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VwGH vom 19.10.2021, Ro 2019/14/0006

VwGH vom 19.10.2021, Ro 2019/14/0006

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Präsident Dr. Thienel, den Hofrat Mag. Eder, die Hofrätinnen Mag. Rossmeisel und Mag. Schindler sowie den Hofrat Dr. Himberger als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Engel, über die Revision des XY, vertreten durch Mag. Tanja Hudelist, Rechtsanwältin in 9560 Feldkirchen, Dr.-Arthur-Lemisch-Straße 5/5, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom , L502 2188349-2/7E, betreffend Angelegenheiten nach dem AsylG 2005 und nach dem FPG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird in seinem Spruchpunkt A) I., soweit damit die Beschwerde gegen die Spruchpunkte I. bis VI. des angefochtenen Bescheides vom (Zurückweisung des Antrages auf internationalen Schutz, Versagung der Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 57 AsylG 2005, Erlassung einer Rückkehrentscheidung, Feststellung der Zulässigkeit der Abschiebung in den Irak, Nichtgewährung einer Frist für die freiwillige Ausreise) abgewiesen wurde, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1Der im Jahr 1990 geborene Revisionswerber stammt aus dem Irak. Er stellte nach unrechtmäßiger Einreise in Österreich am einen Antrag auf internationalen Schutz nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005). Im Rahmen der Erstbefragung durch ein Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes gab er an, Schiit zu sein. Schiitische Milizen hätten ihn aufgefordert, für sie zu kämpfen. Er wolle aber nicht kämpfen und auch nicht andere Leute töten oder selbst getötet werden. Außerdem sei die Lage im Irak sehr schlecht; es herrsche dort Krieg. Weiters betonte der Revisionswerber, dass dies sein „einziger Fluchtgrund“ sei.

2Mit dem von seinem rechtsfreundlichen Vertreter dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl übermittelten Schreiben vom ersuchte der Revisionswerber um Vornahme seiner (bis dahin unterbliebenen) Vernehmung im Asylverfahren und brachte unter Hinweis auf gleichzeitig vorgelegte Unterlagen vor, er sei (gemeint: im Heimatland) fünf Monate lang in Untersuchungshaft angehalten worden. Ihm sei die Beteiligung an strafbaren Handlungen vorgeworfen worden. Weiters verwies er darauf, dass ihm im Jahr 2008 eine Schusswunde zugefügt worden sei.

3Am wurde der Revisionswerber vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vernommen. Er gab zunächst an, ledig zu sein und keine Kinder zu haben. Er sei in Bagdad geboren und habe immer dort gelebt. Sein Vater und seine Geschwister - drei Brüder und zwei Schwestern - hätten ebenfalls in Bagdad gelebt; seine Mutter sei bereits verstorben. Der Revisionswerber habe bei ihnen gewohnt. Ob die Familie immer noch in Bagdad sei, wisse er nicht. Er habe in Bagdad bei einem näher bezeichneten Unternehmen als Kaufmann gearbeitet und SIM-Karten und Ladebons verkauft.

4Über Aufforderung, die Gründe für das Verlassen des Heimatlandes zu schildern, führte der Revisionswerber aus, er und sein Vater seien Schiiten, seine Mutter und deren Verwandte hingegen Sunniten. Es gebe unter den Verwandten der Mutter „einige Leute“, die radikalen Gruppen angehörten. Diese hätten gewollt, dass der Revisionswerber ihnen vier SIM-Karten gebe. Sie hätten ihm gesagt, dass sie ihre Personalausweise nicht bei sich hätten. Da es sich um Verwandte gehandelt habe, habe der Revisionswerber die SIM-Karten auf seinen Namen registriert. Er habe sich dabei nichts gedacht. Zwei Monate später hätten in Bagdad drei Explosionen stattgefunden. Nach weiteren (etwa) zehn Tagen seien „Leute“ von der Behörde für Terrorbekämpfung zum Haus seiner Eltern gekommen. Den Eltern sei mitgeteilt worden, dass der Revisionswerber gesucht werde. Da er nicht zu Hause gewesen sei, sei sein Vater, den sie dann zwei Tage „bei sich behalten“ hätten, mitgenommen worden. Der Revisionswerber, der von seinem Bruder darüber informiert worden sei, habe dann bei einem Onkel väterlicherseits Unterkunft genommen. Dort seien die Verwandten seiner Mutter aufgetaucht und hätten gedroht, dass sie die ganze Familie auslöschen würden, wenn der Revisionswerber „irgendetwas über sie sage“. Der Revisionswerber habe sich etwa 15 bis 17 Tage bei seinem Onkel aufgehalten. Als er dann mit einem Cousin auf die Straße gegangen sei, sei auf sie geschossen worden. Er habe „eine Kugel in den Hals bekommen“. Sein Cousin sei infolge eines Kopfschusses gestorben. Der Revisionswerber habe in der Folge ein nichtstaatliches Krankenhaus aufgesucht und dort den Ausweis seines Cousins verwendet. Schon zuvor habe er außerdem ein Problem mit „den Milizen“ gehabt. Diese hätten ihn aufgefordert, mit ihnen zu kämpfen. Dem sei der Revisionswerber aber nicht nachgekommen, weil er weder jemanden habe töten noch selbst habe getötet werden wollen. Also habe er jetzt „ein Problem mit den verschiedensten Stellen der Regierung, den Terroristen und mit den Milizen“. Sein Vater habe ihn im Irak für tot erklären lassen. Die vom Sachbearbeiter des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl gestellte Frage, „ob das alle Fluchtgründe“ seien, bejahte der Revisionswerber. Im Weiteren wurde der Revisionswerber zu den Details der von ihm ins Treffen geführten Vorfälle befragt. Danach wurde er nochmals gefragt, ob er alle Fluchtgründe genannt habe, worauf er wieder mit „ja“ antwortete. Zu seinem Aufenthalt in Österreich befragt, gab der Revisionswerber an, hier keine familiäre Beziehung zu haben. Jedoch habe er „viele Freunde hier“, die alle Österreicher seien. Am Ende der Befragung wurde der Revisionswerber nochmals gefragt, ob er alles vorgebracht habe, was ihm wichtig erscheine, was von ihm gleichfalls bejaht wurde.

5Nach Durchführung weiterer Erhebungen wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den Antrag des Revisionswerbers mit Bescheid vom sowohl hinsichtlich des Begehrens auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten gemäß § 3 Abs. 1 AsylG 2005 als auch des Status des subsidiär Schutzberechtigten gemäß § 8 Abs. 1 AsylG 2005 ab. Weiters sprach die Behörde aus, dass dem Revisionswerber ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nach § 57 AsylG 2005 nicht erteilt, gegen ihn gestützt auf § 52 Abs. 2 Z 2 Fremdenpolizeigesetz 2005 (FPG), § 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 und § 9 BFA-Verfahrensgesetz (BFA-VG) eine Rückkehrentscheidung erlassen sowie gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt werde, dass seine Abschiebung in den Irak zulässig sei. Die Frist für die freiwillige Ausreise legte die Behörde nach § 55 Abs. 1 bis Abs. 3 FPG mit 14 Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest.

6Die Behörde stufte das Vorbringen des Revisionswerbers als unglaubwürdig ein, wobei sie im Rahmen ihrer beweiswürdigenden Überlegungen des Näheren darlegte, worin sie die Widersprüche, die „Unlogik“ und diverse Ungereimtheiten in den Angaben des Revisionswerbers erblickte.

7Der - rechtsanwaltlich vertretene - Revisionswerber erhob Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht, womit er in erster Linie die Beweiswürdigung des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl bekämpfte. Ein Vorbringen dahingehend, dass weitere Fluchtgründe vorhanden wären, wurde nicht erstattet.

8Das Bundesverwaltungsgericht führte am eine Verhandlung durch. Im Rahmen der Verhandlung wurde der Revisionswerber auch ausdrücklich gefragt, ob er hinsichtlich der Fluchtgründe etwas ergänzen wolle und ob diese unverändert seien. Der Revisionswerber gab dazu an, dass seine Gründe „nach wie vor dieselben“ seien.

9Mit Erkenntnis vom wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde des Revisionswerbers als unbegründet ab und erklärte die Erhebung einer Revision für nicht zulässig.

10Mit Schreiben vom übermittelte das Bundesverwaltungsgericht der Staatsanwaltschaft Graz zwecks strafrechtlicher Würdigung eine Sachverhaltsdarstellung, in der es ausführte, im Rahmen der Verhandlung sei hervorgekommen, dass drei im Asylverfahren vorgelegte Urkunden (Bestätigungen einer irakischen Polizeibehörde und eines irakischen Gerichts über die Inhaftierung und Haftentlassung des Revisionswerbers sowie ein medizinischer Befund eines irakischen Krankenhauses) gefälscht oder verfälscht seien. Der Revisionswerber habe diese Urkunden während seines Aufenthalts in der Türkei von einer ihm unbekannten Person erworben, um durch deren Vorlage seine Chancen, in Europa Asyl erlangen zu können, zu erhöhen. Weiters bestehe der Verdacht, dass der Revisionswerber eine Verleumdung begangen habe, weil er seinen früheren rechtsfreundlichen Vertreter der behördlichen Verfolgung ausgesetzt habe, indem er ihn zu Unrecht bezichtigt habe, dass dieser die Urkunden der Behörde im Wissen um die Fälschung vorgelegt habe.

11Gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom erhob der Revisionswerber Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof. Dieser lehnte die Behandlung dieser Beschwerde mit Beschluss vom ab und trat die Beschwerde über nachträglichen Antrag mit Beschluss vom dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung ab. Die Erhebung einer Revision gegen dieses Erkenntnis ist beim Verwaltungsgerichtshof nicht verzeichnet.

12Mit Schreiben vom brachte die Staatsanwaltschaft Graz dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl zur Kenntnis, dass das aufgrund der Anzeige des Bundesverwaltungsgerichts gegen den Revisionswerber eingeleitete strafrechtliche Ermittlungsverfahren eingestellt worden sei.

