VwGH vom 23.01.2020, Ro 2019/22/0009

VwGH vom 23.01.2020, Ro 2019/22/0009

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler, die Hofrätin Mag.a Merl und die Hofräte Dr. Mayr, Dr. Schwarz und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Thaler, über die Revision des K S T in W, vertreten durch Mag. Nuray Tutus-Kirdere, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Herrengasse 6-8/4/1, gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom , VGW- 151/094/5333/2019-9, betreffend Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt - EU" (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Landeshauptmann von Wien), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber, ein türkischer Staatsangehöriger, verfügt seit Jänner 2007 durchgehend über immer wieder - zuletzt mit Gültigkeitsdauer bis - verlängerte Aufenthaltstitel "Student". Am stellte er einen Antrag auf Zweckänderung auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "Rot-Weiß-Rot - Karte plus", den er mit Schriftsatz vom auf den Aufenthaltszweck "Daueraufenthalt - EU" gemäß § 45 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) änderte. 2 Für den Revisionswerber wurde ab eine Beschäftigungsbewilligung für eine unselbständige Erwerbstätigkeit ausgestellt. Die zuletzt ausgestellte Beschäftigungsbewilligung gemäß § 4c Ausländerbeschäftigungsgesetz (AuslBG) erfolgte für eine Tätigkeit als Marketingassistent im Ausmaß von 30 Wochenstunden.

3 Der Landeshauptmann von Wien (Behörde) wies mit Bescheid vom den Zweckänderungsantrag des Revisionswerbers ab. 4 Das Verwaltungsgericht Wien (VwG) wies die dagegen erhobene Beschwerde als unbegründet ab und erklärte eine ordentliche Revision für zulässig.

Begründend führte das VwG - soweit für das gegenständliche Verfahren relevant - aus, der Revisionswerber erfülle Art. 6 erster Spiegelstrich des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates vom über die Entwicklung der Assoziation (ARB 1/80). Damit stehe ihm implizit ein aus dem ARB 1/80 direkt ableitbares Aufenthaltsrecht zu (Hinweis auf ), er sei jedoch nicht als niedergelassen anzusehen. § 45 NAG setze die Richtlinie 2003/109/EG betreffend die Rechtsstellung langfristig aufenthaltsberechtigter Drittstaatsangehöriger um. Diese Richtlinie sei jedoch gemäß deren Art. 3 Abs. 2 lit. a auf Drittstaatsangehörige, die sich zum Zweck eines Studiums oder einer Berufsausbildung in einem Mitgliedstaat aufhielten, nicht anwendbar; sie kenne auch keine Unterscheidung zwischen Niederlassungsbewilligung und Aufenthaltsbewilligung. Die aus Art. 6 erster Spiegelstrich ARB 1/80 erfließende Aufenthaltsberechtigung sei zeitlich (auf die Dauer der Zugehörigkeit zum Arbeitsmarkt) befristet sowie inhaltlich (auf denselben Arbeitgeber) eingeschränkt und stelle somit eine begrenzte Aufenthaltsgenehmigung im Sinn des Art. 3 Abs. 2 lit. e der Richtlinie 2003/109/EG dar (Hinweis auf das Mangat Singh, C-502/10).

§ 45 NAG sei auf den vorliegenden Fall nicht anzuwenden, weil gegenständlich eine förmlich begrenzte Aufenthaltsgenehmigung vorliege.

5 Eine ordentliche Revision wurde für zulässig erklärt, weil es an Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu der Frage fehle, ob türkische Staatsangehörige, die unter Art. 6 erster Spiegelstrich ARB 1/80 fielen, als niedergelassen im Sinn des § 45 Abs. 1 und 2 NAG anzusehen seien und daher die Zeiten einer der Niederlassung vorausgehenden Aufenthaltsbewilligung "Student" zur Hälfte gemäß § 45 Abs. 2 NAG auf die Fünfjahresfrist des § 45 Abs. 1 NAG anzurechnen seien.

