VwGH vom 25.10.2018, Ro 2018/09/0005
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Rosenmayr und die Hofräte Dr. Doblinger, Dr. Hofbauer, Mag. Feiel sowie die Hofrätin Mag. Rossmeisel als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Schachner, über die Revision des Disziplinaranwaltes beim Bundesministerium für Verfassung, Reformen, Deregulierung und Justiz gegen das mit (gemeint wohl: 2018) datierte Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes, Zl. W170 2183099-1/12E, betreffend Einleitung des Disziplinarverfahrens nach dem BDG 1979 (mitbeteiligte Partei: X Y in Z, vertreten durch Mag. Dr. Martin Dercsaly, Rechtsanwalt in 1030 Wien, Landstraßer Hauptstraße 146/6/B2; weitere Partei: Bundesminister für Verfassung, Reformen, Deregulierung und Justiz), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.
Begründung
1 Der im Jahr 1985 geborene Mitbeteiligte steht als Justizwachebeamter in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zum Bund.
2 Mit Bescheid der Disziplinarkommission (im Folgenden: DK) vom wurde gegen den Mitbeteiligten die Einleitung eines Disziplinarverfahrens gemäß § 123 Abs. 1 BDG 1979 verfügt, weil er in Verdacht stehe, am durch folgendes Facebook-Posting in der rund 1.000 Mitglieder umfassenden Facebook-Gruppe "Justizwache" (Schreibweise wie im Original, Anonymisierungen durch den Verwaltungsgerichtshof):
"Ich möchte mich jz nicht unbeliebt machen! Aber ja ich ( selbst JWB ) bekomme solche bizarren Vorfälle leider recht häufig mit! Es sind nunmal oftmals die eigenen Leute die einfach nicht nur für diesen Job ungeeignet sind und leider verhaltensauffällig bis zum geht nicht mehr. (siehe letzten Nachwuchs von (Y) Absolventen zb.). Die gewisse JA in (X) in welcher ich ,arbeite' ist mehr als ein Swingerclub, mann sollte sich eher Gedanken machen wie solche Leute überhaupt zu diesem Job oder der Position kommen. Die gewisse Anstalt in der ich meinn Dienst versehe, is leider ein Haufen von undisziplinierten und straffälligen Idioten... Sorry , is aber die Realität !"
gegen die Bestimmung des § 43a zweiter Satz BDG 1979 verstoßen und dadurch gemäß § 91 BDG 1979 schuldhaft seine Dienstpflichten verletzt zu haben.
3 Das Bundesverwaltungsgericht gab der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde des Mitbeteiligten gemäß § 28 Abs. 1 und 2 VwGVG iVm § 123 Abs. 2 und 94 Abs. 1 Z 1 BDG 1979 Folge, behob den bekämpften Bescheid ersatzlos und stellte das Disziplinarverfahren gemäß § 118 Abs. 1 Z 3 BDG 1979 ein (Spruchpunkt A). Die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG wurde für zulässig erklärt (Spruchpunkt B).
4 Zur Begründung führte das Verwaltungsgericht im Wesentlichen - soweit für den Revisionsfall von Bedeutung - aus, dass der Mitbeteiligte das in Rede stehende Posting am veröffentlicht habe. Noch am selben Tag habe die Dienstbehörde davon Kenntnis erlangt. Mit Schreiben vom habe die Dienstbehörde der OStA X eine Sachverhaltsdarstellung "hinsichtlich der Aussagen und Handlungen von Justizwachebeamten, ‚insbesondere des Mitbeteiligten'", vorgelegt. Darin habe die Dienstbehörde auf andere Meldungen des Mitbeteiligten verwiesen, in denen sich dieser über disziplinar- und strafrechtlich relevantes Verhalten anderer Justizwachebeamter beschwert habe. Im Schreiben sei das Facebook-Posting des Mitbeteiligten wortwörtlich zitiert und nach weiteren Ausführungen dargestellt worden, welche Verdachtsmomente sich "insbesondere" ergeben würden; diesbezüglich sei hinsichtlich des Mitbeteiligten lediglich angemerkt worden, dass dieser Telefongespräche aufgezeichnet habe. Abgesehen von der Zitierung finde sich keine weitere Erwähnung des Postings im Schreiben.
