Operationskosten in einer Privatklinik als außergewöhnliche Belastung
Entscheidungstext
IM NAMEN DER REPUBLIK
Das Bundesfinanzgericht erkennt durch die Richterin Mag. Anna Mechtler-Höger in der Beschwerdesache ***Bf1***, ***Bf1-Adr***, vertreten durch Interrevision Wirtschaftstreuhand- und Steuerberatungsgesellschaft m.b.H., Seilerstätte 22 Tür 6, 1010 Wien, über die Beschwerde vom gegen den Bescheid des Finanzamtes Österreich vom betreffend Einkommensteuer 2021, Steuernummer
***BF1StNr1***, zu Recht:
I. Der Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2021 wird abgeändert.
Die Bemessungsgrundlage und die Höhe der Abgabe sind dem als Beilage angeschlossenen Berechnungsblatt zu entnehmen und bilden einen Bestandteil des Spruches dieses Erkenntnisses.
II. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.
Entscheidungsgründe
I. Verfahrensgang
Die Beschwerdeführerin erzielt neben ihren Pensionseinkünften Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung und weist einen Grad der Behinderung von 100% auf.
In der Einkommensteuererklärung für 2021 machte sie einen Betrag in Höhe von 26.984,70 € anstelle des pauschalen Freibetrages für Behinderung als außergewöhnliche Belastung geltend.
Mit Schreiben vom wurde sie ersucht, diesen Betrag detailliert darzustellen, die Belege anzuschließen sowie Ersätze/Zuschüsse bekanntzugeben.
Angefochtener Bescheid:
Mit Bescheid vom wurde die Einkommensteuerveranlagung ohne Berücksichtigung des als außergewöhnliche Belastung geltend gemachten Betrages durchgeführt, weil die Beschwerdeführerin die angeforderten Unterlagen nicht vorlegte.
Beschwerde:
Gemeinsam mit der fristgerecht dagegen erhobenen Beschwerde brachte die Beschwerdeführerin die geforderten Belege bei.
Beschwerdevorentscheidung:
Mit Beschwerdevorentscheidung vom wurde der Beschwerde teilweise Folge gegeben und tatsächliche Kosten aus der Behinderung in Höhe von 13.705,89 € anerkannt, der von der belangten Behörde wie folgt ermittelt worden ist:
In der Begründung führte die belangte Behörde aus, die Kosten für die Behandlung in Privatspitälern/von Privatärzten seien nur dann zwangsläufig, wenn die Behandlung aus medizinischen Gründen nicht auch durch einen Kassenarzt bzw. in einem öffentlichen Krankenhaus vorgenommen hätte werden können. Derartige Unterlagen seien jedoch nicht vorgelegt worden. Darüber hinaus hätten die auf Gatten ausgestellten Rechnungen nicht berücksichtigt werden können und sei das Pflegegeld laut dem Jahreslohnzettel in Höhe von 8.749,20 € in Abzug gebracht worden. Da die Kosten für die Frauenärztin nicht im Zusammenhang mit der Behinderung stünden, seien sie unter Berücksichtigung des Selbstbehaltes in Ansatz gebracht worden.
Vorlageantrag:
Im Vorlageantrag vom rügte der steuerliche Vertreter der Beschwerdeführerin die Nichtberücksichtigung der Privatkrankenhauskosten in Höhe von 10.022,72 €. Die Behörde verneine diesbezüglich die Zwangsläufigkeit, weil die Beschwerdeführerin die Eingriffe nicht in einem öffentlichen Krankenhaus habe vornehmen lassen. Sie führe aber nicht aus, wie sie zu diesem Standpunkt komme, der sich weder aus dem Gesetz noch aus den einschlägigen Richtlinien ergebe.
Es werde auf die öffentliche Berichterstattung seit der Pandemie verwiesen. Es hätten in diesem Zusammenhang unzählige notwendige Operationen zurückgestellt werden müssen, weil alle Krankenhäuser auf Notbetrieb umstellen hätten müssen. Eine diesbezügliche Aussage sei leider von angefragten Krankenhausärzten naturgemäß nicht erhältlich. Es werde eine parlamentarische Anfrage betreffend die ausgebliebenen durchzuführenden Operationen übermittelt.
