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Revisionsverfahren - Einzel - Beschluss, BFG vom 14.06.2023, RR/7100068/2023

Wiedereinsetzung in den vorigen Stand - Rechtsirrtum betreffend Erhebung einer Revision aufgrund eines Berichtigungsbeschlusses, Verspätung des Wiedereinsetzungsantrages

Entscheidungstext

Beschluss

Das Bundesfinanzgericht fasst durch den Richter***Ri*** über den Antrag des Finanzamt Österreichs, Dienststelle ***1***, Postfach 260, 1000 Wien, vom auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand betreffend die Frist zur Einbringung einer Revision gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom , RV/7100256/2021 gemäß § 46 Abs. 4 VwGG den Beschluss:

I. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird zurückgewiesen.

II. Gegen diesen Beschluss ist eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) nicht zulässig.

Begründung

Verfahrensgang

Mit Erkenntnis vom , RV/7100256/2021, wurde durch das Bundesfinanzgericht die Beschwerde der ***Bf1*** gegen den Wiederaufnahmebescheid Körperschaftsteuer 2011 als unbegründet abgewiesen und die Bescheide betreffend Körperschaftsteuer 2011, Feststellungsbescheid Gruppenträger 2014 und Körperschaftsteuerbescheid Gruppe 2015 abgeändert. Zudem wurde die Beschwerde betreffend Wiederaufnahme Feststellungsbescheid Gruppenträger 2014 als gegenstandslos erklärt.

Mit Beschluss vom berichtigte das Bundesfinanzgericht dieses Erkenntnis gemäß § 293 BAO aufgrund angenommener Rechenfehler.

Gegen diesen Berichtigungsbeschluss wurde außerordentliche Parteienrevision eingebracht. Mit Erkenntnis vom , Ra 2022/13/0105 hob der Verwaltungsgerichtshof den Berichtigungsbeschluss aufgrund inhaltlicher Rechtswidrigkeit auf.

Mit Eingabe vom wurde von Seiten der belangten Behörde nunmehr ein Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand eingebracht. Zeitgleich wurde eine außerordentliche Amtsrevision eingebracht.

Sachverhalt

Das BFG-Erkenntnis vom , RV/7100256/2021, wurde der belangten Behörde am zugestellt.

Der Berichtigungsbeschluss zu diesem Erkenntnis wurde der belangten Behörde am zugestellt.

Die belangte Behörde traf hinsichtlich der Einbringung der Revision gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis. Ein über den minderen Grad des Versehens hinausgehendes Verschulden liegt nicht vor.

Das den Berichtigungsbeschluss aufhebende Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , Ra 2022/13/0105, wurde der belangten Behörde am zugestellt.

Das unvorhersehbare oder unabwendbare Ereignis fiel mit Zustellung des aufhebenden Erkenntnisses des an die belangte Behörde, und somit am , weg. Der belangten Behörde war der Wegfall des Irrtums zumutbar erkennbar. Die mögliche Aufklärung ist nicht nur wegen eines minderen Grades des Versehens unterblieben.

Beweiswürdigung

Dass das BFG-Erkenntnis vom , RV/7100256/2021 der belangten Behörde am zugestellt wurde, ergibt sich aus dem aktenkundigen Zustellnachweis.

Ebenso ergibt sich aus einem aktenkundigen Zustellnachweis, dass der Berichtigungsbeschluss der belangten Behörde am zugestellt wurde.

Dass das Erkenntnis des der belangten Behörde am zugestellt wurde, ergibt sich aus der Eingabe der belangten Behörde vom .

Zum Vorliegen eines unvorhersehbaren oder unabwendbaren Ereignisses

Die belangte Behörde argumentiert, sie sei einem Rechtsirrtum aufgesessen. Nach der Rechtsprechung des VwGH kann mangelnde Rechtskenntnis oder ein Rechtsirrtum ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis darstellen, welches eine Bewilligung der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand rechtfertigen kann (vgl. , Rn 14).

