VwGH vom 02.06.2020, Ro 2019/11/0009
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Schick sowie die Hofrätin Mag. Hainz-Sator und den Hofrat Dr. Faber als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Vitecek, über die Revision des Finanzamtes Oststeiermark in Feldbach, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Steiermark vom , Zl. LVwG 33.12-3164/2018-7, betreffend Übertretungen des LSD-BG (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Südoststeiermark; mitbeteiligte Partei: M Z in Z, vertreten durch Dr. Roland Grilc, Mag. Rudolf Vouk, Dr. Maria Skof, MMag. Maja Ranc, Mag. Sara Grilc, Rechtsanwälte in 9020 Klagenfurt, Karfreitstraße 14/III), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
11.1. Mit Straferkenntnis der belangten Behörde vom wurde der Mitbeteiligte schuldig erkannt, er habe es als Arbeitgeber mit Sitz in Slowenien zu verantworten, dass für zwei namentlich genannte Arbeitnehmer zum Zeitpunkt der Kontrolle () im Inland während der Dauer der Beschäftigung oder des Zeitraums der Entsendung Lohnunterlagen nicht am Arbeits(Einsatz)ort im Inland bereit gehalten und vor Ort nicht zugänglich gemacht worden seien, und zwar Lohnaufzeichnungen (Lohnkontoblätter, Lohnlisten, Lohnsteuerkarten, Ab- und Anmeldungen zur Krankenversicherung, Melde- und Zuschlagsverrechnungslisten bzw. vergleichbare Unterlagen) und Unterlagen betreffend die Lohneinstufung (Unterlagen über einschlägige Vordienstzeiten bzw. Berufserfahrung, alle übrigen Unterlagen, welche Basis für die Einstufung in den österreichischen Kollektivvertrag gebildet haben). Wegen Übertretung des § 22 Abs. 1 LSD-BG wurde über den Mitbeteiligten gemäß § 28 Z 1 LSD-BG jeweils eine Geldstrafe von € 1.000 Euro (Ersatzfreiheitsstrafe jeweils ein Tag und neun Stunden) verhängt. Überdies wurde gemäß § 9 Abs. 7 VStG ausgesprochen, dass die „angeführte Firma“ für diese Strafen zur ungeteilten Hand hafte. Gemäß § 64 VStG habe der Mitbeteiligte € 200,-- als Beitrag zu den Kosten des Strafverfahrens zu zahlen. Der zu zahlende Gesamtbetrag betrage daher € 2.200,--.
21.2. Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Landesverwaltungsgericht Steiermark der dagegen erhobenen Beschwerde des Mitbeteiligten statt, behob das angefochtene Straferkenntnis, stellte das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z 2 VStG ein und sprach aus, dass eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig sei.
3Das Verwaltungsgericht stellte fest, zum Zeitpunkt der Kontrolle durch die Finanzpolizei seien näher genannte Lohnunterlagen bereitgehalten worden. Einem der betroffenen Arbeitnehmer sei eine schriftliche Aufforderung zur Übermittlung näher umschriebener Lohnaufzeichnungen und Unterlagen betreffend die Lohneinstufung übergeben worden. Mit E-Mail vom habe der slowenische Betrieb der Finanzpolizei Abschlusszeugnisse und eine Übersicht mit der Betitelung „Lohnaufzeichnungen“ nachgereicht.
4Rechtlich führte das Verwaltungsgericht aus, es sei unklar, was gegenständlich unter dem unbestimmten Begriff „Lohnaufzeichnungen“ in § 22 LSD-BG zu verstehen sei. Auch die Definition des Begriffes Lohnaufzeichnungen in „§ 23 Bauarbeiter-Schlechtwetterentschädigungsgesetz“ (gemeint wohl: § 23 Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungsgesetz) sei diesbezüglich „nicht hilfreich“. Unter diesem Begriff könnten eine Vielzahl verschiedenster Unterlagen verstanden werden, wobei zu beachten sei, dass die Normadressaten ausschließlich ausländische Unternehmer seien. Er entspreche nicht den vom Bestimmtheitsgebot des Art. 18 B-VG verlangten strengen Anforderungen an eine besonders genaue gesetzliche Determinierung des strafbaren Verhaltens. Vielmehr entstehe der Eindruck, der österreichische Gesetzgeber habe zum Schutz des heimischen Arbeitsmarktes bewusst eine Vorgangsweise gewählt, welche es einem ausländischen Normunterworfenen praktisch unmöglich mache, herauszufinden, welche Unterlagen konkret bereitgehalten werden müssten bzw. vorzulegen seien.
