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VwGH vom 24.04.2020, Ro 2019/20/0004

VwGH vom 24.04.2020, Ro 2019/20/0004

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Senatspräsidentin Dr. Hinterwirth, den Hofrat Dr. Schwarz und die Hofrätin Mag. Schindler als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Kieslich, über die Revision der Österreichischen Botschaft Damaskus gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes vom , 1. W205 2124699- 1/6E, 2. W205 2131171-1/2E, und 3. W205 2131174-1/2E, jeweils betreffend Erteilung eines Einreisetitels gemäß § 26 FPG iVm § 35 AsylG 2005 (mitbeteiligte Parteien: 1. B A S 2. Y A, und

3. Z A, alle vertreten durch Dr. Andreas Waldhof, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Reichsratsstraße 13), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1 Die Erstmitbeteiligte ist eine staatenlose Palästinenserin. Ihre zwei minderjährigen Kinder (Zweit- und Drittmitbeteiligte) sind syrische Staatsangehörige. Am stellten sie bei der Österreichischen Botschaft Damaskus Anträge auf Erteilung eines Einreisetitels nach § 35 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), die sie damit begründeten, dass dem Ehemann der Erstmitbeteiligten und Vater der Zweit- und Drittmitbeteiligten (der Bezugsperson) mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom der Status des Asylberechtigten zuerkannt worden sei.

2 Mit Bescheid vom , bestätigt durch Beschwerdevorentscheidung vom , wies die Österreichische Botschaft Damaskus den Antrag der Erstmitbeteiligten ab. Begründend führte die Botschaft aus, das BFA habe mitgeteilt, dass die Stattgebung eines Antrages auf internationalen Schutz nicht wahrscheinlich sei, weil Doppel- und Mehrfachehen mit den Grundwerten der österreichischen Rechtsordnung nicht vereinbar und daher nicht gültig seien. Lediglich die erste Eheschließung der Bezugsperson mit einer anderen Frau als der Erstmitbeteiligten sei als gültig anzusehen. Eine Wahlmöglichkeit, welche Ehefrau nach Österreich kommen könne, bestehe nicht.

3 Die Anträge der Zweit- und Drittmitbeteiligten wies die Österreichische Botschaft Damaskus mit Bescheiden vom ab. Begründend führte sie aus, das BFA habe mitgeteilt, dass die Zuerkennung des Status von Asylberechtigten deshalb nicht wahrscheinlich sei, weil die Erstmitbeteiligte die Vorlage einer schriftlichen Einverständniserklärung zur alleinigen Einreise ihrer beiden Kinder nach Österreich sowie zu einer Übertragung der Obsorge an den Kindesvater verweigert habe. Den Kindern könne die Einreise jedoch nicht gegen den ausdrücklichen Willen der Kindesmutter gestattet werden. Mit Beschwerdevorentscheidungen vom wies die Behörde die gegen diese Bescheide erhobenen Beschwerden ab.

4 Am stellten die Erstmitbeteiligte und am die Zweit- und Drittmitbeteiligte gemäß § 15 VwGVG Vorlageanträge an das Bundesverwaltungsgericht (BVwG). 5 Mit dem angefochtenen Beschluss vom hob das BVwG sowohl den Bescheid vom und die Beschwerdevorentscheidung vom als auch die Bescheide vom und die Beschwerdevorentscheidungen vom auf und verwies die Angelegenheiten zur Erlassung neuer Bescheide an die Behörde zurück. Unter einem sprach das BVwG aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig sei. 6 Hinsichtlich der Erstmitbeteiligten begründete das BVwG seine Entscheidung zusammengefasst damit, das BFA bzw. die Botschaft hätten zu prüfen, ob Art. 8 EMRK es gebieten würde, allenfalls auch der Erstmitbeteiligten das beantragte Visum zu erteilen.

