VwGH vom 13.10.2021, Ro 2021/06/0010

VwGH vom 13.10.2021, Ro 2021/06/0010

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler und die Hofrätinnen Mag.a Merl und Mag. Rehak als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Schreiber BA, über die Revision 1. des DI S A in M und 2. des MMag. Dr. M A in H, beide vertreten durch die Blum, Hagen und Partner Rechtsanwälte GmbH in 6800 Feldkirch, Liechtensteinerstraße 76, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Vorarlberg vom , LVwG-302-21/2020-R6, betreffend eine Angelegenheit des Vorarlberger Raumordnungsgesetzes (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Gemeindevertretung der Gemeinde Lech), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

1Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das auf Grund einer Säumnisbeschwerde zuständig gewordene Landesverwaltungsgericht Vorarlberg (LVwG) den Antrag der Revisionswerber auf Erteilung einer Ferienwohnungsbewilligung gemäß § 16 Abs. 4 lit. b Raumplanungsgesetz (RPG) ab; eine ordentliche Revision wurde für zulässig erklärt.

Begründend führte das LVwG zusammengefasst aus, die Revisionswerber hätten mit Eingabe vom eine Bewilligung zur Nutzung einer näher genannten Wohnung in L als Ferienwohnung gemäß § 16 Abs. 4 lit. b RPG beantragt. Diese Wohnung habe dem Vater der Revisionswerber zwischen Juli 2013 und Mai 2019 als Hauptwohnsitz gedient und sei ihnen im Dezember 2015 geschenkt worden; sie liege in einem als Baufläche-Wohngebiet gewidmeten Bereich. Die Revisionswerber hätten nie einen Wohnsitz - somit auch keinen Hauptwohnsitz - in L gehabt, jedoch die gegenständliche Wohnung intensiv - insbesondere im Winter und in den Semesterferien, aber auch im Sommer - genutzt. Da mehrere Verwandte ebenfalls seit vielen Jahren Ferienwohnungen in L hätten, seien zahlreiche Familienfeiern in dieser Wohnung begangen worden. Darüber hinaus hätten die Revisionswerber ab frühester Kindheit zahlreiche soziale Kontakte in L geknüpft.

Das LVwG verneinte in seiner rechtlichen Beurteilung, dass den Revisionswerbern „im Hinblick auf besondere persönliche, insbesondere familiäre Verhältnisse ein Interesse an der Nutzung der Wohnung als Ferienwohnung“ im Sinn des § 16 Abs. 4 lit. b RPG eine Bewilligung zur Nutzung als Ferienwohnung zu erteilen sei. Sie hätten nicht nachgewiesen, dass sie die Wohnung auch außerhalb der „klassischen Ferienzeiten“ genutzt hätten, um beispielsweise familiäre Kontakte zu pflegen oder anderweitigen Verpflichtungen, zB als Mitglieder von Vereinen oder sonstigen Organisationen in L, nachzukommen; auch die übrigen Verwandten hielten sich - den Angaben der Revisionswerber zufolge - außerhalb der klassischen Ferienzeiten nicht in L auf.

Die ordentliche Revision werde zugelassen, weil hg. Rechtsprechung zur Auslegung des § 16 Abs. 4 lit. b RPG bezüglich der Frage, was unter „besonderen persönlichen und familiären Verhältnissen“ zu verstehen sei, fehle.

2Dagegen richtet sich die vorliegende Revision.

3Eine Revisionsbeantwortung wurde nicht eingebracht.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

4In der Zulässigkeitsbegründung schließen sich die Revisionswerber der vom LVwG formulierten Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung an.

5Die Revision ist mangels Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu der Frage, was unter „besonderen persönlichen und familiären Verhältnissen“ in § 16 Abs. 4 lit. b RPG zu verstehen ist, zulässig.

6§ 16 Vorarlberger Raumplanungsgesetz (RPG), LGBl. Nr. 39/1996 idF LGBl. Nr. 4/2019, lautet auszugsweise:

§ 16
Ferienwohnungen

(1) In Kern-, Wohn- und Mischgebieten (Grundwidmung) können mit Widmung besondere Flächen festgelegt werden, auf denen bei Vorliegen eines rechtswirksamen Bebauungsplanes (§ 28) auch oder nur Ferienwohnungen errichtet werden dürfen.

(2) ...

(4) Die Gemeindevertretung kann in folgenden Fällen die Nutzung - im Falle der lit. c auch die Errichtung - von Wohnungen oder Wohnräumen, die nach den raumplanungsrechtlichen Vorschriften für Wohnzwecke genutzt werden dürfen, als Ferienwohnung mit Bescheid bewilligen; im Falle eines Wohnteils eines Maisäß-, Vorsäß- oder Alpgebäudes darf nur eine Bewilligung nach lit. d erteilt werden:

a)...

b)Auf Antrag des Eigentümers der betreffenden Wohnung oder des betreffenden Wohnraums, wenn er zum Kreis der gesetzlichen Erben des vormaligen Eigentümers gehört und ihm aufgrund geänderter Lebensumstände, insbesondere aufgrund beruflicher oder familiärer Veränderungen, eine Verwendung zur Deckung eines ganzjährig gegebenen Wohnbedarfs nicht möglich oder zumutbar ist, die Wohnung oder der Wohnraum anderen Personen nicht der Deckung eines ganzjährig gegebenen Wohnbedarfs dient und der Antragsteller im Hinblick auf besondere persönliche, insbesondere familiäre Verhältnisse ein Interesse an der Nutzung der Wohnung oder des Wohnraums als Ferienwohnung hat; ...“

7Die Beurteilung, ob die konkreten persönlichen und familiären Verhältnisse als derart „besonders“ anzusehen sind, dass sie auch außerhalb der gemäß § 16 Abs. 1 RPG im Flächenwidmungsplan festgelegten Flächen für Ferienwohnung die Nutzung einer Wohnung als Ferienwohnung rechtfertigen, ist aufgrund der in der Person des Antragstellers gelegenen Umstände jeweils im Einzelfall zu treffen. Die Revisionswerber bringen nicht vor, das LVwG hätte bei seiner Entscheidung entscheidungsrelevante, zu ihren Gunsten zu wertende Sachverhaltselemente unberücksichtigt gelassen. Sie argumentieren zunächst zusammengefasst, an die besonderen persönlichen Verhältnisse dürfe kein überzogener Maßstab angelegt werden; § 16 Abs. 4 lit. b RPG sei keine Ausnahmebestimmung und somit nicht restriktiv auszulegen.