Der Rechtsirrtum der belangten Behörde ist durch den Berichtigungsbeschluss des Bundesfinanzgerichts veranlasst: Noch innerhalb der offenen Revisionsfrist wurde der Berichtigungsbeschluss zum gegenständlichen Erkenntnis der belangten Behörde zugestellt. Durch den Berichtigungsbeschluss wurden die als Rechenfehler qualifizierten Mängel aufgrund der mit der belangten Behörde stattgefundenen Kommunikation beseitigt. Im Lichte des Berichtigungsbeschlusses bestand daher für die belangte Behörde kein Anlass zur Erhebung einer Amtsrevision. Dies ist im Lichte des nunmehr vorliegenden VwGH-Erkenntnisses vom , Ra 2022/13/0105 als Rechtsirrtum zu qualifizieren.

Ein unvorhersehbares oder unabwendbares Ereignis liegt daher vor.

Kein über den minderen Grad des Versehens hinausgehendes Verschulden an diesem Rechtsirrtum

Wird der Wiedereinsetzungsgrund des Unkenntnisses der Rechtslage bzw. des Rechtsirrtums geltend gemacht, ist im konkreten Einzelfall zu prüfen, ob die Partei an der Unkenntnis der Rechtslage bzw. am Rechtsirrtum ein über den minderen Grad des Versehens hinausgehendes Verschulden trifft (vgl. ; , Ra 2016/06/0095; jeweils mwN). Ob die Wiedereinsetzung nicht zu bewilligen ist, weil es sich nicht um einen minderen Grad des Versehens handelt, ist regelmäßig von den Umständen des Einzelfalles abhängig (RIS-Justiz RS0116535).

Der Begriff des minderen Grades des Versehens ist als leichte Fahrlässigkeit im Sinne des § 1332 ABGB zu verstehen. Der Wiedereinsetzungswerber darf also nicht auffallend sorglos gehandelt haben, somit die im Verkehr mit Gerichten und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt nicht in besonders nachlässiger Weise außer Acht gelassen haben (vgl. , Rn 7 mwN).

Da durch die Berichtigung des Erkenntnisses des Bundesfinanzgerichts die (damals) als Rechenfehler qualifizierten Mängel berichtigt wurden, bestand für die belangte Behörde kein Anlass, eine Amtsrevision zu erheben. Eine auffallende Sorglosigkeit ist darin nicht zu erblicken, hat die belangte Behörde doch durch die zeitnahe Kontaktaufnahme mit dem Bundesfinanzgericht nach Zustellung der BFG-Entscheidung und der nachfolgenden Korrespondenz zum Ausdruck gebracht, dass (Rechen-)Fehler vorliegen und diese im Rahmen einer Berichtigung beseitigt werden könnten. Durch den Berichtigungsbeschluss wurde sodann der Zustand hergestellt, der im Lichte des Ansinnens der belangten Behörde als richtig einzustufen war.

Ein über den minderen Grad des Versehen hinausgehendes Verschulden ist aus dieser Sachlage der belangten Behörde daher nicht anzulasten.

Zum Wegfall des unvorhersehbaren oder unanwendbaren Ereignisses

Im Fall eines Rechtsirrtums beginnt die Wiedereinsetzungsfrist mit dem Wegfall dieses Irrtums oder jener Umstände, unter denen er nicht in einer der Wiedereinsetzung entgegenstehenden Weise vorwerfbar ist (vgl. , Rn 14). Wann eine Kenntnis in diesem Sinn anzunehmen ist, obliegt der einzelfallbezogenen Beurteilung (vgl. , Rn 16).

Die belangten Behörde vermeint, dass das unvorhersehbare oder unabwendbare Ereignis mit Weiterleitung an die zuständige Sachbearbeiterin als weggefallen gilt. Dies wird zusammengefasst folgend im Wiedereinsetzungsantrag begründet:

  1. Der VwGH richtete sein Erkenntnis vom , Ra 2022/13/0105 an die ***Bf.kurz*** und nicht an die ***Bf1***,

  2. Daher wurde das Erkenntnis dem Finanzamt Österreich, Dienststelle Wien ***2*** und nicht der Dienststelle Wien ***1*** zugeordnet,

  3. Die Zustellung des VwGH an das Finanzamt Österreich, Dienststelle Wien ***1*** sei durch die Zuordnung der Poststelle zu diesem Finanzamt begründet,