7 In Bezug auf die Zweit- und Drittmitbeteiligten führte das BVwG aus, es sei davon auszugehen, dass den leiblichen minderjährigen Kindern der Bezugsperson der Status der Asylberechtigten zuerkannt werde, weil die Erstmitbeteiligte den Einreiseantrag für ihre Kinder selbst gestellt habe und daher keine zusätzliche Zustimmungserklärung seitens der Kindesmutter erforderlich sei.

8 Die Revision sei zulässig, weil die Frage, ob hinsichtlich der Erstmitbeteiligten Art. 8 EMRK zu berücksichtigen sei, in der Rechtsprechung nicht oder nicht einheitlich beantwortet worden sei. In der älteren Rechtsprechung sei der Verwaltungsgerichtshof der Ansicht des Verfassungsgerichtshofes, wonach Art. 8 EMRK zu berücksichtigen sei, gefolgt (Hinweis auf ua.; , Ro 2015/18/0002 bis 0007). In seiner neueren Judikatur zu Verfahren nach § 35 AsylG 2005 scheine der Verwaltungsgerichtshof davon auszugehen, dass die Interessen in jenen Einreiseverfahren wahrzunehmen seien, die der Umsetzung der unionsrechtlichen Vorgaben zum Familiennachzug dienten (Hinweis auf ; , Ra 2017/19/0218). Es stelle sich daher die Rechtsfrage, ob im Rahmen eines Einreiseverfahrens hinsichtlich der Antragsteller untereinander oder der Bezugsperson eine Prüfung im Sinn des Art. 8 EMRK zu erfolgen habe.

9 Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende Revision der Österreichische Botschaft Damaskus. Zur Zulässigkeit der Revision wird ergänzend vorgebracht, die vom BVwG aufgeworfene Rechtsfrage hänge von der Beantwortung der Frage ab, ob eine Mehrfachehe den Grundwerten der österreichischen Rechtsordnung widerspreche und sich die Erstmitbeteiligte deshalb nicht auf die Eigenschaft als Familienangehörige nach § 35 Abs. 5 AsylG 2005 berufen könne. Es sei auch fraglich, ob Ermittlungen zum Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK angestellt werden müssten, wenn der Anwendungsbereich des § 35 AsylG 2005 - mangels Familieneigenschaft - nicht eröffnet sei.

10 Das BVwG legte nach Durchführung des Verfahrens nach § 30a VwGG die Revision samt den Verfahrensakten - die Mitbeteiligten erstatteten eine Revisionsbeantwortung - vor.

11 Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Revision - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat - erwogen:

12 Die Revision ist zulässig und begründet, weil - was die Revision hinreichend anspricht - das BVwG von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen ist.

13 § 28 VwGVG lautet (auszugsweise und samt Überschrift):

"Erkenntnisse

§ 28. (1) Sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist, hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen.

(2) Über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG hat das Verwaltungsgericht dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn

  1. der maßgebliche Sachverhalt feststeht oder

  2. die Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

(3) Liegen die Voraussetzungen des Abs. 2 nicht vor, hat das Verwaltungsgericht im Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem nicht bei der Vorlage der Beschwerde unter Bedachtnahme auf die wesentliche Vereinfachung oder Beschleunigung des Verfahrens widerspricht. Hat die Behörde notwendige Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen, so kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

(4) ...

..."

14 Nach der ständigen Rechtsprechung ist in § 28 VwGVG ein prinzipieller Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte normiert, weswegen die in § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG vorgesehene Möglichkeit der Kassation eines verwaltungsbehördlichen Bescheides streng auf ihren gesetzlich zugewiesenen Raum zu beschränken ist.

15 Von der Möglichkeit der Zurückverweisung kann nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden; eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt daher nur dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhaltes (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterlassen hat, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden.

