Lange Zeitspanne zwischen Feststehen der Uneinbringlichkeit der Abgabenschulden bei der Primärschuldnerin und Erlassen des Haftungsbescheides darf bei der Ermessensübung nicht außer Acht gelassen werden.
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht hat durch die Richterin Mag. ***Ri*** in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, über die Beschwerde vom gegen den Haftungsbescheid des Finanzamtes Österreich vom , Steuernummer ***124***, zu Recht erkannt:
I. Der Beschwerde wird gemäß § 279 BAO teilweise Folge gegeben. Der ursprüngliche Haftungsbetrag iHv 142.246,73 € wird um den Betrag von 73.215,59 € auf den Betrag von 69.031,14 € vermindert. Die Haftungssumme schlüsselt sich nunmehr wie folgt auf:
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Abgabenart | Fälligkeit | Betrag |
Umsatzsteuer 08/14 | 6.698,33 € | |
Umsatzsteuer 09/14 | 21.530,70 € | |
Umsatzsteuer 04/15 | 15.468,18 € | |
Einfuhrumsatzsteuer 09/12 | 9.170,10 € | |
Einfuhrumsatzsteuer 09/14 | 8.955,26 € | |
Einfuhrumsatzsteuer 02/15 | 0,00 € | |
Einfuhrumsatzsteuer 03/15 | 0,00 € | |
Einfuhrumsatzsteuer 04/15 | 0,00 € | |
Einfuhrumsatzsteuer 05/15 | 7.208,57 € | |
Summe | 69.031,14 € |
Im Übrigen wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.
II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
I. Verfahrensgang
Mit Schreiben vom teilte das Finanzamt dem Beschwerdeführer nach Darlegung der Rechtslage mit, dass am Konto der ***X*** GmbH folgende Abgabenbeträge uneinbringlich aushaften würden:
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Abgabenart | Fälligkeit | Betrag |
Umsatzsteuer 08/14 | 9.569,05 | |
Umsatzsteuer 09/14 | 30.758,13 | |
Umsatzsteuer 04/15 | 22.097,40 | |
Einfuhrumsatzsteuer 09/12 | 13.100,14 | |
Einfuhrumsatzsteuer 09/14 | 12.793,23 | |
Einfuhrumsatzsteuer 02/15 | 18.990,38 | |
Einfuhrumsatzsteuer 03/15 | 13.224,86 | |
Einfuhrumsatzsteuer 04/15 | 11.415,58 | |
Einfuhrumsatzsteuer 05/15 | 10.297,96 | |
Summe | 142.246,73 |
Laut Firmenbuchauszug sei der Beschwerdeführer seit Geschäftsführer der ***X*** GmbH. Aufgrund dieser Funktion wäre ihm bis zur Insolvenz- bzw. Sanierungseröffnung bzw. nach Beendigung des Insolvenz- bzw. Sanierungsverfahren die Wahrnehmung der abgabenrechtlichen Verpflichtungen dieser Firma oblegen.
Die angeführten Abgabenbeträge seien während seiner Vertretungsperiode fällig bzw. nicht entrichtet worden. Bis zum Beweis des Gegenteiles gehe das Finanzamt davon aus, dass der Beschwerdeführer der ihm aufgetragenen Erfüllung der abgabenrechtlichen Pflichten der Vertretenen nicht vorschriftsmäßig nachgekommen sei.
Die genannten Beträge seien bei der Gesellschaft als uneinbringlich anzusehen.
Entscheidend für den Umfang der Geschäftsführerhaftung sei die Gleichbehandlung des Abgabengläubigers im Verhältnis zu den übrigen Gläubigern. Haftungsrelevant sei der Zeitraum zwischen (Fälligkeiten der ältesten Abgabenschuld) bis (Fälligkeit der jüngsten Abgabenschuld vor Insolvenzeröffnung.
Entscheidend sei daher die Gläubigergleichbehandlung bzw. Nichtbenachteiligung des Abgabengläubigers in diesem Zeitraum. Dabei seien alle Verbindlichkeiten der Primärschuldnerin, die zu Beginn des einheitlichen Beurteilungszeitraumes bereits fällig gewesen und bis zum Ende des Beurteilungszeitraumes fällig geworden seien, unter Einschluss der Abgabenverbindlichkeiten zu addieren. Weiters seien alle in diesem Zeitraum auf diese Verbindlichkeiten getätigten Zahlungen zu addieren und der erstgenannten Summe der fälligen bzw. fällig gewordenen Gesamtverbindlichkeiten gegenüberzustellen. Durch die Gegenüberstellung dieser Summen würde sich das Verhältnis errechnen, zu dem Verbindlichkeiten der Primärschuldnerin im Beurteilungszeitraum getilgt worden seien (allgemeine Zahlungsquote im einheitlichen Beurteilungszeitraum). Da bei der Berechnung dieser Quote allein auf fällige Verbindlichkeiten abzustellen sei, hätten Verbindlichkeiten gegenüber den das Unternehmen finanzierenden Kreditinstituten, die von diesen (noch) nicht fällig gestellt worden seien, außer Ansatz zu bleiben. Im Wesentlichen seien daher die Verbindlichkeiten aus Lieferungen und Leistungen, Arbeitnehmeransprüche, Verbindlichkeiten gegenüber der GKK und dem Finanzamt sowie sonstige im Beurteilungszeitraum fällige bzw. fällig gewordene Verbindlichkeiten und die auf diese Verbindlichkeiten geleisteten Zahlungen zu ermitteln.
Eine gleichartige Berechnung sei sodann isoliert für die Abgabenverbindlichkeiten anzustellen. Es seien die in diesem Beurteilungszeitraum getätigten Zahlungen an das Finanzamt den insgesamt zu Beginn dieses Zeitraumes fälligen samt den in diesem Zeitraum fällig gewordenen Abgabenverbindlichkeiten gegenüberzustellen (Finanzamt-Zahlungsquote im einheitlichen Beurteilungszeitraum).
Wird der Nachweis der Gläubigergleichbehandlung nicht in nachvollziehbarer Weise erbracht, liege es im Ermessen des Finanzamtes, die Haftung für die unter Punkt 1 genannten Abgabenbeträge auszusprechen, bei Benachteiligung des Abgabengläubigers im Ausmaß der nachgewiesenen Beteiligung der Abgabenschuldigkeiten gegenüber den anderen Verbindlichkeiten. Da der öffentliche Auftrag zur Ergreifung aller Mittel, vollstreckbare Abgaben einzubringen, bei einer vorzuwerfenden Pflichtverletzung allfällige Einzelinteressen verdrängen würde, sähe sich das Finanzamt veranlasst, die gesetzliche Vertreterhaftung gegen den Beschwerdeführer im erforderlichen Ausmaß geltend zu machen.