5 Die Verjährungsfrist des § 94 Abs. 1 Z 1 BDG 1979, so das Verwaltungsgericht weiter, habe am begonnen und mit Ablauf des - vorbehaltlich einer Unterbrechung - geendet. Gemäß § 114 Abs. 2 BDG 1979 werde das Disziplinarverfahren (unter anderem) durch eine Anzeige an die Staatsanwaltschaft unterbrochen. Die Dienstbehörde müsse nur von Amts wegen zu verfolgende gerichtlich strafbare Handlungen der Staatsanwaltschaft anzeigen, § 78 StPO zufolge überdies nur den Verdacht einer Straftat, die ihren gesetzmäßigen Wirkungsbereich betreffe. Weder sei dem verfahrensgegenständlichen Posting des Mitbeteiligten der Vorwurf einer konkreten strafbaren Handlung zu entnehmen, noch werde eine bestimmte Person einer konkreten strafbaren Handlung beschuldigt. Das Schreiben der Dienstbehörde hinsichtlich der gegenständlichen Dienstpflichtverletzung vom stelle keine Anzeige dar, was sich schon alleine aus der dieses Schreiben abschließenden Darstellung der Verdachtsmomente, wo das Facebook-Posting keine Erwähnung finde, ergebe. Da somit keine Unterbrechung stattgefunden habe, liege Verjährung gemäß § 94 Abs. 1 Z 1 BDG 1979 vor und das Disziplinarverfahren sei daher einzustellen gewesen. Auch die Dienstbehörde sei nicht von der Unterbrechung der Verjährungsfrist durch die Sachverhaltsdarstellung ausgegangen, was sich daran zeige, dass diese laut Aktenlage die Parteien - für den Fall des Vorliegens einer Unterbrechung pflichtwidrigerweise - nicht von der Unterbrechung verständigt habe.
6 Die ordentliche Revision erklärte das Verwaltungsgericht für zulässig, weil Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Wirkung einer Sachverhaltsdarstellung an die Staatsanwaltschaft, deren Inhalt sich zwar mit dem Disziplinarbeschuldigten befasse, aber nicht ausdrücklich das im Einleitungsbeschluss inkriminierte Verhalten behandle, fehle.
7 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision des Disziplinaranwaltes. Der Mitbeteiligte machte von der im Vorverfahren eingeräumten Möglichkeit der Erstattung einer Revisionsbeantwortung Gebrauch.
8 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
9 Gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG ist gegen ein Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes die Revision zulässig, wenn sie von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes nicht einheitlich beantwortet wird.
10 Die Revision ist aus den vom Verwaltungsgericht angeführten Gründen zulässig; sie ist jedoch nicht berechtigt.
11 § 94, 96 und 114 Beamten-Dienstrechtsgesetz 1979 (BDG 1979), BGBl. Nr. 333/1979, idF BGBl. I Nr. 210/2013, BGBl. I Nr. 120/2012 bzw. BGBl. I Nr. 96/2007, lauten auszugsweise wie folgt:
"Verjährung
§ 94. (1) Der Beamte darf wegen einer Dienstpflichtverletzung
nicht mehr bestraft werden, wenn gegen ihn nicht
1. innerhalb von sechs Monaten, gerechnet von dem
Zeitpunkt, zu dem der Disziplinarbehörde die
Dienstpflichtverletzung zur Kenntnis gelangt ist, oder
2. ...
eine Disziplinarverfügung erlassen oder ein Disziplinarverfahren vor der Disziplinarkommission eingeleitet wurde. Sind von der Dienstbehörde vor Einleitung des Disziplinarverfahrens im Auftrag der Disziplinarkommission notwendige Ermittlungen durchzuführen (§ 123 Abs. 1 zweiter Satz), verlängert sich die unter Z 1 genannte Frist um sechs Monate.
(1a) ...
