VwGH vom 27.02.2019, Ro 2019/10/0004
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl sowie die Hofräte Dr. Lukasser, Dr. Hofbauer, Dr. Fasching und die Hofrätin Dr. Leonhartsberger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Bleiweiss über die Revisionen 1. des Bundesamtes für Sicherheit im Gesundheitswesen in Wien, vertreten durch Mag. Jürgen Spindlböck, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Schottengasse 4 (protokolliert zur Zl. Ro 2019/10/0004), und 2. des Magistrats der Stadt Wien in 1010 Wien, Wipplingerstraße 6-9 (protokolliert zur Zl. Ro 2019/10/0005), gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom , Zl. VGW- 001/069/4990/2018-5, betreffend Übertretung des Arzneiwareneinfuhrgesetzes 2010 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Magistrat der Stadt Wien; mitbeteiligte Partei: T H in W), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.
Begründung
I.
1 1. Mit Straferkenntnis vom legte die belangte Behörde (der Zweitrevisionswerber) dem Mitbeteiligten zur Last, er habe vorsätzlich im Fernabsatz mit einer Empfängeradresse in 1010 Wien - und somit vom Inland aus - dem Anwendungsbereich des Arzneiwareneinfuhrgesetzes 2010 - AWEG 2010 unterliegende Arzneiwaren, nämlich 90 Stück Modvigil-200 (Modafinil 200 mg), per Fernkommunikationsmittel bestellt, welche von einem näher genannten Unternehmen in Mumbai (Indien) aufgrund der vom Mitbeteiligten getätigten Bestellung im Postversand-Flugverkehr am in das Bundesgebiet (Flughafen Wien-Schwechat) eingeführt worden und vom Zollamt Wien in 1230 Wien entdeckt worden seien; damit habe der Mitbeteiligte zu verantworten, dass entgegen § 3 Abs. 1 AWEG 2010, wonach die Einfuhr oder das Verbringen von Arzneiwaren dosiert oder in Aufmachung für den Kleinverkauf nur zulässig sei, wenn vom Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen eine Einfuhrbescheinigung ausgestellt wurde, die genannten Arzneiwaren ohne Vorliegen der erforderlichen Einfuhrbescheinigung in das österreichische Bundesgebiet eingeführt worden seien.
2 Dadurch habe der Mitbeteiligte § 3 Abs. 1 iVm § 21 Abs. 1 Z 1 AWEG 2010 verletzt, weshalb über ihn eine Geldstrafe von EUR 210,-- (Ersatzfreiheitsstrafe von 12 Stunden) verhängt wurde.
3 2. Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom gab das Verwaltungsgericht Wien einer gegen dieses Straferkenntnis erhobenen Beschwerde des Mitbeteiligten Folge, hob das Straferkenntnis auf und stellte das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs. 1 Z 1 VStG ein.
4 Dem legte das Verwaltungsgericht zugrunde, die belangte Behörde habe mit Blick auf die Anführung von Name und Hauptwohnsitz des Mitbeteiligten als Empfängeradresse auf dem beschlagnahmten Paket davon ausgehen können, dass dieser die Bestellung im Fernabsatz von der Empfängeradresse aus vorgenommen und daher seine Tathandlung dort gesetzt habe.
5 Aus diesem Grund bejahte das Verwaltungsgericht die örtliche Zuständigkeit der belangten Behörde; als für die Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit maßgeblicher Tatort gemäß § 27 Abs. 1 VStG sei nämlich der Ort anzusehen, an dem die Bestellung abgegeben worden sei (Hinweise auf = VwSlg. 13.698 A, sowie - zum Begriff "Einführen" in § 9 Abs. 1 Z 1 Artenhandelsgesetz idF BGBl. I Nr. 29/2006 - = VwSlg. 17.943 A).
