VwGH vom 20.09.2021, Ro 2020/08/0008
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Büsser und die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen sowie den Hofrat Mag. Stickler als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Klima, LL.M., über die Revision der Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen in 1051 Wien, Wiedner Hauptstraße 84-86, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom , I413 2228832-1/8E, betreffend Beiträge nach dem GSVG (mitbeteiligte Partei: H E in R, vertreten durch Dr. Esther Pechtl-Schatz, Rechtsanwältin in 6460 Imst, Rathausstraße 1/II), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
1Der Mitbeteiligte bezieht seit eine Alterspension nach dem GSVG. Die - nunmehr in der revisionswerbenden Sozialversicherungsanstalt der Selbständigen aufgegangene - Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft (SVA) schrieb dem Mitbeteiligten die Zahlung von Beiträgen zunächst mit Rückstandsausweis vor. Dagegen erhob der Mitbeteiligte Einwendungen.
2Mit Bescheid vom verpflichtete die SVA den Mitbeteiligten, rückständige Beiträge zur Sozialversicherung für den Zeitraum von bis von € 21.640,24, Kostenanteile von € 103,--, sowie Verzugszinsen und Nebengebühren bis von € 355,15 und für die Dauer des Zahlungsverzuges ab Verzugszinsen „im gesetzlichen Ausmaß“ zu zahlen.
3Begründend stellte die SVA die vom Mitbeteiligten noch nicht entrichteten Beiträge zur Sozialversicherung für die Jahre 2015 bis 2019 samt den weiteren vorgeschriebenen Beträgen rechnerisch dar. Hinsichtlich des Jahres 2015 sei zum Pensionsstichtag bereits ein rechtskräftiger Einkommensteuerbescheid vorgelegen, woraus sich eine endgültige Beitragsgrundlage ergebe. Hinsichtlich der weiteren Beiträge bis - dem Stichtag für die Pension - seien gemäß § 25 Abs. 7 GSVG die vorläufigen Beitragsgrundlagen heranzuziehen gewesen, weil bis zum Stichtag Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2016 bis 2018 noch nicht vorgelegen seien, sodass bis zu diesem Zeitpunkt noch keine Nachbemessung habe erfolgen können.
4Mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis gab das Bundesverwaltungsgericht der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde des Mitbeteiligten Folge und sprach aus, dass der Bescheid gemäß § 28 Abs. 5 VwGVG behoben werde. Die Revision erklärte das Bundesverwaltungsgericht für zulässig.
5Das Bundesverwaltungsgericht stellte fest, der Mitbeteiligte habe vor dem Antritt seiner Pension am eine seiner zwei Gewerbeberechtigungen zurückgelegt. Er sei jedoch weiterhin Inhaber einer Gewerbeberechtigung und als Musiklehrer selbständig erwerbstätig. Daraus ergebe sich eine aufrecht bestehende Pflichtversicherung nach dem GSVG. Zum Stichtag seien für die Jahre 2016 bis 2018 noch keine Einkommensteuerbescheide vorgelegen. Nunmehr seien diese jedoch vorhanden.
6Nach § 25 Abs. 7 GSVG seien vorläufige Beitragsgrundlagen, die zum Pensionsstichtag noch nicht nachbemessen worden seien, als endgültige Beitragsgrundlagen anzusehen. Im vorliegenden Fall sei jedoch zu beachten, dass der Mitbeteiligte auch nach Antritt der Pension weiterhin selbständig erwerbstätig und pflichtversichert sei. Damit greife aber die Ermittlung der Beitragsgrundlagen nach § 25 Abs. 6 GSVG und trete eine endgültige Beitragsgrundlage mit Vorliegen eines Einkommensteuerbescheides an die Stelle einer vorläufigen Beitragsgrundlage. Die Bestimmung des § 25 Abs. 7 GSVG sei daher nicht anzuwenden. Da die SVA dies verkannt habe, sei der Bescheid gemäß § 28 Abs. 5 VwGVG „ersatzlos zu beheben“ gewesen. Im „fortgesetzten Verfahren“ werde die SVA dem Mitbeteiligten die Beiträge für die Jahre 2016 bis 2018 unter Heranziehung der sich aufgrund der Einkommensteuerbescheide ergebenden Beitragsgrundlagen vorzuschreiben haben.