  4. Es sei in Analogie zur Wiederaufnahme nach § 303 BAO der Wissensstand aus Sicht des jeweiligen Verfahrens maßgeblich und auf den Kenntnisstand der abgabenfestsetzenden Stelle abzustellen, weswegen dem Finanzamt Österreich, Dienststelle Wien ***2*** nicht erkennbar war, dass ein rascher Handlungsbedarf bestehe,

  5. Mit E-Mail vom wurde der zuständigen Sachbearbeiterin am Finanzamt Österreich, Dienststelle Wien ***1*** das VwGH-Erkenntnis übermittelt.

  6. Erst in diesem Zeitpunkt hatte die Amtspartei die Möglichkeit, die Auswirkungen des VwGH-Erkenntnisses zu prüfen und weitere mögliche Verfahrensschritte zu setzen.

Für das Bundesfinanzgericht ergibt sich:

Mit dem Finanz-Organisationsreformgesetz, BGBl. I Nr. 103/2019 sowie dem 2. Finanz-Organisationsreformgesetz, BGBl. I Nr. 99/2020, wurde § 323b BAO eingeführt. Gemäß § 323b Abs. 1 BAO treten das Finanzamt Österreich und das Finanzamt für Großbetriebe für ihren jeweiligen Zuständigkeitsbereich am an die Stelle des jeweils am zuständig gewesenen Finanzamtes. An die Stelle der 39 Finanzämter mit allgemeinem Aufgabenkreis und des Finanzamtes für Gebühren, Verkehrsteuern und Glücksspiel traten zwei Abgabenbehörden mit bundesweiter Zuständigkeit, nämlich das Finanzamt Österreich und das Finanzamt für Großbetriebe (vgl. , Rn 13). Die Amtspartei des Verfahrens ist für den vorliegenden Fall - unstrittig - das Finanzamt Österreich.

Aus dem aktenkundigen Rückschein des VwGH-Erkenntnisses ergibt sich, dass die Zustellung an das Finanzamt Österreich, Dienststelle ***1*** erfolgte. Der VwGH stellte das gegenständliche Erkenntnis daher an die belangte Behörde und die richtige Dienststelle zu. Dass sämtliche Erkenntnisse des VwGH betreffend Wiener Dienststellen des Finanzamt Österreichs an die Dienststelle ***1*** zugestellt werden, weil sich dort die wienweite Posteingangsstelle befindet, ist für das Bundesfinanzgericht wenig glaubhaft. Es dürfte vielmehr der tatsächlichen Herangehensweise entsprechen, dass VwGH-Erkenntnisse entweder an das Finanzamt Österreich ohne Angabe einer Dienststelle oder an das Finanzamt Österreich unter Angabe der tatsächlich zuständigen Dienststelle zugestellt werden (so wie dies im vorliegenden Fall erfolgte).

Im Spruchteil des VwGH-Erkenntnisses wird auf die Geschäftszahl des Bundesfinanzgerichts sowie auf die angefochtenen Bescheide verwiesen. Es mag zutreffen, dass der VwGH nicht auf die ***Bf1*** verweist. Durch die Geschäftszahl des Bundesfinanzgerichts ist das Verfahren aber klar abgegrenzt und zuordenbar. Zusätzlich wird im gegenständlichen VwGH-Verfahren auf die Vorentscheidung des verwiesen. Auch in diesem Erkenntnis wird lediglich auf die ***Bf.kurz*** verwiesen. Eine Zuordnung in dortigen Verfahren dürfte aber kein Problem dargestellt haben. Hinzu kommt: Ab dem Einlangen in der Einlaufstelle befindet sich ein Schriftsatz in der Sphäre der Behörde, die sich der Einlaufstelle bedient. Die Unterlassung der (rechtzeitigen) Weiterleitung des Schriftsatzes von der Einlaufstelle an die jeweils zuständige Stelle stellt einen behördlichen Fehler dar (vgl. , mwN). Nichts Anderes kann gelten, wenn die Einlaufstelle die Dokumente einer falschen Steuernummer und somit einer falschen Dienststelle zuweist.

