VwGH vom 06.05.2020, Ro 2020/08/0004
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler, den Hofrat Dr. Strohmayer, die Hofrätin Dr. Julcher sowie die Hofräte Mag. Berger und Mag. Stickler als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Klima, LL.M., über die Revision der Pensionsversicherungsanstalt in Wien, vertreten durch Dr. Josef Milchram, Dr. Anton Ehm und Mag. Thomas Mödlagl, Rechtsanwälte in 1010 Wien, Singerstraße 12, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom , Zl. W156 2216016-1/2E, betreffend Selbstversicherung in der Pensionsversicherung gemäß § 18b ASVG (mitbeteiligte Partei: C D in R, vertreten durch Dr. Stefan Hoffmann, Dr. Thomas Herzog, Rechtsanwälte in 4840 Vöcklabruck, Stadtplatz 19; weitere Partei: Bundesminister für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.
Die revisionswerbende Pensionsversicherungsanstalt ist verpflichtet, der mitbeteiligten Partei den mit € 1.106,40 bestimmten Aufwand binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1Mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis hat das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) festgestellt, dass die Mitbeteiligte ab zur Selbstversicherung in der Pensionsversicherung gemäß § 18b ASVG berechtigt ist. Sie habe ihren Wohnsitz im Inland, lebe mit ihrem nahen Angehörigen, J K., im gleichen Haushalt und pflege ihn seit November 2017. Mit Bescheid der Sozialversicherungsanstalt der gewerblichen Wirtschaft vom sei der Pflegebedarf für J K. mit 137 Stunden monatlich festgestellt worden. Er beziehe Pflegegeld der Pflegestufe 3.
2Seit beziehe die Mitbeteiligte eine Alterspension nach dem GSVG.§ 18b ASVG würde nicht ausdrücklich anordnen, dass ein bescheidmäßig zuerkannter Anspruch auf eine laufende Leistung aus der gesetzlichen Pensionsversicherung die Berechtigung zur Selbstversicherung ausschließen würde. Vor der Einführung des § 18b ASVG habe für pflegende Angehörige lediglich die Möglichkeit einer Weiterversicherung nach § 17 ASVG bestanden. Mit § 18b ASVG sei auch für diejenigen Pflegepersonen ein Versicherungsschutz geschaffen worden, die nicht unmittelbar vor der Aufnahme der Pflege der Versichertengemeinschaft als Pflichtversicherte angehört hätten. Die Begünstigung des § 18b ASVG bestehe nun darin, dass die Beiträge für diese Selbstversicherung zur Gänze vom Bund getragen würden. Die Zeiten dieser Selbstversicherung würden für die Erfüllung der Mindestversicherungszeit nach § 4 Abs. 1 APG als Versicherungsmonate auf Grund einer Erwerbstätigkeit gelten. Während § 17 Abs. 1 ASVG die Weiterversicherung in der Pensionsversicherung ausgeschlossen habe, sobald die weiterversicherte Person in einer gesetzlichen Pensionsversicherung pflichtversichert gewesen sei oder einen bescheidmäßig zuerkannten Anspruch auf eine laufende Leistung aus der gesetzlichen Pensionsversicherung gehabt habe, würde § 18b ASVG keine vergleichbare Ausschlussbestimmung enthalten. Die Selbstversicherung gemäß § 18b ASVG könne auch dann gewährt werden, wenn die Pflege bloß unter erheblicher Beanspruchung der Arbeitskraft des Pflegenden vorgenommen werde, wodurch grundsätzlich noch Raum für eine Erwerbstätigkeit bliebe. Im vergleichbaren § 18a ASVG habe der Gesetzgeber den ehemaligen Ausschluss der Selbstversicherung für Zeiten, für die eine Pflichtversicherung oder Weiterversicherung in der gesetzlichen Pensionsversicherung oder ein bescheidmäßig zuerkannter Anspruch auf eine laufende Leistung aus einer eigenen gesetzlichen Pensionsversicherung bestand, mit der Novelle BGBl. I. Nr. 2/2015 mit aufgehoben. Auch aus § 18b Abs. 5 ASVG (Gleichstellung des Endes der Selbstversicherung mit dem Ausscheiden aus der Pflichtversicherung im Hinblick auf die Berechtigung zur Weiterversicherung) könne nicht geschlossen werden, dass die Selbstversicherung gemäß § 18b ASVG durch einen zuerkannten Anspruch auf eine Leistung aus einer eigenen gesetzlichen Pensionsversicherung ausgeschlossen würde. Das Bestehen eines Eigenpensionsanspruches würde nicht zum Wegfall der Berechtigung zur Selbstversicherung nach § 18b ASVG führen.
