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VwGH vom 25.01.2019, Ro 2018/02/0016

VwGH vom 25.01.2019, Ro 2018/02/0016

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Beck sowie die Hofrätin Mag. Dr. Zehetner, den Hofrat Dr. N. Bachler, die Hofrätin Mag. Dr. Maurer-Kober und den Hofrat Mag. Straßegger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Harrer, LL.M., über die Revisionen der Finanzmarktaufsichtsbehörde gegen die Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichts jeweils vom ,

1. Zlen. W107 2182783-1/9E und W107 2182771-1/12E (protokolliert zu den hg. Zlen. Ro 2018/02/0016 und 0017, betreffend den Erstmitbeteiligten),

2. Zlen. W107 2182785-1/10E und W107 2182775-1/10E (protokolliert zu den hg. Zlen. Ro 2018/02/0018 und 0019, betreffend den Zweitmitbeteiligten), und

3. Zlen. W107 2182787-1/9E und W107 2182780-1/9E (protokolliert zu den hg. Zlen. Ro 2018/02/0020 und 0021, betreffend den Drittmitbeteiligten),

betreffend Übertretungen des Kapitalmarktgesetzes (mitbeteiligte Parteien: 1. G in K, 2. K in B und 3. L in O, alle vertreten durch die Winternitz Rechtsanwalts GmbH in 1010 Wien, Burgring 1; weitere Partei: Bundesminister für Finanzen), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Revisionen werden als unbegründet abgewiesen.

Der Bund hat den Mitbeteiligten Aufwendungen in der Höhe von insgesamt EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Die Mehrbegehren der Mitbeteiligten werden abgewiesen.

Begründung

1 Mit insgesamt sechs Straferkenntnissen vom legte die revisionswerbende Partei den Mitbeteiligten als gemäß § 9 Abs. 1 VStG zur Vertretung zweier näher bezeichneter Gesellschaften nach außen Berufene jeweils zur Last, dass diese Gesellschaften in Zusammenhang mit der Emission einer bestimmten Anleihe im Zeitraum von 1. Juni bis gegen nähere Bestimmungen des Kapitalmarktgesetzes (KMG) verstoßen hätten, und verhängte über die Mitbeteiligten jeweils Geldstrafen (Ersatzfreiheitsstrafen) in bestimmter Höhe.

2 Die revisionswerbende Partei ging von einer verwaltungsstrafrechtlichen Verantwortlichkeit sämtlicher Mitbeteiligter aus und begründete diese damit, dass zwar aufgrund Geschäftsführervereinbarung vom der Geschäftsführer Eric S. gemäß § 9 Abs. 2 VStG zum verantwortlichen Beauftragten beider Gesellschaften für die Einhaltung des KMG in Bezug auf die Emission der Anleihe bestellt worden sei. Diese Bestellungsvereinbarung sei bei der revisionswerbenden Partei jedoch erst am eingelangt, weshalb die Bestellung des verantwortlichen Beauftragten gemäß § 22 Abs. 5 Finanzmarktaufsichtsbehördengesetz (FMABG) erst mit diesem Tag wirksam geworden sei und daher in Hinblick auf die den Straferkenntnissen zu Grunde gelegten Tatzeiträume nicht berücksichtigt werden könne.

3 Mit den angefochtenen Erkenntnissen gab das Verwaltungsgericht den dagegen erhobenen Beschwerden nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung statt, behob die Straferkenntnisse und stellte die gegen die Mitbeteiligten geführten Verwaltungsstrafverfahren ein. Die Revision an den Verwaltungsgerichtshof erklärte es gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG für zulässig.

4 Zur strafrechtlichen Verantwortlichkeit der Mitbeteiligten führte es aus, § 22 Abs. 5 FMABG sei zu § 9 VStG die speziellere Vorschrift im Sinn der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. § 9 Abs. 2 erster Satz VStG regle die Bestellung "verantwortlicher Vertretungsorgane", also von verwaltungsstrafrechtlich Verantwortlichen aus dem Kreis der vertretungsbefugten Organe. Da ein solches vertretungsbefugtes Organ ohnedies kraft Gesetzes (§ 9 Abs. 1 VStG) einer eigenen primären Verantwortlichkeit unterliege, komme es zu keiner Verantwortlichkeitsübertragung, die Bestellung bewirke aber eine "Entpflichtung" der übrigen vertretungsbefugten Organe.

