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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 07.11.2023, RV/7103007/2023

Kein Freibetrag gem § 35 Abs 1 und 3 EStG bei unterjährigem Wegfall des Pflegegelds

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht erkennt durch den Richter***Ri*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom betreffend Einkommensteuer (Arbeitnehmerveranlagung) 2022 Steuernummer ***BF1StNr1*** zu Recht:

I. Die Beschwerde wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

In seiner Erklärung zur Arbeitnehmerveranlagung 2022 wies die beschwerdeführende Partei (in der Folge der Bf.) auf seine Behinderung mit Behinderungsgrad von 60% hin. Der Einkommensteuerbescheid erging erklärungsgemäß, der Freibetrag gemäß § 35 Abs. 1 iVm Abs. 3 EStG 1988 wurde jedoch nicht berücksichtigt, weil im Streitjahr (teilweise) Pflegegeld bezogen wurde.

In der fristgerecht eingebrachten Beschwerde monierte der Bf., er habe im Streitjahr lediglich für die Monate Jänner bis März Pflegegeld bezogen. Ein Freibetrag gemäß § 35 Abs. 3 EStG 1988 sei aber im Bescheid nicht berücksichtigt worden. Der Bf. beantragte entsprechend die Berücksichtigung des Freibetrages.

Mit Beschwerdevorentscheidung wies die belangte Behörde die Beschwerde ab. Begründend wurde darauf verwiesen, dass der Freibetrag nicht berücksichtigt werden könne, weil ganzjährig Pflegegeld bezogen worden sei.

Im rechtzeitigen Vorlageantrag bekräftigte der Bf. nochmals, dass er lediglich für drei Monate und nicht ganzjährig Pflegegeld bezogen habe und beantragte die Berücksichtigung des Freibetrags gemäß § 35 Abs. 3 EStG 1988.

II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

1. Sachverhalt

Der Bf. erzielt Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit.

Er hat eine Behinderung mit einem Behinderungsgrad von 60%.

Im strittigen Veranlagungsjahr 2022 bezog der Bf. von Jänner bis März Pflegegeld.

2. Beweiswürdigung

Der Sachverhalt ist ergibt sich aus dem vorgelegten Verwaltungsakt. Insbesondere ergibt sich aus den aktenkundigen Jahreslohnzetteln des Streitjahres, dass der Bf. im Streitjahr 2022 lediglich für drei Monate Pflegegeld bezog. Der Grad der Behinderung ergibt sich aus den von der beschwerdeführenden Partei beigebrachten Unterlagen.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Zu Spruchpunkt I. (Abweisung)

Gemäß § 34 Abs. 1 EStG 1988 sind bei der Ermittlung des Einkommens eines unbeschränkt Steuerpflichtigen nach Abzug der Sonderausgaben außergewöhnliche Belastungen abzuziehen. Die Belastung muss außergewöhnlich sein, sie muss zwangsläufig erwachsen und sie muss die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit wesentlich beeinträchtigen.

Die Belastung ist nach § 34 Abs. 2 EStG 1988 außergewöhnlich, soweit sie höher ist als jene, die der Mehrzahl der Steuerpflichtigen gleicher Einkommensverhältnisse und gleicher Vermögensverhältnisse erwächst.

Nach § 34 Abs. 3 EStG 1988 erwächst die Belastung dem Steuerpflichtigen zwangsläufig, wenn er sich ihr aus tatsächlichen, rechtlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann.

Die Belastung beeinträchtigt nach § 34 Abs. 4 EStG 1988 wesentlich die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, soweit sie einen näher geregelten Selbstbehalt übersteigt.

Hat der Steuerpflichtige außergewöhnliche Belastungen u. a. durch eine eigene körperliche oder geistige Behinderung und erhält er keine pflegebedingte Geldleistung (Pflegegeld, Pflegezulage, Blindengeld oder Blindenzulage), so steht ihm nach § 35 Abs. 1 EStG 1988 ein Freibetrag (§ 35 Abs. 3 EStG 1988) zu.

