VwGH vom 13.12.2018, Ro 2018/22/0004
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Robl sowie die Hofräte Dr. Mayr und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Strasser, über die Revisionen 1. des Landeshauptmannes von Wien (als belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht; protokolliert zu hg. Ro 2018/22/0004) und 2. des Bundesministers für Inneres (protokolliert zu hg. Ro 2018/22/0005) jeweils gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom , VGW-151/004/3944/2017-9, betreffend Aufenthaltstitel (mitbeteiligte Partei: B K Y in W, vertreten durch Mag.a Irene Oberschlick, Rechtsanwältin in 1030 Wien, Weyrgasse 8/6), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
1 Der Mitbeteiligte, ein türkischer Staatsangehöriger, verfügte zuletzt über eine Aufenthaltsbewilligung "Studierender" gemäß § 64 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) mit einer Gültigkeit bis zum . Mit Schreiben vom stellte er, nachdem er zunächst rechtzeitig einen Verlängerungsantrag gestellt hatte, unter Berufung auf Art. 6 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates vom über die Entwicklung der Assoziation (ARB 1/80) einen Zweckänderungsantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" gemäß § 41a NAG.
2 Mit Bescheid vom wies der Landeshauptmann von Wien (Erstrevisionswerber) diesen Zweckänderungsantrag ab. Begründend wurde ausgeführt, dass die aus dem ARB 1/80 erfließenden Rechte des Mitbeteiligten bei Beibehaltung des derzeitigen Aufenthaltstitels (durch eine Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung "Studierender") gewahrt blieben.
3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom gab das Verwaltungsgericht Wien der dagegen erhobenen Beschwerde des Mitbeteiligten nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung statt und erteilte ihm einen Aufenthaltstitel "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" für die Dauer von zwölf Monaten. Die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG wurde für zulässig erklärt.
Ausgehend von den festgestellten Beschäftigungszeiten sowie den erteilten Beschäftigungsbewilligungen könne der Mitbeteiligte - so das Verwaltungsgericht - eine ununterbrochene ordnungsgemäße Beschäftigung von jedenfalls mehr als einem Jahr vorweisen. Art. 6 Abs. 1 erster Spiegelstrich ARB 1/80 sei daher anwendbar. Mit den im Bereich der Beschäftigung verliehenen Rechten gehe ein entsprechendes Aufenthaltsrecht einher, das ex lege bestehe. Einen gesonderten Aufenthaltstitel für türkische Staatsangehörige, die Ansprüche aus Art. 6 oder 7 ARB 1/80 ableiten könnten, kenne das NAG nicht. Mangels einer innerstaatlichen Regelung betreffend eine für diese Fälle auszustellende Dokumentation sei jener nationale Aufenthaltstitel zu erteilen, der den türkischen Staatsangehörigen bestmöglich in die Lage versetze, von seinen aus Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 ableitbaren Rechten Gebrauch zu machen. Das Verwaltungsgericht verkenne zwar nicht, dass der Mitbeteiligte nach Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 noch keinen unbeschränkten Zugang zum Arbeitsmarkt erworben habe, allerdings komme - ungeachtet dessen, dass dem erteilten Aufenthaltstitel nur deklarative Wirkung zukomme - entsprechend dem beantragten Aufenthaltszweck kein anderer Aufenthaltstitel als die "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" in Betracht.
Die Zulässigkeit der ordentlichen Revision begründete das Verwaltungsgericht damit, dass Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dazu fehle, welcher Aufenthaltstitel nach dem NAG einem türkischen Staatsangehörigen, der Ansprüche nach Art. 6 Abs. 1 erster Spiegelstrich ARB 1/80 erworben habe, zu erteilen sei.
4 Gegen dieses Erkenntnis richten sich die vorliegenden ordentlichen Amtsrevisionen der belangten Behörde und des Bundesministers für Inneres.