Als Zwischenfazit ergibt sich daher:

  1. Das VwGH-Erkenntnis wurde an das Finanzamt Österreich, Dienststelle ***1*** am zugestellt.

  2. Durch den Verweis auf die Geschäftszahl des Bundesfinanzgerichts sowie die angefochtenen Bescheide war dieses Erkenntnis klar zuordenbar.

  3. Belangte Behörde des Verfahrens ist das Finanzamt Österreich.

Entgegen der belangten Behörde geht das Bundesfinanzgericht davon aus, dass der Irrtum mit Kenntniserlangung der belangten Behörde vom VwGH-Erkenntnis und damit mit Zustellung an das Finanzamt Österreich, Dienststelle ***1*** am wegfiel.

Auch die Büroorganisation von Gebietskörperschaften muss in gleicher Weise wie eine Rechtsanwaltskanzlei dem Mindesterfordernis einer sorgfältigen Organisation entsprechen. Dazu gehört insbesondere die Vormerkung von Fristen und die Vorsorge durch entsprechende Kontrollen, dass Unzulänglichkeiten infolge menschlichen Versagens voraussichtlich auszuschließen sind (stRsp bspw , Rn 13 mwN). Dass das Erkenntnis des VwGH der falschen Dienststelle zugeordnet und sodann erst nach drei Wochen an die intern zuständige Sachbearbeiterin weitergeleitet wird, entspricht nicht dem Mindesterfordernis einer sorgfältigen Organisation, durch die Unzulänglichkeiten infolge menschlichen Versagens voraussichtlich auszuschließen sind.

Der Verweis der belangten Behörde auf die Analogie zur Wiederaufnahme ist für das Bundesfinanzgericht zu verwerfen. Der VwGH judiziert zur Wiederaufnahme bzw. zum Neuhervorkommen von Tatsachen, dass es darauf ankommt, ob der abgabenfestsetzenden Stelle alle rechtserheblichen Sachverhaltselemente bekannt waren (vgl. hierzu , Rn 21). Im vorliegenden Fall ist die Dienststelle ***2*** die abgabenfestsetzende Stelle der beschwerdeführenden Partei (vgl. die Argumentation der belangten Behörde im Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, Seite 3). Dass aufgrund der internen Organisation der belangten Behörde für das Beschwerde- und Revisionsverfahren weiterhin die Dienststelle ***1*** zuständig ist, kann nicht dafür ins Treffen geführt werden, dass der belangten Behörde der Wegfall des Hindernisses nicht bekannt war oder erkennbar war. Zudem würde sich im Umkehrschluss eine unsachliche Besserstellung der Amtspartei ergeben. Beispiel: Eine beschwerdeführende Partei ist durch eine große Steuerberatungskanzlei mit mehreren Partnern vertreten. Diese Partei unterliegt - wie im vorliegenden Fall - einem Rechtsirrtum. Das VwGH-Erkenntnis wurde der steuerlichen Vertretung zugestellt, aber einem falschen Partner zugeordnet. Die Argumentation der belangten Behörde liefe im Ergebnis darauf hinaus, dass der Rechtsirrtum in diesem Beispiel erst mit Kenntniserlangung des richtigen Partners der Kanzlei wegfiele. Dem steht aber jedenfalls die Rechtsprechung des VwGH entgegen (vgl. bspw zum Nichterkennen eines Schriftstücks als amtliches Dokument; zum Vergessen auf das Eintragen in das Fristenbuch; zum Vorliegen einer gemeinsamen Einlaufstelle unterschiedlicher Mieter, darunter eines Rechtsanwaltes; , Rn 10, wonach mit Zustellung einer verfahrensleitenden Anordnung die Verspätung bekannt wurde; , wonach der Irrtum über den Beginn und den Ablauf der Beschwerdefrist jedenfalls mit dem Zeitpunkt der Zustellung des Schriftstücks, in dem auf eine Verspätung hingewiesen wird, als weggefallen gilt). Dass im Bereich der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ein unterschiedlicher Maßstab an die beschwerdeführende Partei oder Amtspartei anzulegen ist, ist für das Bundesfinanzgericht nicht ersichtlich.