(2) Der Lauf der in Abs. 1 und 1a genannten Fristen wird - sofern der der Dienstpflichtverletzung zugrundeliegende Sachverhalt Gegenstand der Anzeige oder eines der folgenden Verfahren ist - gehemmt
...
(...)
Disziplinarbehörden
§ 96. Disziplinarbehörden sind
1. die Dienstbehörden und
2. die Disziplinarkommissionen.
(...)
Strafanzeige und Unterbrechung des Disziplinarverfahrens
§ 114. (1) Kommt die Disziplinarbehörde während des Disziplinarverfahrens zur Ansicht, daß eine von Amts wegen zu verfolgende gerichtlich strafbare Handlung vorliegt, so hat sie gemäß § 78 StPO vorzugehen.
(2) Hat die Disziplinarbehörde Anzeige an die Staatsanwaltschaft, die Sicherheitsbehörde oder die Verwaltungsbehörde erstattet oder hat sie sonst Kenntnis von einem anhängigen Strafverfahren nach der StPO oder verwaltungsbehördlichen Strafverfahren, so wird dadurch das Disziplinarverfahren unterbrochen. Die Parteien sind vom Eintritt der Unterbrechung zu verständigen. Ungeachtet der Unterbrechung des Disziplinarverfahrens ist ein Beschluß, ein Disziplinarverfahren durchzuführen (§ 123), zulässig.
..."
12 Den - unbestrittenen - Feststellungen des Verwaltungsgerichtes zufolge, veröffentlichte der Mitbeteiligte das in Rede stehende Facebook-Posting am . Die Dienstbehörde (als Disziplinarbehörde gemäß § 96 Z 1 BDG 1979) erlangte noch am selben Tag davon Kenntnis, wodurch der Lauf der sechsmonatigen Verjährungsfrist des § 94 Abs. 1 Z 1 BDG 1979 ausgelöst wurde. Der Einleitungsbeschluss der DK wurde dem Mitbeteiligten am , also nach Ablauf der in § 94 Abs. 1 Z 1 BDG 1979 genannten Frist, zugestellt.
13 Der Revisionswerber bringt in der Revision vor, am Ende des Schreibens der Dienstbehörde an die OStA X vom sei "die Rede von ,insbesondere? folgenden neuen strafrechtlich indizierten Verdachtsmomenten" (Anmerkung: das Facebook-Posting des Mitbeteiligten wird an dieser Stelle nicht angeführt). Das Wort "insbesondere", so der Revisionswerber, leite immer nur eine demonstrative und niemals eine taxative Aufzählung ein. Selbst wenn man jedoch davon ausgehe, dass "nur jene zusammengefassten Verhalten" angezeigt werden sollten, wäre aufgrund der § 2 und 3 StPO für eine Begründung der Verjährung nichts gewonnen, weil bei der Erledigung strafrechtlicher Rechtssachen der Grundsatz der Amtswegigkeit und Wahrheitsforschung gelte. Es könne daher für die Prüfung, ob und inwieweit strafrechtlich relevantes Verhalten vorliege, nicht auf die Gliederung und innere Abgrenzung einer Sachverhaltsdarstellung ankommen.
14 Wie der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Rechtsprechung judiziert, führt der im Einleitungssatz des § 94 Abs. 2 BDG 1979 genannte "zugrundeliegende Sachverhalt" als Gegenstand einer Anzeige oder eines Strafverfahrens oder weiteren in § 94 Abs. 2 BDG 1979 genannten Verfahrens zur Hemmung der in § 94 Abs. 1 und 1a genannten Fristen, wenn der Beamte - in Idealkonkurrenz - durch ein und dieselbe Tat sowohl eine Dienstpflichtverletzung nach dem BDG 1979 als auch ein Delikt, das strafrechtlich oder verwaltungsstrafrechtlich zu ahnden ist, begangen haben könnte. Die Voraussetzung der Identität des Sachverhalts bedeutet, dass es sich um dieselbe Tat handeln muss, nicht jedoch, dass sich die entsprechenden Sachverhaltselemente vollständig decken müssen. Auch auf die verbale Umschreibung des Verhaltens und auf die Richtigkeit und Vollständigkeit der Benennung der Tat kommt es nicht an. Umgekehrt tritt bei Realkonkurrenz zwischen den genannten Delikten (wenn also z. B. eine Verfolgung wegen eines anderen Verhaltens erfolgt) eine Hemmung jedenfalls nicht ein (vgl. ; , 2013/09/0085; , 2012/09/0112). Im zuletzt zitierten Erkenntnis vom hat der Verwaltungsgerichtshof außerdem die Ansicht der dort belangten Behörde, es reiche, dass ein Sachverhalt in der Strafanzeige erwähnt sei, selbst wenn dieser Sachverhalt den konkreten strafrechtlichen Vorwurf nicht betreffe, verworfen (vgl. noch einmal ).