Die Revisionswerber wenden sich nicht gegen die Beurteilung des Verwaltungsgerichtes, wonach vorliegend die Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 1 erster Spiegelstrich ARB 1/80 erfüllt seien. Auch wenn das NAG keinen spezifischen Aufenthaltstitel für diese Konstellation vorsehe, könne die Ausübung der durch Art. 6 Abs. 1 erster Spiegelstrich ARB 1/80 eingeräumten Rechte durch die Verlängerung der Aufenthaltsbewilligung "Studierender" gewahrt werden, wobei diesfalls einzelne Erteilungsvoraussetzungen unangewendet zu bleiben hätten. Der erteilte Aufenthaltstitel "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" umfasse das Recht auf unbeschränkten Zugang zum Arbeitsmarkt und sei daher kein der erlaubten Beschäftigung "entsprechendes" Aufenthaltsrecht, weil Art. 6 Abs. 1 erster Spiegelstrich ARB 1/80 nur ein Recht auf Verlängerung der Arbeitserlaubnis beim selben Arbeitgeber beinhalte. Die vom Verwaltungsgericht gewählte Vorgehensweise sei daher überschießend.
5 Der Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung mit dem Antrag, die Revision zurückzuweisen, in eventu abzuweisen.
Der Verwaltungsgerichtshof hat die beiden Revisionen wegen des vorliegenden tatsächlichen und rechtlichen Zusammenhangs zur gemeinsamen Entscheidung verbunden und dazu erwogen:
6 Die Revisionen sind aus nachstehenden Gründen zulässig und auch berechtigt.
7 Die gegenständliche Rechtssache gleicht in Ansehung sowohl des relevanten Sachverhalts als auch der maßgeblichen Rechtsfragen jenem Fall, über den der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom , Ro 2017/22/0015, entschieden hat. Gemäß § 43 Abs. 2 VwGG wird auf die eingehenden Entscheidungsgründe dieses Erkenntnisses verwiesen. Daraus ergibt sich zusammengefasst, dass dem Mitbeteiligten die aus Art. 6 Abs. 1 erster Spiegelstrich ARB 1/80 abzuleitenden individuellen Rechte unmittelbar zustehen, er jedoch keinen Anspruch auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "Rot-Weiß-Rot - Karte plus", mit dem ein unbeschränkter Zugang zum Arbeitsmarkt verbunden ist, hat. Weiters ergibt sich, dass aus Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 für sich genommen auch kein Anspruch auf Verlängerung einer bestehenden Aufenthaltsbewilligung "Studierender" abgeleitet werden kann.
8 Der Mitbeteiligte verweist in seiner Revisionsbeantwortung auf die Stillhalteklausel des Art. 13 ARB 1/80 und macht geltend, dass die Abschaffung der Arbeitserlaubnis nach § 14a Ausländerbeschäftigungsgesetz (AuslBG) durch die Novelle BGBl. I Nr. 72/2013 eine Verschlechterung seiner Rechtsposition darstelle. Dieses Vorbringen vermag am dargestellten Ergebnis aber schon deswegen nichts zu ändern, weil sich der Mitbeteiligte in seinem Antrag ausdrücklich auf ein aus dem ARB 1/80 abgeleitetes Aufenthaltsrecht berufen hat und auf Grund des ARB 1/80 kein Anspruch auf Ausstellung einer Arbeitserlaubnis nach § 14a AuslBG bestanden hat (siehe , Rn. 19, mwN).
9 Soweit der Mitbeteiligte in seiner Revisionsbeantwortung die Verordnung (EG) Nr. 1030/2002 zur einheitlichen Gestaltung des Aufenthaltstitels für Drittstaatsangehörige ins Treffen führt, ist dazu anzumerken, dass - abgesehen davon, dass das Aufenthaltsrecht in einer Konstellation wie der vorliegenden unmittelbar aus dem ARB 1/80 abgeleitet wird und eine allfällige nationale Aufenthaltsberechtigung nur deklarativen Charakter hätte - daraus kein Anspruch auf Erteilung eines bestimmten innerstaatlichen Aufenthaltstitels abgeleitet werden kann.
10 Das angefochtene Erkenntnis war aus den unter Rn. 7 dargestellten Gründen - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat - wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.
Wien, am
Zusatzinformationen
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ECLI: | ECLI:AT:VWGH:2018:RO2018220004.J00 |
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