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VwGH vom 28.02.2022, Ro 2018/22/0012

VwGH vom 28.02.2022, Ro 2018/22/0012

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Pelant sowie die Hofräte Dr. Mayr und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Thaler, über die Revision des Landeshauptmanns von Wien gegen Spruchpunkt II. des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Wien vom , VGW-151/032/15430/2017-17, betreffend Aufenthaltstitel (mitbeteiligte Partei: A D, vertreten durch Dr. Thomas Hofer-Zeni, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Landstraßer Hauptstraße 82/11), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Beschluss (Spruchpunkt II.) wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.

Begründung

1.1. Der Mitbeteiligte, ein Staatsangehöriger von Bosnien und Herzegowina, stellte am unter Berufung auf seine am  mit einer österreichischen Staatsbürgerin (im Folgenden: Ehefrau) geschlossene Ehe einen Erstantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Familienangehöriger“ gemäß § 47 Abs. 2 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG).

Der Landeshauptmann von Wien (im Folgenden: Behörde) erteilte dem Mitbeteiligten am den beantragten Aufenthaltstitel mit Gültigkeit vom bis zum .

1.2. Am stellte der Mitbeteiligte einen Verlängerungsantrag.

Die Behörde veranlasste in der Folge die Vornahme polizeilicher Erhebungen wegen Verdacht auf Vorliegen einer Aufenthaltsehe.

2.1. Mit Bescheid vom nahm die Behörde das rechtskräftig abgeschlossene Verfahren über den Erstantrag gemäß § 69 Abs. 1 Z 1 in Verbindung mit Abs. 3 AVG von Amts wegen wieder auf und wies unter einem den Antrag gemäß § 70 Abs. 1 AVG in Verbindung mit § 11 Abs. 1 Z 4 NAG ab. Weiters wies es auch den Verlängerungsantrag gemäß § 11 Abs. 1 Z 4 NAG ab. Die Behörde führte dazu im Wesentlichen aus, die polizeiliche Überprüfung habe ergeben, dass der Mitbeteiligte die Ehe nur deshalb geschlossen habe, um sich einen Aufenthaltstitel zu verschaffen; es liege daher eine Aufenthaltsehe vor.

2.2. Der Mitbeteiligte erhob gegen den Bescheid Beschwerde mit dem wesentlichen Vorbringen, die Behörde gehe zu Unrecht vom Vorliegen einer Aufenthaltsehe aus. Der Mitbeteiligte habe von Beginn seines Aufenthalts an eine eheliche Gemeinschaft mit seiner Ehefrau an deren Wohnanschrift geführt. Zwar habe er nach etwa einem Jahr eine gesonderte Wohnung genommen, weil er von den Kindern seiner Ehefrau (aus erster Ehe) abgelehnt worden sei. Dies bedeute aber nicht, dass er kein gemeinsames Familienleben mehr mit seiner Ehefrau führe, vielmehr treffe er diese weiterhin und unterhalte mit ihr eine eheliche Beziehung.

3.1. Das Verwaltungsgericht Wien (im Folgenden nur: Verwaltungsgericht) gab der Beschwerde mit Erkenntnis/Beschluss vom Folge, indem es (mit Erkenntnis) den bekämpften Bescheid, soweit damit die Wiederaufnahme des Verfahrens über den Erstantrag und die Abweisung dieses Antrags ausgesprochen wurde, ersatzlos behob (Spruchpunkt III.) sowie (mit Beschluss) den bekämpften Bescheid, soweit damit die Abweisung des Verlängerungsantrags ausgesprochen wurde, aufhob und das betreffende Verfahren gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG an die Behörde zurückverwies (Spruchpunkt II.). Ferner verpflichtete es den Mitbeteiligten zum Ersatz der Dolmetschergebühren (Spruchpunkt I.).