In der Beilage werde das Formular "EV 6 Vermögensverzeichnis gem. § 31 a AbgEO" übermittelt, welches ausgefüllt an das Finanzamt zu retournieren sei.
In der Folge brachte der ausgewiesene Vertreter diverse Fristerstreckungsanträge für den Beschwerdeführer und zwei weitere Geschäftsführer der ***X*** GmbH ein.
Mit Haftungsbescheid vom , zugestellt am , machte das Finanzamt die Haftung für Abgabenverbindlichkeiten der ***X*** GmbH in Höhe von 142.246,73 € gegenüber dem Beschwerdeführer geltend. Die Abgabenverbindlichkeiten wurden detailliert aufgeschlüsselt und nach Darlegung der Rechtslage begründend ausgeführt, dass für die Beantwortung des Vorhaltes vom bereits zwei Mal ein Antrag auf Fristverlängerung eingebracht worden sei. Die letzte gewährte Frist sei am abgelaufen.
Bis zum heutigen Tag sei das Vorhalteverfahren nicht beantwortet worden. Auf Grund der fehlenden Unterlagen müsse das Finanzamt von einer schuldhaften Pflichtverletzung ausgehen, weshalb die Haftung auszusprechen sei.
Mit Schriftsatz vom , eingebracht am , wurde rechtzeitig das Rechtsmittel der Beschwerde erhoben und die Stattgabe der Beschwerde beantragt. Begründend wurde ausgeführt, dass es unrichtig sei, dass eine letzte Frist gewährt worden sei, die am abgelaufen sei. Aufgrund des Umfanges der zur Beantwortung des Ergänzungsersuchens des Finanzamtes zu behandelnden Materie, im Konkreten seien die Zahlungsflüsse der Gesellschaft in den Zeiträumen September 2012, August und September 2014 und Februar bis Mai 2015 zu untersuchen und darzulegen, dass durch die Verfügung über die vorhandenen Mittel der Gesellschaft das Finanzamt gegenüber anderen Gläubigern der ***X*** GmbH nicht benachteiligt worden sei, habe die Rechtsvertreterin des Beschwerdeführers folgende Fristverlängerungsansuchen eingebracht:
- Schreiben vom eine Fristerstreckung bis
- Schreiben vom eine Fristerstreckung bis
- Schreiben vom eine Fristerstreckung bis
- Schreiben vom eine Fristerstreckung bis
- Schreiben vom eine Fristerstreckung bis
- Schreiben vom eine Fristerstreckung bis
Über sämtliche Fristverlängerungsansuchen habe das Finanzamt weder positiv noch negativ entschieden und losgelöst von diesen Fristerstreckungsansuchen den Haftungsbescheid erlassen und diesen direkt dem Beschwerdeführer zugestellt. Durch diese Vorgangsweise habe das Finanzamt Verfahrensvorschriften verletzt, indem sie die begründeten Fristerstreckungsansuchen ignoriert habe.
Tatsächlich enthalte der angefochtene Bescheide für die angenommene Haftung des Beschwerdeführers für die Abgabenverbindlichkeiten der Gesellschaft keine Feststellungen. Derartige Feststellungen seien jedoch notwendig.
Eine Haftung der in den §§ 80ff BAO angeführten Vertreter, wozu auch ein Geschäftsführer einer GmbH gehöre, sei nur dann möglich, wenn die Abgaben in Folge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden könnten.
Welche Pflichten der Beschwerdeführer im konkreten Fall verletzt hätte, dass die Abgabenschulden der Gesellschaft nicht einbringlich gemacht worden seien, sei dem angefochtenen Bescheid nicht zu entnehmen. Das Finanzamt habe, soweit für den Beschwerdeführer ersichtlich, überhaupt kein Ermittlungsverfahren durchgeführt. Das erstinstanzliche Verfahren sei daher mangelhaft.
Der angeführte Bescheid sei auch deshalb unrichtig begründet, weil das Finanzamt von Amts wegen im Sinne des § 115 BAO alle tatsächlichen und rechtlichen Verhältnisse zu ermitteln habe, die für die Abgabenpflicht und die Erhebung der Abgaben wesentlich seien. Die Abgabenbehörde trage die Feststellungslast für alle Tatsachen, die vorliegen müssten, um den Abgabenanspruch (hier Haftung für die Abgaben der Primärschuldnerin) geltend machen zu können.
Die Partei habe im Rahmen des § 115 BAO eine Offenlegungs- und Mitwirkungsverpflichtung, welcher der Beschwerdeführer gegenüber der Abgabenbehörde auch nachkommen wolle, allerdings sei es aufgrund des Umfanges der auszuwertenden Unterlagen und Darlegung des Zahlungsverkehrs der Gesellschaft mit urkundlichen Nachweis nicht möglich gewesen, dieser Verpflichtung nachzukommen.
Soweit das Bundesfinanzgericht in der Sache selbst entscheide, würden als Beweismittel alle Buchhaltungsbelege und die dazugehörigen Debitoren- und Kreditorenkonten sowie alle Belege über die Bewegungen auf dem Girokonto der ***X*** GmbH für den haftungsgegenständlichen Zeitraum geführt und die Vorlage dieser Unterlagen binnen vier Wochen und der Buchsachverständigenbeweis angeboten.
Weiters werde die Einvernahme des Beschwerdeführers und der beiden Mitgesellschafter der Gesellschaft ***GF2*** und ***GF3***, welche ebenfalls zur Haftung für die Abgabenverbindlichkeiten der Gesellschaft herangezogen worden seien und deren Wohnadresse aktenkundig sei, angeboten.
Mit Schreiben vom forderte das Finanzamt den Beschwerdeführer unter Setzung einer letztmaligen Frist bis zur Vorlage der erforderlichen Unterlagen zum Nachweis der Richtigkeit der Angaben auf.
Es wurde darauf hingewiesen, dass die mit Vorhalteverfahren vom gestellten Fragen zur Gänze unbeantwortet geblieben sind. Deren Beantwortung werde neuerlich gefordert.
Nach neuerlichen Darlegung der Rechtslage in Zusammenhang mit der Gleichbehandlungspflicht der Gläubiger und der diesbezüglichen Beweislast wurde darauf hingewiesen und auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes verwiesen, dass auf dem Vertreter die Verpflichtung zur Errechnung der entsprechenden Quote und des Betrages lasten würde, der bei anteilsmäßiger Befriedigung der Forderungen der Abgabenbehörde zu entrichten gewesen wäre.
Mit Schreiben vom teilte der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers mit, dass das Ergänzungsersuchen vom erst am zugestellt worden sei. Es werde daher beantragt, die Frist zur Beantwortung des Ergänzungsersuchens auf den zu erstrecken.