§ 9 Abs. 2 letzter Satz VStG sehe demgegenüber die originäre Bestellung auch "anderer Personen" (meist Angestellter) zu "verantwortlichen Beauftragten" vor. Im Umfang dieser Bestellung komme es zu einer echten Verantwortlichkeitsübertragung.

5 Es bestünden diesbezüglich aber eine Reihe spezialgesetzlicher Abweichungen, die die Bestellung verantwortlicher Beauftragter verschärften Anforderungen unterwürfen. So verlangten etwa § 28a Abs. 3 AuslBG oder § 23 Abs. 1 ArbIG für die Rechtswirksamkeit der Bestellung eines verantwortlichen Beauftragten das Einlangen einer diesbezüglichen Mitteilung samt Nachweis der Zustimmung des Bestellten bei der zuständigen Behörde. Bei der Bestellung verantwortlicher Beauftragter aus dem Kreis der vertretungsbefugten Organe im Sinn des § 9 Abs. 2 erster Satz VStG sei die Mitteilung an die zuständige Behörde nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (Hinweis auf , 0095) und der Lehre jedoch nicht Wirksamkeitsvoraussetzung.

6 Eric S. sei im Tatzeitraum Geschäftsführer beider Gesellschaften gewesen und mit Geschäftsführervereinbarung vom für beide Gesellschaften von den Mitgeschäftsführern (den Mitbeteiligten) gemäß § 9 Abs. 2 erster Satz VStG zum verantwortlichen Beauftragten für einen sachlich abgegrenzten Bereich und somit die Einhaltung der diesbezüglichen Vorschriften bestellt worden. Diese Vereinbarung sei der revisionswerbenden Partei im Zuge des Verwaltungsstrafverfahrens am vorgelegt worden. Im Sinn der obigen Ausführungen sei im Fall der "gesamthaften Bestellung" eines verantwortlichen Beauftragten aus dem Kreis der vertretungsbefugten Organe gemäß § 9 Abs. 2 erster Satz VStG die schriftliche Mitteilung über die Bestellung samt Nachweis der Zustimmung des Bestellten nach § 22 Abs. 5 FMABG nicht Wirksamkeitsvoraussetzung der Bestellung. Die wirksame Bestellung des Eric S. zum verantwortlichen Beauftragten am habe daher eine "Entpflichtung" der übrigen vertretungsbefugten Organe bewirkt. Die Mitbeteiligten hätten die ihnen vorgeworfenen Verwaltungsübertretungen somit nicht zu verantworten, weshalb die sie betreffenden Verwaltungsstrafverfahren einzustellen gewesen seien.

7 Zur Zulässigkeit der Revision führte das Verwaltungsgericht aus, es fehle an einer "einheitlichen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 9 Abs. 2 erster Satz VStG", insbesondere dazu, ob im Fall der Bestellung eines verantwortlichen Beauftragten aus dem Kreis der vertretungsbefugten Organe einer der Aufsicht der revisionswerbenden Partei unterliegenden Gesellschaft die schriftliche Mitteilung über die Bestellung samt Nachweis der Zustimmung des Bestellten an die revisionswerbende Partei gemäß § 22 Abs. 5 FMABG Wirksamkeitsvoraussetzung der Bestellung sei.

8 Gegen diese Erkenntnisse richten sich die vorliegenden ordentlichen Amtsrevisionen, die vom Verwaltungsgericht nach Durchführung des Vorverfahrens gemeinsam mit den Verfahrensakten vorgelegt wurden.

9 Die Mitbeteiligten erstatteten Revisionsbeantwortungen, in denen sie die kostenpflichtige Zurück- oder Abweisung der Revisionen beantragten.

