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Bescheidbeschwerde – Einzel – Erkenntnis, BFG vom 31.10.2023, RV/5100017/2018

Schätzung Gastronomiebetrieb

Entscheidungstext

IM NAMEN DER REPUBLIK

Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin Dr. Gabriele Grossgut-Palotás in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr*** vertreten durch Dr. Manfred Arbacher-Stöger, Wickenburggasse 3/14-15, 1080 Wien, über die Beschwerde vom gegen die Bescheide des Finanzamtes Kirchdorf Perg Steyr vom betreffend Wiederaufnahme des Verfahrens hinsichtlich Umsatzsteuer und Einkommensteuer 2011 bis 2014, Umsatzsteuer und Einkommensteuer 2011 bis 2014, Festsetzung von Anspruchszinsen 2011 bis 2014, über die Beschwerde vom gegen die Bescheide des Finanzamtes Kirchdorf Perg Steyr vom betreffend Umsatzsteuer und Einkommensteuer 2015, gegen die Bescheide des Finanzamtes Kirchdorf Perg Steyr vom betreffend Umsatzsteuer und Einkommensteuer 2016, StNr. ***BF1StNr1***, zu Recht erkannt:

I.

Die Beschwerde gegen die Wiederaufnahmebescheide hinsichtlich Umsatzsteuer 2011 bis 2014 wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

Den Beschwerden gegen die Umsatzsteuerbescheide 2011 bis 2016 wird gemäß § 279 BAO teilweise Folge gegeben. Die angefochtenen Bescheide werden abgeändert. Die Berechnung der Bemessungsgrundlagen und der Höhe der Abgaben ist den als Beilagen angeschlossenen Berechnungsblättern zu entnehmen, die einen Bestandteil dieses Erkenntnisspruches bilden.

Die Beschwerde gegen die Wiederaufnahmebescheide hinsichtlich Einkommensteuer 2011 bis 2014 wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

Den Beschwerden gegen die Einkommensteuerbescheide 2011 bis 2016 wird gemäß § 279 BAO teilweise Folge gegeben. Die angefochtenen Bescheide werden abgeändert. Die Berechnung der Bemessungsgrundlagen und der Höhe der Abgaben ist den als Beilagen angeschlossenen Berechnungsblättern zu entnehmen, die einen Bestandteil dieses Erkenntnisspruches bilden.

Die Beschwerde gegen die Anspruchszinsenbescheide 2011 bis 2014 wird gemäß § 279 BAO als unbegründet abgewiesen.

II.

Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Entscheidungsgründe

I. Verfahrensgang

Angefochten sind die Wiederaufnahmebescheide betreffend Umsatzsteuer 2011 bis 2014 und die Umsatzsteuerbescheide 2011 bis 2016, die Wiederaufnahmebescheide betreffend Einkommensteuer 2011 bis 2014 und die Einkommensteuerbescheide 2011 bis 2016, sowie die Anspruchszinsenbescheide 2011 bis 2014.

Der Beschwerdeführer betrieb in den beschwerdegegenständlichen Jahren mehrere Gastwirtschaften und erklärte aus dieser Tätigkeit nachstehende Umsätze und Einkünfte aus Gewerbebetrieb:


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Jahr
Umsätze (ohne Eigenverbrauch)
Einkünfte aus Gewerbebetrieb
2011
202.512,99 €
3.668,88 €
2012
224.208,63 €
-12.750,34 €
2013
213.637,02 €
-35.576,70 €
2014
203.548,99 €
-35.653,26 €

Das Finanzamt veranlagte obige Einkünfte zunächst erklärungsgemäß und setzte die Umsatzsteuer laut Erklärung fest (Bescheide vom , , , ).

Im Zuge einer abgabenbehördlichen Prüfung über den Zeitraum 2011 bis 2014 stellte der Betriebsprüfer nach erfolgter Selbstanzeige über nicht erfasste Einnahmen weitere gravierende Aufzeichnungsmängel fest; daraus ergaben sich die beschwerdegegenständlichen Zuschätzungen und Sicherheitszuschläge. Auf den Betriebsprüfungsbericht, die Niederschrift zur Schlussbesprechung und das Besprechungsprogramm jeweils vom wird verwiesen.

