VwGH vom 23.10.2019, Ro 2018/03/0052
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Handstanger und die Hofräte Dr. Lehofer und Mag. Nedwed als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Dr. Zeleny, über die Revision der Jagdgenossenschaft I, vertreten durch Dr. Amhof & Dr. Damian GmbH, Rechtsanwälte in 1060 Wien, Linke Wienzeile 4, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Tirol vom , Zl. LVwG- 2018/23/0251-8, betreffend Feststellung einer Eigenjagd (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Lienz; mitbeteiligte Partei: Agrargemeinschaft L, vertreten durch M L, L), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Das Land Tirol hat der revisionswerbenden Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis hat das Verwaltungsgericht nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung unter Spruchpunkt 1. die Beschwerde der revisionswerbenden Jagdgenossenschaft gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Lienz vom , mit dem das Eigenjagdgebiet "L" mit dem Gesamtausmaß von 209,2179 Hektar auf Antrag der mitbeteiligten Agrargemeinschaft vom festgestellt worden war, als unbegründet abgewiesen. Die ordentliche Revision wurde unter Spruchpunkt 2. gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für zulässig erklärt. 2 Das Verwaltungsgericht stellte - soweit für das vorliegende Revisionsverfahren wesentlich - zusammengefasst fest, dass das Gebiet der nunmehrigen revisionswerbenden Jagdgenossenschaft sich über eine Fläche von 2.080,85 Hektar erstrecke. Die mitbeteiligte Agrargemeinschaft sei grundbücherliche Eigentümerin von Liegenschaften im Ausmaß von 209,2179 Hektar, welche im Gebiet der revisionswerbenden Jagdgenossenschaft liegen würden. Unter Abzug der nicht land- und forstwirtschaftlich nutzbaren Flächen ergebe sich laut Grundbuch eine Fläche von 142,3217 Hektar.
Der westliche und südwestliche Grenzverlauf des festzustellenden Eigenjagdgebietes sei in der Natur schwer bzw. kaum erkennbar, hingegen sei der nördliche und östliche Grenzverlauf durch Berggrate und Weidezäune in der Natur deutlich gekennzeichnet.
Aufgrund des jagdfachlichen Gutachtens sei festzuhalten, dass im Bereich der neu festgestellten Eigenjagd eine dauerhafte Einstandsfläche von zumindest einer Schalenwildart, nämlich Gamswild, gegeben sei. Die Alpflächen würden dieser Wildart hervorragende Äsungsbedingungen und in Kombination mit den Karen und Mulden auch günstige Einstandsflächen bieten. Es ergebe sich daher aus wildökologischer Sicht, dass sich Gamswild ohne weiteres im beantragten Eigenjagdgebiet L ganzjährig aufhalten könne. Rehwild hingegen sei aufgrund der fehlenden Einstände lediglich als Wechselwild während der Vegetationsperiode zu erwarten und daher nicht als Standwild vorhanden.
Weiters halte sich im beantragten Eigenjagdgebiet expositionsbedingt während ca. vier Monaten im Jahr überhaupt kein Gamswild auf. Im Jahresdurchschnitt der letzten acht Jahre (2010- 2017) sei in der revisionswerbenden Jagdgenossenschaft ein Abgang von 21,25 Stück Gamswild (1,02 Stück pro 100 Hektar Gamswildlebensraum) zu verzeichnen gewesen. Unter Zugrundelegung der Flächen der festzustellenden Eigenjagd L von (gerundet) 209,22 Hektar ergebe sich ein möglicher Abgang von 2,1 Stück pro Jahr. Eine abschussplanmäßige Nutzung des Gamswildes sei in Anbetracht des Sommerlebensraumes sowie der Einstands- und Äsungsflächen jedenfalls möglich, weil sich diese innerhalb der Schusszeit überwiegend im Jagdgebiet würden aufhalten können.
Eine hangparallele Bejagung der westlich und östlich der festzustellenden Eigenjagd L befindlichen Flächen sei weiterhin möglich. Auch unter der Voraussetzung, dass im Westen die Eigenjagd H festgestellt werden würde, befänden sich dazwischen immer noch über 200 Hektar bejagbare Grundflächen der revisionswerbenden Jagdgenossenschaft.
