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VwGH vom 24.10.2018, Ro 2018/10/0037

VwGH vom 24.10.2018, Ro 2018/10/0037

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl sowie die Hofräte Dr. Lukasser, Dr. Hofbauer, Dr. Fasching und die Hofrätin Dr. Leonhartsberger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Bleiweiss, über die Revision der Bezirkshauptmannschaft Bludenz in 6700 Bludenz, Schloss-Gayenhofplatz 2, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Vorarlberg vom , Zl. LVwG- 340-32/2017-R11, betreffend Mindestsicherung (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Bludenz; mitbeteiligte Partei: H G in N, vertreten durch M G in N), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird im Umfang des Spruchpunktes lit. a) (Wortfolge "80 % der monatlichen Pension") wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Begründung

I.

1 Mit Bescheid vom gewährte die belangte Behörde (die Revisionswerberin) dem Mitbeteiligten für die Abdeckung von Unterkunfts- und Verpflegskosten in einem bestimmten Pflegeheim ab dem Mindestsicherung, wobei der Mitbeteiligte zum Einsatz von eigenen Einkünften - soweit für das vorliegende Revisionsverfahren von Interesse - im Umfang von "80 % der monatlichen Pension abzüglich des Unterhaltsanspruches der Ehegattin" verpflichtet wurde.

2 2. Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom änderte das Verwaltungsgericht diesen Bescheid aufgrund einer Beschwerde des Mitbeteiligten - soweit angesichts des Anfechtungsumfanges der vorliegenden Revision relevant - hinsichtlich der Verpflichtung des Mitbeteiligten zum Einsatz eigener Einkünfte dahin ab, dass dieser zum Einsatz von "80 % der monatlichen Pension" verpflichtet wurde. Dabei stützte sich das Verwaltungsgericht auf § 1, § 5 Abs. 3 und § 8 Vorarlberger Mindestsicherungsgesetz (Vbg. MSG) iVm § 1 Abs. 3, § 5 Abs. 1 und 4, § 6 Abs. 3 und § 9 Vorarlberger Mindestsicherungsverordnung (Vbg. MSV).

3 Dieser Entscheidung legte das Verwaltungsgericht zugrunde, der Mitbeteiligte sei pflegebedürftig und lebe seit Februar 2017 in dem Pflegeheim. Er beziehe im Jahr 2017 eine Pension von EUR 1.216,76 monatlich netto (ohne Sonderzahlungen), außerdem Pflegegeld der Stufe 6 in Höhe von EUR 1.285,20.

4 Zu der gegenüber dem Bescheid der belangten Behörde vorgenommenen Abänderung hinsichtlich des Einsatzes der monatlichen Pension des Mitbeteiligten führte das Verwaltungsgericht begründend aus, nach § 9 Abs. 2 Vbg. MSV dürften bei der Berechnung der Mindestsicherung 20 % der Pension nicht berücksichtigt werden; im Übrigen habe der Mitbeteiligte seine Pension einzusetzen.

5 Die MSV enthalte keine Regelung, wonach einer hilfsbedürftigen Person mehr als diese 20 % verbleiben müssten, um allfällige Unterhaltsansprüche eines Ehegatten abzudecken. Die belangte Behörde habe daher zu Unrecht den Unterhaltsanspruch der Ehegattin von jener Pension abgezogen, die der Mitbeteiligte zur Bezahlung der Pflegeheimkosten einsetzen müsse. Mangels Geltung eines Verschlechterungsverbotes sei der Bescheid daher entsprechend abzuändern. Sollte die Ehegattin über kein ausreichendes Einkommen verfügen, dann stehe "es ihr frei, ebenfalls Mindestsicherung zu beantragen".

6 Die Revision gegen dieses Erkenntnis ließ das Verwaltungsgericht mit Blick auf eine Rechtsfrage zu, auf welche die Revision - schon aufgrund ihres eingeschränkten Anfechtungsumfanges - nicht mehr zurückkommt.

7 3. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende ordentliche Revision der belangten Behörde, deren grundsätzlichen rechtlichen Ausführungen sich die Vorarlberger Landesregierung mit Schreiben vom angeschlossen hat.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

8 1. Nach der hg. Rechtsprechung hat der Revisionswerber auch bei Erhebung einer ordentlichen Revision von sich aus die im Lichte des Art. 133 Abs. 4 B-VG maßgeblichen Gründe der Zulässigkeit der Revision darzulegen, sofern er der Auffassung ist, dass die Begründung des Verwaltungsgerichtes für die Zulässigkeit der Revision nicht ausreicht oder er andere Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung für relevant erachtet (vgl. etwa , oder , Ro 2017/07/0027, jeweils mwN).