5Unter dem Begriff „Unterlagen betreffend die Lohneinstufung“ seien alle jene (schriftlichen) Informationen zu verstehen, die eine Einstufung in eine Beschäftigungsgruppe und eine Erfahrungsstufe eines allgemeinverbindlichen Mindestentgeltsystems ermöglichten. Bei der Verpflichtung zur Bereithaltung dieser Unterlagen handle es sich um eine Maßnahme, welche eine unzulässige Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs darstelle, zumal es für einen Arbeitgeber teilweise praktisch nicht möglich sei, sämtliche ausschließlich für Österreich relevanten Unterlagen betreffend die Lohneinstufung von den betroffenen Arbeitnehmern zu erhalten und diese übersetzen zu lassen. Die Herbeischaffung sämtlicher Unterlagen über einschlägige Vordienstzeiten bzw. Berufserfahrungen und alle übrigen Unterlagen, welche möglicherweise eine Basis der Einstufung in den jeweiligen Kollektivvertrag gebildet hätten, stelle einen wesentlich höheren finanziellen und administrativen Aufwand dar als die Übersetzung der in der Regel bereits vorhandenen Arbeitsverträge oder Dienstzettel, Lohnzettel, Lohnzahlungsnachweise oder Banküberweisungsbelege und Arbeitszeitaufzeichnungen. Eine Verpflichtung zur Bereithaltung der Unterlagen betreffend die Lohneinstufung könne aus der bisherigen Judikatur des EuGH (Verweis auf das Urteil vom , C-490/04) nicht abgeleitet werden, widerspreche Art. 56 AEUV und sei daher auf Grund des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts von den Verwaltungsgerichten nicht anzuwenden.
6Da die Verpflichtung zur Vorlage von Lohnaufzeichnungen gegen das Bestimmtheitsgebot verstoße und jene zur Vorlage von Unterlagen betreffend die Lohneinstufung dem Unionsrecht widerspreche, sei es auch unzulässig, die Nachreichung dieser Unterlagen zu fordern.
7Die Revision sei zulässig, weil „eine Rechtsfrage zu lösen war, der im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil eine solche Rechtsprechung fehlt“.
81.3. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision. Der Mitbeteiligte hat eine Revisionsbeantwortung erstattet.
9Der Verwaltungsgerichtshof hat über diese Revision erwogen:
102. Das Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz - LSD-BG, BGBl. I Nr. 44/2016, in der zum Tatzeitpunkt maßgeblichen Fassung BGBl. I Nr. 64/2017, lautet (auszugsweise):
„Bereithaltung von Lohnunterlagen
§ 22. (1) Arbeitgeber im Sinne der § 3 Abs. 2, 8 Abs. 1 oder 19 Abs. 1 haben während der Dauer der Beschäftigung (im Inland) oder des Zeitraums der Entsendung insgesamt (§ 19 Abs. 3 Z 6) den Arbeitsvertrag oder Dienstzettel im Sinne der Richtlinie 91/533 des Rates über die Pflicht des Arbeitgebers zur Unterrichtung des Arbeitnehmers über die für seinen Arbeitsvertrag oder sein Arbeitsverhältnis geltenden Bedingungen, Lohnzettel, Lohnzahlungsnachweise oder Banküberweisungsbelege, Lohnaufzeichnungen, Arbeitszeitaufzeichnungen und Unterlagen betreffend die Lohneinstufung zur Überprüfung des dem entsandten Arbeitnehmer für die Dauer der Beschäftigung nach den österreichischen Rechtsvorschriften gebührenden Entgelts in deutscher Sprache, ausgenommen den Arbeitsvertrag, am Arbeits(Einsatz)ort bereitzuhalten oder diese den Abgabebehörden oder der Bauarbeiter-Urlaubs- und Abfertigungskasse unmittelbar vor Ort und im Zeitpunkt der Erhebung in elektronischer Form zugänglich zu machen, auch wenn die Beschäftigung des einzelnen Arbeitnehmers in Österreich früher geendet hat. Der Arbeitsvertrag ist entweder in deutscher oder in englischer Sprache bereitzuhalten. ...