13Mit Bescheid vom trug das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl dem Revisionswerber gemäß § 57 Abs. 1 FPG auf, sich binnen drei Tagen in einer näher bezeichneten Betreuungseinrichtung in Schwechat einzufinden und dort bis zu seiner Ausreise Unterkunft zu nehmen. Die Behörde begründete dies damit, dass sich der Revisionswerber strikt und vehement weigere, seiner Ausreiseverpflichtung nachzukommen.

14Am stellte der Revisionswerber einen weiteren Antrag auf internationalen Schutz. Im Zuge der Erstbefragung gab er an, dass er bei seiner ersten Einvernahme „andere Gründe“ genannt habe. Er habe Angst gehabt, die wahren Gründe bekannt zu geben. Er sei schon sein ganzes Leben homosexuell. Das sei im Irak und „in seiner Religion“ nicht erlaubt. Die wahren Gründe habe er bislang nicht angeben können, weil er Angst um sein Leben gehabt habe. Auch „im Camp in Österreich“ habe er nichts sagen können, weil dort viele Iraker gelebt hätten.

15Am wurde der Revisionswerber vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vernommen. Im Zuge der Vernehmung legte der Revisionswerber ein Schreiben des Vereines Q B vor, demzufolge er mit der dortigen Beratungsstelle seit Juni 2018 in Kontakt stehe und aufgrund seiner Homosexualität spezifische Beratung „im Bereich Coming Out und Safer Sex“ benötige. Er sei - so in diesem Schreiben weiter - von einem Freund, der ebenfalls Klient des Vereines Q B sei, zur Beratungsstelle gebracht worden. Der Revisionswerber, für den es schwer sei, über seine Sexualität zu reden, habe bisher seine sexuelle Identität verstecken müssen. Daher habe er „in seinem ersten Asylantrag“ davon nichts gesagt. In Österreich sei er in einem Dorf untergebracht gewesen, wo es keine „Schwulenlokale“ gebe. Deswegen habe er auch „keine Kontakte mit anderen schwulen Männern“ gehabt. Als er nach Wien habe kommen können, habe er regelmäßig die sozialen Events des Vereines besucht. Mittlerweile habe er auch „schwule Freunde gefunden und kenn[e] diverse Schwule[n]lokale in Wien“. Weiters gaben drei Männer - im wesentlichen gleichlautende - schriftliche und ebenfalls vom Revisionswerber vorgelegte Stellungnahmen ab, in denen sie darauf hinwiesen, selbst aus dem Irak zu stammen, homosexuell zu sein und mit dem Revisionswerber durch Telefonate und Treffen in sowie Besuche von diversen Einrichtungen, wie etwa „Schwulenlokale“ und „einem schwulen Club“, sowie von Veranstaltungen („Regenbogenparade“) in Kontakt zu stehen. Sie würden sich im Verfahren des Revisionswerbers auch als Zeugen zur Verfügung stellen.

16Im Rahmen der Vernehmung vom verwies der Revisionswerber zunächst darauf, dass seine bisherigen Fluchtgründe aufrecht seien, und sich nunmehr auch „seine Eltern“ von ihm abgewendet hätten und nichts mehr mit ihm zu tun haben wollten. Wenn er sich im Irak befände, würde er „von der Miliz“ getötet werden. Auch seine Familienangehörigen würden ihn umbringen, weil sie mit seinem Lebensstil nicht einverstanden seien. Österreich sei das einzige Land, das ihn beschützen könne. Befragt, welche neuen Fluchtgründe der Revisionswerber vorbringen wolle, gab er an, dass er, als er sein Land habe verlassen müssen, in einem kleinen Ort gelebt habe, wo seine Homosexualität nicht geduldet werde. Dort sei er „dem Tod geweiht“. Nach seiner Ankunft in Österreich habe er erfahren, dass hier die Freiheit des Menschen im Vordergrund stehe und Menschenrechte „eine[m] wie mir“ gewährt würden. Seit der Ankunft in Österreich könne er „mit gleichgesinnten gut auskommen und mit diesen [s]ein Leben leben“. Er sei seit seiner Pubertät homosexuell, habe aber „in Angst leben und versteckt leben“ müssen. Dazu befragt, weshalb er dies nicht bereits im ersten Asylverfahren angegeben habe, führte der Revisionswerber aus, die Situation in Österreich sei ihm nicht bekannt gewesen. Er habe nicht gewusst, dass er „es“ in Österreich ausleben dürfe, und er habe Angst gehabt, sich vor Arabern zu outen. Erst durch die Hilfe einer Organisation sei es leichter, „darüber“ zu sprechen. Im Juni 2018 sei er dahingehend aufgeklärt worden, dass er in Österreich „wie jeder normale Mensch“ leben könne, egal welche sexuelle Orientierung er habe. Erst da habe er „sich entfalten“ und aus sich „herauskommen“ können. Im Irak würde er getötet werden, damit die Ehre der Familie aufrecht bleibe. Er habe schon im Irak versucht, sich an anderen Orten zu verstecken. Er habe aber erfahren müssen, „dass es allgegenwärtig“ sei. Er habe von Freunden immer wieder gewarnt werden müssen, weil die Jagd auf Menschen wie ihn „eröffnet“ worden sei.

17Das Asylverfahren des Revisionswerbers über den Folgeantrag wurde nicht zugelassen. Mit einer dem Revisionswerber noch am durch persönliche Übergabe zugestellten Verfahrensanordnung wurde ihm gemäß § 29 Abs. 3 Z 4 AsylG 2005 zur Kenntnis gebracht, dass beabsichtigt sei, seinen Folgeantrag auf internationalen Schutz zurückzuweisen, weil davon auszugehen sei, dass entschiedene Sache im Sinn des § 68 Abs. 1 AVG vorliege.

18Am wurde der Revisionswerber neuerlich vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl vernommen. Nach Vorlage weiterer Urkunden gab er über Befragen an, dass er „primär“ wegen seiner Homosexualität den Irak verlassen habe, aber auch wegen der Verfolgung durch die schiitische Miliz. Seine Lebensweise sei eine Beleidigung für die Familie. Diese wisse seit dem Jahr 2011 von seiner Homosexualität. Seine Angehörigen würden ihn töten, wenn sie ihn „erwischen“ würden.

19Nachdem der Revisionswerber schriftlich eine weitere Stellungnahme erstattet hatte, wies das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, ohne zuvor jene Männer, die eine schriftliche Stellungnahme abgegeben hatten, als Zeugen zu befragen, den vom Revisionswerber am gestellten (zweiten) Antrag auf internationalen Schutz sowohl betreffend das Begehren auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten als auch des Status des subsidiär Schutzberechtigten mit Bescheid vom gemäß § 68 Abs. 1 AVG wegen entschiedener Sache zurück (Spruchpunkte I. und II). Weiters sprach die Behörde aus, dass dem Revisionswerber ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nach § 57 AsylG 2005 nicht erteilt (Spruchpunkt III.), gegen ihn gestützt auf § 52 Abs. 2 Z 2 FPG,§ 10 Abs. 1 Z 3 AsylG 2005 und § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung (Spruchpunkt IV.) und nach § 53 Abs. 1 und Abs. 2 FPG ein auf die Dauer von zwei Jahren befristetes Einreiseverbot (Spruchpunkt VII.) erlassen sowie gemäß § 52 Abs. 9 FPG festgestellt werde, dass seine Abschiebung in den Irak zulässig sei (Spruchpunkt V.). Eine Frist für die freiwillige Ausreise wurde nach § 55 Abs. 1a FPG nicht eingeräumt (Spruchpunkt VI.). Weiters enthält der Bescheid - nachdem der Revisionswerber bereits zuvor mit Verfahrensordnung in diesem Sinn aufgefordert worden war - den Abspruch darüber, dass ihn seit die Pflicht treffe, in einem näher bezeichneten Quartier in Rappitsch Unterkunft zu nehmen (Spruchpunkt VIII.).

20In seiner Begründung ging das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl - nach Offenlegung seiner beweiswürdigenden Erwägungen und soweit hier wesentlich - davon aus, die neu vorgebrachten Gründe hätten „keine glaubhafte Substanz“. Den „neu vorgebrachten Sachverhalten“ könne keine Glaubwürdigkeit „zugebilligt“ werden. Da in der maßgeblichen Sachlage keine Änderung eingetreten sei, stehe die Rechtskraft der im ersten Asylverfahren ergangenen Entscheidung einer neuen inhaltlichen Entscheidung über den Folgeantrag entgegen. Der Folgeantrag sei daher wegen entschiedener Sache zurückzuweisen.

21Den Ausspruch betreffend die Feststellung, dass die Abschiebung des Revisionswerbers in den Irak zulässig sei, begründete die Behörde allein damit, dass sich bereits aus den Erwägungen zur Zurückweisung seines Antrages auf internationalen Schutz ergebe, dass für ihn im Fall der Rückkehr in sein Heimatland keine Gefährdung im Sinn des § 50 FPG bestehe.

22Der Revisionswerber erhob gegen diesen Bescheid Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht, in der er (u.a.) auch die Durchführung einer Verhandlung beantragte.

23Nach einer internen Diskussion am Bundesverwaltungsgericht, ob nach dem AsylG 2005 ein Richter desselben Geschlechts wie jenes des Revisionswerbers das Verfahren zu führen habe, wurde das Beschwerdeverfahren letztlich der von einem männlichen Richter geleiteten Gerichtsabteilung L502 endgültig zugewiesen.

24Mit dem in Revision gezogenen Erkenntnis vom gab das Bundesverwaltungsgericht (durch den Richter der Gerichtsabteilung L502) der Beschwerde, soweit sie sich gegen die Erlassung des Einreiseverbotes richtete, statt und hob diesen Ausspruch ersatzlos auf. Im Übrigen wies es die Beschwerde als unbegründet ab. Unter einem sprach das Verwaltungsgericht aus, dass die Erhebung einer Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig sei. Eine Verhandlung führte das Verwaltungsgericht nicht durch.