Der behandelnde Arzt bestätige in der übermittelten Stellungnahme die Notwendigkeit der durchgeführten Operationen und Behandlungen. Außergewöhnliche Belastungen seien dann abzugsfähig, wenn sie höher als die Mehrzahl der gleichgearteten Abgabepflichtigen seien und sich der Abgabepflichtige aus tatsächlichen Gründen nicht entziehen könne. Dies gehe eindeutig aus der Stellungnahme hervor. Eine alternative Krankenhauswahl oder die Einholung alternativer Kostenvoranschläge vergleichbarer Krankenanstalten sei jedenfalls im Gesetz nicht vorgesehen.
Es werde daher ersucht, die beantragten Krankenhauskosten in Höhe von 10.022,72 € in Ansatz zu bringen. Es werde ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die in Abzug gebrachten Kostenersätze ausschließlich diesen Kosten zuzuordnen seien. Durch den zusätzlichen Abzug der Ersätze würde die Abgabepflichtige doppelt belastet.
Vorlagebericht:
Mit Vorlagebericht vom legte die belangte Behörde die Beschwerde dem Bundesfinanzgericht zur Entscheidung vor und führte aus, die Beschwerdeführerin habe ein ärztliches Gutachten, das nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Glaubhaftmachtung der Notwendigkeit der Privatoperation erforderlich sei, nicht vorgelegt. Die Einholung konkreter kassenärztlicher Alternativangebote seien weder behauptet noch nachgewiesen worden. Es sei vielmehr explizit festgehalten worden, dass eine derartige Vorgangsweise mangels gesetzlicher Grundlage unterlassen worden sei.
Im Übrigen sei auf den Vorlageantrag betreffend das Jahr 2020 zu verweisen, in dem ausgeführt worden sei, dass sich die Beschwerdeführerin bei Operationen an den Arzt wende, dem sie vertraue. Auch die Operation im Jahr 2020 sei vom selben Arzt durchgeführt worden.
:
Die Beschwerdeführerin wurde aufgefordert nachzuweisen, dass die Behandlung durch einen Wahlarzt und die Operation in einem Privatspital aus triftigen medizinischen Gründen geboten waren und darzulegen, mit welchen konkreten medizinischen Nachteilen sie bei Zuwarten auf einen Operationstermin in einem öffentlichen Krankenhaus zu rechnen gehabt hätte bzw. ob nachhaltige Schäden an ihrer Gesundheit durch die Operation von einem Wahlarzt in einem Privatspital verhindert wurden. Außerdem wurde sie ersucht bekanntzugeben und nachzuweisen, welche Kostenersätze mit den von der belangten Behörde nicht anerkannten Aufwendungen in Höhe von 10.022,72 € im Zusammenhang stehen.
Stellungnahme vom :
Mit Schreiben vom wurde ausgeführt, bereits der Beschwerde sei die Stellungnahme des behandelnden Arztes beigefügt worden, aus dem die Notwendigkeit einer raschen Operation hervorgehe. Beweise für eine nachteilige Schädigung würden vermutlich immer erst nach einer nicht durchgeführten Operation möglich sein. Präventiv zu beurteilen, wie lange man warten könne, bevor eine nachteilige Schädigung eintrete, sei nahezu unmöglich. Dennoch werde eine ergänzende Stellungnahme des behandelnden Arztes beigebracht.
Die Kostenersätze seien ausschließlich den Kosten der Operation zuzuordnen. Sämtliche Originalbelege seien bereits dem Finanzamt vorgelegt und trotz Urgenz nicht rückübermittelt worden. Diese seien daher beim Finanzamt anzufordern.
