VwGH vom 20.02.2019, Ro 2019/20/0001
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler, den Hofrat Mag. Eder, die Hofrätin Dr. Leonhartsberger, den Hofrat Dr. Schwarz und die Hofrätin Mag. Schindler als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Honeder, BSc, über die Revision des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl in 1030 Wien, Modecenterstraße 22, gegen Spruchpunkt A) I. des Erkenntnisses des Bundesverwaltungsgerichts vom , W234 2202175-1/9E, betreffend Aberkennung der aufschiebenden Wirkung nach § 18 BFA-VG (Mitbeteiligter: I K, vertreten durch Mag. Ronald Frühwirth, Rechtsanwalt in 8020 Graz, Grieskai 48), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird in seinem Spruchpunkt A) I. wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
1 Der aus Georgien stammende Mitbeteiligte stellte am einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005).
2 Mit Bescheid vom wurde dieser Antrag vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hinsichtlich des Begehrens auf Zuerkennung sowohl des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als auch des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 abgewiesen (Spruchpunkte I. und II.). Unter einem sprach die Behörde aus, dass dem Mitbeteiligten ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt werde (Spruchpunkt III.). Weiters erließ sie gestützt auf § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 und § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) gegen den Mitbeteiligten eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.), stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass seine Abschiebung nach Georgien zulässig sei (Spruchpunkt V.) und sprach aus, dass gemäß § 55 Abs. 1a FPG keine Frist für die freiwillige Ausreise bestehe (Spruchpunkt VI.) sowie dass einer Beschwerde gegen die Entscheidung über den Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 18 Abs. 1 Z 1 BFA-VG die aufschiebende Wirkung aberkannt werde (Spruchpunkt VII.).
3 In seiner Begründung führte das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse in Bezug auf die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung - aus, der Mitbeteiligte sei georgischer Staatsangehöriger. Georgien gelte (gemäß § 1 Z 12 Herkunftsstaaten-Verordnung) als sicherer Herkunftsstaat. Demnach seien die Voraussetzungen des § 18 Abs. 1 Z 1 BFA-VG erfüllt. Für den Mitbeteiligten sei bei einer Rückkehr in den Herkunftsstaat "keine reale Gefahr einer Menschenrechtsverletzung" gegeben. Daher bedürfe der Mitbeteiligte nicht des Schutzes Österreichs. Es sei im Interesse eines geordneten Fremdenwesens die sofortige Umsetzung der aufenthaltsbeendenden Maßnahme geboten. Der Antrag auf internationalen Schutz habe keine Aussicht auf Erfolg. Es drohe dem Mitbeteiligten in seinem Heimatland "auch keine sonstige reale und menschenrechtsrelevante Gefahr", weshalb es ihm zumutbar sei, den Ausgang seines Verfahrens dort abzuwarten. Sein Interesse am Verbleib im Bundesgebiet habe gegenüber dem Interesse Österreichs auf eine rasche und effektive Durchsetzung der Rückkehrentscheidung zurückzutreten.
4 Mit Spruchpunkt A) I. des in Revision gezogenen (Teil-)Erkenntnisses gab das Bundesverwaltungsgericht der Beschwerde des Mitbeteiligten, soweit sich diese gegen die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung richtete, Folge, und hob Spruchpunkt VII. des Bescheides des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl ersatzlos auf. Unter einem sprach das Verwaltungsgericht aus, dass die Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig sei.
5 In seiner Begründung führte das Bundesverwaltungsgericht aus, aufgrund des Urteils des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH) vom , Gnandi, C-181/16, könne die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung keinen Bestand haben. Aus diesem Urteil ergebe sich, dass nach den unionsrechtlichen Vorgaben im Fall der Erhebung eines Rechtsmittels gegen die Erlassung einer mit der Abweisung des Antrags auf internationalen Schutz verbundenen Rückkehrentscheidung alle Wirkungen der Rückkehrentscheidung auszusetzen seien. Dabei genüge es nicht, von einer zwangsweisen Vollstreckung abzusehen. Die im vorliegenden Fall von der Behörde herangezogene Bestimmung des § 18 Abs. 1 Z 1 BFA-VG stehe im Widerspruch zur Rückführungsrichtlinie, weshalb sie unangewendet zu lassen sei. Daher sei der mit Spruchpunkt VII. des beim Verwaltungsgericht angefochtenen Bescheides erfolgte Ausspruch ersatzlos zu beheben.