Das Finanzamt nahm das Verfahren gemäß § 303 Abs. 1 BAO wieder auf und erließ entsprechend den Prüfungsfeststellungen die Umsatzsteuer- und Einkommensteuerbescheide 2011 bis 2014; gleichzeitig erließ es Bescheide über die Festsetzung von Anspruchszinsen 2011 bis 2014 (Bescheide vom ).

Gegen diese Bescheide erhob der Beschwerdeführer durch seinen rechtlichen Vertreter mit Schriftsatz vom innerhalb verlängerter Rechtsmittelfrist Beschwerde, bestritt einerseits die Schätzungsberechtigung und somit die Rechtmäßigkeit der Wiederaufnahme des Verfahrens, andererseits die Höhe der Zuschätzungen; hinsichtlich der näheren Begründung wird auf die Beschwerdeausführungen verwiesen.

Entsprechend den Ergebnissen der Betriebsprüfung erfolgte für 2015 und 2016 die Veranlagung der Einkommensteuer bzw. die Festsetzung der Umsatzsteuer (2015: Bescheide vom ; 2016: Bescheide vom ). Dagegen erhob der Beschwerdeführer mit Schriftsatz vom durch seinen rechtlichen Vertreter Beschwerde und verwies inhaltlich auf seine Beschwerde vom .

Mit Beschwerdevorentscheidung vom betreffend 2011 bis 2014 und vom betreffend 2015 und 2016 wies das Finanzamt die Beschwerden als unbegründet ab; auf die Bescheidbegründungen wird verwiesen.

Mit Vorlageantrag vom beantragte der Beschwerdeführer die Vorlage seiner Beschwerden an das Bundesfinanzgericht zur Entscheidung und die Abhaltung einer mündlichen Verhandlung. Auf die näheren Ausführungen wird verwiesen.

Mit Vorlagebericht vom legte das Finanzamt die Beschwerden dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vor.

Die beantragte mündliche Verhandlung fand am statt.

II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:

1. Sachverhalt

Der Beschwerdeführer betrieb im beschwerdegegenständlichen Zeitraum zwei Gasthäuser (Gasthaus M, Gasthaus H) und bis 2016 eine Bar (***).

Eine Aufzeichnung der Einnahmen der beiden Gastbetriebe und des Barbetriebes erfolgte nicht. Die in den Steuererklärungen angeführten Einnahmen waren durch den Steuerberater kalkulatorisch nach dem Wareneinkauf mittels Rohaufschlag hochgerechnet worden. Buchhalterisch erfasst wurden lediglich die sich aufgrund der monatlichen Hochrechnung ergebenden Einnahmen. Der Beschwerdeführer legte keine - nach den Abgabenvorschriften zu führenden - Bücher oder Aufzeichnungen vor; es gibt auch keine Grundaufzeichnungen bzw. wurden diese nicht dem Prüfer zur Verfügung gestellt.

2. Beweiswürdigung

Gemäß § 167 Abs. 2 BAO hat die Abgabenbehörde unter sorgfältiger Berücksichtigung der Ergebnisse des Abgabenverfahrens nach freier Überzeugung zu beurteilen, ob eine Tatsache als erwiesen anzunehmen ist oder nicht.

Nach ständiger Rechtsprechung genügt es, von mehreren Möglichkeiten jene als erwiesen anzunehmen, die gegenüber allen anderen Möglichkeiten eine überragende Wahrscheinlichkeit oder gar die Gewissheit für sich hat und alle anderen Möglichkeiten absolut oder mit Wahrscheinlichkeit ausschließt oder zumindest weniger wahrscheinlich erscheinen lässt (zB ; ; ; ).

Die Abgabenbehörde muss, wenn die Partei eine für sie nachteilige Tatsache bestreitet, den Bestand dieser Tatsache nicht "im naturwissenschaftlich-mathematisch exakten Sinn" nachweisen (; Ritz, BAO5, § 167 Tz 8).

Zu Beginn der Prüfung erstattete der Beschwerdeführer eine Selbstanzeige, wonach die Einnahmen der Gasthäuser M und H sowie von *** Bar nicht aufgezeichnet worden waren (eine derartige Selbstanzeige war auch bei der letzten Betriebsprüfung der Zeiträume 2006 bis 2010 erfolgt).

Wie aus der Selbstanzeige hervorgeht wurden keinerlei Grundaufzeichnungen geführt.