Mit Schreiben vom ergänzte der behandelnde Arzt seinen ursprünglichen Befund vom dahingehend, dass sich bei der Beschwerdeführerin die ausgeprägten Schmerzen trotz eines zehntägigen Aufenthaltes in der Klinik ***1*** sogar verschlechtert hätten und bruchbedingt eine absolute Wirbelkanalenge L3/4 sowie eine relative Enge L2/3 vorgelegen seien. Akute Wirbelkanalengen könnten zu schwerwiegenden neurologischen Problemen führen (Lähmung und Gefühlsausfälle im Bereich einiger bis aller unterhalb der Enge liegenden Nervenwurzeln mit Blasen- und Stuhl-Entleerungsstörungen). Die bei der Beschwerdeführerin vorliegende Osteoporose könne bei Ausbleiben einer knöchernen Heilung zum weiteren Einbrechen von Knochenbälkchen mit Zunahme der Wirbelkanaleinengungen führen. Es seien somit äußerst ungünstige Voraussetzungen vorgelegen, die zu einem raschen Handeln gezwungen hätten. In der Coronazeit sei es sehr schwierig gewesen, einen entsprechend raschen OP-Termin zu bekommen, da unfallchirurgische sowie neurologische Abteilungen meist keine Zementstabilisierungen durchführen würden. Die meisten orthopädischen Abteilungen hätten zu diesem Zeitpunkt keine Wirbelsäuleneingriffe durchgeführt. Seine ehemalige orthopädische "Hausabteilung", an die er die Patienten üblicherweise, sei sogar zeitweise in eine Coronaabteilung umgewandelt worden. Als raschest möglicher und am wenigsten traumatisierender Eingriff habe sich im vorliegenden Fall die Dekompression (Freilegung) der eingeengten Nerven mit Vertebrosplastie (Zementauffüllung) des gebrochenen Wirbels im Privatkrankenhaus angeboten. Der Eingriff sei am erfolgt und zunächst erfolgreich verlaufen. Leider sei die Patientin während des Aufenthaltes an Corona erkrankt und hätte ins Klinikum ***2*** transferiert werden müssen.
Trotz der zunächst eingetretenen Besserung sei es bedingt durch ein neuerlich geringgradiges Grundplattenödem des 2. Lendenwirbels im Sinne einer beginnenden osteoporotischen Fraktur mit Einknicken im Kniegelenk wieder zu progredienten Beschwerden mit Drehgleiten und Instabilität gekommen, weshalb ein Folgeeingriff notwendig geworden sei. Wegen der wieder aufgetretenen motorischen Schwäche sei auch hier eine baldige OP notwendig gewesen, die am mit Nervenfreilegung, Vertebroplastie LWK 2 und instrumentierter Stabilisierung bis zum ersten Lendenwirbel durchgeführt worden sei. Auch zu diesem Zeitpunkt seien die Coronamaßnahmen intensiv gewesen und OPs häufig verschoben worden.
Im Fall der Patientin hätte das operative Eingreifen möglichst rasch erfolgen müssen, um Dauerschäden durch osteoporotische Wirbeleinbrüche bei neurologischer Vorschädigung hintanzuhalten.
Gegenäußerung der belangten Behörde:
In Wahrung des Parteiengehörs wurde die Stellungnahme der belangten Behörde zur Kenntnis gebracht. In der Gegenäußerung wies die belangte Behörde darauf hin, im vorgelegten Konvolut befänden sich zwei Belege des behandelnden Arztes vom und vom . Daraus sei zu schließen, dass die medizinische Notwendigkeit/Dringlichkeit der Operation offenkundig am festgestellt, die Operation aber erst mehr als drei Monate später am durchgeführt worden sei.
Sofern tatsächlich die Dringlichkeit der Durchführung bei der Entscheidung für einen Arzt/ein Krankenhaus im Vordergrund gestanden wäre, hätte man nach allgemeiner Lebenserfahrung auch andere (private/kassenärztliche) Angebote eingeholt, um sich dann für das am raschesten verfügbare Angebot zu entscheiden. Wäre eines der privaten Angebote früher verfügbar als ein kassenärztliches Angebot, wäre die Zwangsläufigkeit der privaten Behandlungskosten auch der Höhe nach schlüssig/nachvollziehbar.
Im vorliegenden Fall zeige sich aber vielmehr, dass von Anfang an nur der Vertrauensarzt in Frage gekommen sei und deshalb die Suche nach früher verfügbaren Alternativen unterlassen und eine Wartezeit von drei Monaten in Kauf genommen worden sei. Dem entspreche auch die im Verfahren betreffend die Einkommensteuer 2020 getätigte Aussage der Beschwerdeführerin, eine Operation berge Risiken und deshalb habe sie sich an jenen Arzt gehalten, den sie seit längerem kenne und dem sie vertraue.
Der Vollständigkeit halber erwähnte die belangte Behörde, dass die zwei oben erwähnten Honorarnoten den strittigen Betrag um insgesamt 180,00 € erhöhen würden.
