BAO haben die zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen alle Pflichten zu erfüllen, die den von ihnen Vertretenen obliegen, und sind befugt, die diesen zustehenden Rechte wahrzunehmen. Sie haben insbesondere dafür zu sorgen, dass die Abgaben aus den Mitteln, die sie verwalten, entrichtet werden.

2. Die Haftung nach § 9 ist eine Ausfallshaftung. Voraussetzung ist die objektive Uneinbringlichkeit der betreffenden Abgaben im Zeitpunkt der Inanspruchnahme des Haftenden. Uneinbringlichkeit liegt vor, wenn Vollstreckungsmaßnahmen erfolglos waren oder voraussichtlich erfolglos wären (zB ; , 2003/13/0153).

Die Uneinbringlichkeit der aushaftenden Abgaben bei der Primärschuldnerin begründete die Abgabenbehörde damit, dass diese infolge der am erfolgten Begrenzung der UID-Nummer keine Geschäftstätigkeit in Österreich mehr ausüben könne und in Österreich über kein Einkommen und kein verwertbares Vermögen verfüge. Die gesetzten Vollstreckungsmaßnahmen der Abgabenbehörde hätten nicht zur Deckung des Abgabenrückstandes ausgereicht. Die tatsächlich gesetzten Vollstreckungshandlungen wurden in der mündlichen Verhandlung dargetan. Sie reichten von einer Kontenregistereinschau und der an die Primärschuldnerin, zH des verbleibenden Geschäftsführers Gf_2 gerichteten Zahlungsaufforderung über eine Pfändung des Kontos der Primärschuldnerin bei der A_Bank über die Versuche, nicht einbezahltes Stammkapital bei der Gesellschafterin in L im Rechtshilfeweg beizutreiben und den Versuch, Gf_2 zur Haftung heranzuziehen, bis zur verfahrensgegenständlichen Haftungsinanspruchnahme des Bf. Die unternommenen Einbringungsversuche sind im elektronischen Akt der Primärschuldnerin dokumentiert.

Erstmals in der mündlichen Verhandlung hat auch der Bf bzw. sein steuerlicher Vertreter dazu ein ausführliches Vorbringen erstattet. Es wurde ins Treffen geführt, dass bereits im Rahmen der Umsatzsteuersonderprüfung vom Betriebsprüfer festgehalten worden sei, dass die Investorengelder nicht nur über die Konten der Primärschuldnerin bei der A_Bank, sondern ua über die E_Bank auf Y gelaufen seien. Dies sei bereits daraus ersichtlich, dass der Abgabenbehörde bei der Betriebsprüfung die Kontoauszüge der A_Bank vorgelegen seien. Nur ein Bruchteil der sich aus den teilweise erstellten, aber nicht eingereichten Umsatzsteuervoranmeldungen ergebenden Umsätze der Primärschuldnerin seien demnach auf den Konten bei der A_Bank erfasst. Die Abgabenbehörde habe somit schon 2017 Kenntnis vom Konto der M GmbH bei jener y_en Bank gehabt, über welches erhebliche Geldflüsse abgewickelt worden seien und sei der Abgabenbehörde eine Einbringlichmachung der Abgabenschulden der M GmbH im Rechtshilfeweg ohne Weiteres möglich gewesen bzw. hätte sie einen solchen Versuch jedenfalls unternehmen müssen. Die objektive Uneinbringlichkeit im Zeitpunkt der Haftungsinanspruchnahme des Bf als deren wesentliche Voraussetzung sei von der Abgabenbehörde somit nicht festgestellt worden.

Aktenkundig ist in diesem Zusammenhang, dass der Betriebsprüfer Kenntnis vom Konto der M GmbH bei der E_Bank hatte, und dass von diesem Konto im August 2017 zwei Zahlungen á € 10.000,00 auf das Abgabenkonto der M GmbH geleistet wurden ("advance payment" lt. Beleg - vgl. elektronischer Akt der Primärschuldnerin). Seitens des Bf wird der Abgabenbehörde ihre Kenntnis dieses Kontos daher zu Recht vorgehalten. Ein dahingehender Beitreibungsversuch im Rechtshilfeweg nach dem EU-VAHG hat, wie der Vertreter der Abgabenbehörde einräumen musste, nicht stattgefunden. Aus welchen Gründen ein solcher Beitreibungsversuch unterblieben ist, ist nicht eruierbar und ist auch nicht von Belang. Ungeachtet der tatsächlich unternommenen Einbringungsversuche ist der Bf mit seinem Einwand im Recht, dass die Abgabenbehörde ihr zumutbare Möglichkeiten der Einbringung der Abgabenschuld bei der Primärschuldnerin nicht ausgeschöpft hat.

Für den Senat war daraus der Schluss zu ziehen, dass die objektive Uneinbringlichkeit im Zeitpunkt der Haftungsinanspruchnahme des Bf nicht feststand, und war der Beschwerde schon aus diesem Grund stattzugeben. Eine Auseinandersetzung damit, ob die weiteren Voraussetzungen zur Haftungsinanspruchnahme des Bf erfüllt waren oder nicht, erübrigte sich somit.

Unzulässigkeit der Revision

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Die rechtliche Beurteilung folgt der höchstgerichtlichen Rechtsprechung zum Thema Geschäftsführerhaftung. Die Revision war daher nicht zuzulassen.

Innsbruck, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 80 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 9 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
Verweise
ECLI
ECLI:AT:BFG:2023:RV.3100123.2020

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at