Dem Betriebsprüfungsbericht ist zu entnehmen, dass es keine Tageslosungsaufzeichnungen gegeben habe. Vom steuerlichen Vertreter wurde dem Betriebsprüfer mitgeteilt, dass der Beschwerdeführer mindestens zwei Mal pro Jahr um Bekanntgabe bzw. Übermittlung einer aktuellen Getränkekarte ergebnislos aufgefordert worden sei. Es seien daher die bekannten Preise angewendet worden.

Bier:

  1. Gasthaus H: Verkaufspreis btto. 2,60 € pro ½ l bzw. 2,10 € pro 1/3 l; Fasserlös 278,40 € pro 50 l;

  2. Gasthaus M: Verkaufspreis btto. 3,30 € pro ½ l; Fasserlös 295 € pro 50 l (2011), 325 € pro 50 l (ab 2012).

Soda:

Das Sodawasser wird nach wie vor mittels Karbonator selbst erzeugt. Laut steuerlicher Vertretung sei die Sodakomponente nicht bedacht worden. Aus den vorgelegten Getränkekarten aus 2008, die Grundlage für die Hochrechnung gewesen seien, seien sowohl das Produkt Soda pur als auch daraus produzierte Mischgetränke verabreicht worden. Daneben habe es Mischgetränke mit Leitungswasser gegeben, was ebenfalls nicht berücksichtigt worden sei. Durch den fehlenden Wareneinkauf sei weder eine Hochrechnung erfolgt noch ein Schwund ermittelt worden. Mischgetränke wurden in allen drei Lokalen angeboten.

Küche:

Diverse Zutaten für die Küche wurden in den Aufzeichnungen nicht erfasst.

Mitarbeiter:

Ebenso wenig liegen Zeitaufzeichnungen bzw. Arbeitsaufzeichnungen der Mitarbeiter vor. Die in den einzelnen Einnahmen-/Ausgaben-Rechnungen der beiden Gasthäuser und der Bar ausgewiesenen Aufwendungen für Löhne resultieren aus telefonischen Meldungen des Beschwerdeführers an seine steuerliche Vertretung. In der gesamten Belegsammlung finden sich keine von den Mitarbeitern unterschriebenen Empfangsbestätigungen über die Lohnzahlungen. Teilweise wurde die Mitarbeiter über einen längeren Zeitraum geringfügig beschäftigt. Wann und in welchem Umfang die Arbeitszeiten tatsächlich geleistet worden waren, kann mangels Arbeitsaufzeichnungen nicht festgestellt und nachvollzogen werden. Im Zuge einer Polizeiinspektion am wurde im Gasthaus H eine illegal beschäftigte Frau in der Küche des Gasthauses in Arbeitskleidung bei der Zubereitung von Speisen und Salaten angetroffen. Die Frau war nicht ordnungsgemäß angemeldet worden. Ein ähnlicher Sachverhalt hatte sich bereits 2011 ereignet, wo ebenfalls eine nicht ordnungsgemäß angemeldete Person vorgefunden worden war; eine Verwaltungsstrafe von 2.000 € war damals verhängt worden. Die Finanzpolizei fand bei einer Kontrolle vom auf den Frau *** A, die zu diesem Zeitpunkt nicht ordnungsgemäß angemeldet war, in der Bar in ihrer Tätigkeit als Kellnerin vor. Sie gab an, sie sei von 19.00 - 2.00 Uhr tätig; es gebe keine Arbeitsaufzeichnungen.

In der mündlichen Verhandlung am erfolgten keine Ausführungen zum Sachverhalt.; verwiesen wurde lediglich auf die jeweiligen schriftlichen Ausführungen und Anträge.

3. Rechtliche Beurteilung

3.1. Zu Spruchpunkt I. (Abweisung/teilweise Stattgabe)

  1. Rechtslage

Gemäß § 119 Abs. 1 BAO sind die für den Bestand und Umfang einer Abgabepflicht oder für die Erlangung abgabenrechtlicher Begünstigungen bedeutsamen Umstände vom Abgabepflichtigen nach Maßgabe der Abgabenvorschriften offenzulegen. Die Offenlegung muss vollständig und wahrheitsgemäß erfolgen.