3Die Revision sei gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, weil es an Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage fehle, ob ein bescheidmäßig zuerkannter Anspruch auf eine laufende eigene Leistung aus einer gesetzlichen Pensionsversicherung die Selbstversicherung in der Pensionsversicherung gemäß § 18b ASVG ausschließe.
4Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die ordentliche Revision. Die Mitbeteiligte hat eine Revisionsbeantwortung erstattet, in der sie die kostenpflichtige Zurückweisung, in eventu die Abweisung der Revision beantragt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
5Die revisionswerbende Pensionsversicherungsanstalt (im Folgenden: PVA) bringt vor, die für eine Altersvorsorge ausschlaggebende Zugehörigkeit zur Risikogemeinschaft der Pensionsversicherung werde bei der Pflichtversicherung ex lege, bei der freiwilligen Versicherung durch „beitrittsabhängige Tatbestandserfüllung“ begründet. Eine Person, die eine Leistung aus eigener Pensionsversicherung beziehe, sei nicht mehr Teil der Risikogemeinschaft. Auch eine Weiterversicherung nach § 17 Abs. 1 ASVG sei nur möglich, solange die betreffende Person keinen bescheidmäßig zuerkannten Anspruch auf eine laufende Leistung aus einer eigenen gesetzlichen Pensionsversicherung habe. Dies müsse umso mehr für die gegenständliche Selbstversicherung nach § 18b ASVG gelten, bei der die Beiträge zur Gänze aus Mitteln des Bundes getragen würden. Mit der Zuerkennung einer Leistung aus eigener Pensionsversicherung sei eine weitere Vorsorge nicht mehr erforderlich. Jede freiwillige Versicherung in der Pensionsversicherung ziele darauf ab, künftig Leistungen in Anspruch zu nehmen. Mit der tatsächlichen Inanspruchnahme dieser Leistung werde die freiwillige Versicherung obsolet. Zeiten der Selbstversicherung nach § 18a und § 18b ASVG würden für die Erfüllung der Mindestversicherungszeit nach § 4 Abs. 1 APG als Versicherungsmonate auf Grund einer Erwerbstätigkeit gelten. Die Bestimmungen seien vor allem als beitragsrechtliche Begünstigungen zu sehen, würden aber im Übrigen den gleichen Zweck wie eine Selbstversicherung nach § 16a ASVG und eine Weiterversicherung nach § 17 ASVG erfüllen und seien daher auch von den gleichen Prämissen abhängig. Es sei mit dem Zweck und der Funktion einer freiwilligen Versicherung in der Pensionsversicherung nicht zu vereinbaren, dass sie auch für die Zeit des Bezugs einer Leistung aus einer eigenen Pensionsversicherung zulässig wäre. Eine Beeinflussung der Leistungshöhe durch eine freiwillige Versicherung könne zwar noch nach Eintritt des Versicherungsfalls, längstens aber bis zur Antragstellung erfolgen (Stichtagsregelung des § 223 Abs. 2 ASVG). Es würde auch keine Berechnungsbestimmung geben, wonach eine nach dem Stichtag eingegangene freiwillige Versicherung in der Pensionsversicherung Eingang in die Leistungsbemessung finden könnte. § 248c ASVG, der eine besondere Höherversicherung für erwerbstätige Pensionisten vorsehe, sei auf den vorliegenden Fall ebensowenig anwendbar wie - mangels Beiträgen zur Höherversicherung - § 248 ASVG. Bei § 18a ASVG sei der Gesetzgeber davon ausgegangen, dass die rechtlichen Folgen der Selbstversicherung nur bei einem erst in der Zukunft erfolgenden Pensionsantritt, nicht aber während des bereits laufenden Pensionsbezuges eintreten könnten. Mit der Streichung des § 18a Abs. 2 Z 1 ASVG durch das SVAG habe der Gesetzgeber nicht die Absicht verfolgt, eine Selbstversicherung in der Pensionsversicherung bei laufendem Bezug einer Leistung aus einer eigenen Pensionsversicherung zuzulassen und diese systemwidrig zu einer reinen beitragsbegünstigten Höherversicherung umzufunktionieren.