6 Dagegen richtet sich die vorliegende ordentliche Revision mit dem Antrag, das Erkenntnis des VwG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben "und reformatorisch in der Sache zu entscheiden".

7 Das Bundesministerium für Inneres schloss sich in seiner Revisionsbeantwortung der Rechtsansicht des VwG an.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

8 Die Revision ist angesichts der vom VwG formulierten und vom Revisionswerber übernommenen Zulässigkeitsbegründung zulässig, sie ist aber nicht begründet.

9 Art. 6 des Beschlusses des - durch das Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Türkei errichteten - Assoziationsrates vom , Nr. 1/80, über die Entwicklung der Assoziation (ARB) lautet:

"Artikel 6

(1) Vorbehaltlich der Bestimmungen in Artikel 7 über den freien Zugang der Familienangehörigen zur Beschäftigung hat der türkische Arbeitnehmer, der dem regulären Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates angehört, in diesem Mitgliedstaat

  • nach einem Jahr ordnungsgemäßer Beschäftigung Anspruch auf Erneuerung seiner Arbeitserlaubnis bei dem gleichen Arbeitgeber, wenn er über einen Arbeitsplatz verfügt;

  • nach drei Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung - vorbehaltlich des den Arbeitnehmern aus den Mitgliedstaaten der Gemeinschaft einzuräumenden Vorrangs - das Recht, sich für den gleichen Beruf bei einem Arbeitgeber seiner Wahl auf ein unter normalen Bedingungen unterbreitetes und bei den Arbeitsämtern dieses Mitgliedstaates eingetragenes anderes Stellenangebot zu bewerben;

  • nach vier Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung freien Zugang zu jeder von ihm gewählten Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis.

(2) Der Jahresurlaub und die Abwesenheit wegen Mutterschaft, Arbeitsunfall oder kurzer Krankheit werden den Zeiten ordnungsgemäßer Beschäftigung gleichgestellt. Die Zeiten unverschuldeter Arbeitslosigkeit, die von den zuständigen Behörden ordnungsgemäß festgestellt worden sind, sowie die Abwesenheit wegen langer Krankheit werden zwar nicht den Zeiten ordnungsgemäßer Beschäftigung gleichgestellt, berühren jedoch nicht die aufgrund der vorherigen Beschäftigungszeit erworbenen Ansprüche.

(3) Die Einzelheiten der Durchführung der Absätze 1 und 2 werden durch einzelstaatliche Vorschriften festgelegt."

Die maßgeblichen Bestimmungen des NAG , BGBl. I Nr. 100/2005 in der Fassung BGBl. I Nr. 56/2018, lauteten auszugsweise:

"Begriffsbestimmungen

§ 2. (1) Im Sinne dieses Bundesgesetzes ist ...

12. Zweckänderungsantrag: der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels mit anderem Zweckumfang während der Geltung eines Aufenthaltstitels (§ 26);

...

(2) Niederlassung ist der tatsächliche oder zukünftig beabsichtigte Aufenthalt im Bundesgebiet zum Zweck

1. der Begründung eines Wohnsitzes, der länger als sechs Monate im Jahr tatsächlich besteht;

2. der Begründung eines Mittelpunktes der Lebensinteressen oder

3. der Aufnahme einer nicht bloß vorübergehenden Erwerbstätigkeit.

(3) Der rechtmäßige Aufenthalt eines Fremden auf Grund einer Aufenthaltsbewilligung (§ 8 Abs. 1 Z 12) gilt nicht als Niederlassung im Sinne des Abs. 2.

(4) ...

Arten und Form der Aufenthaltstitel

§ 8. (1) Aufenthaltstitel werden erteilt als:

...

7. Aufenthaltstitel 'Daueraufenthalt - EU' für die Dokumentation des unbefristeten Niederlassungsrechts, unbeschadet der Gültigkeitsdauer des Dokuments;

...