...
Nichtbereithalten der Lohnunterlagen
§ 28. Wer als
1.Arbeitgeber entgegen § 22 Abs. 1 oder Abs. 1a die Lohnunterlagen nicht bereithält, oder
...
begeht eine Verwaltungsübertretung und ist von der Bezirksverwaltungsbehörde für jeden Arbeitnehmer mit einer Geldstrafe von 1 000 Euro bis 10 000 Euro, im Wiederholungsfall von 2 000 Euro bis 20 000 Euro, sind mehr als drei Arbeitnehmer betroffen, für jeden Arbeitnehmer mit einer Geldstrafe von 2 000 Euro bis 20 000Euro, im Wiederholungsfall von 4 000 Euro bis 50 000 Euro zu bestrafen.“
113.1. Die Revisionslegitimation des Finanzamtes ergibt sich aus § 32 Abs. 1 Z 1 LSD-BG.
123.2. Die Revision bringt zu ihrer Zulässigkeit vor, das Verwaltungsgericht sei von bestehender Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (Hinweis auf ; , Ra 2018/11/0022) zum Begriff der Lohneinstufungsunterlagen abgewichen. Aus dieser Rechtsprechung sei auch ableitbar, dass keine unzulässige Einschränkung der Dienstleistungsfreiheit vorliege. Hingegen bestehe zum Begriff der Lohnaufzeichnungsunterlagen noch keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, sodass die Klärung dieses Begriffes über den Einzelfall hinaus für die Rechtsanwendung von grundsätzlicher Bedeutung sei. Ausgehend von seiner unzutreffenden Rechtsansicht habe es das Verwaltungsgericht unterlassen, Feststellungen zu treffen, ob die im Revisionsfall vorgelegten Unterlagen als solche betreffend die Lohneinstufung bzw. die Lohnaufzeichnung anzusehen seien. Dadurch habe das Verwaltungsgericht gegen die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Begründungspflicht verstoßen.
133.3. Die Revision ist schon deswegen zulässig, weil das Verwaltungsgericht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Vereinbarkeit der Bereithaltepflicht von Lohnunterlagen mit dem Unionsrecht abgewichen ist.
144. Die Revision ist auch begründet.
15§ 22 LSD-BG sieht die Verpflichtung zur Bereithaltung von Lohnunterlagen vor. Diese Verpflichtung soll eine wirksame Lohnkontrolle ermöglichen (vgl. , zur Vorgängerbestimmung des § 7d AVRAG).
16Der Verwaltungsgerichtshof hat im Erkenntnis vom , Ra 2016/11/0164, unter ausführlicher Bezugnahme auf die Rechtsprechung des EuGH - einschließlich des im angefochtenen Erkenntnis bezogenen Urteils vom , Kommission gegen Deutschland, C-490/04 - dargelegt, dass gegen die in § 7d Abs. 1 AVRAG normierte Verpflichtung zur Bereithaltung von Lohnunterlagen in deutscher Sprache am Arbeitsort aus dem Blickwinkel des Unionsrechts keine Bedenken bestehen. Er hat dies in dem zitierten Erkenntnis ausdrücklich auch für die Unterlagen betreffend die Lohneinstufung ausgesprochen (Rn 26). An dieser Rechtsprechung hat der Verwaltungsgerichtshof seither festgehalten (vgl. ; , Ra 2018/11/0022, Rn 11; , Ra 2018/11/0118, Rn 23; , Ra 2019/11/0033, Rn 16), und zwar auch zur Nachfolgebestimmung des § 22 Abs. 1 LSD-BG (vgl. , 0196, Rn 9 f).
