VwGH vom 05.01.2022, Ro 2021/01/0023
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Enzenhofer und die Hofräte Dr. Kleiser, Dr. Fasching, Mag. Brandl und Dr. Terlitza als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Kienesberger, über die Revision des F P in G, vertreten durch die Neumayer, Walter & Haslinger Rechtsanwälte-Partnerschaft in 1030 Wien, Baumannstraße 9/11, gegen den Beschluss des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom , Zl. LVwG-M-24/001-2021, betreffend eine Maßnahmenbeschwerde in einer Angelegenheit nach dem Grenzkontrollgesetz (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landespolizeidirektion Niederösterreich), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
Vorgeschichte
1Am wurde der Revisionswerber am Grenzübergang Novy-Prerov/Alt-Prerau durch Organe der Landespolizeidirektion Niederösterreich (belangte Behörde, im Folgenden: LPD) aufgefordert, das Bundesgebiet Österreich wieder zu verlassen, in die Tschechische Republik zurückzufahren und einen anderen Grenzübergang zu verwenden.
2Gegen diesen Verwaltungsakt erhob der Revisionswerber mit Schriftsatz vom beim Landesverwaltungsgericht Niederösterreich (LVwG) eine auf Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG gestützte Maßnahmenbeschwerde.
3Diese begründete er unter anderem damit, die Aufforderung sei rechtswidrig gewesen, weil keiner der in § 12a Abs. 6 Grenzkontrollgesetz (GrekoG) angeführten Gründe vorgelegen sei, den Grenzübertritt zu verwehren. Auch habe er die Grenze bereits übertreten und sich im Bundesgebiet befunden. Die Organe der LPD seien daher nicht ermächtigt gewesen, ihm als österreichischem Staatsbürger die Weiterfahrt zu untersagen.
4Nachdem der Revisionswerber vom LVwG gemäß § 6 Abs. 1 AVG an das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) verwiesen worden war, erhob er mit Schriftsatz vom Maßnahmenbeschwerde an das Bundesverwaltungsgericht (BVwG).
5Mit Beschluss vom wurde die Maßnahmenbeschwerde vom BVwG als unzulässig zurückgewiesen. Dies begründete das BVwG im Wesentlichen damit, dass eine Angelegenheit der Sicherheitsverwaltung nach § 2 Abs. 2 Sicherheitspolizeigesetz (SPG) vorliege, die von der LPD als Sicherheitsbehörde iSd Art. 78a B-VG besorgt werde, weshalb der Rechtszug im vorliegenden Fall nach der Generalklausel des Art. 131 Abs. 1 B-VG an das örtlich zuständige LVwG zu gehen habe (Verweis auf , , und , mwN, sowie VfSlg. 19.986/2015).
6Sodann beantragte der Revisionswerber mit Schriftsatz vom eine Entscheidung des LVwG.
Angefochtener Beschluss
7Mit dem angefochtenen Beschluss wurde die Beschwerde des Revisionswerbers wegen Unzuständigkeit des LVwG gemäß § 28 Abs. 6 VwGVG iVm § 6 Abs. 1 AVG als unzulässig zurückgewiesen (1.) und eine Revision für zulässig erklärt (2.).
8Begründend führte das LVwG im Wesentlichen aus, die Generalklausel des Art. 131 Abs. 1 B-VG komme nicht zur Anwendung, weil die Vollziehung des GrekoG in unmittelbarer Bundesverwaltung (Art. 102 Abs. 2 B-VG) erfolge. § 8 Abs. 1 GrekoG normiere eine ausschließliche Zuständigkeit der LPD (Verweis auf , und das FNG-Anpassungsgesetz, BGBl. I Nr. 68/2013). Diese besondere Zuständigkeitsvorschrift gehe § 2 Abs. 2 SPG vor, auch bestehe keine Vollziehung im Rahmen der Sicherheitsverwaltung iSd Art. 78a B-VG. Über eine solche Rechtssache erkenne daher gemäß Art. 131 Abs. 2 B-VG das BVwG.
9Auch aus § 88 SPG könne keine Zuständigkeit des LVwG abgeleitet werden. So sei § 88 SPG (in der Fassung des Verwaltungsgerichtsbarkeits-Anpassungsgesetzes-Inneres BGBl. I Nr. 161/2013) ohne die (gemäß Art. 131 Abs. 4 Z 1 B-VG notwendige) Zustimmung der Länder kundgemacht worden (Verweis auf und VfSlg. 19.986/2015). Überdies sei die in § 88 Abs. 1 SPG geregelte Beschwerdemöglichkeit kein selbstständiges Rechtsinstitut, sondern nur ein Fall der im Allgemeinen im B-VG und AVG vorgesehenen Maßnahmenbeschwerde (Verweis auf ).