12. 'Aufenthaltsbewilligung' für einen vorübergehenden befristeten Aufenthalt im Bundesgebiet zu einem bestimmten Zweck (§§ 58 bis 69).

...

Zweckänderungsverfahren

§ 26. Wenn der Fremde den Aufenthaltszweck während seines Aufenthalts in Österreich ändern will, hat er dies der Behörde im Inland unverzüglich bekannt zu geben. Eine Zweckänderung ist nur zulässig, wenn der Fremde die Voraussetzungen für den beantragten Aufenthaltstitel erfüllt und ein gegebenenfalls erforderlicher Quotenplatz zur Verfügung steht. Sind alle Voraussetzungen gegeben, hat der Fremde einen Rechtsanspruch auf Erteilung dieses Aufenthaltstitels. Liegen die Voraussetzungen nicht vor, ist der Antrag abzuweisen; die Abweisung hat keine Auswirkung auf das bestehende Aufenthaltsrecht.

Aufenthaltstitel 'Daueraufenthalt - EU'

§ 45. (1) Drittstaatsangehörigen, die in den letzten fünf Jahren ununterbrochen tatsächlich niedergelassen waren, kann ein Aufenthaltstitel 'Daueraufenthalt - EU' erteilt werden, wenn sie

  1. die Voraussetzungen des 1. Teiles erfüllen und

  2. das Modul 2 der Integrationsvereinbarung (§ 10 IntG) erfüllt haben.

(2) Zur Niederlassung berechtigten Drittstaatsangehörigen ist die Zeit eines unmittelbar vorangehenden rechtmäßigen Aufenthalts im Bundesgebiet auf Grund einer Aufenthaltsbewilligung (§ 8 Abs. 1 Z 12) oder eines Aufenthaltstitels 'Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz' (§ 57 AsylG 2005) zur Hälfte auf die Fünfjahresfrist gemäß Abs. 1 anzurechnen. Zur Niederlassung berechtigten Drittstaatsangehörigen ist die Zeit eines unmittelbar vorangehenden rechtmäßigen Aufenthaltes im Bundesgebiet aufgrund einer 'Aufenthaltsberechtigung plus' (§ 54 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005) oder einer 'Aufenthaltsberechtigung' (§ 54 Abs. 1 Z 2 AsylG 2005) zur Gänze auf die Fünfjahresfrist anzurechnen.

(3) ...

Studenten

§ 64. (1) Drittstaatsangehörigen kann eine Aufenthaltsbewilligung für Studierende ausgestellt werden, wenn sie

  1. die Voraussetzungen des 1. Teiles erfüllen und

  2. ein ordentliches Studium an einer Universität, Fachhochschule, akkreditierten Privatuniversität, öffentlichen oder privaten Pädagogischen Hochschule gemäß dem Hochschulgesetz 2005, BGBl. I Nr. 30/2006, absolvieren,

  3. 3....

(4) Drittstaatsangehörigen, die ein Studium oder eine Ausbildung gemäß Abs. 1 Z 2, 3, 5 oder 7 erfolgreich abgeschlossen haben und die Erteilung eines Aufenthaltstitels gemäß § 41, 42 oder 43c anstreben, kann die Aufenthaltsbewilligung als Student im Rahmen eines Verfahrens nach § 24 Abs. 1 einmalig zum Zweck der Arbeitssuche oder der Unternehmensgründung für die Dauer von zwölf Monaten (§ 20 Abs. 1) verlängert werden, sofern die Voraussetzungen des 1. Teiles mit Ausnahme des § 11 Abs. 2 Z 2 weiter vorliegen.

(5) ..."

Art. 3 der Richtlinie 2003/109/EG des Rates vom betreffend die Rechtsstellung der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen, idF 2011/51/EU, lautet auszugsweise:

"Artikel 3

Anwendungsbereich

(1) Diese Richtlinie findet auf Drittstaatsangehörige Anwendung, die sich rechtmäßig im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufhalten.