25In seiner Begründung ging das Bundesverwaltungsgericht - soweit hier von Interesse - davon aus, der Revisionswerber habe seine im ersten Asylverfahren als unglaubwürdig eingestuften Fluchtgründe aufrechterhalten. Dies stelle keinen neuen Sachverhalt dar, der zu einer weiteren Sachentscheidung führen könnte. Der Revisionswerber habe aber auch - insoweit neu - eine Verfolgung wegen seiner sexuellen Orientierung geltend gemacht. Nach diversen beweiswürdigenden Überlegungen, weshalb es nicht glaubwürdig sei, dass es dem Revisionswerber nicht möglich gewesen wäre, das Vorbringen zu seiner Homosexualität schon im ersten Asylverfahren zu erstatten, kam das Bundesverwaltungsgericht zum Ergebnis, dass „[a]us diesem Versäumnis, dies nicht getan zu haben“, folge, dass, unabhängig von der Frage, ob der Revisionswerber tatsächlich homosexuell orientiert sei (und deswegen im Heimatland einer asylrelevanten Verfolgung unterliege), das Prozesshindernis der entschiedenen Sache vorliege.

26Die Revision sei ungeachtet dieses Ergebnisses in Bezug auf die Frage der Besetzung des Gerichts zuzulassen. Es sei nämlich in der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes noch nicht geklärt, ob § 20 AsylG 2005 auch dann Anwendung zu finden habe, wenn der Antrag auf internationalen Schutz wegen entschiedener Sache zurückzuweisen sei.

27Das Bundesverwaltungsgericht hat nach Einlangen der gegen dieses Erkenntnis erhobenen ordentlichen Revision das nach § 30a VwGG vorgesehene Verfahren durchgeführt und im Anschluss die Revision samt den Verfahrensakten dem Verwaltungsgerichtshof vorgelegt. Eine Revisionsbeantwortung wurde nicht erstattet.

28Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Revision erwogen:

29Zum Umfang der Anfechtung ist eingangs festzuhalten, dass sich die Revision nach ihrem Inhalt - im Besonderen auch nach den geltend gemachten Revisionspunkten - nicht gegen jenen Ausspruch wendet, mit dem dem Revisionswerber der Auftrag erteilt wurde, an einer bestimmten Örtlichkeit Unterkunft zu nehmen. Weiters wird die Aufhebung jenes behördlichen Ausspruches, mit dem ein Einreiseverbot erlassen worden war, erkennbar nicht bekämpft.

30Der Revisionswerber verweist zur Zulässigkeit der Revision zunächst auf die vom Bundesverwaltungsgericht dargelegten Erwägungen. Er stellt allerdings die Richtigkeit der Besetzung des Gerichts nicht infrage.

31Jene Rechtsfrage, die das Bundesverwaltungsgericht zum Anlass genommen hat, im vorliegenden Fall die Revision zuzulassen, wurde vom Verwaltungsgerichtshof mittlerweile mit dem Erkenntnis vom , Ra 2020/19/0002 bis 0007, geklärt. Gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG wird auf die Entscheidungsgründe dieses Erkenntnisses verwiesen. Aus den dort genannten Gründen hat das Bundesverwaltungsgericht im vorliegenden Fall, in dem die Vorschrift des § 20 Abs. 2 AsylG 2005 beachtet wurde, in korrekter Besetzung entschieden.

32Der Revisionswerber wendet sich zur Begründung der Zulässigkeit der Revision aber auch gegen die Annahme, sein zweiter Antrag auf internationalen Schutz wäre zurückzuweisen. Insoweit macht er geltend, es liege zwar nicht in seiner Homosexualität ein neuer Sachverhalt, aber in der nunmehr gegebenen Fähigkeit, diese artikulieren zu können. Sein Vorbringen, dass er erst infolge „seines Coming Outs“ dazu in der Lage gewesen sei, sei „jedenfalls“ glaubwürdig, weil dies mit der allgemeinen Lebenserfahrung in Einklang stehe. Seinem Vorbringen komme auch im Hinblick auf das Vorbringen zur Verfolgung von homosexuellen Menschen im Irak und den diesbezüglichen Berichten zur Situation von Menschen mit solcher sexuellen Orientierung in diesem Land Asylrelevanz zu. Es stelle sich die Frage, ob die österreichische Rechtslage dem Unionsrecht entspreche. Nach österreichischem Recht hätte der Revisionswerber das Vorbringen zur Homosexualität bereits im ersten Asylverfahren erstatten müssen. Es sei davon auszugehen, dass diesbezüglich nova reperta vorlägen. Diese könnten nach innerstaatlichem Recht nach rechtskräftigem Abschluss eines bereits abgeführten Verfahrens nur mit einem Antrag auf Wiederaufnahme des abgeschlossenen Verfahrens geltend gemacht werden, wobei dies nur innerhalb einer Frist von zwei Wochen zulässig sei. Nach Art. 40 Abs. 2 der Richtlinie 2013/32/EU sei es aber zulässig, im Rahmen eines Folgeantrages auch ein auf nova reperta gestütztes Vorbringen zu erstatten. Die Richtlinie unterscheide nämlich - anders als das österreichische Recht - nicht zwischen nova reperta und nova producta. Es reiche danach vielmehr aus, dass „neue Elemente oder Erkenntnisse“ vorlägen. Zwar sei es nach der Richtlinie zulässig, eine „Verschuldensschranke einzuziehen“. Jedoch liege im gegenständlichen Fall kein Verschulden des Revisionswerbers in Bezug darauf vor, dass er sein Vorbringen nicht schon früher erstattet habe. Zudem sehe die Richtlinie keine Frist vor, innerhalb derer ein sich auf die neuen Elemente oder Erkenntnisse beziehender Antrag, wie es nach nationalem Recht für den Wiederaufnahmeantrag angeordnet sei, gestellt werden müsste. Es sei auch Art. 42 Abs. 2 der Richtlinie 2013/32/EU zu beachten, wonach der Zugang zu einem neuen Verfahren nicht verunmöglicht werden dürfe und das nationale Recht nicht zu einer effektiven Aufhebung oder erheblichen Beschränkung dieses Zugangs führen dürfe. Das Bundesverwaltungsgericht habe die Vorgaben der Richtlinie nicht beachtet. Zu dieser Frage fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Weiters macht der Revisionswerber geltend, selbst wenn es das Unionsrecht zulasse, dass der Folgeantrag auf internationalen Schutz nicht inhaltlich bearbeitet werden müsse, hätte das Bundesverwaltungsgericht die Homosexualität des Revisionswerbers jedenfalls bei der Beurteilung, ob ein Refoulementverbot gegeben sei, berücksichtigen müssen. Er habe ausführlich dargelegt, dass ihm wegen seiner Homosexualität im Irak Verfolgung drohe. Daher hätte das Verwaltungsgericht auch Feststellungen „zu seiner Homosexualität“ (offenkundig gemeint: Feststellungen dazu, ob der Revisionswerber tatsächlich homosexuell sei) treffen müssen.

33Weiters wendet sich der Revisionswerber gegen die Annahme des Bundesverwaltungsgerichts, es habe über die Beschwerde, die sich gegen eine im Zulassungsverfahren getroffene Entscheidung gerichtet habe, ohne Durchführung einer Verhandlung entscheiden dürfen. In der Beschwerde sei die Beweiswürdigung des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl auch in Bezug auf die Beurteilung zum Bestehen seiner Homosexualität substantiiert bestritten worden. Die Voraussetzungen für die Abstandnahme von der Verhandlung nach § 21 Abs. 7 BFA-VG seien somit nicht vorgelegen. Ob das Bundesverwaltungsgericht nach § 21 Abs. 3 und Abs. 6a BFA-VG verpflichtet gewesen sei, eine Verhandlung durchzuführen, habe es gar nicht geprüft. Da sich die Beweiswürdigung des Bundesamts für Fremdenwesen und Asyl, ebenso wie jene des Bundesverwaltungsgerichts, als unschlüssig darstelle, lägen in Bezug auf die Beurteilung der Glaubwürdigkeit des Revisionswerbers Ermittlungsmängel vor, die das Verwaltungsgericht in der für das Zulassungsverfahren gebotenen Eile hätte beseitigen können. Das Bundesverwaltungsgericht hätte eine Verhandlung, in der jedenfalls der Revisionswerber ergänzend zu befragen und die beantragten Zeugen zu vernehmen gewesen wären, durchführen müssen.

34Schließlich wendet sich der Revisionswerber unter Hinweis auf die Dauer seines bisherigen Aufenthalts gegen die im Rahmen der Rückkehrentscheidung vom Bundesverwaltungsgericht nach § 9 BFA-VG vorgenommene Interessenabwägung.

35Im Hinblick auf das Vorbringen zu einer möglichen Unionsrechtswidrigkeit der nationalen Rechtslage stellt sich die Revision als zulässig dar.

36Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Beschluss vom dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) gemäß Art. 267 AEUV folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

„1.Erfassen die in Art. 40 Abs. 2 und Abs. 3 der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (Neufassung), im Weiteren: Verfahrensrichtlinie, enthaltenen Wendungen ‚neue Elemente oder Erkenntnisse‘, die ‚zutage getreten oder vom Antragsteller vorgebracht worden sind‘, auch solche Umstände, die bereits vor rechtskräftigem Abschluss des früheren Asylverfahrens vorhanden waren?

Falls Frage 1. bejaht wird:

2.Ist es in jenem Fall, in dem neue Tatsachen oder Beweismittel hervorkommen, die im früheren Verfahren ohne Verschulden des Fremden nicht geltend gemacht werden konnten, ausreichend, dass es einem Asylwerber ermöglicht wird, die Wiederaufnahme eines rechtskräftig abgeschlossenen früheren Verfahrens verlangen zu können?