6 Die Zulassung der Revision begründete das Bundesverwaltungsgericht mit dem Fehlen von Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu dieser Rechtsfrage.
7 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl brachte in der Folge eine ordentliche Revision gegen diese Entscheidung ein. Die Revision wurde vom Bundesverwaltungsgericht samt den Verfahrensakten nach Durchführung des Verfahrens nach § 30a VwGG dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegt.
8 Der Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung.
9 Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Revision erwogen:
10 Die Amtsrevision, die sich in ihrem Anfechtungsumfang allein auf den Spruchpunkt A) I. des angefochtenen Erkenntnisses beschränkt, beruft sich zu ihrer Zulässigkeit nicht allein auf das Fehlen von Rechtsprechung, sondern führt auch näher aus, weshalb sich nach Ansicht der revisionswerbenden Behörde die Beurteilung des Verwaltungsgerichts als rechtswidrig darstellt. Die Revision erweist sich vor dem Hintergrund dieses Vorbringens als zulässig und berechtigt.
11 Soweit in der Revision allerdings einleitend angemerkt wird, der gegenständliche Rechtsfall sei vorerst einer Abteilung der Außenstelle Linz des Bundesverwaltungsgerichts (Zuweisungsgruppe "AFR-L3") zugewiesen worden und dem Erkenntnis sei nicht zu entnehmen, warum die "Gerichtsabteilung aus Wien" W234 entschieden habe, ist festzuhalten, dass damit Bedenken hinsichtlich der richtigen Besetzung des Bundesverwaltungsgerichts nicht konkret geäußert werden.
12 Es ist aber der Vollständigkeit halber darauf hinzuweisen, dass die vorliegende Rechtssache dem ursprünglich nach der Geschäftsverteilung zuständigen Richter mit der auf der Grundlage des § 17 Abs. 3 Bundesverwaltungsgerichtsgesetz ergangenen Verfügung des Geschäftsverteilungsausschusses des Bundesverwaltungsgerichts vom - wie sich aus den diesbezüglichen Erläuterungen ergibt: zur Ermöglichung einer zeitnahen Erledigung sowie zur Herstellung einer möglichst gleichmäßigen Auslastung der Gerichtsabteilungen - abgenommen (§ 1 Abs. 7 dieser Verfügung) und dem in der Folge entscheidenden Richter zugewiesen wurde (§ 2 Abs. 5 der genannten Verfügung).
13 In der Sache selbst ist zunächst festzuhalten, dass der Mitbeteiligte den Antrag auf internationalen Schutz am gestellt hat. Somit unterfällt der gegenständliche Fall dem Anwendungsbereich der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (Neufassung), im Weiteren: Verfahrensrichtlinie, weil der Antrag jedenfalls nach jenem Zeitpunkt gestellt wurde, den Art. 52 Abs. 1 Verfahrensrichtlinie als spätest möglich ansieht. Auf die im Vorabentscheidungsersuchen C-297/17 aufgeworfene und vom EuGH noch nicht entschiedene Rechtsfrage, ob diese Richtlinie nach der Übergangsbestimmung des Art. 52 Abs. 1 auch für Fälle anwendbar sein kann, in denen der Antrag auf internationalen Schutz vor dem gestellt worden ist, muss daher hier nicht Bedacht genommen werden.
14 Der Verwaltungsgerichtshof hat sich mittlerweile mit der (auch) hier maßgeblichen Rechtsfrage des Näheren in seinem Erkenntnis vom , Ro 2018/18/0008, auseinandergesetzt. Gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG wird sohin auf die Entscheidungsgründe dieses Erkenntnisses verwiesen.
15 Aus den dort genannten Gründen erweist sich die Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts, § 18 Abs. 1 Z 1 BFA-VG müsse jedenfalls immer aufgrund Widerspruchs zum Unionsrecht gänzlich unangewendet bleiben, als unzutreffend. Sohin kann auch die hier angefochtene Entscheidung keinen Bestand haben.