Mit Schreiben vom , beim Finanzamt eingelangt am , wurde im Namen aller drei Geschäftsführer (***GF3***, ***Bf1*** und ***GF2***) dargelegt, dass die Einfuhrumsatzsteuer 09/12 nur gegenüber ***Bf1*** und ***GF2*** und nicht gegenüber ***GF3*** geltend gemacht worden sei, da dieser im Zeitraum, in welchem die Einfuhrumsatzsteuer 09/12 fällig geworden sei, nicht Geschäftsführer der Gesellschaft gewesen sei. Aus dem ersten Insolvenzverfahren hätten die Gläubiger eine Quote von 32 % erhalten, da die dritte Rate der Sanierungsquote von 16 % nicht bezahlt worden sei. Aus dem zweiten Insolvenzverfahren hätten die Gläubiger eine Quote von 65 % erhalten.
Gemäß der Zahlungsbelege Beilage./1 seien die Abgaben Einfuhrumsatzsteuer 02/15, 03/15 und 04/15 mit den in der Spalte D der Aufstellung Beilage ./2 abgeführten Beträgen an den in der Spalte E dieser Aufstellung angeführten Tagen von der Gesellschaft vollständig bezahlt worden.
Weiters seien auf die in der Aufstellung Beilage ./2 angeführten Abgabenbeträge, hinsichtlich derer die Vertreterhaftung geltend gemacht werde, die Quotenzahlungen der Gesellschaft im Rahmen der beiden Insolvenzverfahren Spalten G und I anzurechnen, nämlich insgesamt 3 % (erste und zweite Rate der Sanierungsquote) im ersten Insolvenzverfahren und 65 % im zweiten Insolvenzverfahren, wobei der Ausfall bezüglich der Einfuhrumsatzsteuer 09/12 im ersten Insolvenzverfahren aufgrund der Zahlung der Quote von 65 % im zweiten Insolvenzverfahren auf 35 % reduziert worden sei.
Insgesamt ergäbe sich daher aus dieser Aufstellung Beilage ./2 ein Ausfall bezüglich der Abgabenverbindlichkeiten, für welche die Vertreterhaftung in Frage komme, für die Antragsteller ***Bf1*** und ***GF2*** mit einem Betrag von 33.048,36 € und für ***GF3*** mit einem Betrag von 29.930,52 €.
Die Vertreterhaftung bestehe jedoch nur in dem Fall und dem Ausmaß, in dem die Vertreter die in der Gesellschaft zum jeweiligen Zeitpunkt der Fälligkeiten der Abgaben vorhandenen Geldmittel nach dem Grundsatz der Gläubigergleichbehandlung nicht aliquot zur Bezahlung aller fälligen Verbindlichkeiten verwendet hätten und durch eine Ungleichbehandlung des Finanzamtes das Finanzamt gegenüber anderen Gläubigern benachteiligt worden sei. Bezogen auf die verfahrensgegenständlichen Abgaben Umsatzsteuer 04/15, welche am zur Zahlung fällig gewesen sei, und Einfuhrumsatzsteuer 05/15, welche am zur Zahlung fällig gewesen wäre, ergäbe sich anhand dieses Grundsatzes Folgendes:
Das zweite Insolvenzverfahren sei am eröffnet worden. Die in diesem Insolvenzverfahren angemeldeten Forderungen mit Ausnahme der Dienstnehmerforderungen und jener Forderungen, bezüglich welcher Wiederaufleben betreffend die dritte, nicht bezahlte Rate der Sanierungsplanquote des ersten Insolvenzverfahrens geltend gemacht worden sei, würden laut Aufstellung Beilage ./3 "Forderungsanmeldungen" 846.164,17 € betragen. Diese Insolvenzforderungen seien weit überwiegend bereits vor Fälligkeit der Umsatzsteuer 04/15 und der Einfuhrumsatzsteuer 05/15 zur Zahlung fällig gewesen. Die Dienstnehmerforderungen und die wiederaufgelebten Forderungen seien erst mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens am zur Zahlung fällig geworden.
Gemäß der Geldbewegungen der Gesellschaft gemäß Beilage ./4 auf dem Kreditkonto bei der ***Bank*** würde sich Folgendes ergeben:
Im Juni 2015 habe die Gesellschaft gemäß Beilage ./4 299.620,10 € eingenommen und 251.021,83 € ausgegeben.
Im Juli 2015 habe Gesellschaft gemäß Beilage ./5 261.731,89 € eingenommen und 279.653,43 € ausgegeben.
Im Zeitraum bis habe Gesellschaft gemäß Beilage ./6 145.098,65 € eingenommen und 72.748,68 € ausgegeben.
Im Zeitraum bis würden daher die Einnahmen gesamt 706.450,64 € und die Ausgaben gesamt 603.323,94 € betragen. Die Ausgaben auf dem Konto würden der Summe der jeweils im Zeitpunkt der Zahlungen vorhandenen Ausnutzbarkeit des Kredites entsprechen. Aufgrund der zum Insolvenzverfahren angemeldeten (fälligen) Verbindlichkeiten von 846.164,17 € und den ab aus den zur Verfügung stehenden Kreditmittel bezahlten Verbindlichkeiten von 603.323,94 € würden sich für diesen Zeitraum Gesamtverbindlichkeiten von 1,449.488,11 € ergeben. Diesen Gesamtverbindlichkeiten würden verfügbare Mittel (ausnutzbarer Kredit) von 603.323,94 € gegenüberstehen. Diese verfügbaren Mittel würden bezogen auf die vorhandenen Verbindlichkeiten von 1,449.448,11 € einer Quote von 41 % entsprechen. Insoweit ergäbe sich für den nicht bezahlten Teil der Umsatzsteuer 04/15 im Betrag von 7.734,09 € (Ausfall) und den nicht bezahlten Teil der Einfuhrumsatzsteuer 05/15 von 3.604,29 € (Ausfall) ein Potential für eine Geschäftsführerhaftung von 41 %.
Bezüglich des Ausfalles des Finanzamtes betreffend die Abgaben Umsatzsteuer 08/14 im Betrag von 3.349,17 €, Umsatzsteuer 09/14 im Betrag von 10.765,35 €, Einfuhrumsatzsteuer 09/14 im Betrag von 4.477,63 € und Einfuhrumsatzsteuer 09/12 würde gelten, dass diese Abgaben bei Fälligkeit mangels liquider Mittel (mangels Ausnutzbarkeit des Kredites) nicht bezahlt werden konnten. Die Gesellschaft wäre aufgrund ihres Geschäftsganges und hoher Außenstände bereits im Jahr 2012 nur in der Lage gewesen, durchschnittlich jeweils rund 40 % bis 50 % ihrer fälligen Verbindlichkeiten über die zur Verfügung stehenden Kreditmittel zu bezahlen. Außer den am Kreditkonto ausnutzbaren Mitteln seien in der Gesellschaft keine weiteren Mittel vorhanden gewesen. Der exakte Nachweis, dass im Fall der Gläubigergleichbehandlung auch die im September 2012 und in den Monaten August und September 2014 fällig gewordenen Abgaben nur mit einer Quote von 50 % hätten bezahlt werden können, könne nur durch ein Buchsachverständigengutachten unter Berücksichtigung der frei verfügbaren Kreditmittel der Gesellschaft erbracht werden.