9 In diesem Sinn führt die Revisionswerberin zur Zulässigkeit ihrer Revision - ergänzend zu der Zulassungsbegründung des Verwaltungsgerichtes - aus, das angefochtene Erkenntnis weiche von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (nämlich , VwSlg. 15.782 A) ab. Danach ergebe sich aus § 324 Abs. 3 Allgemeines Sozialversicherungsgesetz - ASVG, dass die auf Kosten eines Trägers der Sozialhilfe in einer stationären Einrichtung untergebrachten Personen nicht von ihren Unterhaltspflichten befreit seien. Demgegenüber habe das Verwaltungsgericht mit seiner Entscheidung die den Mitbeteiligten treffende gesetzliche Unterhaltspflicht gegenüber seiner Ehefrau de facto für unbeachtlich und ausgeschlossen erklärt, was gegen die Grundsätze der Mindestsicherung verstoße (Hinweis u. a. auf § 2 Abs. 2 und § 8 Abs. 3 Vbg. MSG).

10 3. Die Revision erweist sich mit Blick auf dieses Vorbringen als zulässig. Sie ist auch berechtigt.

11 3.1. Für den vorliegenden Revisionsfall sind die folgenden

Bestimmungen in den Blick zu nehmen:

12 Vbg. MSG:

"§ 2

Grundsätze für die Gewährung der Mindestsicherung

(...)

(4) Bei der Gewährung der Mindestsicherung ist nach Maßgabe des Einzelfalles darauf Bedacht zu nehmen, dass bei möglichst geringer Einflussnahme auf die Lebensverhältnisse des Hilfsbedürftigen und seiner Familie sowie bei möglichst zweckmäßigem, wirtschaftlichem und sparsamem Aufwand der Hilfsbedürftige zur Selbsthilfe befähigt wird und eine gründliche und dauernde Beseitigung der Hilfsbedürftigkeit zu erwarten ist.

(...)

§ 5

Kernleistungen

(Lebensunterhalt, Wohnbedarf, Schutz bei Krankheit, Schwangerschaft und Entbindung sowie Bestattungskosten)

(1) Der ausreichende Lebensunterhalt umfasst den Aufwand für Nahrung, Bekleidung, Körperpflege, Hausrat, Energie und andere persönliche Bedürfnisse wie die angemessene soziale und kulturelle Teilhabe; weiters umfasst er den Aufwand für den Wohnbedarf (Abs. 2), soweit dieser einen mit Verordnung nach § 8 Abs. 8 zweiter Satz pauschalierten Höchstsatz für den Wohnbedarf übersteigt.

(2) Der Wohnbedarf umfasst den für die Gewährleistung einer angemessenen Wohnsituation erforderlichen regelmäßig wiederkehrenden Aufwand für Miete, allgemeine Betriebskosten und Abgaben.

(3) Bei Hilfsbedürftigen, die in einer stationären Einrichtung untergebracht sind, weil sie nur dort ihre Bedürfnisse nach Abs. 1 und 2 stillen können, umfassen der Lebensunterhalt und der Wohnbedarf jedenfalls auch den Aufwand für die dort anfallenden Unterkunfts- und Verpflegskosten.

(...)

§ 8

Form und Ausmaß der Mindestsicherung

(1) Mindestsicherung wird grundsätzlich in Form von Geldleistungen gewährt. (...) Das Ausmaß der Mindestsicherungsleistung ist im Einzelfall unter Berücksichtigung eines zumutbaren Einsatzes der eigenen Kräfte, insbesondere der eigenen Arbeitskraft, und Mittel zu bestimmen.

(2) Beim Einsatz der eigenen Kräfte ist auf die persönliche und familiäre Situation des Hilfsbedürftigen, insbesondere auf den Gesundheitszustand, das Lebensalter, die Arbeitsfähigkeit, die Zumutbarkeit einer Beschäftigung, die geordnete Erziehung der Kinder, die Führung eines Haushaltes und die Pflege von Angehörigen Bedacht zu nehmen.

(3) Die eigenen Mittel, wozu das gesamte Vermögen und Einkommen gehört, dürfen bei der Bemessung der Mindestsicherung insoweit nicht berücksichtigt werden, als dies mit der Aufgabe der Mindestsicherung unvereinbar wäre oder für den Hilfsbedürftigen oder dessen Angehörige eine besondere Härte bedeuten würde. (...)"

Vbg. MSV:

"§ 9

Berücksichtigung von eigenen Mitteln sowie Leistungen

Dritter

(1) Nach Maßgabe der Abs. 2 bis 6 sind bei der Ermittlung des

Anspruchs auf Leistungen der Mindestsicherung

(...)

c) in einer stationären Pflegeeinrichtung die Einkünfte der

hilfsbedürftigen Person sowie die ihr zur Verfügung stehenden

Leistungen Dritter

zu berücksichtigen.