3.Darf die Behörde, wenn den Asylwerber ein Verschulden daran trifft, dass er das Vorbringen zu den neu geltend gemachten Gründen nicht bereits im früheren Asylverfahren erstattet hat, die inhaltliche Prüfung eines Folgeantrages infolge einer nationalen Norm, die einen im Verwaltungsverfahren allgemein geltenden Grundsatz festlegt, ablehnen, obwohl der Mitgliedstaat mangels Erlassung von Sondernormen die Vorschriften des Art. 40 Abs. 2 und Abs. 3 Verfahrensrichtlinie nicht ordnungsgemäß umgesetzt und infolge dessen auch nicht ausdrücklich von der in Art. 40 Abs. 4 Verfahrensrichtlinie eingeräumten Möglichkeit, eine Ausnahme von der inhaltlichen Prüfung des Folgeantrages vorsehen zu dürfen, Gebrauch gemacht hat?“

37Der EuGH hat diese Fragen in seinem Urteil vom , C-18/20, wie folgt beantwortet:

„1.Art. 40 Abs. 2 und 3 der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes ist dahin auszulegen, dass die Wendung ‚neue Elemente oder Erkenntnisse‘, die ‚zutage getreten oder vom Antragsteller vorgebracht worden sind‘, im Sinne dieser Bestimmung sowohl Elemente oder Erkenntnisse, die nach rechtskräftigem Abschluss des Verfahrens über den früheren Antrag auf internationalen Schutz eingetreten sind, als auch Elemente oder Erkenntnisse umfasst, die bereits vor Abschluss dieses Verfahrens existierten, aber vom Antragsteller nicht geltend gemacht wurden.

2.Art. 40 Abs. 3 der Richtlinie 2013/32 ist dahin auszulegen, dass die Prüfung eines Folgeantrags auf internationalen Schutz in der Sache im Rahmen der Wiederaufnahme des Verfahrens über den ersten Antrag vorgenommen werden kann, sofern die auf diese Wiederaufnahme anwendbaren Vorschriften mit Kapitel II der Richtlinie 2013/32 im Einklang stehen und für die Stellung dieses Antrags keine Ausschlussfristen gelten.

3.Art. 40 Abs. 4 der Richtlinie 2013/32 ist dahin auszulegen, dass er es einem Mitgliedstaat, der keine Sondernormen zur Umsetzung dieser Bestimmung erlassen hat, nicht gestattet, in Anwendung der allgemeinen Vorschriften über das nationale Verwaltungsverfahren die Prüfung eines Folgeantrags in der Sache abzulehnen, wenn die neuen Elemente oder Erkenntnisse, auf die dieser Antrag gestützt wird, zur Zeit des Verfahrens über den früheren Antrag existierten und in diesem Verfahren durch Verschulden des Antragstellers nicht vorgebracht wurden.“

38§ 68 und § 69 Allgemeines Verwaltungsverfahrensgesetz (AVG) legen (auszugsweise) fest:

„Abänderung und Behebung von Amts wegen

§ 68. (1) Anbringen von Beteiligten, die außer den Fällen der § 69 und 71 die Abänderung eines der Berufung nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides begehren, sind, wenn die Behörde nicht den Anlass zu einer Verfügung gemäß den Abs. 2 bis 4 findet, wegen entschiedener Sache zurückzuweisen.

(2) ...

...

Wiederaufnahme des Verfahrens

§ 69. (1) Dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Bescheid abgeschlossenen Verfahrens ist stattzugeben, wenn ein Rechtsmittel gegen den Bescheid nicht oder nicht mehr zulässig ist und:

1....

2.neue Tatsachen oder Beweismittel hervorkommen, die im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten und allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich einen im Hauptinhalt des Spruches anders lautenden Bescheid herbeigeführt hätten, oder

3....

...

(2) Der Antrag auf Wiederaufnahme ist binnen zwei Wochen bei der Behörde einzubringen, die den Bescheid in erster Instanz erlassen hat. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Antragsteller von dem Wiederaufnahmegrund Kenntnis erlangt hat, wenn dies jedoch nach der Verkündung des mündlichen Bescheides und vor Zustellung der schriftlichen Ausfertigung geschehen ist, erst mit diesem Zeitpunkt. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Bescheides kann der Antrag auf Wiederaufnahme nicht mehr gestellt werden. Die Umstände, aus welchen sich die Einhaltung der gesetzlichen Frist ergibt, sind vom Antragsteller glaubhaft zu machen.

(3) Unter den Voraussetzungen des Abs. 1 kann die Wiederaufnahme des Verfahrens auch von Amts wegen verfügt werden. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Bescheides kann die Wiederaufnahme auch von Amts wegen nur mehr aus den Gründen des Abs. 1 Z 1 stattfinden.

(4) Die Entscheidung über die Wiederaufnahme steht der Behörde zu, die den Bescheid in letzter Instanz erlassen hat.“

39§ 32 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) sieht (auszugsweise) vor:

„Wiederaufnahme des Verfahrens

§ 32. (1) Dem Antrag einer Partei auf Wiederaufnahme eines durch Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes abgeschlossenen Verfahrens ist stattzugeben, wenn

1....

2.neue Tatsachen oder Beweismittel hervorkommen, die im Verfahren ohne Verschulden der Partei nicht geltend gemacht werden konnten und allein oder in Verbindung mit dem sonstigen Ergebnis des Verfahrens voraussichtlich ein im Hauptinhalt des Spruchs anders lautendes Erkenntnis herbeigeführt hätten, oder

3....

...

(2) Der Antrag auf Wiederaufnahme ist binnen zwei Wochen beim Verwaltungsgericht einzubringen. Die Frist beginnt mit dem Zeitpunkt, in dem der Antragsteller von dem Wiederaufnahmegrund Kenntnis erlangt hat, wenn dies jedoch nach der Verkündung des mündlichen Erkenntnisses und vor Zustellung der schriftlichen Ausfertigung geschehen ist, erst mit diesem Zeitpunkt. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Erkenntnisses kann der Antrag auf Wiederaufnahme nicht mehr gestellt werden. Die Umstände, aus welchen sich die Einhaltung der gesetzlichen Frist ergibt, sind vom Antragsteller glaubhaft zu machen.

(3) Unter den Voraussetzungen des Abs. 1 kann die Wiederaufnahme des Verfahrens auch von Amts wegen verfügt werden. Nach Ablauf von drei Jahren nach Erlassung des Erkenntnisses kann die Wiederaufnahme auch von Amts wegen nur mehr aus den Gründen des Abs. 1 Z 1 stattfinden.

(4) ...

(5) Auf die Beschlüsse des Verwaltungsgerichtes sind die für seine Erkenntnisse geltenden Bestimmungen dieses Paragraphen sinngemäß anzuwenden. Dies gilt nicht für verfahrensleitende Beschlüsse.“

40§ 2 und § 75 AsylG 2005 bestimmen (auszugsweise):

„Begriffsbestimmungen

§ 2. (1) Im Sinne dieses Bundesgesetzes ist

1....

23.ein Folgeantrag: jeder einem bereits rechtskräftig erledigten Antrag nachfolgender weiterer Antrag;

24....

...

Übergangsbestimmungen

§ 75. (1) ...

(4) Ab- oder zurückweisende Bescheide auf Grund des Asylgesetzes, BGBl. Nr. 126/1968, des Asylgesetzes 1991, BGBl. Nr. 8/1992, sowie des Asylgesetzes 1997 begründen in derselben Sache in Verfahren nach diesem Bundesgesetz den Zurückweisungstatbestand der entschiedenen Sache (§ 68 AVG).

(5) ...

...“

41Art. 33 und Art. 40 der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (Neufassung), im Weiteren: Verfahrensrichtlinie, lauten (auszugsweise):

„Artikel 33 - Unzulässige Anträge

(1) Zusätzlich zu den Fällen, in denen nach Maßgabe der Verordnung (EU) Nr. 604/2013 ein Antrag nicht geprüft wird, müssen die Mitgliedstaaten nicht prüfen, ob dem Antragsteller der internationale Schutz im Sinne der Richtlinie 2011/95/EU zuzuerkennen ist, wenn ein Antrag auf der Grundlage des vorliegenden Artikels als unzulässig betrachtet wird.

(2) Die Mitgliedstaaten können einen Antrag auf internationalen Schutz nur dann als unzulässig betrachten, wenn

a)...

...

d)es sich um einen Folgeantrag handelt, bei dem keine neuen Umstände oder Erkenntnisse zu der Frage, ob der Antragsteller nach Maßgabe der Richtlinie 2011/95/EU als Person mit Anspruch auf internationalen Schutz anzuerkennen ist, zutage getreten oder vom Antragsteller vorgebracht worden sind, oder

e)...

...

Artikel 40 - Folgeanträge

(1) Wenn eine Person, die einen Antrag auf internationalen Schutz in einem Mitgliedstaat gestellt hat, in demselben Mitgliedstaat weitere Angaben vorbringt oder einen Folgeantrag stellt, prüft dieser Mitgliedstaat diese weiteren Angaben oder die Elemente des Folgeantrags im Rahmen der Prüfung des früheren Antrags oder der Prüfung der Entscheidung, gegen die ein Rechtsbehelf eingelegt wurde, insoweit die zuständigen Behörden in diesem Rahmen alle Elemente, die den weiteren Angaben oder dem Folgeantrag zugrunde liegen, berücksichtigen können.

(2) Für die Zwecke der gemäß Artikel 33 Absatz 2 Buchstabe d zu treffenden Entscheidung über die Zulässigkeit eines Antrags auf internationalen Schutz wird ein Folgeantrag auf internationalen Schutz zunächst daraufhin geprüft, ob neue Elemente oder Erkenntnisse betreffend die Frage, ob der Antragsteller nach Maßgabe der Richtlinie 2011/95/EU als Person mit Anspruch auf internationalen Schutz anzuerkennen ist, zutage getreten oder vom Antragsteller vorgebracht worden sind.

(3) Wenn die erste Prüfung nach Absatz 2 ergibt, dass neue Elemente oder Erkenntnisse zutage getreten oder vom Antragsteller vorgebracht worden sind, die erheblich zu der Wahrscheinlichkeit beitragen, dass der Antragsteller nach Maßgabe der Richtlinie 2011/95/EU als Person mit Anspruch auf internationalen Schutz anzuerkennen ist, wird der Antrag gemäß Kapitel II weiter geprüft. Die Mitgliedstaaten können auch andere Gründe festlegen, aus denen der Folgeantrag weiter zu prüfen ist.