Die Behandlungskosten im Zusammenhang mit der Privatoperation seien vorwiegend ab Juli 2021 in Rechnung gestellt worden, während die Anträge auf Kostenersatz allesamt bereits im ersten Halbjahr 2021 eingelangt seien. Es sei demnach denkunmöglich, dass die Kostenersätze in Höhe von 4.893,18 € ausschließlich im Zusammenhang mit den strittigen Operationskosten stünden.
Stellungnahme vom :
In der Stellungnahme zur Gegenäußerung der belangten Behörde verwies der steuerliche Vertreter der Beschwerdeführerin auf die von deren Kindern rekonstruierte Krankengeschichte und führte aus, die Beschwerdeführerin habe über Empfehlung durch andere Ärzte Herrn Dr. A aufgesucht. Alle Annahmen der belangten Behörde seien schlichtweg unrichtig.
In einem übermittelte der steuerliche Vertreter Kopien der BVAEB, anhand derer eine konkrete Zuordnung der Kostenersätze möglich sei.
Abschließend merkte der steuerliche Vertreter an, die Beschwerdeführerin habe einen schweren Krankheitsverlauf gehabt, den sich wirklich niemand wünsche und schon gar nicht erschwerend in der Pandemiezeit.
Der Verlauf der Krankengeschichte der Beschwerdeführerin stelle sich zusammengefasst wie folgt dar:
2017 Hirnhautentzündung, verbunden mit einem viermonatigen Aufenthalt im KH***3*** Wien
Seither nur eingeschränkt mobil und Notwendigkeit einer 24h-Pflege
Ende August/Anfang September 2020 Auftreten von starken Schmerzen im Bereich des unteren Rückens und des rechten Oberschenkels.
11-tägiger Aufenthalt in der Klinik ***1***, wo ein Bruch des LWS 3 festgestellt, aber eine Operation nicht in Betracht gezogen wurde.
Aufgrund der anhaltenden bzw. stärker werdenden Schmerzen Aufsuchen von zwei zusätzlichen Fachärzten.
Schmerztherapie und Schmerzmedikamente (Opiate) mit kurzfristiger leichter Besserung; aufgrund der starken Nebenwirkungen empfahlen beide Ärzte unabhängig voneinander eine Operation durch den Experten Dr. A.
Ende November/Anfang Dezember 2020 stellte Dr. A fest, dass die auftretenden Wirbelkanalengen zu schwerwiegenden neurologischen Problemen verbunden mit Blasen- und Stuhl-Entleerungsstörungen führen können. Er empfahl daher eine Operation, die am nach unerträglichen Schmerzen, erfolglosen Behandlungsversuchen im öffentlichen Spital im evangelischen Krankenhaus durchgeführt wurde, weil es zu diesem Zeitpunkt aufgrund der Coronapandemie zu starken Einschränkungen bei Operationen im öffentlichen Bereich gekommen sei.
Nach der OP Auftreten eines postoperativen Delirs und in weiterer Folge Auftreten einer Corona-Infektion mit Überstellung in die Klinik ***2***.
Februar 2021 Kontrollbesuch bei Dr. A, weil noch immer Schmerzen auftraten; Dr. A empfahl jedoch zuzuwarten, weil eine endgültige Beurteilung erst 15 bis 16 Wochen nach der OP möglich sei.
März 2021 Kontrollbesuch bei Dr. A, wobei die Notwendigkeit einer weiteren OP festgestellt wurde. Hintergrund dafür sei möglicherweise ein Sturz im Zusammenhang mit dem postoperativen Delir gewesen. Zu dieser Zeit seien bekanntermaßen im öffentlichen Bereich nur lebensnotwendige Operationen durchgeführt worden.
3. Mai bis Aufenthalt und Operation im Privatkrankenhaus verbunden mit einem weiteren intensiven postoperativen Delir.
Juni bis August 2021 Auftreten einer langwierigen Infektion mit Behandlungen im KH***3*** und in der Klinik ***4***.
