VwGH vom 07.03.2019, Ro 2019/21/0001
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Eraslan, über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl gegen das Teilerkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom , W102 2191018-2/3E, betreffend Aberkennung der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde gegen eine Rückkehrentscheidung (mitbeteiligte Partei: M R, vertreten durch Edward W. Daigneault, Rechtsanwalt in 1160 Wien, Lerchenfelder Gürtel 45/11), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
1 Der Mitbeteiligte ist afghanischer Staatsangehöriger und stellte nach seiner Einreise nach Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz. Dieser Antrag wurde letztlich mit Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes (BVwG) vom vollinhaltlich abgewiesen, wobei unter einem (insbesondere) auch gemäß § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG gegen den Mitbeteiligten eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 2 Z 2 FPG - unter Festsetzung einer Frist für die freiwillige Ausreise mit 14 Tagen ab Rechtskraft dieser Rückkehrentscheidung - erging.
2 Da sich der Mitbeteiligte auch noch nach Ablauf der ihm gewährten Frist für eine freiwillige Ausreise im Bundesgebiet befand, leitete das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) gegen ihn ein weiteres aufenthaltsbeendendes Verfahren ein. Mit Bescheid vom sprach es schließlich aus, dass dem Mitbeteiligten ein Aufenthaltstitel gemäß § 57 AsylG 2005 nicht erteilt werde. Es erließ weiters gemäß § 10 Abs. 2 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 1 Z 1 FPG sowie gemäß § 53 Abs. 1 iVm Abs. 2 FPG ein zweijähriges Einreiseverbot, stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass die Abschiebung des Mitbeteiligten gemäß § 46 FPG nach Afghanistan zulässig sei, erkannte gemäß § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung die aufschiebende Wirkung ab und hielt fest, dass gemäß § 55 Abs. 4 FPG eine Frist für die freiwillige Ausreise nicht gewährt werde.
3 Auf Grund der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde des Mitbeteiligten erließ das BVwG das gegenständliche Teilerkenntnis mit Bezug auf die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung der gegen die Rückkehrentscheidung erhobenen Beschwerde, wobei es der Beschwerde insoweit Folge gab und den diesbezüglichen Spruchpunkt des angefochtenen Bescheides ersatzlos behob. Eine Revision erklärte das BVwG gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für zulässig.
4 Begründend führte das BVwG im Ergebnis aus, die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung könne vor dem Hintergrund des Gnandi, C-181/16, keinen Bestand haben. Der EuGH erachte die Erlassung einer Rückkehrentscheidung gleichzeitig mit der (ablehnenden) Entscheidung über einen Antrag auf internationalen Schutz für zulässig und halte auch deutlich fest, dass zufolge der "Verfahrensrichtlinie" in Verbindung mit der "Rückkehrrichtlinie" (Richtlinie 2008/115/EG, im Folgenden nur RF-RL) der Aufenthalt eines Fremden, dessen Antrag auf internationalen Schutz abgewiesen wurde, illegal werden könne. Im Fall der Erhebung eines Rechtsmittels gegen eine mit der Abweisung des Antrags auf internationalen Schutz verbundene Rückkehrentscheidung seien jedoch alle Wirkungen dieser Rückkehrentscheidung auszusetzen; es genüge dabei nicht, von einer zwangsweisen Vollstreckung der Rückkehrentscheidung abzusehen, sondern seien "im Gegenteil im Falle der Erhebung eines Rechtsmittels alle Rechtswirkungen der Rückkehrentscheidung aufgeschoben". Diese Aussagen des angeführten Urteils seien klar und deutlich und keiner weiteren Auslegung bedürftig. Dem gegenüber sehe § 18 Abs. 1 BFA-VG die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung gerade zu dem Zweck vor, dass die erlassene Rückkehrentscheidung durchsetzbar werde; es gehe also darum, die Rückkehrentscheidung einer Effektuierung zuzuführen, dies sei gerade "Ziel und Zweck" einer Aberkennung der aufschiebenden Wirkung, was sich u.a. aus § 18 Abs. 1 letzter Satz iVm § 16 Abs. 4 zweiter Satz BFA-VG ergebe. Genau diese Wirkungen einer Rückkehrentscheidung seien aber im Falle der Erhebung einer Beschwerde bis zur rechtskräftigen Entscheidung darüber durch das BVwG nach den Bestimmungen der RF-RL zufolge der verbindlichen Auslegung des EuGH ausgeschlossen. Da die gegenständlich herangezogene Bestimmung des § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG "in Verbindung mit einer Fallkonstellation im Sinne des § 18 Abs. 1 letzter Satz BFA-VG" der RF-RL insoweit entgegenstehe, sei sie unangewendet zu lassen. Der Ausspruch im zugrundeliegenden Bescheid des BFA, wonach einer Beschwerde gegen die Rückkehrentscheidung die aufschiebende Wirkung aberkannt werde, sei demnach schon deshalb ersatzlos zu beheben.