(2) Diese Richtlinie findet keine Anwendung auf Drittstaatsangehörige,

  1. die sich zwecks Studiums oder Berufsausbildung aufhalten;

  2. ...

  3. die sich ausschließlich vorübergehend wie etwa als Au-pair

  4. oder Saisonarbeitnehmer, als von einem Dienstleistungserbringer im Rahmen der grenzüberschreitenden Erbringung von Dienstleistungen entsendete Arbeitnehmer oder als Erbringer grenzüberschreitender Dienstleistungen aufhalten oder deren Aufenthaltsgenehmigung förmlich begrenzt wurde;

  5. f)..."

  6. 10 Wie der Verwaltungsgerichtshof (vgl. etwa , mwN) bereits aussprach, setzt § 45 NAG unter anderem voraus, dass der Drittstaatsangehörige in den letzten fünf Jahren ununterbrochen tatsächlich niedergelassen war. Eine Aufenthaltsbewilligung "Student" gilt gemäß § 2 Abs. 3 NAG nicht als Niederlassung; einer solchen Aufenthaltsbewilligung ist wesensimmanent, dass sie an die Dauer des Studiums gebunden ist und (ausgenommen eine einmalige Verlängerung nach erfolgreichem Abschluss des Studiums zum Zweck der Arbeitssuche oder der Unternehmensgründung gemäß § 64 Abs. 4 NAG) nicht über dessen Ende hinaus verlängert werden kann. Die Voraussetzung, niedergelassen zu sein, ist somit mit einer Aufenthaltsbewilligung "Student" nicht erfüllt. Daran ändert auch der Umstand, dass der Drittstaatsangehörige seinen Lebensmittelpunkt weiterhin im Bundesgebiet hat, aufgrund des klaren Wortlautes des § 2 Abs. 3 NAG nichts.

Das VwG ging somit zutreffend davon aus, dass der Revisionswerber aufgrund der ihm erteilten Aufenthaltsbewilligung "Student" nicht als niedergelassen anzusehen ist.

11 Der Revisionswerber argumentiert, er könne ein Aufenthaltsrecht unmittelbar aus dem ARB 1/80 herleiten, eine Aufenthaltserlaubnis für die Anerkennung dieses Aufenthaltsrechts habe nur deklaratorische Bedeutung und Beweisfunktion. Die Richtlinie 2003/109/EG schließe zwar Studenten von ihrem Anwendungsbereich aus; "'(d)ie belangte Behörde' verkennt jedoch die Rechtslage und unterstellt das aus dem Unionsrecht erfließende Aufenthaltsrecht nicht unter ein Niederlassungsrecht, weshalb sie eine rechtswidrige Entscheidung traf". Das Aufenthaltsrecht des Revisionswerbers werde seit aus Art. 6 Abs. 1 erster Spiegelstrich ARB 1/80 abgeleitet. Die Zweckänderung erfolge daher nicht direkt vom Aufenthaltstitel "Student" auf "Daueraufenthalt - EU". Beim Aufenthaltsrecht im Sinn des Art. 6 Abs. 1 erster Spiegelstrich ARB 1/80 handle es sich keinesfalls um eine förmlich begrenzte Aufenthaltsgenehmigung im Sinn des Art. 3 Abs. 2 lit. e der Richtlinie 2003/109/EG (Hinweis auf Payir u.a., C-294/06, wonach auch Studenten - sofern sie die Kriterien des Art. 6 ARB 1/80 erfüllen - ein mit der Beschäftigung einhergehendes Aufenthaltsrecht beanspruchen könnten); sämtliche Niederlassungsbewilligungen im NAG seien zeitlich ("zumeist mit mindestens 1 Jahr", oder die "Rot-Weiß-Rot - Karte" gemäß § 41 NAG mit maximal zwei Jahren Gültigkeit) und inhaltlich befristet. Das unmittelbar aus dem ARB 1/80 herzuleitende Aufenthaltsrecht stelle keine Aufenthaltsbewilligung, sondern eine Niederlassungsbewilligung dar. Der Revisionswerber habe daher bereits am ein Niederlassungsrecht gestützt auf Art. 6 Abs. 1 erster Spiegelstrich ARB 1/80 erlangt. Er erfülle auch alle Voraussetzungen gemäß § 2 Abs. 2 NAG (Wohnsitz länger als sechs Monate, Mittelpunkt des Lebensinteresses und Aufnahme einer nicht bloß vorübergehenden Erwerbstätigkeit).