Es würden Kühe, Pferde, Schafe und dergleichen auf die Almen aufgetrieben. Die Beweidung der Flächen sei frühestens ab Juni möglich. Der Almabtrieb erfolge in der Regel im September/Oktober. Durch das Konkurrenzverhalten von landwirtschaftlichen Nutztieren vom Almauftrieb bis zum Almabtrieb im September/Oktober einerseits und dem Gamswild andererseits werde die Zugänglichkeit der gegenständlichen Flächen für Gamswild stark eingeschränkt.
Die Erreichbarkeit der festzustellenden Eigenjagd L über öffentliche Straßen sei ab der Vhütte nicht mehr vorhanden und nur über das Gebiet der revisionswerbenden Jagdgenossenschaft möglich.
Die Vhütte sei grundsätzlich von Juni bis Oktober eines jeden Jahres - abhängig von der Witterung - geöffnet. Der Zufahrtsweg werde in den Wintermonaten nicht geräumt, sodass die Weganlage nur in der schneefreien Zeit befahrbar sei.
3 Beweiswürdigend hielt das Verwaltungsgericht unter anderem fest, dass auf Grund der eingeschränkten Parteistellung der revisionswerbenden Jagdgenossenschaft auf die zu den Themenkreisen "eines ganzjährig angemessenen Lebensraumes, der abschussplanmäßigen Nutzung mindestens einer Schalenwildart, die Wahrung der Interessen der Landeskultur und die Interessen einer ordnungsgemäßen Jagdausübung" gestellten Beweisanträge nicht weiter einzugehen und diese als unzulässig zurückzuweisen gewesen seien.
4 In rechtlicher Hinsicht ergebe sich aus § 5 Abs. 5 Tiroler Jagdgesetz 2004 (TJG 2004), dass der revisionswerbenden Jagdgenossenschaft Parteistellung zukomme, diese aber vom Gesetzgeber nur eingeschränkt ausgestaltet worden sei. Bei den Voraussetzungen nach § 5 Abs. 5 lit a bis c TJG 2004 handle es sich ausschließlich um objektiv-öffentlich rechtliche Kriterien. Insoweit seien diese einem subjektiven Rechtsschutz nicht zugänglich.
Die Wahrung der Interessen der Landeskultur und der Interessen einer ordnungsgemäßen Jagdausübung im neu festzustellenden Jagdrevier seien keine taugliche Grundlage für Einwendungen der revisionswerbenden Partei.
Mit derselben Begründung könnten unter dem Gesichtspunkt, dass die Prüfung dieser Voraussetzungen im (objektiv wahrzunehmenden) öffentlichen Interesse liege, auch sämtliche Anträge zu Fragen eines ganzjährig angemessenen Lebensraumes und der abschussplanmäßigen Nutzung mindestens einer Schalenwildart in der festzustellenden Eigenjagd L nicht Gegenstand einer Beschwerde der revisionswerbenden Jagdgenossenschaft sein.
5 Zu den Einwendungen der revisionswerbenden Jagdgenossenschaft betreffend die unverhältnismäßige Beeinträchtigung ihrer rechtlichen und wirtschaftlichen Interessen führte das Verwaltungsgericht in seiner rechtlichen Beurteilung aus, dass jene Einwendungen, die die tatsächliche Ausübbarkeit des Jagdrechts im verbleibenden Genossenschaftsrevier betreffen, allerdings sehr wohl durch die Jagdgenossenschaft wahrzunehmen seien. In diesem Umfang erweise sich die vorliegende Beschwerde daher als formal zulässig:
§ 1 Abs. 1 TJG 2004 folgend erfließe das Jagdrecht aus dem Eigentumsrecht an Grund und Boden. Das Eigentumsrecht sei nach Art. 5 StGG und Art. 1 1. ZPEMRK verfassungsrechtlich geschützt. Diese Eigentumsgarantie umfasse alle privatrechtlichen Vermögensdispositionen. Der erste Satz des Art. 5 StGG gelte auch für Eigentumsbeschränkungen. Der Gesetzgeber könne aber angesichts des in Art. 1 1. ZPEMRK enthaltenen Gesetzesvorbehalts Eigentumsbeschränkungen verfügen, sofern er dadurch nicht den Wesensgehalt des Grundrechtes der Unversehrtheit des Eigentums berühre oder in anderer Weise gegen einen auch ihn bindenden Verfassungsgrundsatz verstoße, soweit die Eigentumsbeschränkung im öffentlichen Interesse liege und nicht unverhältnismäßig sei.