(4) Die Mitgliedstaaten können vorsehen, dass der Antrag nur dann weiter geprüft wird, wenn der Antragsteller ohne eigenes Verschulden nicht in der Lage war, die in den Absätzen 2 und 3 dargelegten Sachverhalte im früheren Verfahren insbesondere durch Wahrnehmung seines Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf gemäß Artikel 46 vorzubringen.

(5) Wird ein Folgeantrag nach diesem Artikel nicht weiter geprüft, so wird er gemäß Artikel 33 Absatz 2 Buchstabe d als unzulässig betrachtet.

(6) ...

...“

421. Rechtsprechung zur Rechtskraft und entschiedenen Sache

43Ein von einer Behörde erlassener Bescheid erwächst, wenn kein Rechtsmittelverzicht vorliegt, mit ungenutztem Ablauf der Beschwerdefrist in Rechtskraft (vgl. , 0031, mwN). In jenem Fall, in dem die Entscheidung der Behörde mit Beschwerde beim Verwaltungsgericht bekämpft wird, treten die Wirkungen der Rechtskraft allerdings (sofern gesetzlich im Einzelnen nicht ausnahmsweise anderes bestimmt ist) erst mit der Erlassung der Entscheidung über die Beschwerde ein (Sonderkonstellationen, wie etwa die Zurückziehung einer Beschwerde, können hier mangels Relevanz außer Betracht bleiben). Es tritt jede Entscheidung des Verwaltungsgerichtes, welche - allenfalls unter Rückgriff auf den Inhalt bzw. Abspruch eines (in Beschwerde gezogenen) verwaltungsbehördlichen Bescheides - die Angelegenheit erledigt, die zunächst von der Verwaltungsbehörde zu entscheiden war, an die Stelle des beim Verwaltungsgericht bekämpften Bescheides (vgl. , mwN). Hingegen ändert für sich allein die Erhebung einer Revision an den Verwaltungsgerichtshof an der Rechtskraft nichts (vgl. , mwN).

44Im Verfahren vor den Verwaltungsgerichten besteht grundsätzlich kein Neuerungsverbot, sodass von diesen Gerichten im Verfahren über eine Beschwerde gegen einen behördlichen Bescheid auch neu geltend gemachte Tatsachen zu beachten sind. § 20 BFA-VG sieht zwar insofern eine Einschränkung vor, jedoch bedarf es nach der Rechtsprechung für die Annahme eines Neuerungsverbotes der Auseinandersetzung mit der dafür erforderlichen Voraussetzung der missbräuchlichen Verlängerung des Asylverfahrens im jeweils konkreten Einzelfall (vgl. , mwN). Dies muss hier aber mangels Relevanz für den vorliegenden Fall nicht weiter vertieft werden.

45Es bestehen zwar Sonderbestimmungen, die auf Folgeanträge auf internationalen Schutz Bezug nehmen (etwa betreffend die Frage, ob einem Fremden nach der Antragstellung faktischer Abschiebeschutz zukommt und ob der faktische Abschiebeschutz allenfalls aberkannt werden kann). Jedoch richtet sich die Entscheidung, ob ein Folgeantrag auf internationalen Schutz wegen entschiedener Sache zurückzuweisen ist, nach den sonst allgemein für das Verwaltungsverfahren geltenden Bestimmungen. Spezifische Bestimmungen für die Behandlung eines Folgeantrages auf internationalen Schutz existieren in Bezug auf die Frage, ob entschiedene Sache vorliegt und der Antrag deswegen nicht inhaltlich in Behandlung zu nehmen ist, nicht. Lediglich eine im AsylG 2005 enthaltene Übergangsregelung sieht vor, dass in Verfahren, die nach dem AsylG 2005 geführt werden, auch jene abweisenden oder zurückweisenden Entscheidungen, die auf Grund früherer Asylgesetze ergangen sind, den Zurückweisungstatbestand der entschiedenen Sache im Sinn des § 68 AVG erfüllen (§ 75 Abs. 4 AsylG 2005).

46Gemäß § 68 Abs. 1 AVG sind Anbringen von Beteiligten, die außer den Fällen der § 69 und 71 AVG die Abänderung eines der Berufung nicht oder nicht mehr unterliegenden Bescheides begehren, wenn die Behörde nicht den Anlass zu einer Verfügung gemäß § 68 Abs. 2 bis 4 AVG findet, wegen entschiedener Sache zurückzuweisen.

47Eine dem vergleichbare Norm ist im VwGVG nicht enthalten und auch vom Verweis des § 17 VwGVG nicht erfasst, weil danach die Anwendung der Bestimmungen (u.a.) des IV. Teiles des AVG - somit auch der darin enthaltene § 68 - auf das Verfahren über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 B-VG ausgeschlossen ist.

48Jedoch hat der Verwaltungsgerichtshof in seiner Rechtsprechung zum VwGVG bereits festgehalten, dass auf dem Boden der tragenden Grundsätze des Verfahrensrechts und der Rechtssicherheit über in Rechtskraft erwachsene Entscheidungen (grundsätzlich) nicht mehr in merito entschieden werden darf. Die Beachtung rechtskräftiger Entscheidungen zählt zu den Grundsätzen eines geordneten rechtsstaatlichen Verfahrens, wobei die Grundsätze eines geordneten rechtsstaatlichen Verfahrens allgemein anzuwenden sind. Dieser Grundsatz ist daher auch dann zu beachten, wenn § 17 VwGVG eine sinngemäße Anwendung des IV. Teils des AVG und damit des § 68 Abs. 1 AVG im Rahmen des VwGVG nicht vorkehrt. Auch die Entscheidung eines Verwaltungsgerichts wird mit ihrer Erlassung rechtskräftig, wobei alle Parteien eines rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens einen Rechtsanspruch auf Beachtung der eingetretenen Rechtskraft haben. Im Zusammenhang mit diesem Grundsatz ist - auch im Verfahren der Verwaltungsgerichte - die einschlägige Rechtsprechung zu § 68 AVG in sinngemäßer Weise heranziehbar. Daraus ist abzuleiten, dass über ein und dieselbe Rechtssache nur einmal rechtskräftig zu entscheiden ist (ne bis in idem). Mit der Rechtskraft ist die Wirkung verbunden, dass die mit der Entscheidung unanfechtbar und unwiderruflich erledigte Sache nicht neuerlich entschieden werden kann (Wiederholungsverbot). Einer nochmaligen Entscheidung steht das Prozesshindernis der entschiedenen Sache (res iudicata) entgegen. Zudem folgt aus dem Gedanken der materiellen Rechtskraft grundsätzlich eine Bindungswirkung der getroffenen Entscheidung (vgl. zum Ganzen , mit zahlreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung).

49Bei der Prüfung des Vorliegens der entschiedenen Sache ist (auch vom Verwaltungsgericht) von der rechtskräftigen Vorentscheidung - dies kann auch eine solche einer Verwaltungsbehörde sein - auszugehen, ohne die sachliche Richtigkeit derselben nochmals zu überprüfen. Identität der Sache liegt dann vor, wenn sich gegenüber der früheren Entscheidung weder die Rechtslage noch der wesentliche Sachverhalt geändert hat und sich das neue Parteibegehren im Wesentlichen mit dem früheren deckt. Erst nach Erlassung der rechtskräftigen Erstentscheidung hervorkommende Umstände, die eine Unrichtigkeit dieser Entscheidung dartun, stellen keine Änderung des Sachverhalts dar, sondern können lediglich einen Grund zur Wiederaufnahme eines Verfahrens darstellen. Dieser tragende Grundsatz soll in erster Linie die wiederholte Aufrollung einer bereits entschiedenen Sache (ohne nachträgliche Änderung der Sach- und Rechtslage) verhindern; die objektive (sachliche) Grenze dieser Wirkung der Rechtskraft wird durch die entschiedene Sache, also durch die Identität der Rechtssache, über die bereits mit einer formell rechtskräftigen Entscheidung abgesprochen wurde, mit der nunmehr vorliegenden (etwa der in einem neuen Antrag intendierten) bestimmt. Auf dem Boden der Rechtsprechung hat auch das Verwaltungsgericht dann, wenn der bei ihm in Beschwerde gezogene verwaltungsbehördliche Bescheid nach den vorstehenden Grundsätzen zu Unrecht eine Sachentscheidung beinhaltete, im Rahmen seiner Prüf- und Entscheidungsbefugnis einen Antrag wegen entschiedener Sache zurückzuweisen (vgl. auch dazu , mwN).

50Im Hinblick auf wiederholte Anträge auf internationalen Schutz entspricht es der ständigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, dass nur eine solche behauptete Änderung des Sachverhaltes die Behörde zu einer neuen Sachentscheidung - nach etwa notwendigen amtswegigen Ermittlungen - berechtigen und verpflichten kann, der rechtlich für sich allein oder in Verbindung mit anderen Tatsachen Relevanz zukäme; eine andere rechtliche Beurteilung des Antrages darf nicht von vornherein ausgeschlossen sein. Die behauptete Sachverhaltsänderung muss zumindest einen „glaubhaften Kern“ aufweisen, dem Relevanz zukommt.

51In jenem Fall, in dem das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl den verfahrenseinleitenden Antrag gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückgewiesen hat, ist „Sache des Beschwerdeverfahrens“ vor dem Bundesverwaltungsgericht die Frage, ob diese Zurückweisung zu Recht erfolgt ist. Das Bundesverwaltungsgericht hat diesfalls zu prüfen, ob die Behörde auf Grund des von ihr zu berücksichtigenden Sachverhalts zu Recht zu dem Ergebnis gelangt ist, dass im Vergleich zum rechtskräftig entschiedenen früheren Asylverfahren keine wesentliche Änderung der maßgeblichen Umstände eingetreten ist. Die Prüfung der Zulässigkeit eines Folgeantrags auf Grund geänderten Sachverhalts hat - von allgemein bekannten Tatsachen abgesehen - im Beschwerdeverfahren nur anhand der Gründe, die von der Partei in erster Instanz zur Begründung ihres Begehrens vorgebracht wurden, zu erfolgen.