5 Gegen dieses Teilerkenntnis richtet sich die vorliegende Amtsrevision des BFA, zu der der Mitbeteiligte eine Revisionsbeantwortung erstattete.
Der Verwaltungsgerichtshof hat über diese Revision erwogen:
6 § 18 BFA-VG enthält Sonderregelungen für die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde durch das BFA. Diese Bestimmung hat - auszugsweise - in der hier maßgeblichen Fassung des FrÄG 2018 folgenden Wortlaut:
"Aberkennung der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde
§ 18. (1) Einer Beschwerde gegen eine abweisende Entscheidung
über einen Antrag auf internationalen Schutz kann das Bundesamt
die aufschiebende Wirkung aberkennen, wenn
1. der Asylwerber aus einem sicheren Herkunftsstaat (§ 19)
stammt,
2. schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass
der Asylwerber eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder
Ordnung darstellt,
3. der Asylwerber das Bundesamt durch falsche Angaben oder
Dokumente oder durch Verschweigen wichtiger Informationen oder
durch Zurückhalten von Dokumenten über seine Identität oder seine
Staatsangehörigkeit zu täuschen versucht hat,
4. der Asylwerber Verfolgungsgründe nicht vorgebracht hat,
5. das Vorbringen des Asylwerbers zu seiner
Bedrohungssituation offensichtlich nicht den Tatsachen entspricht,
6. gegen den Asylwerber vor Stellung des Antrags auf
internationalen Schutz eine durchsetzbare Rückkehrentscheidung,
eine durchsetzbare Ausweisung oder ein durchsetzbares
Aufenthaltsverbot erlassen worden ist, oder
7. der Asylwerber sich weigert, trotz Verpflichtung seine
Fingerabdrücke abnehmen zu lassen.
Hat das Bundesamt die aufschiebende Wirkung nicht aberkannt, so ist Abs. 2 auf diese Fälle nicht anwendbar. Hat das Bundesamt die aufschiebende Wirkung aberkannt, gilt dies als Aberkennung der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde gegen eine mit der abweisenden Entscheidung über einen Antrag auf internationalen Schutz verbundene Rückkehrentscheidung.
(2) Die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde gegen eine
Rückkehrentscheidung ist vom Bundesamt abzuerkennen, wenn
1. die sofortige Ausreise des Drittstaatsangehörigen im
Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich ist,
2. der Drittstaatsangehörige einem Einreiseverbot zuwider
in das Bundesgebiet zurückgekehrt ist oder
3. Fluchtgefahr besteht.
(3) Bei EWR-Bürgern, Schweizer Bürgern und begünstigten Drittstaatsangehörigen kann die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde gegen ein Aufenthaltsverbot aberkannt werden, wenn deren sofortige Ausreise oder die sofortige Durchsetzbarkeit im Interesse der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich ist.
(4) Der Beschwerde gegen eine Ausweisung gemäß § 66 FPG darf die aufschiebende Wirkung nicht aberkannt werden.
(5) ... (7)"
7 § 18 BFA-VG enthält mithin Regelungen für vier Konstellationen. Während sein erster Absatz Beschwerden gegen eine abweisende Entscheidung über einen Antrag auf internationalen Schutz zum Gegenstand hat und sich dabei - siehe den letzten Satz dieses Absatzes - insbesondere auf die mit der abweisenden Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz verbundene Rückkehrentscheidung bezieht, geht es im zweiten Absatz um sonstige Rückkehrentscheidungen, also um solche außerhalb eines Verfahrens auf internationalen Schutz. Der dritte Absatz bezieht sich auf Aufenthaltsverbote und der vierte Absatz schließlich normiert, dass der Beschwerde gegen eine Ausweisung (§ 66 FPG) die aufschiebende Wirkung überhaupt nicht aberkannt werden darf.
8 Überschneidungen des jeweiligen Anwendungsbereiches der eben dargestellten Absätze des § 18 BFA-VG sind ausgeschlossen. Das gilt insbesondere auch für das Verhältnis der beiden ersten Absätze dieser Bestimmung, die beide Rückkehrentscheidungen zum Gegenstand haben; denn im vorletzten Satz des § 18 Abs. 1 BFA-VG wird angeordnet, dass dann, wenn die aufschiebende Wirkung einer Beschwerde gegen eine abweisende Entscheidung über einen Antrag auf internationalen Schutz bzw. die damit verbundene Rückkehrentscheidung nicht aberkannt wird, der zweite Absatz des § 18 BFA-VG "auf diese Fälle nicht anwendbar" ist.