Die Einschränkung des § 35 Abs. 1 EStG 1988, wonach nur dann ein Freibetrag zusteht, wenn nicht eine pflegebedingte Geldleistung bezogen wird, fußt auf der Prämisse, die Überförderung der Steuerpflichtigen zu verhindern (vgl. EB RV 72 und Zu 72 [Strukturanpassungsgesetz 1996], XX. GP, 267).

Fest steht, dass der Bf. für drei Monate (Jänner bis März 2022) Pflegegeld bezogen hat. Für diese drei Monate steht ein Freibetrag jedenfalls nicht zu. Fraglich ist, ob die Prämisse der Hintanhaltung von Überförderungen eine etwaige Aliquotierung des Freibetrages auf die verbleibenden neun Monate rechtfertigt, für die der Bf. kein Pflegegeld bezogen hat.

Der Freibetrag gemäß § 35 Abs. 3 EStG 1988 ist ein Jahresfreibetrag (vgl. ). Systematisch findet sich im EStG kein Jahresfreibetrag oder Jahresabsetzbetrag, der monatlich aliquotiert wird (vgl. bspw der Verkehrsabsetzbetrag gemäß § 33 Abs. 5 Z 1 EStG 1988, der ein Jahresbetrag ist und bei unterjähriger Aufnahme oder Beendigung eines Dienstverhältnisses nicht aliquotiert wird; dazu Kanduth-Kristen in Jakom16 (2023) § 33 Rn 89). Andere Frei- oder Absetzbeträge sind per Gesetz oder Verordnung als Monatsbeträge ausgestaltet (dazu bspw. die Mehraufwendungen des Steuerpflichtigen für unterhaltsberechtigte Personen gemäß § 5 Abs. 1 der Verordnung außergewöhnliche Belastungen, BGBl Nr. 303/1996 [Monatsbetrag, der um die pflegebedingten Geldleistungen gekürzt wird], der Familienbonus Plus gemäß § 33 Abs. 3a Z 1 EStG 1988 [Monatsbetrag], Kinderabsetzbetrag gemäß § 33 Abs. 3 EStG 1988 [Monatsbetrag], Unterhaltsabsetzbetrag gemäß § 33 Abs. 4 Z 3 EStG 1988 [Monatsbetrag]). Andere Jahresbeträge sind an Kriterien geknüpft, die eine unterjährige Aliquotierung unmöglich machen (bspw. Alleinverdienerabsetzbetrag gemäß § 33 Abs. 4 Z 1 EStG 1988 bzw. Alleinerzieherabsetzbetrag gemäß § 33 Abs. 4 Z 2 EStG 1988).

Alleinig das Pendlerpauschale gemäß § 16 Abs. 1 Z 6 EStG 1988 (als Werbungskosten anstelle eines Frei- und Absetzbetrages) ist als Jahresbetrag ausgestaltet und wird monatlich aliquotiert. Der Hintergrund dafür ist aber vordergründig daran zu erblicken, dass das Pendlerpauschale auch über den Arbeitgeber im Rahmen der Lohnzahlung zur Auszahlung gelangen kann und damit eine monatliche Aliquotierung notwendig ist.

Das Bundesfinanzgericht geht daher im Lichte der Systematik davon aus, dass der Freibetrag gemäß § 35 Abs. 3 EStG 1988 im vorliegenden Fall nicht zusteht, da der Bf. unterjährig eine pflegebedingte Geldleistung bezogen hat. Der Freibetrag kann erst im Kalenderjahr, das auf den Wegfall des Pflegegeldes folgt, berücksichtigt werden (vgl. hierzu auch ).

Die Beschwerde ist im Ergebnis daher abzuweisen.

3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Da gegenständlich die Rechtsprechung des VwGH zur Rechtsfrage fehlt, ob der Behindertenfreibetrag gemäß § 35 Abs. 3 EStG 1988, der ein Jahresfreibetrag ist, bei unterjährigem Wegfall des Pflegegeldes aliquotiert werden kann, ist die Revision zulässig.

Wien, am

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Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at