52Eine neue Sachentscheidung ist, wie sich aus § 69 Abs. 1 Z 2 AVG ergibt, auch im Fall desselben Begehrens aufgrund von Tatsachen und Beweismitteln, die schon vor Abschluss des Verfahrens bestanden haben, ausgeschlossen, sodass einem Folgeantrag, der sich auf einen vor Beendigung des Verfahrens über den ersten Antrag auf internationalen Schutz verwirklichten Sachverhalt stützt, die Rechtskraft der über den Erstantrag absprechenden Entscheidung entgegensteht.

53Behauptete Tatsachen, die bereits zur Zeit des ersten Asylverfahrens bestanden haben, die der Asylwerber jedoch in diesem nicht vorgebracht hat, sind von der Rechtskraft der über den Erstantrag absprechenden Entscheidung erfasst (vgl. zum Ganzen etwa , mwN).

542. Zur Frage der (teilweisen) Unvereinbarkeit dieser Rechtslage mit Unionsrecht in Bezug auf Entscheidungen über asylrechtliche Folgeanträge

55Der Revisionswerber geht davon aus, dass diese (nationale) Rechtslage - im Besonderen jene, die soeben in den Rn. 52 und 53 dargestellt wurde - in Bezug auf Folgeanträge auf internationalen Schutz den Vorgaben der Verfahrensrichtlinie widerspricht. In der Verfahrensrichtlinie werde nämlich - anders als nach der soeben dargestellten österreichischen Rechtslage - nur darauf abgestellt, ob „neue Elemente oder Erkenntnisse zutage getreten oder vom Antragsteller vorgebracht worden sind“. Eine Unterscheidung, wie sie die österreichische Rechtslage in Bezug auf den Zeitpunkt der Entstehung der neu vorgebrachten Tatsachen enthalte, mache die Verfahrensrichtlinie nicht. Die Mitgliedstaaten dürften lediglich vorsehen, dass der Folgeantrag nur dann nicht weiter geprüft werde, wenn der Antragsteller den neu bekanntgegebenen Sachverhalt aus eigenem Verschulden nicht schon im früheren Verfahren (allenfalls durch Wahrnehmung seines Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf) vorgebracht habe. Im hier vorliegenden Fall treffe den Revisionswerber aber kein Verschulden, weil er erst durch die Unterstützung von in Österreich lebenden Personen in die Lage versetzt worden sei, über seine Homosexualität zu sprechen.

56Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl hat den gegenständlichen Antrag auf internationalen Schutz gemäß § 68 Abs. 1 AVG zurückgewiesen, ohne das Asylverfahren des Revisionswerbers zuzulassen. Die Behörde ist dabei davon ausgegangen, dass die zur Begründung des Folgeantrages aufgestellten Behauptungen des Revisionswerbers, homosexuell zu sein, nicht den Tatsachen entsprächen. Daraus schloss die Behörde, dass kein neuer Sachverhalt vorliege, der zur Gewährung von internationalem Schutz führen könnte, sodass der Folgeantrag zurückzuweisen sei.

57Demgegenüber hat das Bundesverwaltungsgericht im Verfahren über die dagegen erhobene Beschwerde nicht weiter geprüft, ob der Revisionswerber tatsächlich homosexuell sei. Dieses Gericht hat dies vielmehr ausdrücklich dahingestellt gelassen. Das Verwaltungsgericht hat sich allein auf die bisherige Rechtsprechung berufen, wonach (behauptete) Tatsachen, die bereits zur Zeit des ersten Asylverfahrens bestanden haben, die der Asylwerber jedoch in diesem nicht vorgebracht hat, von der Rechtskraft der über den Erstantrag absprechenden Entscheidung erfasst sind. Das Verwaltungsgericht hat sohin die Entscheidung der Behörde, dass der Folgeantrag wegen entschiedener Sache zurückzuweisen sei, allein deshalb bestätigt, weil die Homosexualität des Revisionswerbers schon zur Zeit des ersten Asylverfahrens - und nach dessen zur Begründung des Folgeantrages gemachten Angaben auch schon vor seiner Ausreise aus dem Heimatland - gegeben gewesen sei. Der Revisionswerber habe im Wissen um seine Homosexualität ein darauf bezugnehmendes Vorbringen zur Begründung der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder des Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht schon im ersten Asylverfahren erstattet. Somit erfasse die Rechtskraft der Entscheidung über den ersten Antrag auf internationalen Schutz (auch) diesen Sachverhalt, weshalb die Zurückweisung des Folgeantrages rechtmäßig sei.

58Das Bundesverwaltungsgericht ging sohin davon aus, jener Grund, den der Revisionswerber in seinem Folgeantrag erstmals geltend macht, um sein Begehren auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten zu stützen, könnte lediglich geeignet sein, zur Wiederaufnahme des ersten Asylverfahrens zu führen.

59Eine solche Sichtweise stellt sich allerdings - wie das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl in seiner (unaufgefordert erstatteten) Stellungnahme vom einräumt - mit dem Unionsrecht als nicht ohne Weiteres vereinbar dar.

60Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass das Vorbringen des Revisionswerbers zur Begründung seines Folgeantrages, mit dem er Umstände ins Treffen geführt hat, die zwar bereits vor Abschluss des früheren Asylverfahrens existiert hatten, aber im ersten Verfahren noch nicht geltend gemacht wurden, entsprechend den Ausführungen des EuGH in seinem Urteil vom , C-18/20, im Sinn des Art. 40 Abs. 2 und Abs. 3 Verfahrensrichtlinie „neue Elemente oder Erkenntnisse“, die „zutage getreten oder vom Antragsteller vorgebracht worden sind, die erheblich zu der Wahrscheinlichkeit beitragen, dass der Antragsteller nach Maßgabe der Richtlinie 2011/95/EU als Person mit Anspruch auf internationalen Schutz anzuerkennen ist“, darstellen kann.

61Art. 40 Abs. 2 und Abs. 3 Verfahrensrichtlinie sehen eine Bearbeitung der Folgeanträge in zwei Etappen vor. In der ersten wird zunächst die Zulässigkeit dieser Anträge geprüft, während in der zweiten dann die Anträge in der Sache geprüft werden (vgl. , Rn. 46). Zwar enthalten Art. 40 Abs. 2 bis 4 und Art. 42 Abs. 2 Verfahrensrichtlinie einige Verfahrensvorschriften für die erste Etappe der Bearbeitung von Folgeanträgen betreffend deren Zulässigkeit, die Richtlinie sieht jedoch keinen spezifischen verfahrensrechtlichen Rahmen für die Bearbeitung dieser Anträge in der Sache vor. Art. 40 Abs. 3 dieser Richtlinie verlangt allerdings, dass die Prüfung zulässiger Folgeanträge in der Sache gemäß Kapitel II dieser Richtlinie vorgenommen wird, in dem die Grundsätze und Garantien geregelt sind, die die Mitgliedstaaten in dem von ihnen festgelegten verfahrensrechtlichen Rahmen zu beachten haben (Rn. 47). Unter diesen Umständen bleibt es den Mitgliedstaaten unbenommen, Verfahrensvorschriften für die Bearbeitung von Folgeanträgen vorzusehen, sofern zum einen die in der Verfahrensrichtlinie festgelegten, insbesondere die in ihrem Art. 33 Abs. 2 lit. d in Verbindung mit Art. 40 genannten Zulässigkeitsvoraussetzungen eingehalten werden und zum anderen die Bearbeitung in der Sache im Einklang mit den genannten Grundsätzen und Garantien erfolgt (Rn. 48). So sieht etwa Art. 40 Verfahrensrichtlinie weder Fristen für die Einbringung eines Folgeantrags vor noch werden damit die Mitgliedstaaten ausdrücklich ermächtigt, sie vorzusehen (Rn. 54). Aus dem Kontext, in den sich Art. 40 dieser Richtlinie einfügt, ergibt sich, dass der Umstand, dass er die Mitgliedstaaten nicht ermächtigt, Ausschlussfristen für die Stellung eines Folgeantrags festzulegen, bedeutet, dass er die Festlegung solcher Fristen verbietet (Rn. 55).

62Sohin ist nach dem Urteil des EuGH, C-18/20, Art. 40 Abs. 3 Verfahrensrichtlinie dahin auszulegen, dass die Prüfung eines Folgeantrags auf internationalen Schutz in der Sache im Rahmen der Wiederaufnahme des Verfahrens über den ersten Antrag (nur) dann vorgenommen werden kann, wenn die auf diese Wiederaufnahme anwendbaren Vorschriften mit Kapitel II dieser Richtlinie im Einklang stehen und für die Stellung dieses Antrags keine Ausschlussfristen gelten (Spruchpunkt 2. dieses Urteils).

63Für die weitere infolgedessen hier anzustellende Betrachtung muss aber auch als maßgeblich einbezogen werden, dass nach der österreichischen Rechtslage bei der Frage, ob keine maßgebliche Änderung des Sachverhalts vorliegt, sodass sich ein Antrag aus dem Blickwinkel der entschiedenen Sache als unzulässig präsentiert (und dieser Sachverhalt nur mittels eines Antrages auf Wiederaufnahme geltend gemacht werden könnte), nicht allein auf den Inhalt des Vorbringens abzustellen ist, sondern auch die Prüfung zu erfolgen hat, ob diesem Vorbringen ein „glaubhafter Kern“ innewohnt, dem Relevanz zukommt. Somit sind nach der österreichischen Rechtslage die in der Verfahrensrichtlinie vorgesehenen „in zwei Etappen“ vorzunehmenden Prüfschritte ineinander verwoben, sodass im Rahmen dieser gesamthaften Beurteilung die Vorgaben des Kapitels II der Verfahrensrichtlinie Platz zu greifen haben. Das gilt auch für das Verfahren über einen Antrag auf Wiederaufnahme, in dem (vor Bewilligung der Wiederaufnahme) die Behauptung, es lägen die Wiederaufnahme rechtfertigende Tatsachen oder Beweismittel vor, einer Überprüfung zu unterziehen ist. Denn nur dann, wenn (tatsächlich) neue Tatsachen oder Beweismittel hervorgekommen sind, ist (unter den weiteren im Gesetz festgelegten Voraussetzungen) dem Antrag auf Wiederaufnahme stattzugeben (sh. § 69 Abs. 1 Z 2 AVG; § 32 Abs. 1 Z 2 VwGVG); andernfalls ist der Antrag mangels Vorliegens eines Wiederaufnahmegrundes abzuweisen (vgl. Hengstschläger/Leeb, AVG [2020], § 69, Rn. 73).