Der belangten Behörde sei insofern zu widersprechen, als zwischen der Feststellung der Notwendigkeit der zweiten Operation und deren Durchführung nur 5 Wochen gelegen seien, ein Zeitraum, der im Hinblick auf die Pandemie als sehr kurz anzusehen sei. Die Einholung weiterer Angebote hätte bei dem schlechten Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin zu zusätzlichen Risiken geführt; in der Klinik ***1***, der ersten Anlaufstelle, habe das Problem der Beschwerdeführerin nicht behoben werden können. Auch die ambulante Behandlung von zwei weiteren Fachärzte habe nicht den gewünschten langfristigen Erfolg gebracht. Dr. A sei erstmalig im Herbst 2020 aufgesucht worden, die Beschwerdeführerin habe ihn entgegen der Behauptung der belangten Behörde nicht seit längerem gekannt. Entgegen der Darstellung der belangten Behörde suche die Beschwerdeführerin grundsätzlich medizinische Behandlungen im öffentlichen Bereich auf. Erst nach den nicht erfolgreichen Behandlungen in der Klinik ***1*** und von anderen Ärzten habe sich die Beschwerdeführerin wegen der anhaltenden unerträglichen Schmerzen an Dr. A gewandt.
Mit Beschluss vom teilte das Bundesfinanzgericht den Parteien mit, dass beabsichtigt sei, den angefochtenen Bescheid insoweit abzuändern,
1. als der Betrag von 9.022,72 € zusätzlich als außergewöhnliche Belastung ohne Selbstbehalt berücksichtigt wird und
2. lediglich ein Kostenersatz in Höhe 2.811,28 € in Abzug gebracht wird,
und räumte die Möglichkeit zur Stellungnahme ein.
In der dazu von der belangten Behörde eingebrachten Stellungnahme führte diese aus, die folgende Aussage der Beschwerdeführerin im Vorlageantrag betreffend die Einkommensteuer 2020 spreche gegen die Zwangsläufigkeit der strittigen Beträge:
"Besonders bei Operationen die, wie man den Haftungsbestimmungen des Spitals entnehmen kann, immer Risiken beinhalten hält man sich an den Arzt, der eine schon länger behandelt und dem man vertraut."
Aufgrund der Schilderung des behandelnden Arztes stehe der Umstand, dass die Beschwerdeführerin zum damaligen Zeitpunkt rasch habe operiert werden müssen, außer Frage.
Der als Beweismittel von der Beschwerdeführerin selbst beantragte Zeitungsartikel enthalte aber auch die Aussage eines offiziellen Vertreters des Wiener Gesundheitsverbundes, dass dringend benötigte Operationen grundsätzlich doch verfügbar gewesen seien. Ob im konkreten Einzelfall tatsächlich eine kassenärztliche Alternative in gleicher medizinischer Qualität verfügbar gewesen sei oder nicht, sei eine Sachverhaltsfrage. Erst wenn der Mangel eines kassenärztlichen Angebots festgestellt worden sei, sei in einem zweiten Schritt zu beurteilen, ob triftige medizinische Gründe vorgelegen seien, die die private Kostentragung rechtfertigen würden.
Der Fokus der Beurteilung liege aus Sicht der Abgabenbehörde demnach nicht in der Frage, ob triftige medizinische Gründe vorgelegen seien, sondern ob tatsächlich der Mangel eines kassenärztlichen Angebotes vorgelegen sei. Läge nämlich ein solcher Mangel nicht vor, so seien die Kosten der Privatoperation als außergewöhnliche Belastung auch nicht abzugsfähig. Läge dagegen ein solcher Mangel vor, stehe außer Frage, dass die Kosten der Privatoperation aufgrund der Schwere des Leidens und des hohen Risikos einer Zustandsverschlechterung zwangsläufig erwachsen seien. Gerade auch deshalb, weil die Beweislast der Notwendigkeit einer Privatoperation beim Abgabepflichtigen liege, falle der Umstand, dass auf Recherchen bzgl. kassenärztlicher Alternativen verzichtet worden sei, bei der Beurteilung der Zwangsläufigkeit aus Sicht der Abgabenbehörde sehr wohl ins Gewicht.
Die Beschwerdeführerin gab zur beabsichtigten Vorgangsweise des Bundesfinanzgerichtes keine Stellungnahme ab.
Das Bundesfinanzgericht hat erwogen:
1. Sachverhalt
Die Beschwerdeführerin weist einen Grad der Behinderung von 100% auf. Seit einer Hirnhautentzündung 2016 ist sie eingeschränkt mobil und benötigt eine 24h-Pflege.