7Die Revision sei gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG als zulässig anzusehen. Es liege keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur aufgeworfenen Frage des Verhältnisses der Regelungen nach § 25 Abs. 7 GSVG und § 25 Abs. 6 GSVG vor. Es sei zu klären, ob § 25 Abs. 7 GSVG auch dann zur Anwendung gelange, wenn ein Versicherter nach dem Pensionsstichtag weiter selbstständig erwerbstätig sei.
8Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision. Das Bundesverwaltungsgericht hat das Vorverfahren durchgeführt, in dem der Mitbeteiligte eine Revisionsbeantwortung erstattet und die Abweisung der Revision beantragt hat.
9Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 2 Z 1 VwGG gebildeten Senat erwogen:
10Die Revision macht zur Begründung ihrer Zulässigkeit in Anknüpfung an die Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichtes zusammengefasst geltend, die Auslegung des § 25 Abs. 7 GSVG im angefochtenen Erkenntnis finde im Gesetzeswortlaut keine Deckung und weiche von (näher dargestellter) Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab.
11Die Revision ist zulässig und berechtigt.
12Vorab ist darauf hinzuweisen, dass die ersatzlose Behebung des Bescheides einer Verwaltungsbehörde durch ein Verwaltungsgericht eine Entscheidung in der Sache selbst darstellt. Ein solcherart in Form eines Erkenntnisses gefasster Spruch eines Verwaltungsgerichtes schließt eine neuerliche Entscheidung über den Verfahrensgegenstand durch die Verwaltungsbehörde grundsätzlich aus (vgl. , mwN). Die ersatzlose Behebung eines Bescheides setzt somit voraus, dass dieser nicht hätte ergehen dürfen und der dem materiellen Recht entsprechende Zustand nur durch die Kassation hergestellt werden kann. Dabei handelt es sich um eine „negative“ Sachentscheidung (vgl. , mwN; vgl. zu den hier nicht in Betracht kommenden Ausnahmen von diesen Grundsätzen ).
13Das Bundesverwaltungsgericht hat mit dem angefochtenen Erkenntnis den Bescheid der SVA behoben, ohne eine Zurückverweisung der Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die SVA auszusprechen. Damit in Übereinstimmung wird diese Vorgehensweise im Zuge der rechtlichen Beurteilung des Bundesverwaltungsgerichtes als ersatzlose Aufhebung bezeichnet. Andererseits lässt das Bundesverwaltungsgericht in seiner Begründung aber keinen Zweifel daran, dass im „fortgesetzten Verfahren“ gegenüber dem Mitbeteiligten eine neuerliche Vorschreibung der verfahrensgegenständlichen Beiträge nach dem GSVG für die Jahre 2015 bis 2019 - unter Zugrundelegung der dargestellten Rechtsansicht - zu erfolgen hätte. Dies entspräche einer aufhebenden und zurückverweisenden Entscheidung nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG. Eine solche hätte nicht durch Erkenntnis, sondern mit Beschluss zu erfolgen (vgl. , mwN).
14Eine Erörterung, ob die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtes somit als Aufhebung und Zurückverweisung nach § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG zu deuten ist (vgl. zu einer solchen Deutung in einer vergleichbaren Konstellation nochmals VwGH Ra 2020/07/0039), kann aber unterbleiben, weil sich das angefochtene Erkenntnis aus den im folgenden dargestellten Gründen jedenfalls als rechtswidrig erweist.
15Gemäß § 25 Abs. 1 GSVG sind für die Ermittlung der Beitragsgrundlage für Pflichtversicherte gemäß § 2 Abs. 1 GSVG grundsätzlich die im jeweiligen Kalenderjahr auf einen Kalendermonat der Erwerbstätigkeit im Durchschnitt entfallenden Einkünfte aus einer oder mehreren Erwerbstätigkeiten, die der Pflichtversicherung nach diesem Bundesgesetz unterliegen, heranzuziehen. Als Einkünfte gelten die Einkünfte im Sinne des Einkommensteuergesetzes 1988.
16Beitragsgrundlage ist nach § 25 Abs. 2 GSVG der gemäß § 25 Abs. 1 GSVG ermittelte Betrag, zuzüglich der im Beitragsjahr im Durchschnitt der Monate der Erwerbstätigkeit vorgeschriebenen Beiträge zur Kranken-, Arbeitslosen- und Pensionsversicherung und vermindert um die auf einen Sanierungsgewinn oder auf Veräußerungsgewinne nach den Vorschriften des EStG 1988 entfallenden Beträge.