8Aus den vom LVwG zitierten Erläuternden Bemerkungen der Regierungsvorlage zu LGBl. Nr. 22/2015 zur Neufassung des § 16 Abs. 4 lit. b RPG geht hervor, dass der Landesgesetzgeber als besondere familiäre Gründe insbesondere die Aufrechterhaltung des Kontaktes zu Familienangehörigen (zB Eltern), die im Nahebereich der betreffenden Wohnung leben, im Blick hatte; die Nutzung als Ferienwohnung solle den betroffenen Personen ermöglicht werden, „sofern und solange (noch)“ besondere Gründe vorliegen. Diese Formulierung deutet einerseits darauf hin, dass die familiären Verhältnisse zu im Nahebereich der betreffenden Wohnung lebenden Angehörigen eng sein müssen, und andererseits, dass die Nutzung als Ferienwohnung nur für den Zeitraum dieser engen familiären Bindungen ermöglicht werden soll; weiter ist davon auszugehen, dass die im Nahebereich der betreffenden Wohnung lebenden Angehörigen dort ihren Lebensmittelpunkt haben müssen und die Wohnung nicht nur als Ferienwohnsitz nutzen.

9Der Vater der Revisionswerber lebt nicht mehr in L; einige Familienmitglieder haben - den Ausführungen in der Revision zufolge - Zweitwohnsitze in L. Die „familiären Verhältnisse“ beschränken sich nunmehr auf gemeinsam verbrachte Freizeit und Familienfeiern. Dabei ist nicht entscheidend, ob sich die Aufenthalte auf die „klassischen Ferienzeiten“ beschränken, sondern es ist deren Zweck maßgeblich, nämlich ob sie der Aufrechterhaltung des Kontaktes zu Familienangehörigen (zB Eltern), solange diese noch im Nahebereich der betreffenden Wohnung leben, dienen. Der Umstand, dass Familienangehörige in derselben Gemeinde ihre Freizeit verbringen und in der verfahrensgegenständlichen Wohnung Familienfeste feiern, ist für die Beurteilung als „besonderes“ familiäres Interesse nicht ausreichend.

Das LVwG berücksichtigte in seiner Entscheidung als besonderes persönliches Interesse der Revisionswerber, dass diese in L diverse soziale und gesellschaftliche Kontakte geknüpft und eine enge emotionale Bindung an den Ort als Feriendomizil hätten.

Unabhängig davon, ob man der Frage der Mitgliedschaft in einem Verein in L eine maßgebliche Bedeutung beimisst, ist die rechtliche Beurteilung des LVwG, die Revisionswerber hätten keine „besonderen persönlichen, insbesondere familiären Verhältnissen“ im Sinn der unter Rn. 8 zitierten Erläuternden Bemerkungen des Gesetzgebers nachweisen können, nicht als rechtswidrig zu erkennen.

10Dabei spielt es auch keine entscheidende Rolle, ob § 16 Abs. 4 lit. b RPG eine Ausnahmebestimmung in Hinblick auf § 16 Abs. 1 RPG darstellt und als solche restriktiv auszulegen wäre.

11Mit dem Hinweis auf „die Vorgängerbestimmung des § 16 RPG“ [gemeint wohl: § 16 Abs. 4a RPG idF LGBl. Nr. 33/2005, wonach Wohnungen, die dem Wohnungseigentümer nachweislich mindestens fünf Jahre zur Deckung eines ganzjährig gegebenen Wohnbedarfs dienten, von diesem und seinen Familienangehörigen als Ferienwohnungen benutzt werden durften] und das dazu eingeleitete Vertragsverletzungsverfahren der Europäischen Kommission wegen vermeintlicher Verletzung europäischer Grundfreiheiten ist für die Revisionswerber nicht zu gewinnen. Es ist nämlich nicht erkennbar, inwiefern die Revisionswerber als - Gegenteiliges wurde nicht vorgebracht - österreichische Staatsbürger durch die unterschiedslos auf österreichische Staatsbürgerinnen und Staatsbürger sowie solche anderer Mitgliedstaaten anwendbare Bestimmung des § 16 Abs. 4 lit. b RPG einer Schlechterstellung im Hinblick auf die Grundfreiheiten gegenüber anderen EU-Bürgerinnen und Bürgern ausgesetzt wären (vgl. , Rn. 9, mwN; , Ra 2016/06/0003).

12Die Revision war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

13Der entscheidungsrelevante Sachverhalt ist hier geklärt. Das vorliegende Revisionsverfahren betraf ausschließlich Rechtsfragen, zu deren Lösung im Sinne der Judikatur des EGMR eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist. Art. 6 EMRK und Art. 47 GRC stehen daher der Abstandnahme von der beantragten Verhandlung nicht entgegen. In Hinblick darauf konnte gemäß § 39 Abs. 2 Z 6 VwGG von der Durchführung der beantragten mündlichen Verhandlung Abstand genommen werden (vgl. etwa , Rn. 23, mwN).

Wien, am

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2021:RO2021060010.J00

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