6Die Revision ist aus dem vom Bundesverwaltungsgericht genannten Grund zulässig. Sie ist aber nicht berechtigt.
7Gemäß § 18b Abs. 1 ASVG können sich Personen, die einen nahen Angehörigen oder eine nahe Angehörige mit Anspruch auf Pflegegeld zumindest in Höhe der Stufe 3 nach § 5 des Bundespflegegeldgesetzes oder nach den Bestimmungen der Landespflegegeldgesetze unter erheblicher Beanspruchung ihrer Arbeitskraft in häuslicher Umgebung pflegen, in der Pensionsversicherung selbstversichern, solange sie während des Zeitraumes dieser Pflegetätigkeit ihren Wohnsitz im Inland haben. Gemäß § 18b Abs. 5 ASVG steht das Ende der Selbstversicherung hinsichtlich der Berechtigung zur Weiterversicherung in der Pensionsversicherung dem Ausscheiden aus der Pflichtversicherung im Sinne des § 17 Abs. 1 Z 1 lit. a ASVG gleich.
8Gemäß § 18a Abs. 1 ASVG können sich Personen, die ein behindertes Kind unter überwiegender Beanspruchung ihrer Arbeitskraft in häuslicher Umgebung pflegen, in der Pensionsversicherung selbstversichern. Diese Selbstversicherung war nach § 18a Abs. 2 ASVG in der bis maßgeblichen Fassung BGBl. I Nr. 132/2005 für eine Zeit ausgeschlossen, während der (Z 1) „eine Pflichtversicherung oder Weiterversicherung oder andere Selbstversicherung in einer gesetzlichen Pensionsversicherung oder ein bescheidmäßig zuerkannter Anspruch auf eine laufende Leistung aus einer eigenen gesetzlichen Pensionsversicherung besteht“. § 18a Abs. 2 Z 1 ASVG wurde durch das Sozialversicherungs-Anpassungsgesetz - SVAG, BGBl. I Nr. 2/2015, mit Wirkung ab aufgehoben. Nach den dazu ergangenen Erläuterungen zur Regierungsvorlage 321 BlgNR 25. GP, 3, sollte dadurch die Selbstversicherung in der Pensionsversicherung für Zeiten der Pflege eines behinderten Kindes nach § 18a ASVG
„an die Selbstversicherung in der Pensionsversicherung für Zeiten der Pflege naher Angehöriger nach § 18b angeglichen werden, und zwar im Hinblick auf die Zulässigkeit der Ausübung einer Erwerbstätigkeit neben der Pflege und die Höhe der relevanten Beitragsgrundlage für diese Versicherung“.
9Im vorliegenden Fall ist strittig, ob - auch in Anbetracht der genannten Novellierung des § 18a ASVG - eine Selbstversicherung nach § 18b Abs. 1 ASVG zulässig ist, wenn ein bescheidmäßig zuerkannter Anspruch auf eine laufende Leistung aus einer eigenen gesetzlichen Pensionsversicherung besteht.
10Im Erkenntnis vom , Ro 2019/08/0019, hat der Verwaltungsgerichtshof zur Frage, ob eine Selbstversicherung nach § 18b Abs. 1 ASVG zulässig ist, wenn eine Weiterversicherung in einer gesetzlichen Pensionsversicherung besteht, ausgeführt, dass § 18a Abs. 2 Z 1 ASVG bis zur Novelle BGBl. I Nr. 2/2015 die Selbstversicherung nach § 18a ASVG für eine Zeit ausgeschlossen hat, während der eine Pflichtversicherung oder Weiterversicherung (der eine Beanspruchung der Arbeitskraft durch Pflege des nahen Angehörigen zu Grunde liegt) bestand. § 18b ASVG habe einen solchen Ausschluss für die Selbstversicherung nach § 18b ASVG von vornherein nicht vorgesehen. Das mit der Novelle BGBl. I Nr. 2/2015 zum Ausdruck gebrachte Ziel, neben der Pflege von Angehörigen (und der daraus erwachsenden Möglichkeit der Selbstversicherung nach § 18a oder § 18b ASVG) die Ausübung einer Erwerbstätigkeit zuzulassen, beziehe sich auch auf die Ermöglichung einer gleichzeitigen Weiterversicherung, zumal diese es dem Versicherten ermögliche, die mit seiner früheren Erwerbstätigkeit verbundene pensionsrechtliche Absicherung weiter zu führen. Aus der im Hinblick auf die Berechtigung zur Weiterversicherung erfolgte Gleichstellung des Endes der Selbstversicherung auf Grund der Pflege von Angehörigen in der Pensionsversicherung mit dem Ausscheiden aus der Pflichtversicherung im Sinne des § 17 Abs. 1 Z 1 lit. a ASVG (§ 18a Abs. 7 und § 18b Abs. 5 ASVG) könne nicht abgeleitet werden, dass zu einer bestehenden Weiterversicherung nach § 17 ASVG keine Selbstversicherung nach § 18b ASVG hinzutreten dürfte. Eine zeitliche Überschneidung einer Weiterversicherung nach § 17 ASVG und einer Selbstversicherung nach § 18b ASVG (unter Bildung der Beitragsgrundlage nach § 76b Abs. 5a ASVG) sei zulässig.