Da nach der ständigen Rechtsprechung die Vertreterhaftung pauschal und angemessen festzusetzen sei, werde beantragt, dass bezüglich des Ausfalles des Finanzamtes betreffend die Abgaben Umsatzsteuer 08/14, Umsatzsteuer 09/14, Einfuhrumsatzsteuer 09/14 und Einfuhrumsatzsteuer 09/12 die Vertreterhaftung mit einer Quote von 50 % festgesetzt werde. Zum Beweis würde die mündliche Einvernahme der Antragsteller ***GF3***, ***Bf1*** und ***GF2***, die Jahresabschlüsse zum , , und , Buchsachverständiger zum Thema verfügbare Zahlungsmittel der Gesellschaft und fällige Verbindlichkeiten der Gesellschaft, Einvernahme eines informierten Vertreters der ***Bank***, angeboten.
Dem Schriftsatz angeschlossen wurden eine "Auftragsliste - lang" für das Durchführungsdatum und , eine Berechnung der Vertreterhaftung, eine Aufstellung über die Forderungsanmeldungen im Konkurs, Kontoblätter für den Zeitraum von bis , eine Aufstellung der Einnahmen und Ausgaben der Primärschuldnerin zwischen und .
Mit Beschwerdevorentscheidung vom wies das Finanzamt die Beschwerde vom als unbegründet ab. Nach Darlegung des bisherigen Verwaltungsablaufes wurde begründend ausgeführt, dass weder im Zuge des ersten Vorhalteverfahrens noch in der Beschwerde eine Quotenberechnung bzw. Unterlagen vorgelegt worden seien, welche zur Beurteilung einer nicht schuldhaften Pflichtverletzung des Beschwerdeführers erforderlich wären.
Im Rahmen der Beantwortung des zweiten Ergänzungsersuchens seien zwar Unterlagen (Aufstellung über Insolvenz-Quotenzahlungen, Überweisungsbelege betr. Zahlungen an das Finanzamt, Aufstellung über Forderungsanmeldungen im Konkursverfahren, Belege betreffend Kontobewegungen auf dem Kreditkonto für den Zeitraum Juni - August 2015) vorgelegt worden, jedoch würden diese Unterlagen in keiner Weise der Beurteilung dienen, ob für den haftungsgegenständlichen Zeitraum eine Gläubigergleichbehandlung vorliegen würde.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes obliege es dem Vertreter, Nachweise dafür zu erbringen, wie viele Zahlungsmittel zur Verfügung gestanden seien und in welchem Ausmaß andere Gläubiger der Gesellschaft nach Befriedigung erlangt hätten. Im Fall der Nichterbringung dieser Nachweise müsse das Finanzamt davon ausgehen, dass der Beschwerdeführer die ihm obliegende Verpflichtung, die fällig gewordenen Abgaben aus den verwalteten Mittel zu entrichten, schuldhaft verletzt hätte und diese Pflichtverletzung auch ursächlich für den Abgabenausfall bei der Gesellschaft sei. Unter diesen Umständen sei die Haftung für die uneinbringlichen Abgabenschuldigkeiten daher im vollen Ausmaß geltend zu machen.
Da auch während der langen Erledigungsdauer zwischen zweitem Vorhalt und Beschwerdevorentscheidung (geschuldet der Corona-Pandemie) keinerlei weitere Umstände wie zB Quotenberechnung betr. Zahlungsquote des Abgabengläubigers im Verhältnis zu den anderen Gläubigern bzw. Dokumente, welche eine Gläubigergleichbehandlung belegen würden, vorgelegt worden seien, sei die Beschwerde als unbegründet abzuweisen.
Mit Schreiben vom brachte der rechtliche Vertreter des Beschwerdeführers fristgerecht Vorlageantrag ein. Ein weiteres Vorbringen wurde nicht erstattet.
Mit Vorlagebericht vom legte das Finanzamt die Beschwerdesache dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vor. Das Finanzamt wies neuerlich darauf hin, dass der Beschwerdeführer seiner Beweispflicht betreffend Gläubigergleichbehandlung nicht bzw. nicht ausreichend nachgekommen sei. Lediglich hinsichtlich des Betrages von 43.630,82 € (Einfuhrumsatzsteuer 02/15, 03/15 und 04/15) wäre eine Stattgabe der Beschwerde in Erwägung zu ziehen, da diese Rückstände nach einer Anfechtungsrückzahlung an den Masseverwalter im Insolvenzverfahren der Gemeinschuldnerin nach einer Rückstandsumwandlung wieder aushaften würden, dies jedoch dem Haftungsschuldner nicht als schuldhafte Pflichtverletzung zur Last gelegt werde. In den restlichen Punkten wäre die Beschwerde abzuweisen. Insgesamt werde daher eine teilweise Stattgabe beantragt.
Mit Beschwerdeentscheidung vom gab das Bundesfinanzgericht der Beschwerde vom teilweise statt und verminderte den Haftungsbetrag um 43.630,82 € auf 98.615,91 €.
Dagegen brachte die beschwerdeführende Partei mit Schreiben vom eine außerordentliche Revision ein.
Mit Erkenntnis vom , Ra 2023/13/0050, hob der Verwaltungsgerichtshof das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes vom , RV/5100772/2022, wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts auf. Begründend wurde Folgendes ausgeführt: "Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist ein langer Zeitabstand zwischen dem Entstehen der Abgabenschuld oder dem Hervorkommen der Uneinbringlichkeit der Abgaben bei der Primärschuldnerin einerseits und der bescheidmäßigen Inanspruchnahme zur Haftung andererseits ein Umstand, den die Abgabenbehörde bei der Inanspruchnahme zur Haftung im Sinne des Ermessens nicht außer Betracht lassen darf. Ein solcher Umstand kann jedoch auch lediglich einer von mehreren Gesichtspunkten sein, die im Rahmen des Ermessens zu berücksichtigen sind. Inwieweit dieser Gesichtspunkt beim Ermessen Berücksichtigung findet, hängt vom Einzelfall ab (vgl. etwa ). Eine Ermessensüberschreitung oder ein Ermessensmissbrauch liegt dann vor, wenn ein solcher Umstand bei der Ermessensentscheidung überhaupt nicht berücksichtigt wird (vgl. , mwN). Das Bundesfinanzgericht hat sich mit dieser Frage im Rahmen der Ermessensentscheidung nicht auseinandergesetzt. Dies belastet das angefochtene Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes."
II. Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:
1. Sachverhalt
Mit Gesellschaftsvertrag vom tt. August 2007 wurde die ***X*** GmbH gegründet und unter der Nummer FN ***123*** in das Firmenbuch eingetragen.
Unter Punkt 8. Des Gesellschaftsvertrages wurde in Zusammenhang mit dem Geschäftsführer festgehalten, dass die Gesellschaft einen, zwei oder mehrere Geschäftsführer hat, die durch Beschluss der Gesellschafter bestellt werden. Sie wird, wenn nur ein Geschäftsführer bestellt ist, von diesem selbständig vertreten. Wenn zwei oder mehrere Geschäftsführer bestellt sind, so wird deren Vertretungsbefugnis durch Gesellschafterbeschluss geregelt, wobei jede gesetzlich zulässige Form der Vertretung - auch unter Einbeziehung von Prokuristen - gewählt werden kann.
Der im April 1972 geborene Beschwerdeführer fungierte seit als Geschäftsführer.
Mit Beschluss des ***LG*** vom wurde über das Vermögen der ***X*** GmbH das Konkursverfahren eröffnet, der Sanierungsplan wurde mit Beschluss vom rechtskräftig bestätigt und der Konkurs aufgehoben.
Mit Beschluss des ***LG*** vom wurde über das Vermögen der ***X*** GmbH neuerlich das Konkursverfahren eröffnet, der Sanierungsplan wurde mit Beschluss vom rechtskräftig bestätigt und der Konkurs aufgehoben.
Mit Bescheid vom wurde die Haftung für die aushaftenden Abgabenschuldigkeiten der Primärschuldnerin in Höhe von 142.246,73 € geltend gemacht. Die diesbezüglichen Abgabenforderungen haften am Abgabenkonto der Primärschuldnerin zur Gänze unberichtigt aus.
Im Beschwerdeverfahren wurde nicht nachgewiesen, dass das Gleichbehandlungsgebot eingehalten wurde, das heißt, dass sämtliche Gläubiger im gleichen Ausmaß befriedigt worden sind. Es wurde auch nicht dargelegt, in welchem prozentuellen Ausmaß die Verbindlichkeiten des Finanzamtes befriedigt worden wären, wenn alle Verbindlichkeiten gleichmäßig bedient worden wären.
Die Einfuhrumsatzsteuern für die Monate Februar, März und April 2015 wurden von der Primärschuldnerin zunächst an das Finanzamt überwiesen. Eine Anfechtungsrückzahlung an den Masseverwalter im Rahmen des Insolvenzverfahren zog eine Rückstandumwandlung nach sich, aufgrund derer diese Abgaben am Abgabenkonto der Primärschuldnerin nunmehr wieder aushaften.
Seine persönlichen Vermögens- und Einkunftsverhältnisse legte der Beschwerdeführer trotz diesbezüglicher Aufforderung seitens des Finanzamtes vom (Übermittlung des Formulars EV 6 Vermögensverzeichnis) nicht offen.
2. Beweiswürdigung
Der Sachverhalt ergibt sich aus den vorgelegten Akten, den Vorbringen beider Parteien, der Einsichtnahme in das Firmenbuch sowie der dort ersichtlichen Urkunden und aus dem Abgabeninformationssystem, soweit es für das Bundesfinanzgericht zugänglich ist.
Das Gleichbehandlungsgebot bedeutet, dass sämtliche Gläubiger mit derselben Quote befriedigt werden müssen. Das heißt, um dem Gleichbehandlungsgebot nachzukommen, müssen sämtliche Verbindlichkeiten zum jeweiligen Fälligkeitstag den zu diesem Zeitpunkt verfügbaren finanziellen Mittel gegenübergestellt werden. Mit der daraus resultierenden Quote sind alle Gläubiger gleichmäßig zu befriedigen.
Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes darf der Vertreter bei der Entrichtung von Verbindlichkeiten Abgabenschulden nicht schlechter behandeln als andere Schulden; er hat die Schulden im gleichen Verhältnis zu befriedigen (Gleichbehandlungsgrundsatz). Eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes kann sich nicht nur bei der Tilgung bereits bestehender Verbindlichkeiten, sondern auch bei sogenannten Zug-um-Zug-Geschäften ergeben. ()
Im Erkenntnis vom , Ra 2016/16/0097, hat der Verwaltungsgerichtshof ausgesprochen, dass der Vertreter nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes für die nicht entrichteten Abgaben der Gesellschaft auch dann haftet, wenn die zur Verfügung stehenden Mittel zur Entrichtung aller Verbindlichkeiten der Gesellschaft nicht ausreichen, es sei denn, er weist nach, dass er die Abgabenschuld im Verhältnis nicht schlechter behandelt hat als bei anteiliger Verwendung der vorhandenen Mittel für die Begleichung aller Verbindlichkeiten. Eine Betrachtung der Gläubigergleichbehandlung hat zum jeweiligen Fälligkeitszeitpunkt zu erfolgen.
Der Beschwerdeführer hat zwar diverse Unterlagen aber keine Aufstellung vorgelegt, aus der hervorgeht, über welche finanziellen Mittel die Primärschuldnerin im Zeitpunkt der Fälligkeiten der haftungsgegenständlichen Abgabenverbindlichkeiten verfügt und wie sie diese Mittel verwendet hat. Es wurde nicht dargelegt, mit welchem Anteil sämtliche Gläubiger befriedigt worden wären, wenn die vorhandenen Mittel auf alle Gläubiger gleichmäßig verteilt worden wären. So geben auch die Forderungsanmeldungen im Konkursverfahren keinen Aufschluss auf die Gläubigergleichbehandlung.
Wenn der Beschwerdeführer vorbringt, die Ausgaben im Zeitraum von bis hätten 603.323,94 € betragen, übersieht er, dass aus dieser Aussage bzw. aus den diesbezüglichen Aufstellungen (Beilagen 4 bis 6) nicht hervorgeht, wie hoch die gesamten Verbindlichkeiten bei den einzelnen Gläubigern zum jeweiligen Fälligkeitsstichtag der Abgabenverbindlichkeiten waren. Es wurde nicht dargelegt, wie hoch die Bankverbindlichkeiten waren und in welchem Ausmaß diese getilgt wurden. Darüber hinaus wurde nicht offengelegt, wofür das Geld aus diversen Barbehebungen (zB 500,00 €, 500,00 €, 1.300,00 € jeweils mit dem Vermerk "Ausweichkonto") verwendet wurde. Bei manchen Zahlungen wurde in der Spalte "Text" nur die Abkürzung "Zlg." verwendet (zB. 88.265,65 €, 22.800,00 €), sodass nicht erkennbar ist, an welchen Gläubiger und für welchen Zweck diese Zahlungen geleistet wurden. Die Einnahmen zwischen und waren um mehr als 100.000,00 € höher als Ausgaben. Daraus ergibt sich, dass die Primärschuldnerin über finanzielle Mittel verfügt hätte, um die Abgabenverbindlichkeiten zu tilgen.