12 Dazu ist zunächst auszuführen, dass das VwG ohnehin von einem aus dem ARB 1/80 direkt ableitbaren Aufenthaltsrecht des Revisionswerbers ausging; insofern steht das angefochtene Erkenntnis mit dem in der Revision zitierten Urteil des EuGH, Payir u.a., C-294/06, im Einklang. Der Revision ist auch zuzustimmen, dass für ein solches abgeleitetes Aufenthaltsrecht eine nationale Aufenthaltsberechtigung bloß deklaratorischen Charakter hat (vgl. etwa , Rn. 24, mit Hinweisen auf die Rechtsprechung des EuGH). Strittig ist jedoch, ob türkische Staatsangehörige, die ihr Aufenthaltsrecht direkt aus Art. 6 Abs. 1 erster Spiegelstrich ARB 1/80 ableiten, die Voraussetzung des § 45 Abs. 1 NAG zur Erteilung eines Aufenthaltstitels "Daueraufenthalt - EU" erfüllen.

13 Mit Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 wurde ein System der abgestuften Eingliederung der türkischen Arbeitnehmer in den Arbeitsmarkt des Aufnahmemitgliedstaates geschaffen. Aus der Systematik und der praktischen Wirksamkeit dieses Systems folgt, dass die in den drei Spiegelstrichen dieser Bestimmung jeweils aufgestellten Bedingungen von den Betroffenen nacheinander erfüllt werden müssen (vgl. , Rn. 14, unter Hinweis auf Sedef, C-230/03, Rn. 37).

Erfüllt ein türkischer Staatsangehöriger die in Art. 6 Abs. 1 erster Spiegelstrich ARB 1/80 aufgestellten Voraussetzungen, kann er nach Ablauf des ersten Arbeitsjahres eine Erneuerung seiner Arbeitserlaubnis bei demselben Arbeitgeber und ein entsprechendes Aufenthaltsrecht verlangen (vgl. Payir u.a., C- 294/06, Rn. 39). Nach Ablauf des im Art. 6 Abs. 1 zweiter Spiegelstrich ARB 1/80 vorgesehenen Zeitraumes von drei Jahren ist der türkische Arbeitnehmern berechtigt, sich für den gleichen Beruf bei einem Arbeitgeber seiner Wahl auf ein unter normalen Bedingungen unterbreitetes und bei den Arbeitsämtern dieses Mitgliedstaates eingetragenes anderes Stellenangebot zu bewerben. Ein uneingeschränktes Recht auf freien Zugang zu jeder von ihm gewählten Beschäftigung gemäß dem dritten Spiegelstrich besteht erst nach vier Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung. 14 Nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sind dem Wortlaut des ARB 1/80 keine expliziten aufenthaltsrechtlichen Vergünstigungen zu entnehmen. Allerdings impliziert ein Recht auf Beschäftigung notwendigerweise ein Aufenthaltsrecht. Ein derartiges Aufenthaltsrecht stellt eine Folge des Rechts auf Zugang zum Arbeitsmarkt bzw. die tatsächliche Ausübung einer Beschäftigung gemäß Art. 6 ARB 1/80 dar (vgl. etwa , Rn. 8 ff, mwN). Das Aufenthaltsrecht kann jedoch nicht weiter reichen als das Recht auf Zugang zum Arbeitsmarkt. 15 Zur Auslegung von Art. 3 Abs. 2 Buchst. e der Richtlinie 2003/109, wonach diese Richtlinie unter anderem keine Anwendung auf Drittstaatsangehörige findet, "deren Aufenthaltsgenehmigung förmlich begrenzt wurde", verweist der Revisionswerber auf die Urteile des EuGH C-294/06 und vom , Eyüp, C-65/98 und dazu ergangene hg. Entscheidungen.