(2) Bei der Ermittlung des Anspruchs gemäß Abs. 1 dürfen

folgende Einkünfte nicht berücksichtigt werden:

(...)

e) bei hilfsbedürftigen Personen, die in einer stationären

Einrichtung unterstützt werden und die eine Rente, eine Pension

oder ein Rehabilitationsgeld bzw. ein Umschulungsgeld bei

vorübergehender Invalidität bzw. Berufungsunfähigkeit beziehen,

20 v.H. der Rente, der Pension, des Ruhe- oder

Versorgungsgenusses, des Rehabilitationsgeldes bzw. des

Umschulungsgeldes, mindestens jedoch monatlich ein Betrag in Höhe

des Taschengeldes gemäß § 6 Abs. 3 zuzüglich allfälliger

Sonderzahlungen; der außer Ansatz bleibende Betrag ist auf ein

Taschengeld und andere Leistungen anzurechnen,

(...)"

13 3.2. Mit dem angefochtenen Erkenntnis hat das

Verwaltungsgericht dem Mitbeteiligten als einem in einer

stationären Einrichtung untergebrachten Hilfsbedürftigen gemäß § 5

Abs. 3 Vbg. MSG Mindestsicherung zur Abdeckung der in der

stationären Einrichtung anfallenden Unterkunfts- und

Verpflegskosten gewährt. Aufgrund dessen ist dieser im Rahmen der

gesetzlichen Bestimmungen (vgl. § 8 Vbg. MSG) (u.a.) zum Einsatz

der eigenen Einkünfte verpflichtet.

14 Zutreffend weist die Revisionswerberin in diesem Zusammenhang auf dem Vbg. MSG zu entnehmende Grundsätze der Mindestsicherung hin: So bestimmt § 8 Abs. 2 Vbg. MSG (u.a.), dass beim Einsatz der eigenen Kräfte "auf die persönliche und familiäre Situation des Hilfsbedürftigen" Bedacht zu nehmen ist. § 8 Abs. 1 letzter Satz Vbg. MSG stellt auf den "zumutbaren Einsatz" (u.a.) der eigenen Mittel ab. Nach § 8 Abs. 3 erster Satz Vbg. MSG dürfen die eigenen Mittel, wozu das gesamte Vermögen und Einkommen gehört, bei der Bemessung der Mindestsicherung insoweit nicht berücksichtigt werden, als dies mit der Aufgabe der Mindestsicherung unvereinbar wäre "oder für den Hilfsbedürftigen oder dessen Angehörige eine besondere Härte bedeuten würde".

15 Aus diesen im Vbg. MSG verankerten Grundsätzen, die bei der Gewährung von Mindestsicherung zu beachten sind, lässt sich der Schutz berechtigter Interessen der Angehörigen des Hilfsbedürftigen ableiten.

16 Zu den im vorliegenden Fall berührten Interessen einer unterhaltsberechtigten Angehörigen hat bereits die Revisionswerberin auf das hg. Erkenntnis 2001/11/0052, VwSlg. 15.782 A, hingewiesen, in dem der Gerichtshof - schon zum Sozialhilferecht - ausgesprochen hat, dass die auf Kosten eines Trägers der Sozialhilfe in einer stationären Einrichtung untergebrachten Personen - wie unter anderem aus § 324 Abs. 3 ASVG hervorgeht - nicht von ihren Unterhaltspflichten befreit sind. Bei der Ermittlung der Unterhaltspflicht dieser Personen ist im Übrigen von der Gesamthöhe der bezogenen Pension auszugehen (vgl. , VwSlg. 12.842 A).

17 3.3. Das Verwaltungsgericht hat demgegenüber seiner von der Revision angefochtenen Entscheidung ausschließlich die Bestimmung des § 9 Abs. 2 (lit. e) Vbg. MSV zugrunde gelegt, wonach bei der Ermittlung des Anspruchs auf Leistungen der Mindestsicherung einer hilfsbedürftigen Person, die in einer stationären Einrichtung unterstützt wird, 20 % einer von dieser Person bezogenen Pension "nicht berücksichtigt werden".

18 Daraus ist allerdings - anders als das Verwaltungsgericht vermeint - lediglich abzuleiten, dass der hilfsbedürftigen Person jedenfalls 20 % ihrer Pension verbleiben müssen. Die Bestimmung zielt keineswegs auf eine Schmälerung der Unterhaltsansprüche von Angehörigen der hilfsbedürftigen Person ab, wie sie durch das angefochtene Erkenntnis im Ergebnis bewirkt würde.

19 4. Indem das Verwaltungsgericht - in Abänderung des Bescheides der belangten Behörde vom - im Rahmen der Verpflichtung des Mitbeteiligten zum Einsatz von dessen Pension den Unterhaltsanspruch der Ehefrau des Mitbeteiligen außer Acht gelassen hat, hat es nach dem Gesagten seine Entscheidung mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet.

20 Diese war daher im Umfang der Anfechtung durch die Revision gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Wien, am

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2018:RO2018100037.J00
Schlagworte:
Besondere Rechtsgebiete

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