Im Zusammenhang mit den Fälligkeiten im Jahr 2012 und 2014 wurde kein Vorbringen erstattet.
Daraus ergibt sich insgesamt, dass die vorgelegten Unterlagen nicht geeignet sind, den erforderlichen Nachweis dafür zu erbringen, dass der Abgabengläubiger im gleichen Ausmaß wie alle anderen Gläubiger befriedigt worden ist.
Der Beschwerdeführer ist seiner Behauptungs- und Beweispflicht in Zusammenhang mit dem Gleichbehandlungsgebot somit nicht nachgekommen.
Was die angebotenen Beweise des Beschwerdeführers anlangt, ist darauf hinzuweisen, dass seit Erlassen des Haftungsbescheides am nunmehr mehr als zwei Jahre verstrichen sind, in denen der Beschwerdeführer ausreichend Gelegenheit gehabt hätte, die entsprechenden Beweismittel vorzulegen.
3. Rechtliche Beurteilung
3.1. Zu Spruchpunkt I.
Die in den Abgabenvorschriften geregelten persönlichen Haftungen werden durch Erlassung von Haftungsbescheiden geltend gemacht. In diesen ist der Haftungspflichtige unter Hinweis auf die gesetzliche Vorschrift, die seine Haftungspflicht begründet, aufzufordern, die Abgabenschuld, für die er haftet, binnen einer Frist von einem Monat zu entrichten.
Gemäß § 9 Abs 1 BAO haften die in den §§ 80 ff BAO bezeichneten Vertreter neben den durch sie vertretenen Abgabepflichtigen für die diese treffenden Abgaben insoweit, als die Abgaben infolge schuldhafter Verletzung der den Vertretern auferlegten Pflichten nicht eingebracht werden können.
Nach § 80 Abs 1 BAO haben die zur Vertretung juristischer Personen berufenen Personen und die gesetzlichen Vertreter natürlicher Personen alle Pflichten zu erfüllen, die den von ihnen Vertretenen obliegen, und sind befugt, die diesen zustehenden Rechte wahrzunehmen. Sie haben insbesondere dafür zu sorgen, dass die Abgaben aus den Mitteln, die sie verwalten, entrichtet werden.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes setzt die Geltendmachung der Haftung nach § 9 BAO voraus, dass eine uneinbringliche Abgabenforderung gegen den Vertretenen besteht, die als haftungspflichtige in Frage kommende Person zum Personenkreis des §§ 80 ff BAO gehört, eine schuldhafte Verletzung abgabenrechtlicher Pflichten des Vertreters vorliegt und die Pflichtverletzung für die Uneinbringlichkeit ursächlich war.
Vertreterhaftung
Unstrittig ist, dass der Beschwerdeführer im beschwerdegegenständlichen Zeitraum Geschäftsführer der Primärschuldnerin war.
Bei Vorhandensein mehrerer potentiell Haftender richtet sich die haftungsrechtliche Verantwortung nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes () danach, wer mit der Besorgung der Abgabenangelegenheiten betraut ist.
Solange Regelungen über eine vom gesetzlichen Regelzustand abweichende Geschäftsverteilung fehlen, sind die Geschäftsführer auch von sich aus befugt, die ihnen als Gesamtheit obliegenden Aufgaben untereinander im Wege einer einstimmigen Beschlussfassung aufzuteilen. Eine Formvorschrift für die erwähnte Beschlussfassung der Geschäftsführer kann dem Gesetz nicht entnommen werden (vgl. ).
: "Der mit abgabenrechtlichen Angelegenheiten nicht befasste Vertreter verletzt seine eigenen Pflichten dadurch grob, dass er trotz Unregelmäßigkeiten des zur Wahrnehmung abgabenrechtlicher Angelegenheiten Bestellten nichts unternimmt, um Abhilfe zu schaffen, es sei denn, dass ihm triftige Gründe die Erfüllung dieser wechselseitigen Überwachungspflicht unmöglich machen. Allerdings kommt eine Überprüfung der Tätigkeit des mit der Abgabenentrichtung betrauten oder hierfür verantwortlichen Geschäftsführers durch den anderen Geschäftsführer nur dann in Betracht, wenn ein Anlass vorliegt, an der Ordnungsmäßigkeit seiner Geschäftsführung zu zweifeln."
Aus dem im Firmenbuch aufliegenden Gesellschaftsvertrag geht hervor, dass die Gesellschaft einen, zwei oder mehrere Geschäftsführer hat, die durch Beschluss der Gesellschafter bestellt werden. Sie wird, wenn nur ein Geschäftsführer bestellt ist, von diesem selbständig vertreten. Wenn zwei oder mehrere Geschäftsführer bestellt sind, so wird deren Vertretungsbefugnis durch Gesellschafterbeschluss geregelt, wobei jede gesetzlich zulässige Form der Vertretung auch unter Einbeziehung von Prokuristen gewählt werden kann.
Es ist kein Beschluss aktenkundig, wonach der Beschwerdeführer nicht mit der Wahrung der abgabenrechtlichen Verpflichtungen befasst gewesen wäre. Im Übrigen wurde diesbezüglich nichts vorgebracht.
Die Haftung nach § 9 BAO stellt nicht die Haftung für einen Schaden dar, welcher dem Abgabengläubiger bei Gesamtbetrachtung der Abgabenschulden mehrerer Abgabenschuldner entstanden ist, sondern der Tatbestand des § 9 BAO stellt darauf ab, dass Abgabenschulden eines Abgabepflichtigen nicht eingebracht werden können.
Als Geschäftsführer der Primärschuldnerin war der Beschwerdeführer im haftungsrelevanten Zeitraum ihr abgabenrechtlicher Vertreter.
aushaftende Abgabenschuldigkeiten gegenüber der Primärschuldnerin
Die haftungsgegenständlichen Abgaben haften am Abgabenkonto der Primärschuldnerin grundsätzlich unbestritten unberichtigt aus.
Im Rahmen der Beschwerde wurde darauf hingewiesen wird, dass die Quotenzahlung iHv 65 % nicht auf die Umsatzsteuer 08/14, 09/14, 04/15 und die Einfuhrumsatzsteuer 09/14 und 05/15 verrechnet worden sei. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass gemäß § 216 BAO mit Bescheid (Abrechnungsbescheid) über die Richtigkeit der Verbuchung der Gebarung (§ 213) sowie darüber, ob und inwieweit eine Zahlungsverpflichtung durch Erfüllung eines bestimmten Tilgungstatbestandes erloschen ist, auf Antrag des Abgabepflichtigen (§ 77) abzusprechen ist. Ein solcher Antrag ist nur innerhalb von fünf Jahren nach Ablauf des Jahres, in dem die betreffende Verbuchung erfolgt ist oder erfolgen hätte müssen, zulässig. Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Haftenden und der Abgabenbehörde über die Gebarung auf dem Abgabenkonto sind nicht im Haftungsverfahren, sondern in einem über Antrag auszulösenden Verfahren zur Erlassung eines Abrechnungsbescheides gemäß § 216 BAO auszutragen. ()
Ob bzw. inwieweit die Quotenzahlung auf haftungsgegenständliche Abgaben verrechnet hätte werden müssen, ist demnach nicht Gegenstand des gegenständlichen Haftungsverfahrens.