Für die Frage, ob ein aus dem ARB 1/80 abgeleitetes Aufenthaltsrecht "förmlich begrenzt" im Sinn von Art. 3 Abs. 2 lit. e Richtlinie 2003/109 ist, ist aus der zitierten Judikatur jedoch nichts zu gewinnen.

Dem , Singh, zufolge hat das nationale Gericht bei Auslegung des Art. 3 Abs. 2 lit. e Richtlinie 2003/109 zu prüfen, ob es "die förmliche Begrenzung einer Aufenthaltsgenehmigung im Sinne des nationalen Rechts zulasse, dass der Inhaber dieser Genehmigung in dem betreffenden Mitgliedstaat langfristig ansässig" sei, wobei die Tatsache, dass eine Aufenthaltsgenehmigung - auch über eine Dauer von fünf Jahren hinaus und insbesondere unbegrenzt - immer wieder verlängert werden könne, ein wichtiges Indiz dafür darstelle, dass die förmliche Begrenzung den Drittstaatsangehörigen nicht daran hindere, in dem betreffenden Mitgliedstaat langfristig ansässig zu sein (Rn. 51 ff).

Vorliegend stützt der Revisionswerber sein Aufenthaltsrecht nicht auf eine nach nationalem Recht erteilte Aufenthaltsbewilligung, sondern dieses ist Folge seines gemäß Art. 6 Abs. 1 erster Spiegelstrich ARB 1/80 auf denselben Arbeitgeber eingeschränkten Rechts auf Zugang zum Arbeitsmarkt bzw. der tatsächlichen Ausübung einer Beschäftigung. Sein Aufenthaltsrecht ist also von seiner beschäftigungsrechtlichen Situation abhängig. Es ist durch die Bindung an die Zugehörigkeit zum Arbeitsmarkt und an die Beschäftigung beim selben Arbeitgeber weder zeitlich noch inhaltlich unbeschränkt. Ausgehend davon kann dem VwG nicht entgegengetreten werden, wenn es von einem förmlich begrenzten Aufenthaltsrecht im Sinn des Art. 3 Abs. 2 lit. e der Richtlinie 2003/109 ausging und daraus folgerte, dass der Revisionswerber nicht als niedergelassen im Sinn des die Richtlinie 2003/109 umsetzenden § 45 Abs. 1 NAG anzusehen ist. 16 Zusammenfassend ergibt sich somit, dass der Revisionswerber aufgrund des aus Art. 6 Abs. 1 erster Spiegelstrich ARB 1/80 abgeleiteten Aufenthaltsrechts wegen dessen eingeschränkten Berechtigungsumfanges (Bindung an den gleichen Arbeitgeber) die Voraussetzung des § 45 Abs. 1 NAG zur Erteilung eines Aufenthaltstitels "Daueraufenthalt - EU" nicht erfüllt. 17 Die Revision war daher als unbegründet abzuweisen.

Wien, am

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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2020:RO2019220009.J00
Schlagworte:
Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Bindung an den Wortlaut des Gesetzes VwRallg3/2/1 Gemeinschaftsrecht Auslegung des Mitgliedstaatenrechtes EURallg2 Gemeinschaftsrecht Richtlinie EURallg4 Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtsanspruch Antragsrecht Anfechtungsrecht VwRallg9/2

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