3.2. Das Verwaltungsgericht begründete die ersatzlose Behebung des bekämpften Bescheids im Sinn des Spruchpunkts III. damit, dass aufgrund der Verfahrensergebnisse der Mitbeteiligte mit seiner Ehefrau zunächst ein gemeinsames Familienleben geführt habe und folglich keine Aufenthaltsehe vorgelegen sei. Die Voraussetzungen für eine Wiederaufnahme des Verfahrens über den Erstantrag gemäß § 69 Abs. 1 Z 1 AVG und die Abweisung dieses Antrags seien daher nicht erfüllt (gewesen), sodass der Bescheid insoweit ersatzlos zu beheben sei.

Die Aufhebung des Bescheids und die Zurückverweisung der Sache im Umfang des Spruchpunkts II. begründete das Verwaltungsgericht damit, dass der Mitbeteiligte im September 2016 wegen Spannungen mit den Kindern seiner Ehefrau aus der Ehewohnung ausgezogen sei, seitdem keine eheliche Beziehung mehr mit der Ehefrau unterhalte und seit Februar 2017 mit einer anderen Frau zusammenlebe. Es bestehe daher im maßgeblichen Entscheidungszeitpunkt des Verwaltungsgerichts kein gemeinsames Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK mehr, sodass von einer Aufenthaltsehe gemäß § 30 Abs. 1 NAG auszugehen sei. Zwar berühre deren Vorliegen nicht die vom formalen Bestand der Ehe abhängige Eigenschaft als Familienangehöriger gemäß § 2 Abs. 1 Z 9 NAG, sodass die diesbezügliche besondere Erteilungsvoraussetzung erfüllt sei. Der Verlängerung des Aufenthaltstitels stehe jedoch das absolute Erteilungshindernis des § 11 Abs. 1 Z 4 NAG entgegen. Dabei berechtige das Vorliegen einer Aufenthaltsehe freilich nicht zur Abweisung des Antrags, sondern es sei vielmehr gemäß § 25 Abs. 1 NAG vorzugehen. Ein solches Vorgehen falle aber nach dem Wortlaut der Bestimmung in die ausschließliche Zuständigkeit der Behörde, sodass der Bescheid aufzuheben und die Sache zurückzuverweisen sei.

3.3. Das Verwaltungsgericht sprach ferner aus, dass gegen den Beschluss Spruchpunkt II. die ordentliche Revision zulässig sei. Es fehle Rechtsprechung zu der Frage, ob im Verlängerungsverfahren bei Vorliegen einer Aufenthaltsehe der Antrag sogleich abzuweisen oder gemäß § 25 Abs. 1 NAG vorzugehen sei, sowie ob das Verwaltungsgericht selbst nach der genannten Bestimmung vorzugehen habe oder dies der Behörde vorbehalten sei. Im Übrigen sprach das Verwaltungsgericht aus, dass die Revision nicht zulässig sei.

4.1. Gegen den Beschluss Spruchpunkt II. wendet sich die ordentliche Revision. Die Behörde macht in der Zulässigkeitsbegründung - unter dem Gesichtspunkt eines Fehlens von Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs bzw. des Abweichens von einer solchen Rechtsprechung - geltend, ein Fremder könne sich bei Vorliegen einer Aufenthaltsehe nicht auf die Eigenschaft als Familienangehöriger gemäß § 2 Abs. 1 Z 9 NAG berufen. Es sei daher die diesbezügliche besondere Erteilungsvoraussetzung nicht erfüllt, sodass ein Verfahren gemäß § 25 Abs. 1 NAG schon deshalb nicht in Betracht komme. Weiters komme ein solches Verfahren auch deshalb nicht in Frage, weil § 11 Abs. 3 NAG im Fall einer Aufenthaltsehe eine Abwägung nach Art. 8 EMRK nicht vorsehe, eine solche Abwägung jedoch auch im Zentrum des § 25 Abs. 1 NAG stehe, sodass ein Verfahren nach dieser Bestimmung ebenso nicht geboten erscheine. Ferner sei nicht ersichtlich, warum das Verwaltungsgericht nicht selbst gemäß § 25 Abs. 1 NAG an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (im Folgenden: BFA) herantreten könnte; die Begründung des Verwaltungsgerichts für eine exklusive Zuständigkeit der Behörde sei nicht nachvollziehbar. Nicht zuletzt komme eine Zurückverweisung gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG auch nur ausnahmsweise unter besonderen (näher erörterten) Voraussetzungen in Betracht.