In der Zeit vom bis wurde sie in der Klinik ***1*** wegen starker Schmerzen in der Lendenwirbelsäule behandelt. Im Zuge einer CT-Untersuchung zeigte sich eine Fraktur des Lendenwirbelkörpers III. Nach einer Röntgen-Verlaufskontrolle ergab sich laut Patientenbrief der Klinik ***1*** keine Indikation für eine operative Stabilisierung.
Im Dezember 2020 konsultierte die Beschwerdeführerin Univ. Doz. Dr. A, weil sich ihre Beschwerden bei Belastung deutlich verstärkt hatten. Er erachtete eine Dekompression der betroffenen Nervenwurzeln mit gleichzeitiger Stabilisierung des frakturierten dritten Lendenwirbels als angebracht, weil sich die Gehfähigkeit der Beschwerdeführerin deutlich verschlechtert hatte.
Zur Linderung ihrer gesundheitlichen Probleme unterzog sich die Beschwerdeführerin am einem entsprechenden operativen Eingriff, welchen sie durch den Wahlarzt Univ. Doz. Dr. A im Privatkrankenhaus durchführen ließ.
In weiterer Folge kam es zu progredienten Beschwerden mit Drehgleiten und Instabilität, bedingt durch ein Grundplattenödem des 2. Lendenwirbels im Sinne einer beginnenden osteoporotischen Fraktur mit Einknicken im Kniegelenk. Um Dauerschäden durch Wirbeleinbrüche hintanzuhalten, war ein rasches operatives Eingreifen unumgänglich.
Im Streitjahr bestanden äußerst restriktive Coronamaßnahmen, waren orthopädoische Abteilungen, die allenfalls für die Durchführung der bei der Beschwerdeführerin notwendigen Operation in Betracht gekommen wären, geschlossen oder in "Coronastationen" umgewandelt (z.B. Krankenhaus Penzing). Vom kassenärztlichen Angebot waren zwar überlebensnotwendige Operationen abgedeckt, für die an der Beschwerdeführerin durchzuführenden Operation war es aber äußerst schwierig bis unmöglich, einen raschen Operationstermin zu bekommen.
Von der Beschwerdeführerin waren mit der Operation im Privatspital Kosten von 9.022,72 € verbunden. Mit diesen Aufwendungen standen im Streitjahr Kostenersätze in Höhe von 2.811,28 € im Zusammenhang. Für die Durchführung der Operation im Privatkrankenhaus lagen triftige medizinische Gründe vor.
2. Beweiswürdigung
Der oben festgestellte Sachverhalt gründet sich betreffend die Höhe der Aufwendungen und den Gesundheitszustand der Beschwerdeführerin auf die aktenkundigen Unterlagen, insbesondere auf den Entlassungsbrief der Klinik ***1*** vom sowie auf den orthopädischen Befund von Univ. Doz. Dr. A vom und vom . Zur Feststellung, dass die Durchführung der bei der Beschwerdeführerin notwendigen Behandlungen in einem Privatspital zwangsläufig war, gelangte das Bundesfinanzgericht aufgrund folgender Beweiswürdigung:
Wie aus den diversen Medien bekannt, bestanden im strittigen Zeitraum äußerst restriktive Coronamaßnahmen. Dies hatte einerseits zur Folge, dass die Mehrzahl der orthopädischen Abteilungen zu diesem Zeitpunkt keine Wirbelsäuleneingriffe durchführte, manche orthopädischen Abteilungen sogar geschlossen und in Corona-Abteilungen umgewandelt waren, und führte andererseits dazu, dass nicht lebensnotwendige Operationen im kassenärztlichen Bereich nicht oder erst nach äußerst langen Wartezeiten durchgeführt wurden. Dies betätigte der behandelnde Arzt im Schreiben vom . Dass die Beschwerdeführerin in Anbetracht ihres schlechten Gesundheitszustandes und der überaus starken Schmerzen keine Alternativangebote zur Operation im Privatspital einholte, ist nicht nur menschlich verständlich, sondern es wäre im Hinblick auf die Ausführungen des behandelnden des Arztes im konkreten Fall mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit kein früherer OP-Termin in einem Kassenspital zu bekommen gewesen.