Dass die zuständige Sachbearbeiterin über einen Newsletter vom gegenständlichen VwGH-Erkenntnis (ebenso am ) erfahren hat, ist für die Frage, wann das Hindernis weggefallen ist, ebenso unmaßgeblich.

Der Wegfall des Irrtums ist somit das Datum der Zustellung an das Finanzamt Österreich und damit der (vgl. idS auch , Rn 7: Wegfall des Hindernisses mit Zustellung des den Verfahrenshilfeantrag zurückweisenden Beschlusses).

Zum über den minderen Grad des Versehens hinausgehenden Verschulden hinsichtlich des Erkennens des Wegfalls des Hindernisses

Der Lauf der Frist zur Stellung des Wiedereinsetzungsantrages beginnt nicht erst mit der Aufklärung des Irrtums, sondern bereits mit seiner möglichen Aufklärung. Diese Frist wird aber nur dann in Lauf gesetzt, wenn die mögliche Aufklärung nicht nur wegen eines minderen Grades des Versehens unterblieben ist; es darf nämlich bei der Beurteilung dieser Frage kein strengerer Maßstab angelegt werden als bei der Versäumung der Frist selbst (, Rn 42).

Das unvorhergesehene oder unabwendbare Ereignis ist am weggefallen. Mit diesem Datum ist damit vom Laufen der Frist gemäß § 46 Abs. 3 VwGG (zwei Wochen) auszugehen, sofern nicht die mögliche Aufklärung wegen eines minderen Grad des Versehens unterblieben ist.

Der Begriff des minderen Grades des Versehens ist als leichte Fahrlässigkeit im Sinne des § 1332 ABGB zu verstehen. Der Wiedereinsetzungswerber darf also nicht auffallend sorglos gehandelt, somit die im Verkehr mit Behörden und für die Einhaltung von Terminen und Fristen erforderliche und ihm nach seinen persönlichen Fähigkeiten zumutbare Sorgfalt außer Acht gelassen haben und etwas unbeachtet gelassen haben, was im konkreten Fall jedem leicht einleuchten musste. Dies ist dann der Fall, wenn einfache und naheliegende Überlegungen nicht angestellt wurden (vgl. ; und RIS-Justiz RS0036795; 10 ObS116/97z sowie Ritz/Koran, BAO7, § 308 Tz 9 ff und Gitschthaler in Rechberger/Klicka, ZPO5, § 146 ZPO Rz 8/2). Eine auffallende Sorglosigkeit setzt eine Sorgfaltswidrigkeit voraus, die einem ordentlichen Menschen in der gegebenen Situation keinesfalls unterlaufen wäre ( 2 Ob366/97f mit Verweis auf Gitschthaler in Rechberger, ZPO5 § 146 Rz 6 und 7 mwN). Die Einhaltung von Rechtsmittelfristen erfordert die größtmögliche Sorgfalt (vgl. ; ).

Umgelegt auf den vorliegenden Fall ergibt sich: Das gegenständliche VwGH-Erkenntnis wurde - Finanzamt Österreich intern - der falschen Dienststelle zugeordnet. Insoweit ist dies ein Fehler der Behörde, als sich das Erkenntnis mit Zustellung in der behördlichen Sphäre befindet. Zudem ergibt sich im Lichte der Informationen durch die Dienststelle ***2***, dass es dieser Dienststelle sehr wohl bewusst war, dass ein BFG- und VwGH-Verfahren anhängig ist. Einerseits wurde von der Dienststelle ***2*** ein Aktenvermerk der Sachbearbeiterin der Dienststelle ***1*** vom übermittelt. Aus diesem Aktenvermerk ergibt sich hinsichtlich eines Punktes, dass die "BFG-Entscheidung [...] abzuwarten" ist. Andererseits wurde von Seiten der belangten Behörde eine E-Mail-Korrespondenz der Dienststelle ***2*** vorgelegt. Der Fachdienststellenleiter dieser Dienststelle leitete das gegenständliche VwGH-Erkenntnis am an einen Mitarbeiter der Dienststelle mit dem Kommentar "wie soeben am Telefon besprochen" weiter. Aufgrund einer Nachfrage wurde von Seiten der Dienststelle ***2*** ein Aktenvermerk in Form einer Notiz (gelbes Post-It) vorgelegt, was unter "wie soeben am Telefon besprochen" gemeint war. Auf dieser Notiz ist die Steuernummer ersichtlich sowie die Aufforderung zur Anweisung der Verfahrenskosten (im Zusammenhang mit dem gegenständlich aufhebendem VwGH-Erkenntnis). Zudem wird dezidiert darauf verwiesen, die zuständige Sachbearbeiterin der Dienststelle ***1*** zu verständigen und die Relevanz des VwGH-Erkenntnisses für die Folgejahre abzuklären.