Uneinbringlichkeit
Die Uneinbringlichkeit der haftungsgegenständlichen Abgaben bei der Primärschuldnerin steht unbestritten fest.
Verletzung abgabenrechtlicher Pflichten
Für die Haftung relevant ist die Verletzung abgabenrechtlicher Pflichten (zB Entrichtungspflicht in § 80 Abs 1 letzter Satz, aus der das Gleichbehandlungsgebot abgeleitet wird, Einbehaltungs- und Abfuhrpflicht gem § 78 Abs. 3 EStG 1988 für Lohnsteuer oder gem § 95 Abs. 2 Satz 2 EStG 1988 für Kapitalertragsteuer).
Den Vertreter trifft die Verpflichtung zur rechtzeitigen Entrichtung bzw. Abfuhr von Abgabenverbindlichkeiten. Der Zeitpunkt, für den zu beurteilen ist, ob den Vertreter die Gleichbehandlungpflicht erfüllt hat, bestimmt sich danach, wann die Abgabe nach den abgabenrechtlichen Vorschriften zu entrichten gewesen wäre. Bei Selbstbemessungsabgaben ist maßgebend, wann die Abgabe bei ordnungsgemäßer Selbstberechnung zu entrichten oder abzuführen gewesen wäre ().
Aufgabe des Geschäftsführers ist es, im Verwaltungsverfahren allfällige Gründe aufzuzeigen, die ihn daran gehindert haben, die Abgabenschulden am oder nach dem Fälligkeitstag zu begleichen. Er hat darzustellen, dass ab dem Zeitpunkt, an welchem die von der Haftungsinanspruchnahme erfassten Abgaben fällig geworden sind, keine Geldmittel der Gesellschaft mehr vorhanden waren. Es hat nicht die Abgabenbehörde das Ausreichen der Mittel zur Abgabenentrichtung nachzuweisen, sondern der zur Haftung herangezogenen Geschäftsführer das Fehlen ausreichender Mittel.
Der Vertreter haftet nicht für sämtliche Abgabenschulden des Vertretenen in voller Höhe, sondern nur im Umfang der Kausalität zwischen seiner schuldhaften Pflichtverletzung und dem Entgang der Abgaben. Reichten die liquiden Mittel nicht zur Begleichung sämtlicher Schulden aus und haftet der Vertreter nur deswegen, weil er die Abgabenforderungen nicht wenigstens anteilig befriedigt und den Abgabengläubiger somit benachteiligt hat, dann erstreckt sich die Haftung des Vertreters auch nur auf den Betrag, um den der Abgabengläubiger bei gleichmäßiger Befriedigung aller Forderungen mehr erlangt hätte, als er infolge des pflichtwidrigen Verhaltens des Vertreters tatsächlich erhalten hat. Der Nachweis, welcher Betrag bei Gleichbehandlung sämtlicher Gläubiger an die Abgabenbehörde zu entrichten gewesen wäre, obliegt allerdings dem Vertreter. Weist er nach, welcher Betrag bei anteilsmäßiger Befriedigung der Forderungen an die Abgabenbehörde abzuführen gewesen wäre, haftet er nur für die Differenz zwischen diesem und dem tatsächlich bezahlten Betrag. Tritt der Vertreter diesen Nachweis nicht an, dann kann ihm die uneinbringliche Abgabe allerdings zur Gänze vorgeschrieben werden ().
Auf diese Nachweispflicht wurde der Beschwerdeführer seitens des Finanzamtes mehrfach (Schreiben vom , Schreiben vom , Beschwerdevorentscheidung vom und zuletzt im Vorlagebericht vom ) und ausführlich hingewiesen.
Wie bereits dargelegt wurde hat der Beschwerdeführer nicht nachgewiesen, dass er die liquiden Mittel anteilig auf alle Gläubiger gleichmäßig verteilt hat. Darüber hinaus hat er keinen Nachweis erbracht, in welcher Höhe die Abgabenverbindlichkeiten bei gleichmäßiger Befriedigung aller Forderungen zu bedienen gewesen wären. Das Finanzamt hat daher entsprechend der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes agiert, indem es die Haftung für die aushaftenden Abgabenverbindlichkeiten in voller Höhe ausgesprochen hat.
Von einer Verletzung abgabenrechtlicher Pflichten ist daher insgesamt hinsichtlich der haftungsgegenständlichen Abgaben auszugehen.
Dem Beschwerdevorbringen, wonach dem angefochtenen Bescheid nicht zu entnehmen sei, welche abgabenrechtlichen Pflichten verletzt worden seien, sodass die beschwerdegegenständlichen Abgaben bei der Primärschuldnerin nicht mehr einbringlich gewesen seien, ist entgegenzuhalten, dass seitens des Finanzamtes ausgeführt wurde, dass der Beschwerdeführer als Geschäftsführer der ***X*** GmbH verpflichtet war, dafür zu sorgen, dass die Abgaben der Gesellschaft aus deren Mittel entrichtet werden. Es wurde weiters dargelegt, dass der Beschwerdeführer diese Pflicht verletzt hat und deshalb der angeführte Rückstand nicht eingebracht werden konnte. Schließlich wurde auf die Beweisregeln hingewiesen sowie auf den Umstand, dass der diesbezügliche Vorhalt nicht beantwortet worden war.
Vor allem in Hinblick auf die Ausführlichkeit des Vorhaltes vom , in dem die Verpflichtung zur Gleichbehandlung sämtlicher Gläubiger und die diesbezügliche Beweispflicht des Beschwerdeführers im Detail dargelegt wurde, ist von einer Mangelhaftigkeit des Verfahrens vor dem Finanzamt keinesfalls auszugehen. Es wurde klar dargelegt, dass der Beschwerdeführer die Entrichtungspflicht verletzt hat.
Verschulden
Nach ständiger Rechtsprechung hat der Vertreter darzutun, aus welchen Gründen ihm die Erfüllung abgabenrechtlicher Pflichten unmöglich war, widrigenfalls angenommen wird, dass die Pflichtverletzung schuldhaft war (; ; ; vgl. Ritz, BAO6, § 9 Tz 22).
Als schuldhaft im Sinne des § 9 Abs. 1 BAO gilt jede Form des Verschuldens. Leichte Fahrlässigkeit genügt.