Vor diesem Hintergrund sei der im TJG 2004 nicht näher definierte Begriff der unverhältnismäßigen Beeinträchtigungen von Interessen von am Verfahren beteiligten Parteien zu prüfen; bei dieser Prüfung sei das Recht auf Unversehrtheit des Eigentums als Maßstab heranzuziehen. Für den vorliegenden Sachverhalt bedeute dies, dass eine Eigentumsbeschränkung nur soweit zulässig sei, soweit sie den Wesensgehalt des Eigentumsrechtes nicht unverhältnismäßig im Sinne einer Prüfung der (wirtschaftlichen) Zumutbarkeit und Adäquanz beeinträchtige.
Nicht zu folgen sei dem Vorbringen, wonach durch die gegenständliche Eigenjagdfeststellung die Bejagung der Jagdflächen östlich und westlich der L Alpe nur mehr mit einem unverhältnismäßig großen Aufwand möglich wäre, weil der jagdfachlich richtige Zugang zu diesen Flächen verwehrt wäre und nun künftig zweimal ins Tal abgestiegen werden müsse, um die dazwischenliegenden Flächen jagdlich bewirtschaften zu können. Dieses Vorbringen unterstelle, dass ein zusätzlicher Aufstieg zur Bejagung (weil die Eigenjagd umgangen werden müsse) eine unverhältnismäßige Erschwernis darstellen würde. Dieses Vorbringen stehe aber in einem derart diametralen Gegensatz zum Grundgedanken einer alpinen Jagdausübung, welcher in hohem Maß auch von körperlicher Anstrengung ausgehe, dass sich ein näheres Eingehen darauf erübrige. Auch sei vom Jagdsachverständigen schlüssig dargelegt worden, dass eine Bejagung westlich und östlich der Eigenjagd weiterhin möglich sei.
Nach den Feststellungen sei die festzustellende Eigenjagd nicht über öffentliche Straßen erschlossen. Dem dahingehenden Vorbringen, wonach durch den Jägernotweg die Jagdbewirtschaftung in der Jagdgenossenschaft beeinträchtigt werde, sei entgegenzuhalten, dass ein Jägernotweg weder von der zuständigen Bezirksverwaltungsbehörde bestimmt worden sei noch vom gegenständlichen Bescheid umfasst sei. Einwände gegen einen Jägernotweg, der noch nicht festgelegt worden sei, seien daher unzulässig.
Zu den weiteren jagdwirtschaftlichen Interessen ergebe sich aus dem von der revisionswerbenden Jagdgenossenschaft vorgelegten Privatgutachten, dass die festzustellende Eigenjagd bezüglich der jagdlichen Nutzung keine besondere jagdliche Gunstlage im Verhältnis zur restlichen Fläche der revisionswerbenden Jagdgenossenschaft darstelle. Es könnten nicht überproportional viele Wildabschüsse getätigt werden. Folglich könne eine unverhältnismäßige Beeinträchtigung der (jagd-)wirtschaftlichen Interessen für die verbleibende Jagdgenossenschaft, dem eigenen Vorbringen folgend, ausgeschlossen werden.
Zusammenfassend ergebe sich für das Verwaltungsgericht, dass keine unverhältnismäßigen Beeinträchtigungen der rechtlichen und wirtschaftlichen Interessen der revisionswerbenden Jagdgenossenschaft vorliegen würden.
6 Die ordentliche Revision sei zulässig, da im gegenständlichen Verfahren eine Rechtsfrage zu lösen gewesen sei, der im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukomme, insbesondere weil eine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage der Parteistellung bzw. dem subjektiv-öffentlichen Rechtsschutzinteresse im Feststellungsverfahren einer Eigenjagd fehle.