6 Zu der dem Mitbeteiligten von der belangten Behörde vorgeworfenen Übertretung des § 3 Abs. 1 AWEG 2010 führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen aus, das Gesetz kenne in seinem § 17 (Abs. 1) ein eigenständiges "Verbot, Arzneiwaren ohne Berechtigung über das Internet oder sonstige Fernkommunikationsmittel zu beziehen". Ein Verstoß gegen das darin normierte Verbot werde allerdings im AWEG 2010 nicht zur Verwaltungsübertretung erklärt und sei nicht strafbewehrt; vielmehr ordne § 17 Abs. 2 AWEG 2010 als einzige Konsequenz eines Zuwiderhandelns an, dass Arzneiwaren und Blutprodukte, "die entgegen Abs. 1 eingeführt oder verbracht werden", dem Absender zurück zu übermitteln oder - sofern dies nicht möglich sei - zu vernichten seien; die Kosten dafür trage jeweils der Besteller.
7 Soweit dem Mitbeteiligten (als einer Privatperson) nach dem Tatvorwurf der belangten Behörde die Bestellung von Arzneiwaren per Fernkommunikationsmittel nach Österreich angelastet werde, wäre dem Mitbeteiligten lediglich ein Verstoß gegen § 17 Abs. 1 AWEG 2010 und nicht auch ein Verstoß gegen § 3 Abs. 1 AWEG 2010 vorzuwerfen; ein solcher Verstoß gegen § 17 Abs. 1 AWEG 2010 stelle allerdings keine (strafbewehrte) Verwaltungsübertretung dar.
8 Die Revision gegen dieses Erkenntnis ließ das Verwaltungsgericht zu. Als grundsätzliche Rechtsfrage sprach es dabei zum einen mit Blick auf die örtliche Zuständigkeit der belangten Behörde die Frage an, ob die maßgebliche, dem Mitbeteiligten vorgeworfene Tathandlung das Absenden der Internet-Bestellung oder vielmehr die von diesem veranlasste Beförderung von Waren in das Bundesgebiet sei.
9 Weiters komme der Frage grundsätzliche Bedeutung zu, ob durch den Bezug von Arzneiwaren und Blutprodukten im Sinn des § 17 Abs. 1 AWEG 2010 durch "Personen, die nicht zur Antragstellung auf Ausstellung einer Einfuhrbescheinigung oder einer Verkehrsfähigkeitsbescheinigung oder zur Meldung berechtigt sind", auch eine Übertretung des § 21 Abs. 1 Z 1 iVm § 3 Abs. 1 AWEG 2010 verwirklicht werden könne.
10 3. Gegen dieses Erkenntnis richten sich die beiden ordentlichen Revisionen, in welchen mit Blick auf ihre Zulässigkeit nach Art. 133 Abs. 4 B-VG keine über die Zulassungsbegründung des Verwaltungsgerichts hinausgehenden Erwägungen unterbreitet werden.
11 Revisionsbeantwortungen wurden nicht erstattet.
II.
Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Verbindung der beiden Revisionen zur gemeinsamen Beratung und Beschlussfassung - in einem gemäß § 12 Abs. 2 VwGG gebildeten Senat - erwogen:
12 1. Für den vorliegenden Fall sind folgende Bestimmungen des Arzneiwareneinfuhrgesetzes 2010 - AWEG 2010, BGBl. I Nr. 79/2010 idF BGBl. I Nr. 163/2015, in den Blick zu nehmen:
"Geltungsbereich
§ 1. (1) Dieses Bundesgesetz gilt für die Einfuhr und das Verbringen von Arzneiwaren und Blutprodukten. (...)
(...)
Begriffsbestimmungen
§ 2. Im Sinne dieses Bundesgesetzes bedeutet:
(...)
4. Einfuhr: Beförderung von Arzneiwaren, Blutprodukten oder Produkten natürlicher Heilvorkommen aus Staaten, die nicht Vertragsparteien des Europäischen Wirtschaftsraumes (EWR) sind, in das Bundesgebiet mit Ausnahme der nachweislichen Durchfuhr;
(...)