16 Sind (lediglich) ergänzende Ermittlungen vorzunehmen, liegt die (ergänzende) Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht im Interesse der Raschheit im Sinn des § 28 Abs. 2 Z 2 erster Fall VwGVG, zumal diesbezüglich nicht bloß auf die voraussichtliche Dauer des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens alleine, sondern auf die Dauer des bis zur meritorischen Entscheidung insgesamt erforderlichen Verfahrens abzustellen ist. Nur mit dieser Sichtweise kann ein dem Ausbau des Rechtsschutzes im Sinn einer Verfahrensbeschleunigung Rechnung tragendes Ergebnis erzielt werden, führt doch die mit der verwaltungsgerichtlichen Kassation einer verwaltungsbehördlichen Entscheidung verbundene Eröffnung eines neuerlichen Rechtszugs gegen die abermalige verwaltungsbehördliche Entscheidung an ein Verwaltungsgericht insgesamt zu einer Verfahrensverlängerung (vgl. zum Ganzen etwa , mwN).

17 Soweit es die von der Zweit- und Drittmitbeteiligten gestellten Anträge betrifft, ist der Begründung des BVwG zu entnehmen, dass es davon ausgeht, dass die beantragten Visa zu erteilen seien. Weshalb dann im Sinn der oben dargestellten Rechtsprechung noch weitere Ermittlungen zu tätigen wären, ist nicht zu sehen. Schon deshalb war es verfehlt, in Bezug auf die Verfahren der Zweit- und Drittmitbeteiligten mit einer Zurückverweisung nach § 28 Abs. 3 VwGVG vorzugehen. 18 Hinsichtlich der Erstmitbeteiligten wiederum erachtet das BVwG noch weitergehende Ermittlungen für geboten, um beurteilen zu können, ob es unter dem Aspekt des Art. 8 EMRK geboten sei, der Erstmitbeteiligten selbst dann ein Visum nach § 26 FPG iVm § 35 AsylG 2005 zu erteilen, wenn ihr im Weg des § 34 AsylG 2005 der Status der Asylberechtigten nicht zuerkannt werden könnte (vgl. dazu bis 0466, mwN). Das BVwG zeigt aber nicht auf, dass die oben dargestellten Kriterien für eine Zurückverweisung nach § 28 Abs. 3 VwGVG erfüllt gewesen wären. Im vorliegenden Fall wären nämlich (die Erforderlichkeit solcher Erhebungen vorausgesetzt) schon ausgehend von den Erwägungen des Verwaltungsgerichts nur ergänzende Ermittlungen zu einem eng begrenzten Thema vorzunehmen. Daher ist (auch) in Bezug auf die Erstmitbeteiligte fallbezogen nicht zu sehen, dass die Voraussetzungen für eine Zurückverweisung nach § 28 Abs. 3 VwGVG vorgelegen wären.

19 Somit hat das BVwG schon aus diesen Gründen den angefochtenen Beschluss mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet.

20 Hingegen hängt die Revision vor diesem Hintergrund von den sonst in ihr und vom BVwG aufgeworfenen Fragen nicht ab, weshalb darauf an dieser Stelle nicht weiter einzugehen war. 21 Lediglich der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass es zudem Aufgabe des BVwG sein wird, sich im fortzusetzenden Verfahren auch des Näheren anhand der in der Rechtsprechung aufgestellten Kriterien ausführlich mit der Frage auseinanderzusetzen, ob die hier in Rede stehende Ehe wegen eines Verstoßes gegen den ordre public nicht anzuerkennen sei, und - unter Berücksichtigung des Vorbringens der Erstmitbeteiligten zum entscheidungsmaßgeblichen Sachverhalt - die dafür erforderlichen Feststellungen zu treffen, um die Beurteilung im konkreten Einzelfall zu ermöglichen (vgl. , mwN, wonach wesentliche Voraussetzung für das Eingreifen der Vorbehaltsklausel ist, dass das Ergebnis der Anwendung fremden Sachrechts und nicht bloß dieses selbst anstößig ist; vgl. auch ua, wonach die "Unerträglichkeit des konkreten Ergebnisses im Einzelfall" vorliegen muss). 22 Nach dem Gesagten war der angefochtene Beschluss wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Wien, am

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2020:RO2019200004.J00

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