10Gleiches gelte selbst dann, wenn die gegenständliche Beschwerde als Verhaltensbeschwerde gemäß Art. 130 Abs. 2 Z 1 B-VG iVm § 88 Abs. 2 SPG zu qualifizieren wäre.
11Eine Revision sei zulässig, weil „eine (ausdrückliche) Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu der Frage fehlt, ob die Verwaltungsgerichte der Länder zur Entscheidung über Maßnahmenbeschwerden im Bereich der Sicherheitsverwaltung im Sinne des § 2 Abs. 2 SPG zuständig sind, wenn diese in Abweichung von der in Art. 78a B-VG bzw. § 4 SPG vorgesehenen Behördenzuständigkeit in unmittelbarer Bundesverwaltung vollzogen wird“.
12Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende ordentliche Revision, die vom Verwaltungsgericht gemäß § 30a Abs. 6 VwGG mit der Erklärung der LPD, dass keine Revisionsbeantwortung erfolge, unter Anschluss der Akten des Verfahrens vorgelegt wurde.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
Zulässigkeit
13Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit (unter anderem) vor, es fehle „ausdrückliche Rechtsprechung“ zur Frage, ob die Verwaltungsgerichte der Länder oder das BVwG „im Zusammenhang mit einer“ Maßnahmenbeschwerde im Anwendungsbereich des GrekoG zuständig seien. Die vom LVwG und BVwG zitierten „oberstgerichtlichen“ Entscheidungen enthielten zwar einige Grundsätze zur Zuständigkeit, allerdings bestehe eine offensichtliche Uneinigkeit über die Interpretation und die daraus abgeleiteten Rechtsansichten.
14Die Revision ist zulässig und auch berechtigt.
Rechtslage
15Das Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) lautet auszugsweise:
„3. Sicherheitsbehörden des Bundes
Artikel 78a. (1) Oberste Sicherheitsbehörde ist der Bundesminister für Inneres. Ihm sind die Landespolizeidirektionen, ihnen wiederum die Bezirksverwaltungsbehörden als Sicherheitsbehörden nachgeordnet.
...
Artikel 102.
(1) Im Bereich der Länder üben die Vollziehung des Bundes, soweit nicht eigene Bundesbehörden bestehen (unmittelbare Bundesverwaltung), der Landeshauptmann und die ihm unterstellten Landesbehörden aus (mittelbare Bundesverwaltung). ...
(2) Folgende Angelegenheiten können im Rahmen des verfassungsmäßig festgestellten Wirkungsbereiches unmittelbar von Bundesbehörden besorgt werden:
... Regelung und Überwachung des Eintrittes in das Bundesgebiet und des Austrittes aus ihm ...
...
A. Verwaltungsgerichtsbarkeit
...
Artikel 130. (1) Die Verwaltungsgerichte erkennen über Beschwerden
...
2.gegen die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt wegen Rechtswidrigkeit;
...
Artikel 131. (1) Soweit sich aus Abs. 2 und 3 nicht anderes ergibt, erkennen über Beschwerden nach Art. 130 Abs. 1 die Verwaltungsgerichte der Länder.
(2) Soweit sich aus Abs. 3 nicht anderes ergibt, erkennt das Verwaltungsgericht des Bundes über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 in Rechtssachen in den Angelegenheiten der Vollziehung des Bundes, die unmittelbar von Bundesbehörden besorgt werden. ...
(3) Das Verwaltungsgericht des Bundes für Finanzen erkennt ...“
16Das Bundesgesetz über die Durchführung von Personenkontrollen aus Anlaß des Grenzübertritts (Grenzkontrollgesetz - GrekoG), BGBl. Nr. 435/1996 idF BGBl. I Nr. 93/2018, lautet auszugsweise:
„3. ABSCHNITT
Behörden und Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes
Behördenzuständigkeit
§ 8. (1) Behörde im Sinne dieses Bundesgesetzes ist, sofern nicht anderes bestimmt ist, die Landespolizeidirektion. Der Bundesminister für Inneres ist ermächtigt, die Einhaltung der Bestimmungen des 4. Abschnittes zusätzlich zu überwachen.
...
Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes
§ 9. (1) Die für die Überwachung der Einhaltung der Bestimmungen des 4. Abschnittes zuständigen Behörden können hiefür die ihnen beigegebenen und zugeteilten, die Bezirksverwaltungsbehörden auch die ihnen unmittelbar unterstellten Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes einsetzen.
...