9 Der dem angefochtenen Erkenntnis des BVwG zugrundeliegende Bescheid des BFA vom hat dieser Systematik entsprochen. Die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde bezog sich nämlich auf eine Rückkehrentscheidung außerhalb asylrechtlichen Kontextes und wurde mithin - dem Grunde nach zutreffend - auf einen Tatbestand nach § 18 Abs. 2 BFA-VG gestützt. Die vom BVwG insoweit gesehene "Verbindung mit einer Fallkonstellation im Sinne des § 18 Abs. 1 letzter Satz BFA-VG" hat das BFA nicht vorgenommen und ist, wie sich aus dem Vorgesagten ergibt, vom Gesetz auch nicht vorgesehen.
10 Das vorausgeschickt, ist dann mit der Amtsrevision zu betonen, dass sich die Überlegungen im in den Rn. 4 erwähnten Urteil des EuGH Gnandi ausschließlich auf Rückkehrentscheidungen beziehen, die noch vor rechtskräftiger Erledigung eines Antrags auf internationalen Schutz erlassen werden, im System des österreichischen Rechts somit auf solche, die auf § 10 Abs. 1 AsylG 2005 bzw. § 52 Abs. 2 FPG gründen. Diesen Überlegungen kommt demnach im Rahmen des § 18 Abs. 1 BFA-VG, der sich auf derartige Rückkehrentscheidungen in Verbindung mit einer abweisenden Entscheidung über einen Antrag auf internationalen Schutz bezieht, Bedeutung zu (siehe dazu ). Geht es dagegen wie im vorliegenden Fall, in dem bereits eine rechtskräftige Abweisung eines Antrags auf internationalen Schutz samt rechtskräftiger Rückkehrentscheidung (Erkenntnis des BVwG vom ) vorliegt, um eine Rückkehrentscheidung "außerhalb asylrechtlichen Kontextes" nach § 10 Abs. 2 AsylG 2005 bzw. § 52 Abs. 1 FPG und damit um die (potentielle) Anwendung von § 18 Abs. 2 BFA-VG, so kommen die besagten Überlegungen nicht zum Tragen, zumal bei bereits erfolgter rechtskräftiger Abweisung eines Antrags auf internationalen Schutz insbesondere der dem Grundsatz der Nichtzurückweisung innewohnende Schutz, auf den der EuGH im genannten Urteil maßgeblich rekurriert (siehe dessen Rn. 56), nicht mehr zur Debatte steht.
11 Ob dessen ungeachtet das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf, wie es in Art. 13 der RF-RL in Übereinstimmung mit Art. 47 Abs. 1 GRC normiert ist, dem Ausschluss der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde gegen eine Rückkehrentscheidung nach § 18 Abs. 2 BFA-VBG entgegen steht, braucht fallbezogen nicht näher geprüft zu werden. Im Hinblick auf das Erkenntnis des BVwG vom existiert nämlich ohnehin bereits eine rechtskräftige Rückkehrentscheidung, wobei gerichtlicher Rechtschutz gewährleistet war. Jedenfalls in einer derartigen Konstellation - allein zum Zweck der Erlassung eines Einreiseverbotes vorgenommene nochmalige Erlassung einer Rückkehrentscheidung - steht der Anwendung des § 18 Abs. 2 BFA-VG daher auch unter dem zuletzt genannten Blickwinkel nichts entgegen.
12 Dass die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung einer Beschwerde gegen die gegenständliche (zweite) Rückkehrentscheidung nach § 18 Abs. 2 BFA-VG trotz der bereits vorliegenden durchsetzbaren Rückkehrentscheidung vom dennoch eine Rechtsverletzung des Mitbeteiligten bewirken konnte, ergibt sich dagegen schon aus § 55 FPG. Denn im Fall der Stattgabe der Beschwerde gegen die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung hätte es bei Bestätigung der Rückkehrentscheidung durch das BVwG zur Festlegung einer Frist für die freiwillige Ausreise zu kommen, was auch auf die erste Rückkehrentscheidung "durchschlägt". Die Beschwerde des Mitbeteiligten - auch - gegen die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung war daher entgegen der in der Amtsrevision vertretenen Ansicht nicht mangels Rechtsverletzungsmöglichkeit unzulässig. Ihr war aber nach dem zuvor Gesagten nicht schon aus den vom BVwG angestellten Erwägungen Folge zu geben, weshalb das angefochtene Teilerkenntnis gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben war. Die Ausführungen des Mitbeteiligten in seiner Revisionsbeantwortung vermögen daran nichts zu ändern, weil die dort problematisierte Notwendigkeit seiner Teilnahme an der in der Sache selbst (zunächst) anberaumten Beschwerdeverhandlung im Rahmen der noch zu überprüfenden Voraussetzungen des § 18 Abs. 2 Z 1 BFA-VG mit zu berücksichtigen ist.
Wien, am
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ECLI: | ECLI:AT:VWGH:2019:RO2019210001.J00 |
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