4.2. Der Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung mit dem Antrag auf Abweisung der Revision.

5. Der Verwaltungsgerichtshof hat - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat - erwogen:

Die Revision ist zulässig, weil das Verwaltungsgericht von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zur Zulässigkeit einer Zurückverweisung gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG abgewichen ist. Sie ist aus dem Grund auch berechtigt.

6.1. Vorauszuschicken ist, dass das Verwaltungsgericht zu dem Ergebnis gelangte, dass der Mitbeteiligte eine Aufenthaltsehe im Sinn des § 30 Abs. 1 NAG führt. Er unterhält laut den vom Verwaltungsgericht getroffenen unbestrittenen Feststellungen seit September 2016 kein gemeinsames Familienleben im Sinn des Art. 8 EMRK mehr mit seiner Ehefrau und lebt zudem seit Februar 2017 mit einer anderen Frau zusammen. Dies zugrunde legend durfte er sich im Verlängerungsverfahren (sowohl bei der Antragstellung am als auch im weiteren Verlauf dieses Verfahrens) nicht mehr auf die Ehe zur Erteilung des Aufenthaltstitels berufen. Dass die Ehe weiterhin aufrecht ist, ändert daran nichts, reicht doch das formale Band der Ehe nicht aus, um aufenthaltsrechtliche Wirkungen zugunsten des ausländischen Ehegatten abzuleiten (vgl. , Rn. 10, 12; , Ro 2016/22/0014, Rn. 8).

6.2. Gemäß § 47 Abs. 2 NAG ist der vom Mitbeteiligten beantragte Aufenthaltstitel „Familienangehöriger“ zu erteilen, wenn (unter anderem) die Voraussetzungen des 1. Teiles, also insbesondere die in § 11 Abs. 1 und 2 NAG geregelten allgemeinen Erteilungsvoraussetzungen, erfüllt sind. Fallbezogen wäre freilich aufgrund des Vorliegens einer Aufenthaltsehe der absolute Versagungsgrund des § 11 Abs. 1 Z 4 NAG, wonach ein Aufenthaltstitel bei Vorliegen einer Aufenthaltsehe im Sinn des § 30 Abs. 1 NAG zwingend nicht zu erteilen ist, verwirklicht (vgl. ; , Ra 2020/22/0029, Rn. 8).

7.1. Wie im Verlängerungsverfahren im Fall des Fehlens von Erteilungsvoraussetzungen vorzugehen ist, wird in § 25 NAG - wie folgt - näher geregelt:

„§ 25. (1) Fehlen in einem Verfahren zur Verlängerung des Aufenthaltstitels Erteilungsvoraussetzungen gemäß § 11 Abs. 1 und 2, so hat die Behörde - gegebenenfalls nach Einholung einer Stellungnahme des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl - den Antragsteller davon in Kenntnis zu setzen und ihm mitzuteilen, dass eine Aufenthaltsbeendigung gemäß §§ 52 ff. FPG beabsichtigt ist und ihm darzulegen, warum dies unter Bedachtnahme auf den Schutz seines Privat- oder Familienlebens (§ 9 BFA-Verfahrensgesetz [...]) zulässig scheint. Außerdem hat sie ihn zu informieren, dass er das Recht hat, sich hiezu binnen einer gleichzeitig festzusetzenden, 14 Tage nicht unterschreitenden Frist zu äußern. Nach Ablauf dieser Frist hat die Behörde das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl - gegebenenfalls unter Anschluss der Stellungnahme des Fremden - zu verständigen [...]