Der Verwaltungsgerichtshof hat über die wegen ihres sachlichen, persönlichen und rechtlichen Zusammenhangs zur gemeinsamen Beratung und Entscheidung verbundenen Revisionen in einem gemäß § 12 Abs. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

10 In den Zulässigkeitsbegründungen der Revisionen verweist die revisionswerbende Partei zunächst auf den in den angefochtenen Erkenntnissen angeführten Zulassungsgrund des Verwaltungsgerichts. Es liege gegenständlich die Rechtsfrage vor, ob es für die Bestellung eines verantwortlichen Beauftragten aus dem Kreis der vertretungsbefugten Organe im Sinn des § 9 Abs. 2 erster Satz VStG Wirksamkeitsvoraussetzung sei, dass gemäß § 22 Abs. 5 FMABG die schriftliche Mitteilung der Bestellung samt Nachweis der Zustimmung des Bestellten an die revisionswerbende Partei übermittelt werde. Es fehle jedoch Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Auslegung der genannten Bestimmung. Darüber hinaus wichen die angefochtenen Erkenntnisse von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu vergleichbaren Bestimmungen, etwa § 23 Abs. 1 ArbIG oder § 28a Abs. 3 AuslBG, ab, wonach die Bestellung von verantwortlichen Beauftragten erst mit Einlangen einer solchen schriftlichen Mitteilung wirksam sei.

11 In den Revisionsgründen bestreitet die revisionswerbende Partei, dass die Bestellung des Geschäftsführers Eric S. zum verantwortlichen Beauftragten im hier relevanten Tatzeitraum bereits wirksam gewesen sei. Im Sinn der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu vergleichbaren Bestimmungen werde auch nach § 22 Abs. 5 FMABG die Bestellung eines verantwortlichen Beauftragten aus dem Kreis der vertretungsbefugten Organe einer der Aufsicht der revisionswerbenden Partei unterliegenden Gesellschaft erst mit Einlangen der schriftlichen Mitteilung über die Bestellung samt Nachweis der Zustimmung des Bestellten bei der revisionswerbenden Partei wirksam. Daher habe das Verwaltungsgericht die gegen die Mitbeteiligten geführten Verfahren zu Unrecht eingestellt.

12 Die Mitbeteiligten pflichten in ihren Revisionsbeantwortungen dem Verwaltungsgericht insofern bei, als Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu der in Zusammenhang mit § 22 Abs. 5 FMABG aufgeworfenen Rechtsfrage fehle. Sie erachten die Revisionen jedoch für nicht zulässig, weil sich das Verwaltungsgericht auf eine eindeutige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu vergleichbaren Bestimmungen habe stützen können und es davon nicht abgewichen sei.

13 Zu den Revisionsgründen führen sie aus, es bedürfe zur Wirksamkeit der Bestellung eines verantwortlichen Beauftragten aus dem Kreis der vertretungsbefugten Organe einer der Aufsicht der revisionswerbenden Partei unterliegenden Gesellschaft keiner Mitteilung an die revisionswerbende Partei, weil § 22 Abs. 5 FMABG im Sinn der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu vergleichbaren Bestimmungen auf vertretungsbefugte Organe gar nicht anwendbar sei. Die Bestellung des Geschäftsführers Eric S. am sei daher mit diesem Tag wirksam geworden und habe die Entpflichtung der übrigen Geschäftsführer (der Mitbeteiligten) bewirkt. Die von der revisionswerbenden Partei herangezogenen Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofes, von der das Verwaltungsgericht vorgeblich abgewichen wäre, träfen zu der hier relevanten Frage keine Aussage, weil ihnen Sachverhalte zu Grunde gelegen seien, wonach überhaupt keine Bestellung eines verantwortlichen Beauftragten habe festgestellt werden können und/oder die in Rede stehende Person kein Vertretungsorgan gemäß § 9 Abs. 1 VStG gewesen sei. Das Verwaltungsgericht habe daher die gegen die Mitbeteiligten geführten Verfahren mangels verwaltungsstrafrechtlicher Verantwortlichkeit zu Recht eingestellt.