7 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die ordentliche Revision der revisionswerbenden Jagdgenossenschaft. Sie beantragt die kostenpflichtige Abänderung des Erkenntnisses dahingehend, dass der Antrag der mitbeteiligten Agrargemeinschaft abgewiesen wird, in eventu die Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses. 8 Die mitbeteiligte Agrargemeinschaft beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung die Zurückweisung der Revision. Die belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht erstattete keine Revisionsbeantwortung.
Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:
9 In der Begründung der Zulässigkeit der Revision bringt die revisionswerbende Jagdgenossenschaft mit näherer Begründung unter anderem vor, dass die beantragten Beweise aufgrund einer nicht zu folgenden Rechtsansicht des Verwaltungsgerichtes hinsichtlich der "beschränkten Parteistellung" nicht aufgenommen worden seien. 10 Die Revision ist im Sinne dieses Zulässigkeitsvorbringens zulässig. Sie ist im Ergebnis auch berechtigt.
11 Der vorliegende Revisionsfall gleicht in seinen entscheidungserheblichen Sach- und Rechtsfragen jenem, über den der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom , Ro 2018/03/0030, entschieden hat. Gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG wird auf die eingehenden Entscheidungsgründe dieses Erkenntnisses verwiesen. Daraus ergibt sich zusammengefasst, dass die Feststellung einer Eigenjagd, ohne dass dafür die gesetzlich normierten Voraussetzungen vorliegen, in den Rechtsanspruch der Jagdgenossenschaft auf Ausübung des Jagdrechtes auf dem Genossenschaftsjagdgebiet eingreift und - da eine von § 8 AVG abweichende Regelung der Parteistellung im TJG 2004 nicht vorgenommen wurde - der Jagdgenossenschaft die Stellung einer Verfahrenspartei vermittelt. Hierdurch ist sie berechtigt, das Nichtvorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen für die Feststellung einer Eigenjagd im Verfahren geltend zu machen (vgl. , Rn. 17 bis 19). 12 Die revisionswerbende Jagdgenossenschaft war daher berechtigt, etwa auch das Nichtvorliegen der Voraussetzungen nach § 5 Abs. 5 lit. a bis c TJG 2004 geltend zu machen und unter Beweis zu stellen.
13 Soweit die revisionswerbende Jagdgenossenschaft - wie auch bereits im Verfahren vor dem Verwaltungsgericht - darauf hinweist, dass die neu festzustellende Eigenjagd L nur über das Jagdgebiet der Revisionswerberin erreichbar sei und das Verwaltungsgericht sich entgegen seiner eigenen, dahingehend unbestrittenen Feststellungen nicht mit der Erforderlichkeit eines Jägernotweges nach § 44 TJG 2004 auseinandergesetzt habe, ist im Übrigen festzuhalten, dass die gegebenenfalls erforderlich werdende Bestimmung eines Jägernotweges durch die Behörde für sich allein weder als eine wesentliche Erschwerung der Jagdausübung im Sinne des § 5 Abs. 5 lit. c TJG 2004 noch als unverhältnismäßige Beeinträchtigung Dritter in ihren rechtlichen und wirtschaftlichen Interessen im Sinne des § 5 Abs. 5 lit. d TJG 2004 angesehen werden kann; dass im konkreten Fall besondere Umstände vorlägen, nach denen die Bestimmung eines Jägernotweges hier zu einer unverhältnismäßigen Beeinträchtigung im obigen Sinne führen würden, hat die Revisionswerberin nach dem bisherigen Akteninhalt nicht dargetan.
14 Das Verwaltungsgericht hat - ausgehend von seiner oben dargelegten, vom Verwaltungsgerichtshof nicht geteilten Rechtsansicht - keine abschließenden Feststellungen getroffen und von der revisionswerbenden Jagdgenossenschaft in diesem Zusammenhang gestellte Beweisanträge zu Unrecht als unzulässig zurückgewiesen.
Das angefochtene Erkenntnis erweist sich bereits aus diesem Grund als inhaltlich rechtswidrig, weshalb es gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben war. 15 Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die § 47ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 201 4, BGBl. II Nr. 518/2013 in der Fassung BGBl. II Nr. 8/2014.
Wien, am
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ECLI: | ECLI:AT:VWGH:2019:RO2018030052.J00 |
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