Der Offenlegung dienen insbesondere die Abgabenerklärungen, Anmeldungen, Anzeigen, Abrechnungen und sonstige Anbringen des Abgabepflichtigen, welche die Grundlage für abgabenrechtliche Feststellungen, für die Festsetzung der Abgaben, für die Freistellung von diesen oder für Begünstigungen bilden oder die Berechnungsgrundlagen der nach einer Selbstberechnung des Abgabepflichtigen zu entrichtenden Abgaben bekanntgeben (Abs. 2).

Gemäß § 126 Abs. 1 BAO haben die Abgabepflichtigen und die zur Einbehaltung und Abfuhr von Abgaben verpflichteten Personen jene Aufzeichnungen zu führen, die nach Maßgabe der einzelnen Abgabenvorschriften zur Erfassung der abgabepflichtigen Tatbestände dienen.

Insbesondere haben Abgabepflichtige, soweit sie weder nach §§ 124 oder 125 zur Führung von Büchern verpflichtet sind, noch ohne gesetzliche Verpflichtung Bücher führen und soweit Abgabenvorschriften nicht anderes bestimmen, für Zwecke der Erhebung der Abgaben vom Einkommen und Ertrag ihre Betriebseinnahmen und Betriebsausgaben aufzuzeichnen und zum Ende eines jeden Jahres zusammenzurechnen (Abs. 2).

Gemäß § 131 Abs. 1 2. Unterabsatz Z 2 BAO sind die gemäß den §§ 124, 125 und 126 zu führenden Bücher und Aufzeichnungen sowie die ohne gesetzliche Verpflichtung geführten Bücher so zu führen, dass sie einem sachverständigen Dritten innerhalb angemessener Zeit einen Überblick über die Geschäftsvorfälle vermitteln können. Die einzelnen Geschäftsvorfälle sollen sich in ihrer Entstehung und Abwicklung verfolgen lassen. Dabei gelten insbesondere die folgenden Vorschriften:

a) Die Eintragungen sollen der Zeitfolge nach geordnet, vollständig, richtig und zeitgerecht vorgenommen werden. Die Vornahme von Eintragungen für einen Kalendermonat in die für Zwecke der Erhebung der Abgaben vom Umsatz, Einkommen und Ertrag, ausgenommen Abzugssteuern, zu führenden Bücher und Aufzeichnungen ist zeitgerecht, wenn sie spätestens einen Monat und 15 Tage nach Ablauf des Kalendermonats erfolgt. An die Stelle des Kalendermonats tritt das Kalendervierteljahr, wenn dieses auf Grund umsatzsteuerrechtlicher Vorschriften für den Abgabepflichtigen Voranmeldungszeitraum ist.

b) Soweit nach den §§ 124 oder 125 eine Verpflichtung zur Führung von Büchern besteht oder soweit ohne gesetzliche Verpflichtung Bücher geführt werden, sollen alle Bareingänge und Barausgänge in den Büchern oder in den Büchern zu Grunde liegenden Grundaufzeichnungen täglich einzeln festgehalten werden.

c) Abgabepflichtige, die gemäß § 126 Abs. 2 und Abs. 3 verpflichtet sind, ihre Einnahmen und Ausgaben aufzuzeichnen, sollen alle Bargeschäfte einzeln festhalten.

Gemäß § 138 Abs. 1 BAO haben auf Verlangen der Abgabenbehörde die Abgabepflichtigen und die diesen im § 140 gleichgestellten Personen in Erfüllung ihrer Offenlegungspflicht (§ 119) zur Beseitigung von Zweifeln den Inhalt ihrer Anbringen zu erläutern und zu ergänzen sowie dessen Richtigkeit zu beweisen. Kann ihnen ein Beweis nach den Umständen nicht zugemutet werden, so genügt die Glaubhaftmachung (Abs. 1). Bücher, Aufzeichnungen, Geschäftspapiere, Schriften und Urkunden sind auf Verlangen zur Einsicht und Prüfung vorzulegen, soweit sie für den Inhalt der Anbringen von Bedeutung sind (Abs. 2).

Gemäß § 184 Abs. 1 BAO hat die Abgabenbehörde, soweit sie die Grundlagen für die Abgabenerhebung nicht ermitteln oder berechnen kann, diese zu schätzen. Dabei sind alle Umstände zu berücksichtigen, die für die Schätzung von Bedeutung sind.