14 Die Revisionen sind wegen des vom Verwaltungsgericht und von der revisionswerbenden Partei ins Treffen geführten Fehlens von hg. Rechtsprechung zur Frage, ob im Fall der Bestellung eines verantwortlichen Beauftragten aus dem Kreis der vertretungsbefugten Organe einer der Aufsicht der revisionswerbenden Partei unterliegenden Gesellschaft die schriftliche Mitteilung über die Bestellung samt Nachweis der Zustimmung des Bestellten an die revisionswerbende Partei gemäß § 22 Abs. 5 FMABG Wirksamkeitsvoraussetzung sei, zulässig. Sie sind aus den folgenden Gründen jedoch nicht berechtigt:

15 § 9 Abs. 1 und 2 VStG in der zuletzt geänderten Fassung BGBl. I Nr. 3/2008 lauten:

"Besondere Fälle der Verantwortlichkeit

§ 9. (1) Für die Einhaltung der Verwaltungsvorschriften durch juristische Personen oder eingetragene Personengesellschaften ist, sofern die Verwaltungsvorschriften nicht anderes bestimmen und soweit nicht verantwortliche Beauftragte (Abs. 2) bestellt sind, strafrechtlich verantwortlich, wer zur Vertretung nach außen berufen ist.

(2) Die zur Vertretung nach außen Berufenen sind berechtigt und, soweit es sich zur Sicherstellung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit als erforderlich erweist, auf Verlangen der Behörde verpflichtet, aus ihrem Kreis eine oder mehrere Personen als verantwortliche Beauftragte zu bestellen, denen für das ganze Unternehmen oder für bestimmte räumlich oder sachlich abgegrenzte Bereiche des Unternehmens die Verantwortung für die Einhaltung der Verwaltungsvorschriften obliegt. Für bestimmte räumlich oder sachlich abgegrenzte Bereiche des Unternehmens können aber auch andere Personen zu verantwortlichen Beauftragten bestellt werden."

16 § 22 Abs. 5 des Bundesgesetzes über die Errichtung und Organisation der Finanzmarktaufsichtsbehörde (Finanzmarktaufsichtsbehördengesetz - FMABG), BGBl. I Nr. 97/2001 angefügt durch BGBl. I Nr. 184/2013 lautet:

"(5) Abweichend von § 9 Abs. 2 VStG wird die Bestellung von verantwortlichen Beauftragten für die Einhaltung der Bestimmungen der in § 2 genannten Gesetze, die mit Verwaltungsstrafe bedroht sind, erst rechtswirksam, nachdem bei der FMA eine schriftliche Mitteilung über die Bestellung samt einem Nachweis der Zustimmung des Bestellten eingelangt ist. Dies gilt nicht für die Bestellung von verantwortlichen Beauftragten auf Verlangen der Behörde gemäß § 9 Abs. 2 VStG."

17 Die Materialien zu § 22 Abs. 5 FMABG (ErläutRV 2438 BlgNR 24. GP 75) lauten:

"Die bisherigen Erfahrungen der FMA im Bereich des Verwaltungsstrafrechts haben gezeigt, dass die allgemeinen Bestimmungen des § 9 VStG in der Praxis mitunter den effizienten Vollzug des Finanzmarktaufsichtsrechts behindern. Um zu unterbinden, dass sich die FMA im Verwaltungsverfahren an den falschen Beschuldigten wendet, wird die Wirksamkeit der Bestellung bzw. der Abberufung eines verantwortlichen Beauftragten gemäß § 9 VStG für die Einhaltung der in § 2 FMABG angeführten Aufsichtsgesetze an die Mitteilung an die FMA geknüpft werden. Eine solche Bestimmung ist der österreichischen Rechtsordnung bereits bekannt (§ 28a Abs. 3 AuslBG)."

18 § 28a Abs. 3 des Bundesgesetzes vom , mit dem die Beschäftigung von Ausländern geregelt wird (Ausländerbeschäftigungsgesetz - AuslBG), BGBl. Nr. 218/1975 in der Fassung BGBl. Nr. 895/1995 und BGBl. I Nr. 103/2005 lautet:

"(3) Die Bestellung von verantwortlichen Beauftragten gemäß § 9 Abs. 2 und 3 des Verwaltungsstrafgesetzes 1991 - VStG, BGBl. Nr. 52, in der jeweils geltenden Fassung, für die Einhaltung dieses Bundesgesetzes wird erst rechtswirksam, nachdem bei der zuständigen Abgabenbehörde eine schriftliche Mitteilung über die Bestellung samt einem Nachweis der Zustimmung des Bestellten eingelangt ist. Dies gilt nicht für die Bestellung von verantwortlichen Beauftragten auf Verlangen der Behörde gemäß § 9 Abs. 2 VStG."

