VwGH vom 23.01.2019, Ro 2018/20/0002
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler, den Hofrat Mag. Eder, die Hofrätinnen Mag. Hainz-Sator und Dr. Leonhartsberger sowie den Hofrat Dr. Schwarz als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Schweinzer, über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl in 1030 Wien, Modecenterstraße 22, gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom , Zl. W237 2161527-2/3E, betreffend eine Angelegenheit nach dem AsylG 1997 und dem AsylG 2005 (mitbeteiligte Partei: U A in G, ), zu Recht erkannt:
Spruch
Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.
Begründung
1 I. Verfahrensgang
1. Dem Mitbeteiligten, einem Staatsangehörigen der Russischen Föderation, wurde aufgrund eines im September 2005 gestellten Asylantrages mit Bescheid des Bundesasylamtes vom gemäß § 7 Asylgesetz 1997 (AsylG) der Status des Asylberechtigten zuerkannt.
2 Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom wurde dem Mitbeteiligten aufgrund mehrerer strafgerichtlicher Verurteilungen der Status des Asylberechtigten gemäß § 7 Abs. 1 Z 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) aberkannt und der Status des subsidiär Schutzberechtigten nicht zuerkannt. Unter einem wurde eine Rückkehrentscheidung samt weiteren Aussprüchen erlassen. Dieser Bescheid erwuchs unbekämpft in Rechtskraft.
3 2. Mit Bescheid des BFA vom wurde ausgesprochen, dass dem Mitbeteiligten Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigenden Gründen nicht erteilt würden. Weiters erließ das BFA eine Rückkehrentscheidung gegen den Mitbeteiligten, die es mit einem zehnjährigen Einreiseverbot verband.
4 Der Beschwerde gegen diesen Bescheid wurde nicht Folge gegeben und die daraufhin erhobene Revision zurückgewiesen.
5 3. Am stellte der Mitbeteiligte aus dem Stand der Strafhaft einen Antrag auf internationalen Schutz.
6 Nach Einvernahme des Mitbeteiligten hob das BFA mit mündlich verkündetem Bescheid vom den faktischen Abschiebeschutz gegenüber dem Mitbeteiligten gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 auf und legte die Verwaltungsakten zur Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Entscheidung dem Bundesverwaltungsgericht vor.
7 4. Mit dem hier angefochtenen Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts (BVwG) vom wurde gemäß § 12a Abs. 2 iVm § 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005 festgestellt, dass die Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes nicht rechtmäßig sei, und der Bescheid des BFA vom aufgehoben (Spruchpunkt A). Begründend führte das BVwG im Wesentlichen aus, dass mit dem Begriff des "Folgeantrages" - in Bezug auf die Aberkennung des faktischen Abschiebeschutzes gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 - nur ein einem nach dem AsylG 2005 gestellten und bereits rechtskräftig erledigten Antrag auf internationalen Schutz nachfolgender weiterer Antrag auf internationalen Schutz gemeint sein könne.
Die ordentliche Revision wurde gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für zulässig erklärt (Spruchpunkt B), was das BVwG mit dem Fehlen einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu eben dieser Rechtsfrage begründete.
8 5. Gegen den Beschluss des BVwG vom richtet sich die gegenständliche Amtsrevision mit dem Antrag, den angefochtenen Beschluss wegen Rechtswidrigkeit aufzuheben.
9 Der Verwaltungsgerichtshof hat über die zulässige Amtsrevision erwogen:
10 II. Rechtslage
Die für den vorliegenden Revisionsfall maßgeblichen Bestimmungen
lauten auszugsweise:
AsylG, BGBl. I Nr. 76/1997 idF BGBl. I Nr. 129/2004 (VfGH):
"Asylantrag
§ 3. (1) Fremde, die in Österreich Schutz vor Verfolgung (Art. 1 Abschnitt A Z 2 der Genfer Flüchtlingskonvention) suchen, begehren mit einem Asylantrag die Gewährung von Asyl. Ein gesonderter Antrag auf Feststellung der Flüchtlingseigenschaft ist nicht zulässig.
(2) Ein Asylantrag ist gestellt, wenn Fremde auf welche Weise immer gegenüber einer Sicherheitsbehörde oder einem Organ des öffentlichen Sicherheitsdienstes zu erkennen geben, in Österreich Schutz vor Verfolgung zu suchen."
11 Die maßgeblichen Bestimmungen des Asylgesetzes 2005, BGBl. I Nr. 100/2005 idF BGBl. I Nr. 145/2017, lauten auszugsweise:
"Begriffsbestimmungen
§ 2. (1) Im Sinne dieses Bundesgesetzes ist
(...)
13. ein Antrag auf internationalen Schutz: das - auf welche Weise auch immer artikulierte - Ersuchen eines Fremden in Österreich, sich dem Schutz Österreichs unterstellen zu dürfen; der Antrag gilt als Antrag auf Zuerkennung des Status des Asylberechtigten und bei Nichtzuerkennung des Status des Asylberechtigten als Antrag auf Zuerkennung des Status des subsidiär Schutzberechtigten;
(...)
23. ein Folgeantrag: jeder einem bereits rechtskräftig
erledigten Antrag nachfolgender weiterer Antrag;
(...)
Faktischer Abschiebeschutz bei Folgeanträgen
§ 12a. (1)...
(2) Hat der Fremde einen Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23)
gestellt und liegt kein Fall des Abs. 1 vor, kann das Bundesamt
den faktischen Abschiebeschutz des Fremden aufheben, wenn
1. gegen ihn eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG, eine
Anordnung zur Außerlandesbringung gemäß § 61 FPG, eine Ausweisung
gemäß § 66 FPG oder ein Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG besteht,
2. der Antrag voraussichtlich zurückzuweisen ist, weil
keine entscheidungswesentliche Änderung des maßgeblichen
Sachverhalts eingetreten ist, und
3. die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung
keine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2, 3 oder 8 EMRK oder der Protokolle Nr. 6 oder Nr. 13 zur Konvention bedeuten und für ihn als Zivilperson keine ernsthafte Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen Konfliktes mit sich bringen würde."