Zu schätzen ist insbesondere dann, wenn der Abgabepflichtige über seine Angaben keine ausreichenden Aufklärungen zu geben vermag oder weitere Auskunft über Umstände verweigert, die für die Ermittlung der Grundlagen (Abs. 1) wesentlich sind (Abs. 2).

Zu schätzen ist ferner, wenn der Abgabepflichtige Bücher oder Aufzeichnungen, die er nach den Abgabenvorschriften zu führen hat, nicht vorlegt oder wenn die Bücher oder Aufzeichnungen sachlich unrichtig sind oder solche formellen Mängel aufweisen, die geeignet sind, die sachliche Richtigkeit der Bücher oder Aufzeichnungen in Zweifel zu ziehen (Abs. 3).

Gemäß § 303 Abs. 1 BAO kann ein durch Bescheid abgeschlossenes Verfahren auf Antrag einer Partei oder von Amts wegen wiederaufgenommen werden, wenn

a) der Bescheid durch eine gerichtlich strafbare Tat herbeigeführt oder sonstwie erschlichen worden ist, oder

b) Tatsachen oder Beweismittel im abgeschlossenen Verfahren neu hervorgekommen sind, oder

c) der Bescheid von Vorfragen (§ 116 BAO) abhängig war und nachträglich über die Vorfrage von der Verwaltungsbehörde bzw. dem Gericht in wesentlichen Punkten anders entschieden worden ist,

und die Kenntnis dieser Umstände allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens einen im Spruch anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte.

  1. Rechtliche Erwägungen

Wiederaufnahme des Verfahrens

Der Beschwerdeführer vermeint, dass die ursprünglich erklärten Umsätze bereits den tatsächlichen Gegebenheiten am ehestens entsprächen und eine Wiederaufnahme daher gar nicht gerechtfertigt gewesen sei. Hiebei verkennt der Beschwerdeführer, dass der nach dem im gegenständlichen Beschwerdefall zur Anwendung kommende Tatbestand des lit. b des § 303 Abs. 1 BAO allein darauf abstellt, ob Tatsachen oder Beweismittel im abgeschlossenen Verfahren neu hervorgekommen sind.

Tatsachen sind ausschließlich mit dem Sachverhalt des abgeschlossenen Verfahrens zusammenhängende tatsächliche Umstände (zB ; ); also Sachverhaltselemente, die bei einer entsprechenden Berücksichtigung zu einem anderen Ergebnis (als vom Bescheid zum Ausdruck gebracht) geführt hätten, etwa Zustände, Vorgänge, Beziehungen, Eigenschaften (zB ; ; ; ). Tatsachen sind nicht nur sinnlich wahrnehmbare Umstände, sondern auch innere Vorgänge, soweit sie rational feststellbar sind (Ansichten, Absichten oder Gesinnungen wie zB die Zahlungsunwilligkeit, ) (Ritz, BAO5, § 303 Tz 21).

Solche Tatsachen sind zB

  1. Zufluss von Einnahmen, die Betriebseinnahmen sind (zB ),

  2. getätigte Ausgaben (die Betriebsausgaben, Werbungskosten, Sonderausgaben oder außergewöhnliche Belastungen sind),

  3. Unterbleiben von Aufzeichnungen (; ),

  4. Mangel der Ordnungsmäßigkeit der Buchführung (, 88/13/0077)

(Ritz, BAO5, § 303 Tz 22).

Sämtliche oben angeführten Umstände liegen hier vor.

Maßgebend ist, ob der Abgabenbehörde in dem wiederaufzunehmenden Verfahren der Sachverhalt so vollständig bekannt gewesen ist, dass sie schon in diesem Verfahren bei richtiger rechtlicher Subsumtion zu der nunmehr im wiederaufgenommenen Verfahren erlassenen Entscheidung gelangen hätte können (zB ; ; ; ; Ritz, BAO5, § 303 Tz 24).