Wenn die belangte Behörde die Zwangsläufigkeit aufgrund der Aussage eines Mitglieds des Wiener Gesundheitsverbundes, ein medizinisch indizierter akuter Eingriff sei sehr wohl durchgeführt worden, in Frage stellt, so ist auf Folgendes hinzuweisen:
Der Aussage dieses Mitglieds geht die Aufzählung der Akutversorgung bei einem Schlaganfall, einem Verkehrsunfall oder einer Not-OP von Herz und Lunge voraus. Dabei handelt es sich tatsächlich um überlebensnotwendige Maßnahmen, ohne die - würden sie nicht gesetzt - der Patient/die Patientin sterben würde. Im vorliegenden Fall handelt es sich um eine orthopädische Operation. Solche Operationen sind nach allgemeiner Lebenserfahrung in den wenigsten Fällen überlebensnotwendig. Es können aber nichtsdestotrotz für deren Durchführung triftige medizinische Gründe gegeben sein, was im vorliegenden Fall vom behandelnden Arzt glaubhaft bestätigt und auch von der belangten Behörde nicht bestritten wird.
Wenn sich die ärztliche Versorgung im Kassenbereich auf überlebensnotwendige Maßnahmen beschränkte, dann kann nach Ansicht des Bundesfinanzgerichtes daraus geschlossen werden, dass in Anbetracht des Gesundheitszustandes der Beschwerdeführerin die Operation im Privatspital zwangsläufig war.
Mit der im Jahr 2021 im Privatkrankenhaus zeitnah durchgeführten Operation bestand für die Beschwerdeführerin die Chance, Dauerschäden durch osteoporotische Wirbeleinbrüche hintanzuhalten. In Anbetracht der Tatsache, dass bei der Beschwerdeführerin äußerst ungünstige Verhältnisse vorlagen, weil Wirbelkanalengen zu schwerwiegenden neurologischen Problemen bis zur Lähmung aller unterhalb der Enge liegenden Nervenwurzeln mit Blasen- und Stuhl-Entleerungsstörungen führen können, und die bei der Beschwerdeführerin vorliegende Osteoporose beim Ausbleiben einer knöchernen Heilung zu weiteren Einbrechen von Knochenbälkchen führen hätte können, lagen für den im Streitjahr im Privatkrankenhaus durchgeführten Eingriff eindeutige medizinische Gründe vor.
Gerade im Hinblick auf die von Dr. A bestätigten Folgen einer nicht zeitnahen Operation, der vorliegenden Schmerzen, die auch auf Schmerztherapie und die Verabreichung von Opiaten nicht ansprachen, und der coronabedingten Nichtdurchführung von nicht überlebensnotwendigen Operationen gelangte das Bundesfinanzgericht zur Überzeugung, dass sowohl die Zwangsläufigkeit der Operation in einem Privatkrankenhaus gegeben war als auch triftige medizinische Gründe für die Operation vorlagen. Letzteres wurde auch von der belangten Behörde in ihrer Stellungnahme außer Streit gestellt.
3. Rechtliche Beurteilung
3.1. Zu Spruchpunkt I.
Nach § 34 Abs. 1 EStG 1988 sind bei der Ermittlung des Einkommens (§ 2 Abs. 2) nach Abzug der Sonderausgaben (§ 18) außergewöhnliche Belastungen abzuziehen. Die Belastung muss dabei außergewöhnlich sein (Abs. 2), zwangsläufig erwachsen (Abs. 3) und die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit wesentlich beeinträchtigen (Abs. 4).
Nach § 34 Abs. 3 EStG 1988 erwächst dem Steuerpflichtigen eine Belastung zwangsläufig, wenn er sich ihr aus tatsächlichen, rechtlichen oder sittlichen Gründen nicht entziehen kann.
Solche tatsächlichen Gründe, die die Zwangsläufigkeit der Belastung zu begründen vermögen, können insbesondere in der Krankheit, Pflegebedürftigkeit oder Betreuungsbedürftigkeit des Steuerpflichtigen gelegen sein (; ; ; ). Die Zwangsläufigkeit im Sinne des § 34 Abs. 3 EStG 1988 ergibt sich bei Krankheitskosten aus der Tatsache der Krankheit (vgl. , mwN).