4. ABSCHNITT
Grenzverkehr
...
Durchführung der Grenzkontrolle
§ 12. (1) Die Grenzkontrolle obliegt der Behörde. Sie ist Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes und der Landespolizeidirektion (§ 12b) vorbehalten, soweit sie durch die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt zu besorgen ist. ...
...
Befugnisse der Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes
§ 12a. (1) Die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sind ermächtigt, Personen einer Grenzkontrolle zu unterziehen, sofern Grund zur Annahme besteht, dass diese grenzkontrollpflichtig sind oder dass sie den Grenzübertritt unbefugt außerhalb von Grenzübergangsstellen vornehmen wollen oder vorgenommen haben. ...
...
(6) Die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sind im Rahmen der Grenzkontrolle ermächtigt, Personen, denen
1.der Reisepass gemäß § 15 PassG, Personalausweis gemäß § 19 Abs. 2 PassG iVm § 15 PassG, Fremdenpass gemäß § 93 Fremdenpolizeigesetz 2005 - FPG, BGBl. I Nr.100 oder Konventionsreisepass gemäß § 94 Abs. 5 FPG iVm § 93 FPG vollstreckbar entzogen oder
2.die Ausstellung eines in Z 1 genannten Dokumentes gemäß § 14 PassG, § 19 Abs. 2 PassG iVm § 14 PassG, § 92 FPG oder § 94 Abs. 5 iVm § 92 FPG versagt wurde,
den Grenzübertritt zu verwehren. Die Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sind ermächtigt, die von ihnen getroffenen Anordnungen nach Maßgabe des § 50 Abs. 2 und 3 SPG mit unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt durchzusetzen.
...
Befugnisse der Organe der Landespolizeidirektionen
§ 12b. (1) Der Landespolizeidirektor kann Bedienstete, die nicht Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes sind, zur Ausübung von nach § 12a vorgesehener Befehls- und Zwangsgewalt an der Außengrenze ermächtigen, sofern diese dafür geeignet und besonders geschult sind.
(2) Die Befugnisse des § 12a stehen auch dazu ermächtigten Organen der Landespolizeidirektionen (Abs. 1) an der Außengrenze zu. Für diese Organe gilt die Verordnung des Bundesministers für Inneres, mit der Richtlinien für das Einschreiten der Organe des öffentlichen Sicherheitsdienstes erlassen werden - RLV, BGBl. Nr. 266/1993. § 47 Abs. 2 BFA-VG gilt für diese Organe sinngemäß.
...“
17Das Bundesgesetz über die Organisation der Sicherheitsverwaltung und die Ausübung der Sicherheitspolizei (Sicherheitspolizeigesetz - SPG), BGBl. Nr. 566/1991 in der (zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Beschlusses geltenden) Fassung BGBl. I Nr. 124/2021, lautet auszugsweise:
„Besorgung der Sicherheitsverwaltung
§ 2. (1) Die Sicherheitsverwaltung obliegt den Sicherheitsbehörden.
(2) Die Sicherheitsverwaltung besteht aus der Sicherheitspolizei, dem Paß- und dem Meldewesen, der Fremdenpolizei, der Überwachung des Eintrittes in das Bundesgebiet und des Austrittes aus ihm, dem Waffen-, Munitions-, Schieß- und Sprengmittelwesen sowie aus dem Pressewesen und den Vereins- und Versammlungsangelegenheiten.
...
Sicherheitsbehörden
§ 4. ...
(2) Dem Bundesminister für Inneres unmittelbar unterstellt besorgen Landespolizeidirektionen, ihnen nachgeordnet Bezirksverwaltungsbehörden die Sicherheitsverwaltung in den Ländern.
...
Beschwerden wegen Verletzung subjektiver Rechte
§ 88. (1) Die Landesverwaltungsgerichte erkennen über Beschwerden von Menschen, die behaupten, durch die Ausübung unmittelbarer sicherheitsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt in ihren Rechten verletzt worden zu sein (Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG).
...“
Verteilung der Zuständigkeiten zwischen den Verwaltungsgerichten
18Art. 131 B-VG verteilt die in Art. 130 B-VG vorgesehene generelle Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte zwischen den Verwaltungsgerichten des Bundes und der Länder. Die Verteilung der Zuständigkeiten in Bezug auf die in Art. 130 Abs. 1 B-VG angeführten Haupttypen des Verwaltungshandelns erfolgt in den Abs. 1 bis 5 des Art. 131 B-VG. Der Abs. 6 des Art. 131 B-VG regelt die Verteilung der Zuständigkeiten für den Fall, dass typenfreie Verhaltensbeschwerden nach Art. 130 Abs. 2 Z 1 B-VG einfachgesetzlich vorgesehen sind. Die Verteilung erfolgt - abgesehen von taxativ aufgezählten Ausnahmen - zugunsten der Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte der Länder durch eine Generalklausel (Art. 131 Abs. 1 B-VG; vgl. zu allem ua = VfSlg. 19.986).