17Wenn die für eine Feststellung der Beitragsgrundlagen notwendigen Nachweise (in der Regel der Einkommensteuerbescheid) für das betreffende Kalenderjahr noch nicht vorliegen, ist bei Pflichtversicherungen, die im drittvorangegangenen Kalenderjahr bereits bestanden haben, gemäß § 25a Abs. 1 Z 2 GSVG die vorläufige monatliche Beitragsgrundlage grundsätzlich die gemäß § 25 Abs. 2 GSVG für das drittvorangegangene Kalenderjahr festgestellte monatliche Beitragsgrundlage.
18Die endgültige Beitragsgrundlage im Sinn des § 25 Abs. 2 GSVG tritt gemäß § 25 Abs. 6 GSVG an die Stelle der vorläufigen Beitragsgrundlage, sobald die hiefür notwendigen Nachweise vorliegen.
19Nach § 25 Abs. 7 GSVG gelten vorläufige Beitragsgrundlagen gemäß § 25a GSVG, die gemäß § 25 Abs. 6 GSVG zum Stichtag (§ 113 Abs. 2 GSVG) noch nicht nachbemessen sind, als (endgültige) Beitragsgrundlagen gemäß § 25 Abs. 2 GSVG.
20Schon nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut stellt § 25 Abs. 7 GSVG somit allein darauf ab, dass die vorläufigen Beitragsgrundlagen zum Stichtag (§ 113 Abs. 2 GSVG) „noch nicht nachbemessen“ sind (vgl. ). Trifft dies zu, gelten vorläufige Beitragsgrundlagen nach § 25a GSVG als Beitragsgrundlagen im Sinn des § 25 Abs. 2 GSVG. Die spätere Vorlage des Einkommensteuerbescheides führt zu keiner Nachbemessung nach § 25 Abs. 6 GSVG (vgl. ; , 2010/08/0244; , 2000/08/0189). Der Verwaltungsgerichtshof hat weiters darauf hingewiesen, dass § 25 Abs. 7 GSVG eine abschließende Regelung hinsichtlich der Höhe der zum Stichtag noch nicht nachbemessenen Beitragsgrundlagen darstellt. Der Behörde ist insoweit bei der Feststellung der Beitragsgrundlagen kein Ermessen eingeräumt (vgl. ).
21Im vorliegenden Fall lagen zum Zeitpunkt des Stichtages unstrittig zwar ein Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2015, nicht aber Einkommensteuerbescheide für die folgenden Jahre vor. Hinsichtlich der Beitragsgrundlage für das Jahr 2015 war daher die gemäß § 25 Abs. 6 GSVG nachbemessene Beitragsgrundlage der Berechnung der Beiträge zur Sozialversicherung zu Grunde zu legen. Hinsichtlich der Höhe der zum Stichtag noch nicht nachbemessenen Beitragsgrundlagen für die Jahre 2016 bis 2018 waren dagegen gemäß § 25 Abs. 7 GSVG die vorläufigen Beitragsgrundlagen nach § 25a GSVG als Beitragsgrundlagen im Sinn des § 25 Abs. 2 GSVG anzusehen. Die spätere Vorlage der Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2016 bis 2018 führt zu keiner Nachbemessung im Sinn des § 25 Abs. 6 GSVG.
22Die Ansicht des Bundesverwaltungsgerichtes, der Umstand, dass der Mitbeteiligte nach Antritt der Pension weiterhin selbstständig erwerbstätig und nach dem GSVG pflichtversichert gewesen sei, habe hinsichtlich der Höhe der zum Stichtag noch nicht nachbemessenen Beitragsgrundlagen zu einer Nachbemessung nach § 25 Abs. 6 GSVG aufgrund der nunmehr vorliegenden Einkommensteuerbescheide für die Jahre 2016 bis 2018 zu führen, findet im Gesetzeswortlaut keine Deckung und entspricht auch nicht seinem Zweck, zum Pensionsstichtag jedenfalls das Vorhandensein endgültiger Beitragsgrundlagen für die Pensionsbemessung zu gewährleisten.
23Da das Bundesverwaltungsgericht somit die Rechtslage verkannt hat, war das angefochtene Erkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Wien, am
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ECLI: | ECLI:AT:VWGH:2021:RO2020080008.J00 |
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