Aufgrund von (schlussendlich irrelevanten) Umständen wurde das VwGH-Erkenntnis aber erst am tatsächlich per E-Mail an die intern zuständige Sachbearbeiterin weitergeleitet. Dass die innerorganisatorische Weiterleitung nicht stattfand, weil - aufgrund welcher Umstände auch immer - das gegenständliche VwGH-Erkenntnis unbearbeitet blieb, stellt ein über den minderen Grad des Versehens hinausgehendes Verschulden dar, weil hinsichtlich der Einhaltung von Fristen die größtmögliche Sorgfalt zu wahren ist. Umso mehr, als der (intern unzuständigen) Dienststelle die Verfahren vor dem BFG und VwGH bekannt waren. Dass die (intern unzuständige) Dienststelle ***2*** um die Wichtigkeit des gegenständlichen VwGH-Erkenntnisses nicht wissen konnte, muss aufgrund der Tätigkeit als abgabenfestsetzende Dienststelle und im Lichte des der Dienststelle ***2*** übermittelten Aktenvermerk der zuständigen Sachbearbeiterin bezweifelt werden. Abgerundet wird das Bild dadurch, dass das gegenständliche VwGH-Erkenntnis seit dem im Rechtsinformationssystem des Bundes (RIS) veröffentlicht ist.

Das Bundesfinanzgericht sieht es daher als erwiesen an, dass die mögliche Aufklärung wegen eines den minderen Grad des Versehens übersteigenden Verschuldens unterblieben ist.

Rechtliche Würdigung

Zu Spruchpunkt I (Zurückweisung)

§ 46 Abs. 1 VwGG normiert: "Wenn eine Partei durch ein unvorhergesehenes oder unabwendbares Ereignis - so dadurch, dass sie von einer Zustellung ohne ihr Verschulden keine Kenntnis erlangt hat - eine Frist versäumt und dadurch einen Rechtsnachteil erleidet, so ist dieser Partei auf Antrag die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu bewilligen. Dass der Partei ein Verschulden an der Versäumung zur Last liegt, hindert die Bewilligung der Wiedereinsetzung nicht, wenn es sich nur um einen minderen Grad des Versehens handelt".

§ 46 Abs. 3 VwGG normiert: "In den Fällen des Abs. 1 ist der Antrag auf Wiedereinsetzung binnen zwei Wochen nach dem Wegfall des Hindernisses zu stellen und zwar bis zur Vorlage der Revision beim Verwaltungsgericht und ab Vorlage der Revision beim Verwaltungsgerichtshof; ein ab Vorlage der Revision vor Zustellung der Mitteilung über deren Vorlage an den Verwaltungsgerichtshof beim Verwaltungsgericht gestellter Antrag gilt als beim Verwaltungsgerichtshof gestellt und ist diesem unverzüglich vorzulegen. In den Fällen des Abs. 2 ist der Antrag binnen zwei Wochen

1. nach Zustellung eines Bescheides oder einer gerichtlichen Entscheidung, der bzw. die den Rechtsbehelf als unzulässig zurückgewiesen hat, bzw.

2.nach dem Zeitpunkt, in dem die Partei von der Zulässigkeit der Erhebung der Revision bzw. der Stellung eines Antrages auf Vorlage Kenntnis erlangt hat,

beim Verwaltungsgericht zu stellen. Die versäumte Handlung ist gleichzeitig nachzuholen".

Fest steht, dass das Erkenntnis des , der belangten Behörde am zugestellt wurde. Ebenso steht fest, dass der dieses Erkenntnis betreffende Berichtigungsbeschluss der belangten Behörde am zugestellt wurde.