19 § 23 Abs. 1 des Bundesgesetzes über die Arbeitsinspektion (Arbeitsinspektionsgesetz 1993 - ArbIG), BGBl. Nr. 27/1993 (Stammfassung) lautet:

"§ 23. (1) Die Bestellung von verantwortlichen Beauftragten gemäß § 9 Abs. 2 und 3 des Verwaltungsstrafgesetzes 1991 - VStG, BGBl. Nr. 52, in der jeweils geltenden Fassung für die Einhaltung von Arbeitnehmerschutzvorschriften und für die Einhaltung dieses Bundesgesetzes wird erst rechtswirksam, nachdem beim zuständigen Arbeitsinspektorat eine schriftliche Mitteilung über die Bestellung samt einem Nachweis der Zustimmung des/der Bestellten eingelangt ist. Dies gilt nicht für die Bestellung von verantwortlichen Beauftragten auf Verlangen der Behörde gemäß § 9 Abs. 2 VStG."

20 Nach der hg. Rechtsprechung sind materiengesetzliche Bestimmungen, die die Wirksamkeit der Bestellung eines verantwortlichen Beauftragten regeln - wie etwa § 23 Abs. 1 ArbIG, aber auch der gemäß den Gesetzmaterialien nach dem Vorbild des § 28a Abs. 3 AuslBG gestaltete § 22 Abs. 5 FMABG -, als bezogen auf § 9 Abs. 2 VStG speziellere Bestimmungen anzusehen (vgl. ; , 2003/09/0126; , 2000/09/0084).

21 Im Erkenntnis vom , 97/11/0044, 0095, hielt der Verwaltungsgerichtshof in Bezug auf § 23 Abs. 1 ArbIG fest, dass sich verantwortlicher Beauftragter im Sinn des § 9 Abs. 2 letzter Satz VStG und verantwortlicher Beauftragter im Sinn des § 9 Abs. 2 erster Satz VStG (verantwortliches Vertretungsorgan) wesentlich voneinander unterscheiden:

22 Ersterer zählt nicht zum Kreis der vertretungsbefugten Organe, ihn trifft daher keine strafrechtliche Verantwortlichkeit kraft Gesetzes. Seine strafrechtliche Verantwortlichkeit entsteht erst mit seiner rechtswirksamen Bestellung zum verantwortlichen Beauftragten durch ein Vertretungsorgan, sie kann immer nur Teilbereiche des Unternehmens umfassen und sie setzt im Anwendungsbereich des § 23 ArbIG überdies die vorgängige Mitteilung der Bestellung an das zuständige Arbeitsinspektorat voraus.

23 Ein verantwortliches Vertretungsorgan ist hingegen als vertretungsbefugtes Organ ex lege, umfassend und kumulativ neben anderen vertretungsbefugten Organen (also "überlappend") strafrechtlich verantwortlich. Seine Bestellung nach § 9 Abs. 2 erster Satz VStG lässt seine strafrechtliche Verantwortlichkeit als Vertretungsorgan unberührt, sie bewirkt nur (nach Maßgabe ihres Umfanges) den Entfall der strafrechtlichen Verantwortlichkeit der übrigen vertretungsbefugten Organe bzw. deren Einschränkung auf den Fall vorsätzlicher Nichtverhinderung (§ 9 Abs. 6 VStG), ihre Wirksamkeit hängt nicht von der Mitteilung an das zuständige Arbeitsinspektorat ab (vgl. zum Ganzen nunmehr , sowie zusammenfassend auch ).

24 Vor diesem Hintergrund sind § 23 Abs. 1 ArbIG sowie in der Folge die übereinstimmend formulierten § 28a Abs. 3 AuslBG und § 7j Abs. 1 AVRAG als ausschließlich auf den Fall des nach § 9 Abs. 2 letzter Satz VStG bestellten verantwortlichen Beauftragten - den der "anderen Personen" in der Diktion des VStG -

bezogen zu verstehen.