15 Vor dem Hintergrund der wiedergegebenen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ist dem Verwaltungsgericht zuzustimmen, wenn es die Ansicht vertritt, bei dem in Rede stehenden Schreiben handle es sich - zumindest hinsichtlich des Facebook-Postings - nicht um eine Anzeige. Denn im Schreiben vom wurde das Posting lediglich wörtlich wiedergegeben ohne eine nähere Konkretisierung vorzunehmen, warum das Posting zitiert wurde und ob überhaupt ein strafrechtlich relevantes Verhalten damit aufgezeigt werden soll. Derartig unkonkrete Angaben vermögen eine Hemmung der in § 94 Abs. 1 und Abs. 1a BDG 1979 genannten Fristen nicht zu bewirken. Daran kann auch das Vorbringen des Revisionswerbers, bei der Erledigung strafrechtlicher Rechtssachen gelte der Grundsatz der Amtswegigkeit und der Wahrheitsforschung nichts ändern.
16 Vordergründig geht es in dem Schreiben vom bei einer Gesamtbetrachtung vielmehr um auf Aussagen des Mitbeteiligten basierende Verdachtsmomente betreffend andere Personen bzw. um die Aufzeichnung von Telefongesprächen durch den Mitbeteiligten. Aus dem Akteninhalt ergibt sich außerdem, dass die anzeigende Dienstbehörde selbst in einem Schreiben an die DK vom , mit dem das Schreiben an die OStA X vom übermittelt wurde, "zum besseren Verständnis" des übermittelten Schreibens ausgeführt hat, dass damit um strafrechtliche Würdigung von Meldungen des Mitbeteiligten betreffend näher genannte Sachverhalte und um strafrechtliche Würdigung der Aufzeichnung von Telefongesprächen durch den Mitbeteiligten ersucht worden sei. Von einer strafrechtlichen Würdigung des Facebook-Postings des Mitbeteiligten ist in dem Schreiben wiederum keine Rede.
17 Das Verwaltungsgericht hat daher mangels Unterbrechung des Verfahrens zu Recht das Disziplinarverfahren gemäß § 94 Abs. 1 Z 1 iVm § 118 Abs. 1 Z 3 BDG 1979 wegen eingetretener Verjährung eingestellt. Der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass eine einmal abgelaufene Frist nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes rechtens nicht verlängert werden kann (vgl. , mwN).
18 Auch soweit der Revisionswerber darauf hinweist, die Staatsanwaltschaft hätte im Sinne des § 35c Staatsanwaltschaftsgesetz (StAG), wonach der Anzeiger zu verständigen ist, wenn die Staatsanwaltschaft von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens absieht, weil kein Anfangsverdacht besteht, vorzugehen gehabt, vermag er damit eine Rechtswidrigkeit des angefochtenen Erkenntnisses mangels Relevanz nicht aufzuzeigen.
19 Die Revision war daher aus den angeführten Gründen gemäß § 42 Abs. 1 VwGG abzuweisen.
Wien, am
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ECLI: | ECLI:AT:VWGH:2018:RO2018090005.J00 |
Schlagworte: | Rechtsgrundsätze Fristen VwRallg6/5 |
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