Die Wiederaufnahme auf Grund neu hervorgekommener Tatsachen oder Beweismittel bietet die Möglichkeit, bisher unbekannten, aber entscheidungswesentlichen Sachverhaltselementen Rechnung zu tragen; sie dient aber nicht dazu, bloß die Folgen einer unzutreffenden rechtlichen Würdigung eines offengelegten Sachverhaltes zu beseitigen (). Nach § 303 Abs. 1 ist ausschlaggebend, ob die Kenntnis der Umstände seinerzeit einen anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätte, nicht jedoch wie der neue Bescheid lautet, zu dem es nun gekommen ist (; Ritz, BAO5, § 303 Tz 5).

Eine Wiederaufnahme des Verfahrens war auf Grund der oben geschilderten Umstände jedenfalls gerechtfertigt.

Schätzungsbefugnis

Sowohl bei den Gasthäusern M und H als auch bei *** Bar sind keine Aufzeichnungen der Einnahmen erfolgt. Hingegen sind die in den Steuererklärungen angeführten Einnahmen vom Steuerberater kalkulatorisch nach dem Wareneinkauf mittels Rohaufschlag hochgerechnet worden. Buchhalterisch erfasst worden sind lediglich die sich aufgrund der monatlichen Hochrechnung ergebenden Einnahmen. Der Beschwerdeführer hat keine - nach den Abgabenvorschriften zu führenden - Bücher oder Aufzeichnungen vorgelegt; es gibt auch keine Grundaufzeichnungen bzw. wurden diese dem Prüfer nicht zur Verfügung gestellt.

Seitens des Beschwerdeführers wurden keine Grundaufzeichnungen geführt. Als Grundaufzeichnungen anzusehen sind:

  1. Inventuren

  2. Kassabücher

  3. Losungs- und Bonbücher

  4. Strichlisten

  5. Standverrechnung / Stockverrechnung

  6. Händische Rechnungen / Paragons

  7. Elektronische Rechnungen

  8. Belegsammlung

  9. Bestellzettel

  10. Speise- und Getränkekarten

  11. Lohnabrechnungen

  12. Arbeitsaufzeichnungen nach dem Arbeitszeitgesetz

  13. Losungsermittlung mittels EDV-Kassensysteme / Registrierkassen / Schanksysteme

  14. Kellnerabrechnungen

  15. Aufzeichnungen zum Eigenverbrauch

  16. Aufzeichnungen zu Schwund und Repräsentationen

  17. Dokumentationen über Verderb von Lebensmitteln und Getränken, Diebstahl

  18. Aufzeichnungen über Verkäufe zu Sonderpreisen, Freirunden etc

  19. Personalverpflegung

  20. Aufzeichnungen zu den erhaltenen Naturalrabatten

Da der Beschwerdeführer seine Aufzeichnungspflichten nicht erfüllt hat, ist die Abgabenbehörde verpflichtet, die steuerlichen Bemessungsgrundlagen im Schätzungswege gemäß § 184 BAO zu ermitteln (Ritz, BAO6, § 184 Tz 8).

Liegt eine solche Schätzungsbefugnis vor, steht die Wahl der anzuwendenden Schätzungsmethode der Abgabenbehörde im Allgemeinen frei, doch muss das Schätzungsverfahren einwandfrei abgeführt werden, müssen die zum Schätzungsergebnis führenden Gedankengänge schlüssig und folgerichtig sein, und muss das Ergebnis, das in der Feststellung der Besteuerungsgrundlagen besteht, mit der Lebenserfahrung im Einklang stehen. Das gewählte Verfahren muss stets auf das Ziel gerichtet sein, diejenigen Besteuerungsgrundlagen zu ermitteln, die die größte Wahrscheinlichkeit der Richtigkeit für sich haben (zB ), wobei das Risiko einer gewissen Ungenauigkeit derjenige trägt, der zur Schätzung Anlass gibt.

Schätzungshöhe

Der Beschwerdeführer sieht die Schätzung des Finanzamtes als überhöht an. Seiner Ansicht nach entsprächen die ursprünglich erklärten Umsätze bereits den tatsächlichen Gegebenheiten am ehestens. Auf die diesbezüglichen Beschwerdeausführungen wird verwiesen.

Gewinnzuschätzung Bier:

Bemängelt wird, dass der übliche und tatsächliche Schwund (durch regelmäßig abgestandenes Bier in den Leitungen, durch Überlauf beim Abzapfen, durch Verschütten von Gläsern etc.) sowie die Abgabe von Freibier nicht berücksichtigt worden sei. Man könne von einem Verlust von bis zu 10 % pro Fass ausgehen. Tatsächlich hat der Steuerberater einen Schwund von 2 % berücksichtigt. Dies wurde vom Betriebsprüfer übernommen.