(2) Erwächst eine Aufenthaltsbeendigung in Rechtskraft, ist das Verfahren über den Verlängerungsantrag auf Erteilung des Aufenthaltstitels formlos einzustellen [...] Ist eine Aufenthaltsbeendigung unzulässig, hat die Behörde einen Aufenthaltstitel mit dem gleichen Zweckumfang zu erteilen.

(3) Fehlen in einem Verfahren zur Verlängerung eines Aufenthaltstitels besondere Erteilungsvoraussetzungen des 2. Teiles, hat die Behörde den Antrag ohne weiteres abzuweisen.“

7.2. Nach den Gesetzesmaterialien zum Fremdenrechtspaket 2005 (vgl. ErläutRV 952 BlgNR 22. GP 130) stellt § 25 NAG das Verfahren im Fall des Fehlens von Erteilungsvoraussetzungen bei einem Verlängerungsantrag dar. Fehlen besondere Erteilungsvoraussetzungen, so ist der Verlängerungsantrag gemäß § 25 Abs. 3 NAG ohne weiteres abzuweisen. Fehlen (allgemeine) Erteilungsvoraussetzungen gemäß § 11 Abs. 1 und 2 NAG, so hat die Behörde den Antragsteller davon in Kenntnis zu setzen und zu einer Äußerung aufzufordern. Nach Eingang der Äußerung oder nach fruchtlosem Ablauf der eingeräumten Frist ist der Akt der Fremdenpolizeibehörde vorzulegen. Diese prüft, ob gegen den Fremden eine aufenthaltsbeendende Maßnahme erlassen werden kann. Ist das nicht der Fall, so ist dem Fremden von der Niederlassungsbehörde ein Aufenthaltstitel mit dem gleichen Aufenthaltszweck (vgl. § 25 Abs. 2 NAG) zu erteilen.

7.3. Auch der Verwaltungsgerichtshof hat bereits wiederholt ausgesprochen, dass bei Fehlen einer besonderen Erteilungsvoraussetzung der Verlängerungsantrag gemäß § 25 Abs. 3 NAG von der Niederlassungsbehörde ohne weiteres abzuweisen und nicht die Vorgehensweise gemäß § 25 Abs. 1 NAG einzuhalten ist. Hingegen regelt diese (zuletzt genannte) Bestimmung die Vorgehensweise bei Fehlen einer allgemeinen Erteilungsvoraussetzung (des § 11 Abs. 1 und 2 NAG), nämlich Verständigung des BFA zur allfälligen Einleitung eines Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme (vgl. etwa ; , Ra 2017/22/0016, Rn. 7).

7.4. Im Hinblick darauf ist jedoch die - vom Verwaltungsgericht in der Zulassungsbegründung der Revision aufgeworfene - Rechtsfrage, ob (bzw. inwiefern) im Verlängerungsverfahren bei Vorliegen einer Aufenthaltsehe ein Antrag sogleich abzuweisen oder ein Vorgehen gemäß § 25 Abs. 1 NAG geboten ist, aufgrund der Gesetzeslage und der Rechtsprechung (hinreichend) klargestellt.

8.1. Nicht gefolgt werden kann in dem Zusammenhang auch dem Vorbringen in der Zulässigkeitsbegründung der Revision, ein Fremder könne sich bei Vorliegen einer Aufenthaltsehe nicht auf die Eigenschaft als Familienangehöriger gemäß § 2 Abs. 1 Z 9 NAG berufen, es sei daher schon die diesbezügliche besondere Erteilungsvoraussetzung des § 47 Abs. 2 NAG nicht erfüllt, sodass ein Vorgehen gemäß § 25 Abs. 1 NAG nicht in Betracht komme.