Wie auch der VwGH in , 2003/13/0064, ausgeführt hat ist die Zwangsläufigkeit des Aufwands stets nach den Umständen des Einzelfalls zu prüfen (). Bloße Wünsche, Befürchtungen oder Standesrücksichten der Betroffenen reichen nicht, um die Zwangsläufigkeit zu rechtfertigen. Zu den als außergewöhnliche Belastung abzugsfähigen Krankheitskosten zählen nur Aufwendungen für solche Maßnahmen, die zur Heilung oder Linderung einer Krankheit nachweislich notwendig sind (VwGH 4.9,2014, 2012/15/0136; , 2001/15/0116).
Zu berücksichtigen ist weiters, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes das Merkmal der Zwangsläufigkeit auch der Höhe nach gegeben sein muss (; , mwN). Dabei ist zu beachten, dass triftige medizinische Gründe auch höhere Aufwendungen als die von Sozialversicherungsträgern finanzierten zwangsläufig erscheinen lassen (vgl. z.B. ; , Ra 2021/15/0031, mwN).
Die triftigen medizinischen Gründe müssen in feststehenden oder sich konkret abzeichnenden ernsthaften gesundheitlichen Nachteilen bestehen, welche ohne die mit höheren Kosten verbundene medizinische Betreuung eintreten würden (; ; ).
Solche Gründe lagen im konkret zu beurteilenden Fall vor, weil die Folgen einer Blasen- und Stuhl- Entleerungsstörung, die mit einem Zuwarten der Behandlung der bei der Beschwerdeführerin vorliegenden Wirbelkanalengen verbunden gewesen wären, als äußerst gravierend anzusehen sind. Darüber hinaus besserten sich die Schmerzen der Beschwerdeführerin weder durch Schmerztherapie noch durch starke Schmerzmittel. Ein Grundplattenödem des 2. Lendenwirbels im Sinne einer beginnenden osteoporotischen Fraktur mit Einknicken im Kniegelenk war ein weiterer triftiger medizinischer Grund. Auf Grund der in den diversen Medien wiederholt thematisierten Verschiebung nichtlebensnotwendiger Operationen während der Corona-Lockdowns eröffnete sich der Eingriff in einem Privatspital als einzige Möglichkeit, um den aus ärztlicher Sicht notwendigen Eingriff möglichst bald durchzuführen. Da - wie in der Beweiswürdigung dargestellt - das Bundesfinanzgericht zur Überzeugung gelangte, dass im Streitjahr ein Mangel an kassenärztlich durchgeführten Operationen gegeben war, war die Zwangsläufigkeit der strittigen Aufwendungen zu bejahen.
Der anzuerkennende Betrag errechnet sich wie folgt:
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Gesamtsumme laut Antrag | 41.840,70 € | ||
Abzügl. Frauenarzthonorar | -150,00 € | ||
Abzügl. des im Jahr 2020 verausgabten Betrages | -1.000,00 € | ||
abzügl. Rechnungen betreffend Ehemann | -325,39 € | ||
Zwischensumme | 40.365,31 € | ||
abzügl. Kostenersätze | -2.811,28 € | ||
abzügl. Pflegegeld | -8.749,20 € | ||
abzügl. Unterstützungsfonds | -2.110,80 € | ||
abzügl. Haushaltsersparnis | -1.883,52 € | ||
Anzuerkennende Kosten | 24.810,51 € |
Es war daher spruchgemäß zu entscheiden und der Betrag von 24.810,51 € als außergewöhnliche Belastung ohne Selbstbehalt zu berücksichtigen.
3.2. Zu Spruchpunkt II (Revision)
Gegen ein Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes ist die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
Die Berücksichtigung von Mehrkosten für eine Krankenbehandlung als außergewöhnliche Belastung bei Vorliegen triftiger Gründe findet in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes Deckung finde. Soweit darüber hinaus Sachverhaltsfragen im Wege der freien Beweiswürdigung zu beurteilen waren, sind diese einer Revision nicht zugänglich.
Beilage: 1 Berechnungsblatt (Einkommensteuer 2021)
Wien, am
Zusatzinformationen
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Materie | Steuer |
betroffene Normen | § 34 Abs. 1 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988 § 34 Abs. 3 EStG 1988, Einkommensteuergesetz 1988, BGBl. Nr. 400/1988 |
Verweise | |
ECLI | ECLI:AT:BFG:2023:RV.7101996.2023 |
Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at