25 Die Bestellung eines verantwortlichen Beauftragten aus dem Kreis der vertretungsbefugten Organe nach § 9 Abs. 2 erster Satz VStG (mit der Konsequenz des Fortfalls der Verantwortlichkeit der übrigen vertretungsbefugten Organe) ist daher strikt von der Bestellung eines verantwortlichen Beauftragten aus dem Kreis der "anderen Personen" (mit der Konsequenz des originären Entstehens der Verantwortlichkeit dieser anderen Person unter gleichzeitigem Fortfall derjenigen der vertretungsbefugten Organe) zu unterscheiden. Die in Rede stehenden Spezialvorschriften über die Wirksamkeit der Bestellung eines verantwortlichen Beauftragten sind daher nicht für den Fall der Bestellung eines verantwortlichen Vertretungsorgans nach § 9 Abs. 2 erster Satz VStG heranzuziehen (vgl. zum Ganzen abermals VwGH Ra 2018/11/0081, mwN).

26 Aufgrund der mit § 23 Abs. 1 ArbIG und § 28a Abs. 3 AuslBG nahezu übereinstimmenden Formulierung des § 22 Abs. 5 FMABG und des Umstands, dass nach den Materialien zu letztgenannter Bestimmung § 28a Abs. 3 AuslBG Vorbild war, kann die in den hg. Entscheidungen Ra 2018/11/0081, Ra 2016/02/0002 und 97/11/0044, 0095, entwickelte Rechtsauffassung auf § 22 Abs. 5 FMABG übertragen werden. Diese Bestimmung ist daher auf die Bestellung von verantwortlichen Beauftragten aus dem Kreis der vertretungsbefugten Organe (§ 9 Abs. 1 VStG) nicht anwendbar.

27 Für den vorliegenden Fall bedeutet dies, dass das Verwaltungsgericht zu Recht von einer bereits am rechtswirksam gewordenen Bestellung des Geschäftsführers Eric S. für beide Gesellschaften zum verantwortlichen Beauftragten für die Einhaltung der aufsichtsrechtlichen Bestimmungen des KMG in Zusammenhang mit der Emission der Anleihe bestellt wurde, weil mangels Anwendbarkeit des § 22 Abs. 5 FMABG auf vertretungsbefugte Organe die schriftliche Mitteilung an die revisionswerbende Partei am für die Wirksamkeit der Bestellung nicht erforderlich war. Die verwaltungsstrafrechtliche Verantwortlichkeit des Eric S. blieb mit seiner Bestellung am unberührt, jedoch entfiel mit diesem Tag die Verantwortlichkeit der übrigen Geschäftsführer, weshalb deren Bestrafung für die im Zeitraum von 1. Juni und verwirklichten Verwaltungsübertretungen nicht in Betracht kam. Die Mitbeteiligten haben daher zutreffend vorgebracht, dass das Verwaltungsgericht die gegen sie geführten Verwaltungsstrafverfahren zu Recht eingestellt hat.

28 Den Mitbeteiligten ist auch zuzustimmen, dass das Verwaltungsgericht nicht von der bisherigen hg. Rechtsprechung zu den mit § 22 Abs. 5 FMABG vergleichbaren Bestimmungen abgewichen wäre, weil den von der revisionswerbenden Partei zitierten hg. Entscheidungen jeweils Sachverhalte zu Grunde lagen, in denen überhaupt keine Bestellung eines verantwortlichen Beauftragten festgestellt werden konnte und/oder die in Rede stehende Person kein vertretungsbefugtes Organ war (vgl. ; , 2012/02/0102; , Ra 2014/09/0021, , 2010/09/0225; , 2009/09/0265;

, 2010/09/0161 bis 0163; , 2004/09/0222;

, 2002/02/0037).

29 Die Revisionen waren daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als

unbegründet abzuweisen.

30 Die Kostenentscheidung gründet sich auf die § 47 ff VwGG

in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014. Die Revisionsbeantwortungen der Mitbeteiligten sind inhaltsgleich und wurden durch dieselbe Rechtsvertretung eingebracht. Der Schriftsatzaufwand gebührt ihnen daher gemäß § 49 Abs. 6 VwGG insgesamt nur einmal, weshalb das diesbezügliche Mehrbegehren abzuweisen war (vgl. ). Das auf Ersatz der Umsatzsteuer gerichtete Mehrbegehren war ebenso abzuweisen, weil mit dem Pauschalbetrag für Schriftsatzaufwand auch die Umsatzsteuer abgegolten wird (vgl. , mwN).

Wien, am

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2019:RO2018020016.J00
Schlagworte:
Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2

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