Dass der Beschwerdeführer seine abgabenrechtlichen Pflichten, nämlich die pünktliche und vollständige Entrichtung bzw. Abfuhr der Abgabenverbindlichkeiten der Primärschuldnerin aus deren vorhandenen Mitteln, schuldhaft verletzt hat, wurde bereits dargelegt.
Eine Ausnahme besteht hinsichtlich der Einfuhrumsatzsteuer für den Zeitraum Februar bis April 2015. Diese Abgaben wurden von der Primärschuldnerin zunächst an das Finanzamt überwiesen. Eine Anfechtungsrückzahlung an den Masseverwalter im Rahmen des Insolvenzverfahren zog eine Rückstandumwandlung nach sich, aufgrund derer diese Abgaben am Abgabenkonto der Primärschuldnerin wieder aushaften. Dass diese Abgabenverbindlichkeiten nunmehr am Abgabenkonto der Primärschuldnerin unberichtigt aushaften, ist nicht auf ein Verschulen des Beschwerdeführers zurückzuführen und ist in diesem Ausmaß dem gegenständlichen Beschwerdeverfahren stattzugeben.
Kausalzusammenhang
Die Pflichtverletzung muss ursächlich für die Uneinbringlichkeit sein (). Hat der Geschäftsführer schuldhaft seine Pflicht verletzt, für die Abgabenentrichtung aus den Mitteln der Gesellschaft zu sorgen, so darf die Abgabenbehörde auch davon ausgehen, dass die Pflichtverletzung Ursache für die Uneinbringlichkeit war ().
Ermessen
Die Heranziehung zur Haftung gemäß § 224 BAO ist in das Ermessen (§ 20) der Abgabenbehörde gestellt, wobei die Ermessensentscheidung innerhalb der vom Gesetz gezogenen Grenzen nach Billigkeit und Zweckmäßigkeit unter Berücksichtigung aller in Betracht kommenden Umstände zu treffen ist (; vgl. Fischerlehner in Fischerlehner/Brennsteiner, Abgabenverfahren³, § 224 Anm. 11).
Unter Billigkeit versteht die ständige Rechtsprechung die "Angemessenheit in Bezug auf berechtigte Interessen der Partei", unter Zweckmäßigkeit das öffentliche Interesse, insbesondere an der Einbringung der Abgaben (Ritz, BAO6, § 20 Tz 7).
Vom Beschwerdeführer wurde nichts dahingehend vorgebracht, weshalb die Haftung wegen seiner persönlichen oder wirtschaftlichen Verhältnisse nicht geltend gemacht werden dürfe. Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes darf die Haftung nicht nur bis zur Höhe der aktuellen Einkünfte und des aktuellen Vermögens des Haftungspflichtigen geltend gemacht werden, sondern auch darüber hinaus. Eine Vermögenslosigkeit oder das Fehlen von Einkünften des Haftungspflichtigen steht in keinem Zusammenhang mit der Geltendmachung der Haftung (). Eine allfällige derzeitige Uneinbringlichkeit schließt nicht aus, dass künftig erzielte Einkünfte oder künftig neu hervorgekommenes Vermögen zur Einbringlichkeit der Haftungsschuld führen. Der Beschwerdeführer ist 50 Jahre alt und somit noch im erwerbsfähigen Alter, sodass mit der Einbringlichkeit der haftungsgegenständlichen Abgaben noch gerechnet werden kann.
Im Erkenntnis vom , Ra 2020/13/0027, hat der Verwaltungsgerichtshof darauf hingewiesen, dass ein langer Zeitabstand zwischen dem Entstehen der Abgabenschuld oder der Feststellung der Uneinbringlichkeit der Abgaben bei der Primärschuldnerin einerseits und der bescheidmäßigen Inanspruchnahme zur Haftung andererseits ein Umstand ist, den die Abgabenbehörde bei der Inanspruchnahme zur Haftung im Sinne des Ermessens nicht außer Betracht lassen darf. Aus der Formulierung "zwischen dem Entstehen der Abgabenschuld oder der Feststellung der Uneinbringlichkeit der Abgaben" kann abgeleitet werden, dass der jeweils spätere Zeitpunkt maßgeblich ist ().
Die älteste haftungsrelevante Abgabe (Einfuhrumsatzsteuer 09/2012) ist mit entstanden, die übrigen Abgaben im Laufe der Jahre 2014 und 2015. Die Uneinbringlichkeit der Abgaben stand am bzw. am (rechtskräftige Bestätigung des jeweiligen Sanierungsplanes). Der Haftungsbescheid wurde am erlassen, wobei das Finanzamt bereits am einen diesbezüglichen Vorhalt an den Beschwerdeführer richtete, der jedoch unbeantwortet blieb. Zumindest im Zeitraum Juni 2015 bis August 2015 waren die Einnahmen um 100.000,00 € höher als die Ausgaben (für die Jahre 2012 und 2014 wurde kein konkretes Vorbringen erstattet), sodass die Primärschuldnerin über finanzielle Mittel verfügt hat, um die Umsatzsteuer 04/2015 iHv 22.097,40 € und die Einfuhrumsatzsteuer 05/2015 iHv 10.297,96 € zu entrichten.
Da der Abgabenausfall auf ein Verschulden des Beschwerdeführers zurückzuführen ist, ist grundsätzlich den Zweckmäßigkeitsgründen der Vorrang einzuräumen. In Hinblick auf die Uneinbringlichkeit bei der Primärschuldnerin ist die Geltendmachung der Haftung die einzige Möglichkeit, für die Einbringlichkeit der gegenständlichen Abgaben zu sorgen. Bei Gewichtung dieser Umstände, der Zeitspanne zwischen Feststehen der Uneinbringlichkeit der haftungsrelevanten Abgaben bei der Primärschuldnerin und dem Erlassen des Haftungsbescheides (etwa 4 bzw. 6 Jahre), dem Vorhandensein von finanziellen Mitteln und der Verzögerung des Verwaltungsgeschehens durch den Beschwerdeführer (zahlreiche Fristverlängerungsansuchen, Nichtbeantwortung von Ergänzungsvorhalten) ist ein Abschlag von der Haftungssumme im Ausmaß von 30 % angemessen.
3.2. Zu Spruchpunkt II. (Revision)
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Im gegenständlichen Fall sind die zu klärenden Rechtsfragen durch die zitierte ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes einheitlich entschieden. Im Rahmen der Ermessenentscheidung hat sich das Bundesfinanzgericht insbesondere an der im Erkenntnis vom , Ra 2023/13/0050, geäußerten Rechtsansicht des Verwaltungsgerichtshofes orientiert.
Eine ordentliche Revision ist daher nicht zulässig.
Somit war spruchgemäß zu entscheiden.
Linz, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer |
betroffene Normen | § 80 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 § 78 Abs. 3 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988 § 9 Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961 |
Verweise | |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2023:RV.5100702.2023 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at