6. Fernabsatz: Abschluss eines Vertrages unter ausschließlicher Verwendung eines oder mehrerer Fernkommunikationsmittel;
7. Fernkommunikationsmittel: Kommunikationsmittel, die zum Abschluss eines Vertrages ohne gleichzeitige körperliche Anwesenheit der Parteien verwendet werden können, insbesondere Drucksachen mit oder ohne Anschrift, Kataloge, Pressewerbungen mit Bestellschein, vorgefertigte Standardbriefe, Ferngespräche mit Personen oder Automaten als Gesprächspartner, Hörfunk, Bildtelefon, Telekopie, Teleshopping sowie öffentlich zugängliche elektronische Medien, die eine individuelle Kommunikation ermöglichen, wie etwa das Internet oder die elektronische Post.
(...)
Arzneiwaren
Einfuhr, Verbringen, Behördenzuständigkeit
§ 3. (1) Die Einfuhr oder das Verbringen von Arzneiwaren dosiert oder in Aufmachung für den Kleinverkauf, ist, soweit dieses Bundesgesetz nichts anderes bestimmt, nur zulässig, wenn im Fall der Einfuhr eine Einfuhrbescheinigung ausgestellt wurde oder im Falle des Verbringens eine Meldung erfolgt ist.
(...)
Antrags- und Meldeberechtigung
§ 4. (1) Zur Antragstellung auf Ausstellung einer Einfuhrbescheinigung und zur Meldung sind berechtigt:
öffentliche Apotheken,
Anstaltsapotheken, und
Unternehmen, die in einer Vertragspartei des EWR zum Vertrieb von Arzneiwaren berechtigt sind.
(...)
Fernabsatz
Bezug von Arzneiwaren und Blutprodukten im Fernabsatz
§ 17. (1) Der Bezug von Arzneiwaren und Blutprodukten, die im Fernabsatz bestellt wurden, durch Personen, die nicht zur Antragstellung auf Ausstellung einer Einfuhrbescheinigung oder einer Verkehrsfähigkeitsbescheinigung oder zur Meldung berechtigt sind, ist verboten.
(2) Arzneiwaren und Blutprodukte, die entgegen Abs. 1 eingeführt oder verbracht werden, sind dem Absender zurück zu übermitteln, oder sofern dies nicht möglich ist, zu vernichten. Die Kosten dafür trägt jeweils der Besteller.
(...)
Strafbestimmungen
§ 21. (1) Wer
Arzneiwaren entgegen § 3 ohne Einfuhrbescheinigung einführt, oder
bei Arzneiwaren die nachträgliche Meldung des Verbringers gemäß § 6 unterlässt oder Arzneiwaren ohne Meldung entgegen § 7, 8 oder 9 verbringt, oder
3.Blutprodukte entgegen § 12 ohne Verkehrsfähigkeitsbescheinigung einführt, oder
4.bei Blutprodukten die nachträgliche Meldung des Verbringens gemäß § 14 Abs. 7 unterlässt oder Blutprodukte ohne Meldung entgegen § 14 Abs. 1 verbringt, oder
5.Produkte natürlicher Heilvorkommen entgegen § 18 ohne Einfuhrbescheinigung einführt, oder
6.den Aufzeichnungspflichten gemäß § 10 Abs. 3 oder § 11 Abs. 5 oder den Verpflichtungen gemäß § 15 zuwiderhandelt, oder
7.den in § 20 genannten Personen das Betreten, Besichtigen, die Überprüfung oder die Entnahme von Proben oder die Einsicht in die nach diesem Bundesgesetz zu führenden Aufzeichnungen verwehrt oder den Anordnungen dieser Person nicht nachkommt,
begeht, sofern die Tat nicht den Tatbestand einer in die Zuständigkeit der Gerichte fallenden strafbaren Handlung bildet, eine Verwaltungsübertretung und ist mit Geldstrafe bis zu 3.600 Euro, im Wiederholungsfall mit einer Geldstrafe bis zu 7.260 Euro zu bestrafen.
(...)"
13 2. Die vorliegenden Revisionen erweisen sich im Sinn der Zulassungsbegründung des angefochtenen Erkenntnisses als zulässig.