17Der Verwaltungsgerichtshof hat auch ausgesprochen, dass „Unterlagen betreffend die Lohneinstufung“ gemäß § 7d Abs. 1 AVRAG „zur Überprüfung des dem/der entsandten Arbeitnehmers/in für die Dauer der Beschäftigung nach den österreichischen Rechtsvorschriften gebührenden Entgelts“ geeignet sein müssen, und darauf hingewiesen, dass angesichts der Verschiedenheit der von § 7d AVRAG erfassten beruflichen Tätigkeiten (und damit der Unterschiedlichkeit jener Rechtsvorschriften, wie insbesondere der Kollektivverträge, die die Entlohnung dieser Tätigkeiten regeln) die im konkreten Fall in Betracht kommenden Unterlagen betreffend die Lohneinstufung nicht im Vorhinein und generell präzisiert werden können, sondern vom Einzelfall abhängig sind (vgl. ). Der Verwaltungsgerichtshof hat auch klargestellt, dass die Lohneinstufung eines entsendeten Arbeitnehmers nicht zwingend einem eigenen Dokument entnommen werden muss, sondern etwa auch aus einem ordnungsgemäß bereitgehaltenen Dienstzettel oder Arbeitsvertrag hervorgehen kann (vgl. , Rn 49; , Ra 2018/11/0248). Diese Rechtsprechung ist auf die Nachfolgeregelung des § 22 Abs. 1 LSD-BG übertragbar.
18Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung bestehen gegen die Unionsrechtskonformität der gegenständlichen Bereithaltepflicht auch im Hinblick auf die - im Übrigen nicht näher begründete - Argumentation des Verwaltungsgerichts, die Bereithaltung „sämtlicher“ Unterlagen zur Lohneinstufung sei praktisch nicht möglich bzw. zu aufwändig, keine Bedenken, weil diese Unterlagen eine wirksame Kontrolle des dem entsandten Arbeitnehmer für die Dauer der Beschäftigung nach den österreichischen Rechtsvorschriften gebührenden Entgelts erst ermöglichen (vgl. Rn 74-75 des zitierten Urteils C-490/04).
195. Da das angefochtene Erkenntnis somit auf der unzutreffenden Rechtsauffassung beruht, die Verpflichtung zur Bereithaltung der Unterlagen betreffend die Lohneinstufung sei mit dem Unionsrecht nicht vereinbar und auf Grund von dessen Anwendungsvorrang nicht anzuwenden, war es schon aus diesem Grund wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben, ohne dass auf das übrige Revisionsvorbringen einzugehen war.
206. Für das fortzusetzende Verfahren ist das Verwaltungsgericht darauf hinzuweisen, dass es ihm bei Bedenken, ob die Verfassungsmäßigkeit der in § 22 Abs. 1 LSD-BG vorgesehenen Verpflichtung zur Bereithaltung von „Lohnaufzeichnungen“ verwehrt ist, diese Bestimmung einfach unangewendet zu lassen, sondern gemäß Art. 135 Abs. 4 iVm. Art. 89 Abs. 2 B-VG einen Antrag auf Aufhebung dieser Rechtsvorschrift beim Verfassungsgerichtshof zu stellen hätte (vgl. VfSlg. 19.730/2012).
21Für die gemäß § 22 Abs. 1 LSD-BG bereitzuhaltenden „Lohnaufzeichnungen“ gilt im Übrigen sinngemäß Gleiches wie in Rn 17 für den Begriff der „Unterlagen betreffend die Lohneinstufung“ ausgeführt.
22Im fortzusetzenden Verfahren wird überdies das Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom , Rs. C-64/18, Maksimovic, zu beachten sein. Wie der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom , Ra 2019/11/0033 und 0034, bereits ausgesprochen hat, zieht eine Verletzung der Verpflichtung zur Bereitstellung von Lohnunterlagen hinsichtlich mehrerer Arbeitnehmer nur mehr eine einzige Strafe nach sich, da dies zwingende Rechtsfolge des Erfordernisses ist, die Unionsrechtskonformität bei möglichst weitgehender Erhaltung des nationalen Rechts herzustellen (vgl. ebenso zu einer Übertretung der Bereithaltungsverpflichtung gemäß § 22 Abs. 1 LSD-BG ).
Wien, am
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ECLI: | ECLI:AT:VWGH:2020:RO2019110009.J00 |
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