Zuständigkeit des LVwG für die Sicherheitsverwaltung
19Zur grundsätzlichen Zuständigkeit der Landesverwaltungsgerichte für die Sicherheitsverwaltung, soweit sie durch die Sicherheitsbehörden besorgt wird, hat bereits der Verfassungsgerichtshof (VfGH) im obzitierten Erkenntnis VfSlg. 19.986/2015 resümierend ausgeführt:
„In den Angelegenheiten der Sicherheitsverwaltung fallen die Haupttypen des Verwaltungshandelns jedenfalls unter die Generalklausel des Art. 131 Abs. 1 B-VG und damit in die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte der Länder, da die Sicherheitsverwaltung weder in unmittelbarer noch in mittelbarer Bundesverwaltung besorgt wird [RV 1618 BlgNR 24. GP, 15 ...]. Dieser Zuständigkeit folgt die Zuständigkeit zur Entscheidung über eine Beschwerde wegen behaupteten Fehlverhaltens eines Organs nach § 5 SPG in Ausübung der Sicherheitspolizei im Bereich der Sicherheitsverwaltung schlechthin. Geht es hingegen etwa in einer Richtlinienbeschwerde um das Fehlverhalten im Zusammenhang mit der Ausübung der Fremdenpolizei, so wäre in Anwendung dieses Systems, da diese von Bundesbehörden vollzogen wird, gemäß Rückverweisung auf Art. 131 Abs. 2 B-VG das Verwaltungsgericht des Bundes zuständig“.
20Darauf aufbauend hat der Verwaltungsgerichtshof zu dieser Fragestellung in dem - mehrfach zitierten - Erkenntnis vom , Ra 2017/19/0261, Folgendes ausgeführt:
„§ 2 Abs. 2 SPG definiert die ‚Sicherheitsverwaltung’ als eine Summe von Rechtsangelegenheiten ... und begrenzt damit auch den Umfang der Rechtsmittelzuständigkeit des § 88 Abs. 2 SPG. Nach § 2 Abs. 1 SPG wird die Sicherheitsverwaltung von den Sicherheitsbehörden (vgl. § 4 SPG und Art. 78a B-VG) besorgt.
Der Begriff der Sicherheitsverwaltung im Sinn des § 2 Abs. 2 SPG bildet allerdings keinen Verfassungsbegriff, für seine Auslegung ist das Verständnis des einfachen Gesetzgebers maßgeblich (vgl. , ...).
Ausweislich der Gesetzesmaterialien zur Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012 (vgl. RV 1618 BlgNR 24. GP 15) fällt die ‚Sicherheitsverwaltung’ nach der Generalklausel des Art. 131 Abs. 1 B-VG in die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte der Länder, weil sie weder in unmittelbarer noch in mittelbarer Bundesverwaltung besorgt wird (vgl. VfSlg. 19.986/2015). Die in Art. 78a B-VG verankerte Behördenorganisation ist ein Vollzugsmodell, das eine Mischform darstellt und außerhalb des Art. 102 B-VG steht. Darauf nehmen auch die erwähnten Gesetzesmaterialien Bezug. Art. 78a B-VG kombiniert Bundes- und Landesbehörden in einer Weise, die weder der mittelbaren noch der unmittelbaren Bundesverwaltung eindeutig zuzuordnen sind .... Es handelt sich um eine Mischform, bei der auf unterer Ebene die Elemente der mittelbaren Bundesverwaltung dominieren, während sie auf mittlerer Ebene der unmittelbaren Bundesverwaltung nachgebildet ist .... Aus diesem Grund gelangt die Generalklausel des Art. 131 Abs. 1 B-VG zur Anwendung, was die grundsätzliche Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte der Länder in diesen Angelegenheiten zur Folge hat (vgl. RV 1618 BlgNR 24. GP 15). ...
Die Angelegenheiten der Sicherheitsverwaltung sind in § 2 Abs. 2 SPG taxativ aufgezählt ().
...