16 Der vorliegende Fall erfordert aber noch nachstehende ergänzende Ausführungen:
17 Der Verwaltungsgerichtshof hat im genannten Erkenntnis Ro 2018/18/0008 betont, dass es der EuGH in der besonderen Verfahrenskonstellation eines Asylverfahrens, in dem die Voraussetzungen des Art. 46 Abs. 6 und 8 Verfahrensrichtlinie erfüllt sind, offenkundig für zulässig erachtet, den weiteren Verbleib des Betroffenen im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats nur solange zu gestatten, bis das Gericht die Rechtmäßigkeit der sofortigen Aufenthaltsbeendigung überprüft hat.
18 Sofern diese gerichtliche Entscheidung darauf Bedacht nimmt, dass die Voraussetzungen des Art. 46 Abs. 6 in Verbindung mit Art. 31 Abs. 8 Verfahrensrichtlinie erfüllt sind, der Grundsatz der Nichtzurückweisung nach Art. 18, 19 Abs. 2 GRC eingehalten wird und die durch Art. 47 GRC garantierten Verfahrensrechte des Betroffenen nicht verletzt werden, wird dadurch den rechtlichen Leitlinien, wie sie sich aus der - im Erkenntnis Ro 2018/18/0008 näher beleuchteten - Rechtsprechung des EuGH ergeben, entsprochen.
19 Der österreichische Gesetzgeber hat zwar keine Abweisung von Asylanträgen als offensichtlich unbegründet gemäß Art. 32 Abs. 2 Verfahrensrichtlinie vorgesehen, aber von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, in den in Art. 31 Abs. 8 Verfahrensrichtlinie genannten Fällen ein beschleunigtes Prüfungsverfahren durchzuführen (siehe § 27a AsylG 2005: "In den in § 18 Abs. 1 BFA-VG genannten Fällen kann das Verfahren beschleunigt geführt werden. Diese Verfahren sind längstens innerhalb von fünf Monaten zu entscheiden. Diese Frist kann jedoch überschritten werden, sofern dies zur angemessenen und vollständigen Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz erforderlich ist. Diesfalls gilt die Entscheidungsfrist nach § 73 Abs. 1 AVG.").
20 Das (bereits mehrfach genannte) Erkenntnis Ro 2018/18/0008 enthält insoweit auch - vor dem Hintergrund des dort für die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung herangezogenen Grundes - die Aussage, dass der im dort gegenständlichen Verfahren maßgebliche Tatbestand des § 18 Abs. 1 Z 2 BFA-VG in Art. 31 Abs. 8 lit. j Verfahrensrichtlinie Deckung findet.
21 Im hier gegenständlichen Fall hat sich das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Aberkennung der aufschiebenden Wirkung auf § 18 Abs. 1 Z 1 BFA-VG gestützt, wonach die aufschiebende Wirkung aberkannt werden kann, wenn der Asylwerber aus einem sicheren Herkunftsstaat stammt. Diesbezüglich enthält die Verfahrensrichtlinie einen entsprechenden Tatbestand in ihrem Art. 31 Abs. 8 lit. b ("der Antragsteller aus einem sicheren Herkunftsstaat im Sinne dieser Richtlinie kommt (...)"; zum sicheren Herkunftsstaat iSd der Verfahrensrichtlinie s.a. deren Art. 36 und 37).
22 Ausgehend von seiner unzutreffenden Rechtsansicht, dass die Aberkennung der aufschiebenden Wirkung nach § 18 Abs. 1 BFA-VG generell unionsrechtswidrig sei, hat das Bundesverwaltungsgericht seine Entscheidung mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet und infolgedessen auch jegliche Prüfung, ob die Voraussetzungen zur Aberkennung der aufschiebenden Wirkung nach § 18 Abs. 1 Z 1 BFA-VG gegeben wären, unterlassen. Das bekämpfte (Teil-)Erkenntnis war somit im angefochtenen Umfang - sohin in seinem Spruchpunkt A) I. -
wegen (vorrangig wahrzunehmender) Rechtswidrigkeit seines Inhalts gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Wien, am
Zusatzinformationen
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ECLI: | ECLI:AT:VWGH:2019:RO2019200001.J00 |
Schlagworte: | Gemeinschaftsrecht Richtlinie EURallg4 |
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