64Den unionsrechtlichen Vorgaben der Verfahrensrichtlinie wird mit den hier maßgeblichen österreichischen Rechtsvorschriften in Bezug auf die Behandlung von Folgeanträgen, soweit es ein Vorbringen betrifft, das sich auf einen Sachverhalt bezieht, der bereits vor Abschluss eines früheren Verfahrens vorgelegen ist, nicht ausreichend Rechnung getragen. Zunächst hat bereits der EuGH die Zulässigkeit der Festlegung einer Frist für die Behandlung eines in einem Folgeantrag erstatteten Vorbringens verneint. Den unionsrechtlichen Vorgaben kann aber - wie im Folgenden zu zeigen ist - auch nicht allein dadurch Rechnung getragen werden, dass für Anträge auf Wiederaufnahme eines bereits rechtskräftig abgeschlossenen Asylverfahrens jene Bestimmungen, die solche Fristen vorsehen, unangewendet bleiben.

65Die im Kapitel II der Verfahrensrichtlinie enthaltenen Art. 6 bis Art. 30 sehen unter der Überschrift „Grundsätze und Garantien“ zahlreiche Vorgaben für die Ausgestaltung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz und die in diesem Zusammenhang den Antragstellern zustehenden Rechte vor.

66Der Verwaltungsgerichtshof verkennt nicht, dass manche der darin enthaltenen Vorgaben auch ohne spezifisch die Wiederaufnahme eines Asylverfahrens regelnde Anordnungen schon deswegen (auch) in einem Verfahren über einen Antrag auf Wiederaufnahme erfüllt werden, weil sie sich aus den allgemein im Verfahrensrecht geltenden Bestimmungen ergeben (wie etwa die in Art. 11 Verfahrensrichtlinie festgelegten Anforderungen an die Entscheidung der Asylbehörde).

67Allerdings kann solches nicht für alle Bestimmungen des Kapitel II der Verfahrensrichtlinie, die zudem in ihrem Art. 40 Verfahrensrichtlinie ein gänzlich anderes Prüfschema für die Behandlung von Folgeanträgen vorgibt (siehe die oben wiedergegebenen Ausführungen des EuGH), gesagt werden. Es kann hier genügen, dies - ohne an dieser Stelle auf alle Bestimmungen des Kapitels II eingehen zu müssen - an bloß exemplarisch ausgewählten Beispielen darzulegen.

68So werden schon die Bestimmungen über die Einbringungsstelle für einen Antrag auf Wiederaufnahme und den damit in Zusammenhang stehenden Bestimmungen über die Folgen einer Einbringung bei einer nicht zuständigen Stelle den Vorgaben des Art. 6 Verfahrensrichtlinie (vgl. dazu etwa PPU; der EuGH hat darin dort insbesondere auch darauf hingewiesen, dass eines der mit der Richtlinie 2013/32 verfolgten Ziele darin besteht, einen effektiven, d.h. einen möglichst einfachen, Zugang zum Verfahren für die Zuerkennung des internationalen Schutzes zu gewährleisten, vgl. Rn. 63) nicht gerecht. Der - nicht nur, aber auch - der Umsetzung dieses Artikels dienende § 17 Abs. 1 AsylG 2005 erfasst schon nach seinem Wortlaut allein einen Antrag auf internationalen Schutz, nicht aber einen Antrag auf Wiederaufnahme eines bereits abgeschlossenen Asylverfahrens. Zudem ist der Antrag auf Wiederaufnahme, der einerseits an eine Frist gebunden ist und durch den andererseits der Lauf einer Frist bestimmt wird, gemäß § 13 Abs. 1 AVG schriftlich einzubringen.

69Art. 9 Abs. 1 erster Satz Verfahrensrichtlinie sieht vor, dass Antragsteller ausschließlich zum Zwecke des Verfahrens so lange im Mitgliedstaat verbleiben dürfen, bis die Asylbehörde auf der Grundlage der in Kapitel III genannten erstinstanzlichen Verfahren über den Antrag auf internationalen Schutz entschieden hat. Davon dürfen die Mitgliedstaaten gemäß Art. 9 Abs. 2 dieser Richtlinie (u.a.) nur dann eine Ausnahme machen, wenn eine Person einen Folgeantrag im Sinn von Art. 41 Verfahrensrichtlinie stellt. Schon daraus ergibt sich, dass diese Ausnahme nicht unbeschränkt Platz greifen darf, sondern die in Art. 41 enthaltenen weiteren Vorgaben zu beachten sind. Nach dessen Abs. 1 dürfen die Mitgliedstaaten eine Ausnahme vom Recht auf Verbleib im Hoheitsgebiet nur dann machen, wenn die Asylbehörde die Auffassung vertritt, dass eine Rückkehrentscheidung keine direkte oder indirekte Zurückweisung zur Folge hat, die einen Verstoß gegen die völkerrechtlichen und unionsrechtlichen Pflichten dieses Mitgliedstaats darstellt. Eine solche Rechtsposition, die dem Fremden, der die Wiederaufnahme eines bereits rechtskräftig abgeschlossenen Asylverfahrens anstrebt, ein Recht auf Verbleib im Bundesgebiet - wenn auch vielleicht nur unter bestimmten Voraussetzungen - einräumt, kann von ihm jedenfalls für die Dauer des Verfahrens bis zur Bewilligung der Wiederaufnahme nach § 69 AVG oder § 32 VwGVG keinesfalls erlangt werden (vgl. zur danach allein darin bestehenden Rechtswirkung eines Antrages auf Wiederaufnahme, die Pflicht zur Entscheidung über diesen Antrag zu begründen, Hengstschläger/Leeb, AVG [2020], § 69, Rn. 58; dort insbesondere auch mit dem Hinweis, dass einem Antrag auf Wiederaufnahme nach § 69 AVG und § 32 VwGVG weder aufschiebende Wirkung zukommt noch ihm diese zuerkannt werden kann). § 12 und § 12a AsylG 2005, die Regelungen über den faktischen Abschiebschutz enthalten, beziehen sich ausdrücklich nur auf einen Antrag auf internationalen Schutz (§ 12) sowie auf Folgeanträge im Sinn des § 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005 (§ 12a).

70Schon anhand dieser Beispiele wird klar, dass wesentliche Sondervorschriften, die (auch) der Umsetzung der im Kapitel II der Verfahrensrichtlinie enthaltenen Vorgaben dienen, sich nur auf Anträge auf internationalen Schutz und nicht auch auf Anträge auf Wiederaufnahme beziehen.

71Selbst dann, wenn vereinzelt solche Sondervorschriften auch auf Verfahren über einen Wiederaufnahmeantrag anzuwenden sind, könnte den unionsrechtlichen Vorgaben nicht stets umfänglich Rechnung getragen werden. So ist etwa der Verfassungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom , E 357/2021, davon ausgegangen, dass § 20 AsylG 2005 - obgleich darin nach dessen Wortlaut nur auf Asylwerber, also nur auf Fremde ab (der entsprechend dem § 17 AsylG 2005 erfolgten) Einbringung eines Antrags auf internationalen Schutz bis zum rechtskräftigen Abschluss, zur Einstellung oder Gegenstandslosigkeit des Verfahrens (siehe zur Definition, wann die Eigenschaft als Asylwerber gegeben ist, die Begriffsbestimmung des § 2 Abs. 1 Z 14 AsylG 2005), abgestellt wird - auch im Verfahren über den (dort nach § 32 VwGVG gestellten) Wiederaufnahmeantrag anzuwenden ist. Allerdings wurde auch vom Verfassungsgerichtshof mit Blick auf die in § 20 AsylG 2005 enthaltenen Voraussetzungen betont, dass die im dortigen Fall die Wiederaufnahme anstrebende Fremde bereits im Verfahren über den Antrag auf internationalen Schutz vor dem Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ein Vorbringen erstattet hatte, mit dem ein Eingriff in die sexuelle Selbstbestimmung geltend gemacht worden war. Demgegenüber zeigt gerade der hier gegenständliche Revisionsfall, in dem ein solcher Eingriff erstmals im Folgeantrag geltend gemacht wurde, deutlich, dass die Anwendung des § 20 AsylG 2005 auch im Wiederaufnahmeverfahren nicht in jedem Fall dazu führen würde, die gemäß Art. 15 Abs. 3 lit. b Verfahrensrichtlinie einem Fremden, der sich in einem Verfahren über einen Antrag auf internationalen Schutz vor der Behörde befindet, zustehenden Rechte gewährleisten zu können (dass aber im Verfahren über einen Antrag auf internationalen Schutz die Pflicht zur Wahrung des nach § 20 AsylG 2005 zukommenden Rechts selbst dann besteht, wenn in Erwägung gezogen wird, den Antrag wegen entschiedener Sache zurückzuweisen, wurde bereits oben im Zusammenhang mit der Frage der Besetzung des Bundesverwaltungsgerichts dargelegt).

72Dass Art. 42 Abs. 1 Verfahrensrichtlinie ausdrücklich vorsieht, dass die Mitgliedstaaten sicherzustellen haben, dass Antragsteller, deren Antrag einer ersten Prüfung gemäß Art. 40 Verfahrensrichtlinie unterliegt, über die Garantien nach Art. 12 Abs. 1 dieser Richtlinie verfügen, sei im vorliegenden Zusammenhang nur noch am Rande erwähnt.