III. Erwägungen
12 1. In ihrer Zulässigkeitsbegründung bestreitet die Revision die Richtigkeit der vom BVwG vertretenen Rechtsansicht und verweist darauf, dass zu dieser Frage Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs fehle.
13 Der Mitbeteiligte verweist in seiner Revisionsbeantwortung auf die Begründung des angefochtenen Beschlusses.
14 2. Die Amtsrevision erweist sich als zulässig. Sie ist auch begründet.
15 3. Anlässlich der Behandlung der Revision sind beim Verwaltungsgerichtshof Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der die Zuständigkeit des BVwG begründeten Bestimmungen entstanden. Es wurde daher an den Verfassungsgerichthof der Antrag gestellt, näher bezeichnete Bestimmungen des AsylG 2005 und des BFA-VG aufzuheben.
16 Mit Erkenntnis vom , G 186/2018 ua., hat der Verfassungsgerichthof den Antrag abgewiesen und ausgeführt, dass die mit § 22 Abs. 10 AsylG 2005 und § 22 BFA-VG angeordnete Rechtsschutzkonstruktion in Form einer fiktiven Parteibeschwerde in ausnahmslos jedem Fall einer Aufhebung des faktischen Abschiebeschutzes mit dem in Art. 130 und Art. 132 B-VG vorgesehenen System der Verwaltungsgerichtsbarkeit vereinbar sei (Pkt. IV.2.4.3. der Begründung). Es liege auch keine erstinstanzliche Zuständigkeit des BVwG vor. Vor dem Hintergrund des Art. 130 B-VG sei die Frage der Rechtskraftfähigkeit des gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 erlassenen Bescheides unerheblich (Pkt IV.2.5. der Begründung).
17 Ausgehend davon ist zunächst festzuhalten, dass das BVwG zu Recht seine Zuständigkeit bejaht hat.
18 4. Zu den Revisionsgründen ist Folgendes festzuhalten:
19 4.1. Mit dem durch das AsylG 2005 aus dem Gemeinschaftsrecht übernommenen "Antrag auf internationalen Schutz" erfuhr die Rechtslage insofern eine Änderung, als nun der Antrag des Asylwerbers nicht bloß auf die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Asylantrag), sondern hilfsweise für den Fall der "Nichtzuerkennung" dieses Status auch auf die Gewährung des subsidiären Schutzstatus gerichtet ist. Dem Asylwerber kommt also nach dem AsylG 2005 ein Antragsrecht in Bezug auf den subsidiären Schutz zu, das diesbezügliche Begehren ist in seinem Antrag auf internationalen Schutz mitenthalten. Ein gesonderter Antrag auf subsidiären Schutz ist im Gesetz hingegen nicht vorgesehen (vgl. Feßl/Holzschuster, Asylgesetz 2005, 73, und Putzer/Rohrböck, Leitfaden Asylrecht 2005, 73, Rz 153).
20 4.2. Mit der Kontinuität und dem inhaltlichen Gleichklang der hier fraglichen Bestimmungen des AsylG 1997 und des AsylG 2005, hat sich der Verwaltungsgerichtshof - unter Bedachtnahme auf die Übergangsbestimmungen des § 75 AsylG 2005 - bereits in beschäftigt (Pkt. 6.1. ff).
21 Der Verwaltungsgerichtshof hat in diesem Erkenntnis sowohl in Bezug auf die Frage des Asyls als auch in Bezug auf das Verhältnis von § 8 Abs. 1 AsylG und § 8 Abs. 1 Z 1 AsylG 2005 ausgesprochen, dass "auch der Gesetzgeber davon ausging, dass in all diesen Verfahren - trotz zwischenzeitiger Änderungen der Rechtslage durch Institutionalisierung in unterschiedlichen Gesetzen - der maßgebliche Prüfungsgegenstand als ident anzusehen ist" (Pkt. 6.3.8. der Entscheidungsgründe) und "dass der Gesetzgeber auch beim hier in Rede stehenden Ausspruch davon ausging, der Prüfgegenstand nach § 8 Abs. 1 Asylgesetz 1997 und nach § 8 Abs. 1 Z 1 Asylgesetz 2005 sei ident" (Pkt. 6.3.9. der Entscheidungsgründe).
22 Zudem ist darauf hinzuweisen, dass gemäß § 75 Abs. 4 AsylG 2005 ab- oder zurückweisende Bescheide auf Grund des Asylgesetzes, BGBl. Nr. 126/1968, des Asylgesetzes 1991, BGBl. Nr. 8/1992, sowie des Asylgesetzes 1997 in derselben Sache in Verfahren nach diesem Bundesgesetz den Zurückweisungstatbestand der entschiedenen Sache (§ 68 AVG) begründen.
23 Vor dem Hintergrund dieser Rechtslage vermag sich der Verwaltungsgerichtshof der Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts, von einem Folgeantrag könnte immer nur dann gesprochen werden, wenn auch schon der frühere Antrag nach dem AsylG 2005 gestellt worden sei, nicht anzuschließen.
24 Somit erweist sich die allein darauf gegründete Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts als mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit behaftet, weshalb der angefochtene Beschluss aus diesem Grund gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.
Wien, am
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ECLI: | ECLI:AT:VWGH:2019:RO2018200002.J00 |
Schlagworte: | Gemeinschaftsrecht Richtlinie EURallg4 Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2 |
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