Die Frist zur Einbringung einer außerordentlichen Amtsrevision ist daher grundsätzlich abgelaufen: Die Revisionsfrist beträgt gemäß § 26 Abs. 1 VwGG sechs Wochen. Die Revisionsfrist beginnt im Lichte des Art 133 Abs. 6 Z 2 B-VG gemäß § 26 Abs. 1 Z 2 VwGG mit dem Tag der Zustellung an die belangte Behörde zu laufen. Da das Erkenntnis am zugestellt wurde, begann die Revisionsfrist an diesem Tag zu laufen und endete am um 24 Uhr. Die Revisionsfrist ist daher mit diesem Tag abgelaufen und die außerordentliche Revision vom wäre daher verspätet eingebracht.

Die belangte Behörde traf hinsichtlich der Nichteinbringung der Revision ein unvorhersehbares oder unabwendbares Ereignis in Form eines Rechtsirrtums. Fest steht, dass hinsichtlich dieses Hindernisses kein über den minderen Grad des Versehens hinausgehendes Verschulden vorliegt.

Im Lichte der Beweiswürdigung steht jedoch fest, dass das Hindernis mit Zustellung des VwGH-Erkenntnisses vom , Ra 2022/15/0105 an die belangte Behörde am wegfiel. Dies war der belangten Behörde entsprechend zumutbar erkennbar. Die mögliche Aufklärung ist wegen eines den minderen Grad des Versehens übersteigenden Verschuldens unterblieben.

Das unvorhergesehene oder unabwendbare Ereignis ist am weggefallen. Mit diesem Datum ist vom Laufen der Frist gemäß § 46 Abs. 3 VwGG (zwei Wochen) auszugehen, weil die mögliche Aufklärung durch die belangte Behörde wegen eines den minderen Grad des Versehens übersteigenden Verschuldens unterblieben ist. Die Frist zur Einbringung des Antrags auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand endete damit am . Der am eingebrachte Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wurde damit verspätet eingebracht.

Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ist somit zurückzuweisen.

Zu Spruchpunkt II (Unzulässigkeit der Revision)

Das Verwaltungsgericht stützt seinen Beschluss auf § 46 VwGG. Gegen diesen Beschluss kommt ausschließlich eine Revision in Betracht, weil Beschlüsse gemäß § 46 Abs. 4 VwGG nicht § 25a Abs. 2 VwGG zufolge von einer Revision ausgeschlossen sind (vgl. ).

Das Verwaltungsgericht hat gemäß § 25a Abs. 1 VwGG im Spruch seines Beschlusses auszusprechen, ob die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig ist.

Nach Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird. Auf Beschlüsse der Verwaltungsgerichte ist Art. 133 Abs. 4 B-VG sinngemäß anzuwenden (Art. 133 Abs. 9 B-VG).

Der gegenständliche Beschluss stützt sich auf die zitierte Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung liegt damit nicht vor, weshalb eine ordentliche Revision gegen diesen Beschluss unzulässig ist.

Wien, am

Zusatzinformationen


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Materie
Steuer
betroffene Normen
§ 46 Abs. 1 VwGG, Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985, BGBl. Nr. 10/1985
§ 26 Abs. 1 VwGG, Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985, BGBl. Nr. 10/1985
Art. 133 Abs. 6 Z 2 B-VG, Bundes-Verfassungsgesetz, BGBl. Nr. 1/1930
§ 26 Abs. 1 Z 2 VwGG, Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985, BGBl. Nr. 10/1985
§ 46 Abs. 3 VwGG, Verwaltungsgerichtshofgesetz 1985, BGBl. Nr. 10/1985
§ 293 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 303 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 1332 ABGB, Allgemeines bürgerliches Gesetzbuch, JGS Nr. 946/1811
§ 323b BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
§ 323b Abs. 1 BAO, Bundesabgabenordnung, BGBl. Nr. 194/1961
Verweise














10 ObS116/97z
2 Ob366/97f










ECLI
ECLI:AT:BFG:2023:RR.7100068.2023

Datenquelle: Findok — https://findok.bmf.gv.at