14 3. Die darin zunächst angesprochene Rechtsfrage zur Bestimmung des Tatorts gemäß § 27 Abs. 1 VStG - und damit der örtlichen Zuständigkeit der belangten Behörde - wurde vom Verwaltungsgericht zutreffend beurteilt, konnte es sich doch insofern insbesondere auf das Erkenntnis VwSlg. 17.943 A stützen, in dem der Gerichtshof zu der vergleichbaren Verwaltungsübertretung durch ein "Einführen" im Sinn des § 9 Abs. 1 Z 1 Artenhandelsgesetz auf den Ort der Bestellung durch den damaligen Beschwerdeführer (in einem in Wien gelegenen Internetcafe) abgestellt hat.
15 Daran könnte auch eine - in der Revision der erstrevisionswerbenden Partei behauptete - abweichende Spruchpraxis von Verwaltungsgerichten nichts ändern.
16 4.1. Mit Blick auf die zweite in der Zulassungsbegründung des angefochtenen Erkenntnisses angeführte Rechtsfrage, nämlich jener der Anwendbarkeit der Strafbestimmung des § 21 Abs. 1 Z 1 iVm § 3 Abs. 1 AWEG 2010 auf einen Fall wie den vorliegenden, erweisen sich die Revisionen hingegen als berechtigt.
17 4.2. Die belangte Behörde hat dem Mitbeteiligten im Straferkenntnis vom einen Verstoß gegen § 3 Abs. 1 AWEG 2010 vorgeworfen. Nach dieser Bestimmung ist die Einfuhr oder das Verbringen von Arzneiwaren dosiert oder in Aufmachung für den Kleinverkauf - soweit dieses Bundesgesetz nichts anderes bestimmt - nur zulässig, wenn im Fall der Einfuhr eine Einfuhrbescheinigung ausgestellt wurde oder im Falle des Verbringens eine Meldung erfolgt ist.
18 Dem angefochtenen Erkenntnis liegt demgegenüber die Auffassung zugrunde, dem Mitbeteiligten (bei dem es sich unstrittig nicht um einen nach § 4 Abs. 1 AWEG 2010 zur Antragstellung auf Ausstellung einer Einfuhrbescheinigung und zur Meldung Berechtigten handelt) wäre - ausgehend von dem Tatvorwurf der belangten Behörde - die Bestellung von Arzneiwaren per Fernkommunikationsmittel nach Österreich und damit lediglich ein Verstoß gegen § 17 Abs. 1 AWEG 2010, nicht hingegen ein Verstoß gegen § 3 Abs. 1 AWEG 2010 vorzuwerfen; ein solcher Verstoß gegen § 17 Abs. 1 AWEG 2010 stelle allerdings keine (strafbewehrte) Verwaltungsübertretung dar.
19 § 17 Abs. 1 AWEG 2010 normiere nämlich gegenüber § 3 Abs. 1 AWEG 2010 ein "eigenständiges Verbot".
20 4.3. Diese Auffassung, welche § 17 Abs. 1 AWEG 2010 gegenüber § 3 Abs. 1 AWEG 2010 als lex specialis versteht, trifft nicht zu.
21 Die Bestimmungen der § 3 Abs. 1 und 17 Abs. 1 AWEG 2010 stehen zueinander nicht im Verhältnis von genereller zu spezieller Norm, zumal die Rechtsfolge (Unzulässigkeit) in beiden Fällen ident ist. Es bedarf daher nicht der Annahme, dass § 17 Abs. 1 AWEG 2010 der Regelung des § 3 Abs. 1 AWEG 2010 derogierte.
22 Davon ausgehend ist ein Verhalten, das sowohl § 3 Abs. 1 AWEG 2010 als auch § 17 Abs. 1 AWEG 2010 verwirklicht, im Grunde des § 21 Abs. 1 Z 1 AWEG 2010 strafbar, wenngleich das AWEG 2010 einen Verstoß gegen § 17 Abs. 1 AWEG 2010 nicht mit Strafe bedroht.
23 5. Aus diesem Grund hat das Verwaltungsgericht das angefochtene Erkenntnis mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet, weshalb es gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.
Wien, am
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ECLI: | ECLI:AT:VWGH:2019:RO2019100004.J00 |
Schlagworte: | Besondere Rechtsgebiete |
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