73Es ist nun nicht zu sehen, dass es im Weg einer (unionsrechtskonformen) Gesetzesinterpretation möglich wäre, jenem Prüfschema, das Art. 40 Verfahrensrichtlinie in Bezug auf Folgeanträge vorgibt und bei dem auch die in Kapitel II dieser Richtlinien enthaltenen Garantien und Rechte zu gewährleisten sind, in einer solchen Weise Rechnung zu tragen, dass die Prüfung solcher vom Fremden geltend gemachten Gründe, wie sie hier in Rede stehen, im Rahmen des nach den § 69 f AVG vorgesehenen Verfahrens zur Wiederaufnahme erfolgen dürfte. Noch weniger trifft dies auf das Verfahren über gemäß § 32 VwGVG beim Bundesverwaltungsgericht zu stellende Anträge auf Wiederaufnahme eines erst nach Beschwerdeerhebung rechtskräftig abgeschlossenen Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz zu.

74Dann aber ist es aufgrund der unionrechtlichen Vorgaben nicht zulässig, einen Fremden, der die Gewährung von internationalem Schutz anstrebt und dafür in einem Folgeantrag im Sinn des Art. 40 Verfahrensrichtlinie „neue Elemente oder Erkenntnisse“, die „erheblich zu der Wahrscheinlichkeit beitragen“, dass er „nach Maßgabe der Richtlinie 2011/95/EU als Person mit Anspruch auf internationalen Schutz anzuerkennen ist“, vorbringt oder wenn solche zutage treten, allein deshalb, weil er Gründe, die bereits vor Abschluss des ersten Verfahrens existent waren, erst im Folgeantrag geltend macht, auf die Wiederaufnahme eines früheren Asylverfahrens nach § 69 AVG oder § 32 VwGVG zu verweisen.

75Das bringt es aber dann mit sich, dass ein solcherart begründeter Antrag auf internationalen Schutz nicht allein deswegen wegen entschiedener Sache zurückgewiesen werden darf, weil der nunmehr vorgebrachte Sachverhalt von der Rechtskraft einer früheren Entscheidung über einen Antrag auf internationalen Schutz erfasst sei, ohne dass die Prüfung im Sinn des Art. 40 Abs. 2 und Abs. 3 Verfahrensrichtlinie vorgenommen worden wäre, ob „neue Elemente oder Erkenntnisse zutage getreten oder vom Antragsteller vorgebracht worden sind, die erheblich zu der Wahrscheinlichkeit beitragen, dass der Antragsteller nach Maßgabe der Richtlinie 2011/95/EU als Person mit Anspruch auf internationalen Schutz anzuerkennen ist“.

76Kommt bei dieser Prüfung hervor, dass - allenfalls entgegen den Behauptungen eines Antragstellers - solche neuen Elemente oder Erkenntnisse nicht vorliegen oder vom Antragsteller gar nicht vorgebracht worden sind, so ist eine Zurückweisung wegen entschiedener Sache weiterhin - in einem Verfahren, in dem auch die Vorgaben des Kapitels II der Verfahrensrichtlinie zu beachten sind - statthaft. Das gilt auch dann, wenn zwar neue Elemente oder Erkenntnisse vorliegen, die Änderungen aber lediglich Umstände betreffen, die von vornherein zu keiner anderen Entscheidung in Bezug auf die Frage der Zuerkennung eines Schutzstatus führen können. Der für die Entscheidung maßgebliche Sachverhalt hat nämlich in diesen Konstellationen keine Änderung erfahren.

77Liegen keine neuen Elemente oder Erkenntnisse vor oder sind die neuen Elemente oder Erkenntnisse nicht geeignet, erheblich zu der Wahrscheinlichkeit beizutragen, dass dem Antragsteller ein Schutzstatus zuzuerkennen ist, verlangt auch Art. 40 Abs. 3 Verfahrensrichtlinie keine weitere Prüfung des Antrages auf internationalen Schutz. Nach Art. 33 Abs. 2 lit. d iVm Art. 40 Abs. 5 Verfahrensrichtlinie ist es in solchen Fällen erlaubt, einen Folgeantrag als unzulässig zu betrachten.

78Ergibt aber die Prüfung des im Folgeantrag erstatteten Vorbringens, dass neue Elemente oder Erkenntnisse zutage getreten oder vom Antragsteller vorgebracht worden sind, die erheblich zu der Wahrscheinlichkeit beitragen, dass der Antragsteller nach Maßgabe der Richtlinie 2011/95/EU als Person mit Anspruch auf internationalen Schutz anzuerkennen ist, ist die Zurückweisung eines Antrages auf internationalen Schutz wegen entschiedener Sache im Hinblick auf die im österreichischen Recht nicht korrekt erfolgte Umsetzung von Unionsrecht nicht statthaft. Dies gilt im Besonderen auch dann, wenn das Vorbringen schon in einem früheren Verfahren hätte erstattet werden können und den Antragsteller ein Verschulden daran trifft, den fraglichen Sachverhalt nicht schon im früheren Verfahren geltend gemacht zu haben. Einer Berücksichtigung dieser Umstände steht nämlich entgegen, dass nach dem Urteilsspruch des EuGH zu C-18/20 (Spruchpunkt 3.) Art. 40 Abs. 4 Verfahrensrichtlinie dahin auszulegen ist, dass er es einem Mitgliedstaat, der keine Sondernormen zur Umsetzung dieser Bestimmung erlassen hat, nicht gestattet, in Anwendung der allgemeinen Vorschriften über das nationale Verwaltungsverfahren die Prüfung eines Folgeantrags in der Sache abzulehnen, wenn die neuen Elemente oder Erkenntnisse, auf die dieser Antrag gestützt wird, zur Zeit des Verfahrens über den früheren Antrag existierten und in diesem Verfahren durch Verschulden des Antragstellers nicht vorgebracht wurden. Es wird Sache des Gesetzgebers sein, das von Art. 40 Verfahrensrichtlinie vorgegebene Prüfschema mit entsprechenden nationalen Vorschriften einer Umsetzung zuzuführen, wobei es ihm allein vorbehalten ist, dabei allenfalls von der in Art. 40 Abs. 4 Verfahrensrichtlinie eingeräumten Möglichkeit Gebrauch zu machen.

793. Fallbezogene Beurteilung

80Der Revisionswerber hat sich zur Begründung seines Folgeantrages auf internationalen Schutz (auch) auf Umstände berufen, die im ersten Asylverfahren der Behörde und dem Verwaltungsgericht noch nicht bekannt waren und daher in diesem Verfahren auch keiner Überprüfung unterzogen wurden, ob ihm deswegen ein Schutzstatus zuzuerkennen wäre. Insoweit wurden von ihm neue Elemente vorgebracht, die seiner Ansicht nach aufgrund der Situation im Herkunftsstaat in Bezug auf den dort gepflogenen Umgang mit homosexuellen Menschen eine asylrelevante Verfolgung seiner Person im Heimatland hervorrufen und somit die Zuerkennung des Status des Asylberechtigten rechtfertigen würden.

81Das Bundesverwaltungsgericht hat sich - anders als das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, das dem Vorbringen des Revisionswerbers die Glaubwürdigkeit versagt hat und sohin davon ausgegangen ist, es läge bezogen auf den für eine Schutzgewährung maßgeblichen Sachverhalt in Wahrheit keine Änderung vor - für die Zurückweisung des Antrags auf internationalen Schutz wegen entschiedener Sache darauf gestützt, dass der Revisionswerber mit seinem Vorbringen zu einer drohenden Verfolgung im Herkunftsstaat wegen seiner Homosexualität einen Sachverhalt geltend gemacht habe, der bereits vor Abschluss des ersten Asylverfahrens vorgelegen sei. Erkennbar hat das Bundesverwaltungsgericht dabei dem Revisionswerber auch den Vorwurf gemacht, dass es ihm schuldhaft zuzurechnen sei, dass er das nunmehr ins Treffen geführte Vorbringen nicht schon früher erstattet hatte. Der Sache nach vertritt das Bundesverwaltungsgericht - durchaus im Einklang mit der bisherigen Rechtsprechung, die aber (soweit sie asylrechtliche Folgeanträge betrifft) im Hinblick auf die zu beachtenden maßgeblichen Vorschriften der Verfahrensrichtlinie nicht in ihrem gesamten Umfang aufrechterhalten werden kann - die Auffassung, er müsste diesen Sachverhalt mit einem Antrag auf Wiederaufnahme geltend machen.

82Nach dem oben Gesagten stehen aber der Verweigerung der Prüfung eines Antrages auf internationalen Schutz mit einer solchen Begründung die unionsrechtlichen Vorgaben des Art. 40 Verfahrensrichtlinie entgegen. Diesen kann am Boden der geltenden Rechtslage nur so nachgekommen werden, dass hinkünftig von einer solchen Begründung für die Zurückweisung eines Antrages auf internationalen Schutz wegen entschiedener Sache - und damit in diesem Umfang auch von einer Anwendung des § 68 Abs. 1 AVG - Abstand zu nehmen ist.

83Das angefochtene Erkenntnis steht sohin mit dem Gesetz nicht im Einklang. Es war daher, soweit damit der vom Revisionswerber gestellte Antrag auf internationalen Schutz in Bezug auf das Begehren auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten zurückgewiesen wurde, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben. Da somit den rechtlich davon abhängenden Aussprüchen ihre Grundlage entzogen ist, hatten diese aus demselben Grund der Aufhebung zu verfallen.

84Auf das übrige Revisionsvorbringen musste bei diesem Ergebnis nicht mehr eingegangen werden.

85Mit der vorliegenden Entscheidung wurde vom Verwaltungsgerichtshof der Rechtsanschauung des EuGH und der Verpflichtung zur Durchsetzung des Unionsrechts Rechnung getragen. Wird in einem solchen Fall von einer früheren Rechtsprechung abgegangen, bedarf es nach der ständigen Rechtsprechung keiner Befassung eines verstärkten Senates nach § 13 Abs. 1 Z 1 VwGG (vgl. etwa , mwN).

86Die Zuerkennung von Aufwandersatz gründet sich auf die § 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am

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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2021:RO2019140006.J00

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