Das obige Vorbringen wird durch keinerlei Unterlagen untermauert, sodass ein tatsächlich höher anzusetzender Schwund nicht glaubhaft dargelegt wurde.

Gewinnzuschätzung Soda:

Es wurden weder Gründe angeführt noch Beweismittel vorgelegt, warum die Gewinnzuschätzung von 7.000 € überhöht sei.

Gewinnzuschätzung Küche:

Behauptet wird, dass die Gewinnspanne in sämtlichen Lokalen äußerst gering sei, sodass ein RAK von 3,0 überhöht sei.

Diese Behauptung wurde weder durch nachvollziehbare Unterlagen nachgewiesen noch grlaubhaft gemacht. Bei der Zuschätzung handelt es sich um einen Pauschalbetrag der keinen Bezug auf einen angesprochenen RAK von 3,0 hat.

Gewinnzuschätzung Mitarbeiter:

Bemängelt wird, dass die Betriebsprüfung von einem geschätzten Personalaufwand von rd. 1.500 €/Jahr ausgehe, was einem zusätzlichen Umsatz von 5.000 € netto entspreche.

Es wurden keine Arbeitsaufzeichnungen für die Mitarbeiter vorgelegt. Bei mehreren Kontrollen wurden Personen angetroffen, die nicht ordnungsgemäß bei der Sozialversicherung gemeldet waren. Sowohl in örtlicher als auch in zeitlicher Hinsicht ist daher nicht nachvollziehbar, in welchen Lokalen die Mitarbeiter jeweils tätig gewesen sind.

Nach ständiger Rechtsprechung kann davon ausgegangen werden, dass nicht gemeldetes Personal Zahlungen aus bisher nicht erklärten Einnahmen bedingt. Diesem Umstand wurde durch einen Pauschalbetrag Rechnung getragen. Eine Anerkennung der beantragten Lohnaufwendungen konnte mangels Bekanntgabe der Lohnempfänger nicht erfolgen.

Nach Ansicht des Bundesfinanzgerichtes erfolgte die Durchführung der Schätzung in der nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes erforderlichen Sorgfalt und Nachvollziehbarkeit, sodass die ermittelten Schätzungsergebnisse diesem Erkenntnis zu Grunde gelegt werden können.

Sicherheitszuschlag

Der Betriebsprüfer hat gravierende Unregelmäßigkeiten in der Buchführung festgestellt und neben der Korrektur dieser Unregelmäßigkeiten für jedes Jahr ein Sicherheitszuschlag von 5 % des bisher erklärten Umsatzes verhängt.

Ist eine Schätzung grundsätzlich zulässig, so steht die Wahl der anzuwendenden Schätzungsmethode der Abgabenbehörde im Allgemeinen frei, doch muss das Schätzungsverfahren einwandfrei ausgeführt werden, müssen die zum Schätzungsergebnis führenden Gedankengänge schlüssig und folgerichtig sein, und muss das Ergebnis, das in der Feststellung der Besteuerungsgrundlagen besteht, mit der Lebenserfahrung im Einklang stehen. Das gewählte Verfahren muss stets auf das Ziel gerichtet sein, diejenigen Besteuerungsgrundlagen zu ermitteln, die die größte Wahrscheinlichkeit der Richtigkeit für sich haben. Hiebei muss die Behörde im Rahmen des Schätzungsverfahrens auf alle vom Abgabepflichtigen substantiiert vorgetragenen, für die Schätzung relevanten Behauptungen eingehen. Ziel einer Schätzung ist es, den wahren Besteuerungsgrundlagen möglichst nahe zu kommen, wobei jeder Schätzung eine gewisse Ungenauigkeit immanent ist und, wer zur Schätzung Anlass gibt, die mit der Schätzung verbundene Ungewissheit hinnehmen muss. Nach ständiger Rechtsprechung ist eine Schätzung mir Hilfe eines Sicherheitszuschlages eine Methode, die der korrigierenden Ergänzung der Besteuerungsgrundlagen, von denen anzunehmen ist, dass sie zu niedrig ausgewiesen wurden, dient. In Fällen, in denen nähere Anhaltspunkte für eine gebotene Schätzung nicht zu gewinnen sind, kann die Zuschätzung von Sicherheitszuschlägen in Betracht kommen. Auch Schätzungsergebnisse unterliegen der Pflicht zur Begründung. Die Begründung hat die für die Schätzungsbefugnis sprechenden Umstände, die Schätzungsmethode, die der Schätzung zu Grunde gelegten Sachverhaltsannahmen und die Ableitung der Schätzungsergebnisse darzulegen. Auch die Höhe von Sicherheitszuschlägen ist zu begründen (; , mwN).