8.2. Die Erteilung eines Aufenthaltstitels „Familienangehöriger“ gemäß § 47 Abs. 2 NAG setzt die Eigenschaft als Familienangehöriger im Sinn des § 2 Abs. 1 Z 9 NAG voraus. Gemäß dieser Bestimmung ist Familienangehöriger unter anderem, wer Ehegatte ist und das 21. Lebensjahr zum Zeitpunkt der Antragstellung vollendet hat. Dabei muss die Ehe im Entscheidungszeitpunkt formal aufrecht und der Antragsteller somit Familienangehöriger sein (vgl. etwa , Rn. 10). Auf ein über die formale Ehegatteneigenschaft hinausgehendes aufrechtes Familienleben stellt § 2 Abs. 1 Z 9 NAG indessen nicht ab (vgl. in dem Sinn etwa , wo hervorgehoben wird, dass die Eigenschaft als Familienangehöriger allein aufgrund einer - obwohl regelmäßig mit dem Ende des gemeinsamen Familienlebens verbundenen - Scheidungsabsicht nicht verloren geht; vgl. auch erneut VwGH Ro 2016/22/0014, Rn. 8, Ra 2017/22/0081, Rn. 12, wo jeweils - trotz Fehlen eines aufrechten Familienlebens und damit Vorliegen einer Aufenthaltsehe - das formale Bestehen der Ehe hervorgehoben und implizit die besondere Erteilungsvoraussetzung der Familienangehörigeneigenschaft bejaht wird).

8.3. Im Hinblick darauf begegnet es jedoch keinen Bedenken, dass das Verwaltungsgericht auf Basis der unstrittigen Feststellung des formalen Bestehens der Ehe im Entscheidungszeitpunkt das Vorliegen der Familienangehörigeneigenschaft des Mitbeteiligten und damit die Erfüllung der diesbezüglichen besonderen Erteilungsvoraussetzung des § 47 Abs. 2 NAG bejaht hat.

9.1. Nicht gefolgt werden kann weiters der Argumentation in der Zulässigkeitsbegründung der Revision, ein Verfahren gemäß § 25 Abs. 1 NAG komme schon deshalb nicht in Betracht, weil § 11 Abs. 3 NAG im Fall einer Aufenthaltsehe eine Abwägung nach Art. 8 EMRK nicht vorsehe, eine solche Abwägung aber auch im Zentrum des § 25 Abs. 1 NAG stehe, sodass ein Verfahren nach der genannten Bestimmung ebenso nicht geboten erscheine.

9.2. Zutreffend ist, dass eine Interessenabwägung gemäß § 11 Abs. 3 NAG bei Verwirklichung des absoluten Versagungsgrunds des § 11 Abs. 1 Z 4 NAG (Vorliegen einer Aufenthaltsehe gemäß § 30 Abs. 1 NAG) nicht vorzunehmen ist (vgl. etwa , Rn. 17), wohingegen im Rahmen des § 25 Abs. 1 NAG eine Bedachtnahme auf den Schutz des Privat- und Familienlebens gemäß § 9 BFA-VG ohne Einschränkung vorgesehen ist. Der sachliche Grund für diese Differenzierung ist darin zu erblicken, dass sich der Antragsteller im Fall eines Verlängerungsantrags bereits eine bestimmte Zeit rechtmäßig in Österreich aufgehalten hat und im Zuge dessen auch eine gewisse Integration erlangt hat, die im Verlängerungsverfahren durch die in § 25 Abs. 1 NAG ohne Einschränkung vorgesehene Bedachtnahme auf den Schutz des Privat- und Familienlebens nach Art. 8 EMRK entsprechend zu berücksichtigen ist. Ausgehend davon bestehen jedoch in Bezug auf die sachliche Rechtfertigung der im Blick stehenden Differenzierung keinerlei Bedenken. Da die Bestimmung des § 25 Abs. 1 NAG insofern völlig eindeutig ist, liegt auch keine planwidrige Lücke vor, deren Schließung die Behörde durch analoge Heranziehung des § 11 Abs. 3 NAG anzustreben scheint.

10.1. Soweit in der Zulassungsbegründung der Revision ferner das Fehlen von Rechtsprechung zu der Frage, ob ein Vorgehen gemäß § 25 Abs. 1 NAG ausschließlich der Behörde oder auch dem Verwaltungsgericht obliege, releviert wird, ist festzuhalten, dass diese Frage in der Rechtsprechung bereits geklärt ist.