Ist wie im vorliegenden Fall - gestützt auf Art. 102 Abs. 2 B-VG - die Besorgung einzelner Angelegenheiten der Sicherheitsverwaltung (hier: eines Teiles des Passwesens) durch eine Bundesbehörde vorgesehen, die nicht zu den Sicherheitsbehörden im Sinn des B-VG zählt, kommt hinsichtlich der Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte die Generalklausel des Art. 131 Abs. 1 B-VG nicht zur Anwendung .... Es liegt in diesem Fall vielmehr - da es sich um unmittelbare Bundesverwaltung im Sinn des Art. 102 Abs. 2 B-VG handelt - eine Zuständigkeit des BVwG vor (Art. 131 Abs. 2 B-VG).“
21In diesem Sinne hat der Verwaltungsgerichtshof bereits festgehalten, dass für die von den Sicherheitsbehörden nach den Art. 78a ff B-VG sowie § 4 SPG besorgte Sicherheitsverwaltung nicht das BVwG, sondern die Landesverwaltungsgerichte zuständig sind (vgl. , mwN).
22Aus dieser Rechtsprechung ist abzuleiten, dass die Verwaltungsgerichte der Länder grundsätzlich für die Angelegenheiten der Sicherheitsverwaltung (nach § 2 Abs. 2 SPG) zuständig sind, soweit diese durch die Sicherheitsbehörden (iSd Art. 78a B-VG) besorgt werden.
23Diese Zuständigkeit hat ihre Grundlage in der Generalklausel des Art. 131 Abs. 1 B-VG, die zur Anwendung kommt, weil die Sicherheitsverwaltung weder in unmittelbarer noch in mittelbarer Bundesverwaltung besorgt wird (vgl. VfSlg. 19.986/2015) und die in Art. 78a B-VG verankerte Behördenorganisation ein Vollzugsmodell ist, das außerhalb des Art. 102 B-VG steht.
24In dieses System fügt sich § 88 Abs. 1 SPG ein, da diese Bestimmung in Angelegenheiten der Sicherheitsverwaltung als Rechtsgrundlage für eine an das Landesverwaltungsgericht zu richtende Maßnahmenbeschwerde gegen eine Landespolizeidirektion in Betracht kommt (vgl. , mwN; arg.: „sicherheitsbehördlicher“ in § 88 Abs. 1 SPG).
25Der vorliegende Revisionsfall bietet keinen Anlass, von der dargestellten Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abzugehen.
Zuständigkeit des LVwG für Angelegenheiten des GrekoG
26Wie angeführt sind die Angelegenheiten der Sicherheitsverwaltung in § 2 Abs. 2 SPG taxativ aufgezählt (vgl. nochmals , und für viele auch , mwN).
27Gemäß § 2 Abs. 2 SPG besteht die Sicherheitsverwaltung auch aus der Überwachung des Eintrittes in das Bundesgebiet und des Austrittes aus ihm. Sohin zählen Angelegenheiten des GrekoG zur Sicherheitsverwaltung nach dieser Bestimmung.
28Diese Angelegenheiten werden gemäß § 8 Abs. 1 GrekoG durch die Landespolizeidirektionen besorgt, die zu den Sicherheitsbehörden zählen (vgl. § 4 Abs. 2 SPG und Art. 78a Abs. 1 B-VG).
29Im Gegensatz zu der im zitierten Erkenntnis Ra 2017/19/0261 behandelten Rechtslage des FPG (betreffend Fremdenpässe und Konventionsreisepässe) hat der Gesetzgeber die Sicherheitsverwaltungsagenden des GrekoG nicht einer eigenen Bundesbehörde (dort im FPG dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl) übertragen (vgl. zu einer solchen Übertragung in die unmittelbare Bundesverwaltung und deren verfassungsrechtliche Vorgaben nochmals ).
30Somit liegt hier ein Fall der von den Sicherheitsbehörden, zu denen auch die Landespolizeidirektionen zählen, nach den Art. 78a ff B-VG besorgten Sicherheitsverwaltung vor, die unter die Generalklausel des Art. 131 Abs. 1 B-VG fällt (vgl. insoweit zur Abschiebung nach FPG bereits , mwN, unter anderem ebenso mit Hinweis auf VfSlg. 19.986/2015).
31In einem solchen Fall kommt § 88 Abs. 1 SPG als Rechtsgrundlage für eine an das Landesverwaltungsgericht zu richtende Maßnahmenbeschwerde gegen eine Landespolizeidirektion in Betracht (vgl. nochmals , mwN).
Ergebnis
32Da das LVwG seine Zuständigkeit in der vorliegenden Angelegenheit nach dem GrekoG somit zu Unrecht verneint hat, war der angefochtene Beschluss gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
33Die Entscheidung über den Aufwandersatz beruht auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am
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ECLI: | ECLI:AT:VWGH:2022:RO2021010023.J00 |
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