11Die Selbstversicherung nach § 18b ASVG gehört zu den freiwilligen Versicherungsverhältnissen, deren Begründung von einer Willenserklärung (Beitrittserklärung) daran Interessierter abhängt. Freiwillige Versicherungsverhältnisse stellen - abgesehen von Fällen der Höherversicherung - grundsätzlich ein Auffangbecken für solche Fälle dar, die aus verschiedenen Gründen nicht oder nicht mehr in die Pflichtversicherung einbezogen sind. Es gilt - insbesondere in den Fällen der Selbstversicherung in der Pensionsversicherung (§ 16a Abs. 1 ASVG) und in der Weiterversicherung in der Pensionsversicherung (§ 17 Abs. 1 ASVG) - der Grundsatz der Subsidiarität gegenüber der Pflichtversicherung (Risak in Tomandl (Hrsg.), Sozialversicherungssystem, 1.3.1).
12In den Fällen der Selbstversicherung auf Grund einer Angehörigenpflege iSd § 18a Abs. 1 und § 18b Abs. 1 ASVG gilt nach dem Gesagten dieser Grundsatz im Hinblick auf die Zulässigkeit der Ausübung einer Erwerbstätigkeit neben der Angehörigenpflege allerdings nicht.
13Die freiwilligen Versicherungen der Selbstversicherung in der Pensionsversicherung (§ 16a Abs. 2 Z 2 ASVG) und der Weiterversicherung in der Pensionsversicherung (§ 17 Abs. 1 letzter Halbsatz ASVG) sind zudem für den Fall ausgeschlossen, dass ein bescheidmäßig zuerkannter Anspruch auf eine monatlich wiederkehrende Geldleistung bzw. eine laufende Leistung aus einer eigenen gesetzlichen Pensionsversicherung besteht. Dieser Ausschluss beruht jeweils auf einer ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung.
14Weder § 18b ASVG noch - nach der Aufhebung der diesbezüglichen Einschränkung durch das SVAG - § 18a ASVG sehen im Fall eines bescheidmäßig zuerkannten Anspruchs auf eine laufende Leistung aus einer eigenen gesetzlichen Pensionsversicherung einen Ausschluss von der jeweiligen Selbstversicherung in der Angehörigenpflege vor, wie ihn der Gesetzgeber in den erwähnten Fällen der Selbstversicherung in der Pensionsversicherung und der Weiterversicherung in der Pensionsversicherung ausdrücklich angeordnet hat. Angesichts des eindeutigen Wortlauts des § 18b Abs. 1 ASVG, dem - wie nunmehr auch § 18a Abs. 1 ASVG - kein Hinweis darauf zu entnehmen ist, dass die Selbstversicherung für eine Zeit ausgeschlossen wird, während der ein bescheidmäßig zuerkannter Anspruch auf eine laufende Leistung aus einer eigenen gesetzlichen Pensionsversicherung besteht, entspricht das angefochtene Erkenntnis der Rechtslage.
15Die Revision war gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
16Die Zuerkennung von Aufwandersatz beruht auf den § 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014, BGBl. II Nr. 518/2013.
Wien, am
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ECLI: | ECLI:AT:VWGH:2020:RO2020080004.J00 |
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