10.2. So hat der Verwaltungsgerichtshof bereits klargestellt, dass der Umstand allein, dass im Verlängerungsverfahren erst das Verwaltungsgericht vom Fehlen einer allgemeinen Erteilungsvoraussetzung ausgegangen ist, an der Maßgeblichkeit des § 25 NAG nichts zu ändern vermag (vgl. , Pkt. 4.7.). Wie der Verwaltungsgerichtshof weiters schon (in einer Konstellation wie hier, wo erst das Verwaltungsgericht vom Fehlen einer allgemeinen Erteilungsvoraussetzung ausgegangen ist) ausgesprochen hat, berechtigt der Umstand, dass die Behörde nicht befugt wäre, den Verlängerungsantrag bei Fehlen einer allgemeinen Erteilungsvoraussetzung abzuweisen, sondern zu einem Vorgehen gemäß § 25 Abs. 1 NAG angehalten wäre, das Verwaltungsgericht nicht, die Angelegenheit an die Behörde zurückzuverweisen. Gemäß § 17 VwGVG sind nämlich die verfahrensrechtlichen Bestimmungen des NAG, welche die Behörde in seinem dem Verfahren vor dem Verwaltungsgericht vorangehenden Verfahren anzuwenden gehabt hätte, vom Verwaltungsgericht sinngemäß anzuwenden. Daraus folgt jedoch, dass § 25 NAG auch vom Verwaltungsgericht anzuwenden ist, ungeachtet dessen, dass in der genannten Bestimmung lediglich von der „Behörde“ die Rede ist (vgl. zum Ganzen , insbesondere Rn. 23 f; , Ra 2018/22/0060, Rn. 14).

10.3. Demnach erweist sich die Rechtsansicht des Verwaltungsgerichts, ein Vorgehen gemäß § 25 Abs. 1 NAG liege im ausschließlichen Zuständigkeitsbereich der Verwaltungsbehörde, als nicht begründet. Eine allein aus § 25 Abs. 1 NAG abgeleitete Befugnis zur Zurückverweisung der Sache an die Behörde besteht somit nicht.

11.1. Ob das Verwaltungsgericht zur Zurückverweisung der Sache an die Behörde berechtigt war, bestimmt sich folglich nach der (allgemeinen) verfahrensrechtlichen Bestimmung des § 28 VwGVG.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs normiert § 28 VwGVG einen prinzipiellen Vorrang der meritorischen Entscheidungspflicht der Verwaltungsgerichte. Von der Möglichkeit der Zurückverweisung kann nur bei krassen bzw. besonders gravierenden Ermittlungslücken Gebrauch gemacht werden. Eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen kommt folglich nur dann in Betracht, wenn die Behörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen, zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl. § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Liegen die Voraussetzungen des § 28 Abs. 2 VwGVG für eine Sachentscheidung vor, so hat das Verwaltungsgericht jedenfalls eine solche zu treffen. Zudem hat es nachvollziehbar zu begründen, wenn es seine meritorische Entscheidungszuständigkeit als nicht gegeben annimmt (vgl. etwa , Rn. 10; , Ra 2020/22/0198, Rn. 6).

11.2. Dass vorliegend die Voraussetzungen erfüllt seien, unter denen nach der aufgezeigten Rechtsprechung eine Zurückverweisung gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG gerechtfertigt wäre (Unterlassen jeglicher erforderlichen Ermittlungstätigkeit bzw. Vornahme lediglich völlig ungeeigneter oder bloß ansatzweiser Ermittlungen), wurde vom Verwaltungsgericht im angefochtenen Beschluss nicht im Ansatz dargelegt und ist vom Verwaltungsgerichtshof auch nicht zu sehen. Folglich kommt eine Zurückverweisung nach der genannten Bestimmung nicht in Betracht.

12. Insgesamt war daher aus den dargelegten Erwägungen der angefochtene Beschluss im Umfang seines Spruchpunkts II. wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Wien, am

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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2022:RO2018220012.J00

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