Die Anwendung eines Sicherheitszuschlages geht davon aus, dass bei mangelhaften Aufzeichnungen nicht nur die nachgewiesenermaßen nicht verbuchten Vorgänge, sondern auch noch weitere Vorgänge nicht aufgezeichnet wurden. Aufgabe eines Sicherheitszuschlages ist es also, das Risiko möglicher weiterer Unvollständigkeiten von Aufzeichnungen auszugleichen; dabei sind die Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen. Auch mit Hilfe der Methode des Sicherheitszuschlages soll kein anderes Ergebnis erreicht werden als jenes, das der wahrscheinlichsten Bemessungsgrundlage nahekommt. Der Sicherheitszuschlag hat ebenso wie andere Schätzungskomponenten nicht Strafcharakter (kein "Straf-Zuschlag"). Seine Höhe hat sich daher nach den Besonderheiten des Schätzungsfalles und nach den festgestellten Fehlern, Mängeln und vermuteten Verminderungen des Ergebnisausweises, also nach den Gegebenheiten im Bereich des Tatsächlichen, zu richten (; ).

Der Beschwerdeführer hat durch gravierende Verletzung der Aufzeichnungspflichten, Anlass zur Schätzung gegeben. Dieser Tatsache hat der Betriebsprüfer Rechnung getragen, indem er Zuschätzungen sowohl bei Getränken und Speisen als auch beim Personal durchgeführt hat. Es handelt sich hiebei um eine umfassende Schätzung der gegenständlichen Gastronomiebetriebe.

Eine Zuschätzung von Sicherheitszuschlägen kann - wie bereits oben ausgeführt - lediglich in Betracht kommen, wenn nähere Anhaltspunkte für eine gebotene Schätzung nicht zu gewinnen sind. Dies ist hier nicht der Fall. Sämtliche Anhaltspunkte wurden in der gegenständlichen akribischen Schätzung berücksichtigt. Für die zusätzliche Verhängung eines Sicherheitszuschlages bleibt daher kein Raum.

Festsetzung von Anspruchszinsen

Den angefochtenen Bescheiden liegen ausgewiesene Nachforderungen laut den Einkommensteuerbescheiden 2011 bis 2014 vom zu Grunde. Eine eventuelle fehlerhafte Berechnung der Höhe der Anspruchszinsen macht der Beschwerdeführer nicht geltend.

Es besteht gemäß § 205 Abs. 1 BAO eine Bindung des Anspruchszinsenbescheides an die im Spruch der Stammabgabenbescheide (hier Einkommensteuerbescheide 2011 bis 2014) ausgewiesenen Nachforderungen oder Gutschriften. Die Anspruchszinsenbescheide sind daher nicht mit der Begründung anfechtbar, dass die maßgebenden Einkommensteuerbescheide inhaltlich rechtswidrig seien. Erweisen sich die Einkommensteuerbescheide nachträglich als inhaltlich rechtswidrig, so wird diesem Umstand mit einem an die Abänderungsbescheide bzw. Aufhebungsbescheide gebundene Anspruchszinsenbescheide Rechnung getragen (vgl. Ritz, BAO6, § 205 Tz 33 bis 35).

3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)

Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.

Im gegenständlichen Fall wird über die Schätzungsbefugnis, das Schätzungsverfahren und die Schätzungshöhe abgesprochen. Zu § 184 BAO liegt eine einheitliche Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes vor (zB ; ; ; ). Die Streitpunkte beziehen sich zudem in erster Linie auf die Sachverhaltsfeststellung. Eine Revision ist demnach nicht zulässig.

Linz, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 184 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 205 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 303 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
ECLI
ECLI:AT:BFG:2023:RV.5100017.2018

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at