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VwGH vom 13.02.2020, Ro 2018/01/0016

VwGH vom 13.02.2020, Ro 2018/01/0016

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Blaschek sowie die Hofräte Dr. Kleiser, Dr. Fasching, Mag. Brandl und Dr. Terlitza als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Kienesberger, über die Revision des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl gegen das am verkündete und am ausgefertigte Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts, Zl. W230 2173953-1/13E, betreffend eine Angelegenheit nach dem AsylG 2005 (mitbeteiligte Partei: M A),

Spruch

I. den Beschluss gefasst:

Der als Revisionsbeantwortung bezeichnete Schriftsatz des MigrantInnenvereines St. Marx vom wird zurückgewiesen.

II. zu Recht erkannt:

Das angefochtene Erkenntnis wird in seinen Spruchpunkten A.II. und A.III. wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1 Mit Bescheid des Bundesamtes für Fremdenwesen und Asyl (BFA) vom wurde der Antrag des Mitbeteiligten, eines afghanischen Staatsangehörigen, auf internationalen Schutz vom vollinhaltlich abgewiesen, ein Aufenthaltstitel aus berücksichtigungswürdigen Gründen nicht erteilt, eine Rückkehrentscheidung gegen den Mitbeteiligten erlassen, festgestellt, dass seine Abschiebung nach Afghanistan zulässig sei und eine Frist für die freiwillige Ausreise festgelegt. 2 Mit dem angefochtenen, nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung ergangenen Erkenntnis wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) die dagegen erhobene Beschwerde des Mitbeteiligten ab, soweit sie sich gegen die Abweisung des Antrags auf internationalen Schutz in Bezug auf den Status des Asylberechtigten richtete; im Übrigen erkannte es dem Mitbeteiligten den Status des subsidiär Schutzberechtigten zu und erteilte ihm eine befristete Aufenthaltsberechtigung. Zudem sprach das BVwG gemäß § 25a Abs. 1 VwGG aus, dass die ordentliche Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig sei.

3 Begründend führte das BVwG zusammengefasst und soweit für das Revisionsverfahren relevant aus, der Mitbeteiligte, ein Angehöriger der Volksgruppe der Hazara und dem muslimischschiitischen Glauben zugehörig, habe seine Kindheit in einem nicht feststellbaren Dorf in der Provinz Herat verbracht, Afghanistan im Alter von zwölf Jahren verlassen und anschließend im Iran gelebt. Die Verwandten des Mitbeteiligten würden sich nach wie vor im Iran aufhalten und hätten finanzielle Schwierigkeiten. Der Mitbeteiligte leide an einer Anpassungsstörung mit leichtgradiger depressiver Reaktion und stehe deshalb in Behandlung. Es sei nicht von einer dauerhaften Behandlungsbedürftigkeit auszugehen und der Mitbeteiligte sei imstande, Arbeiten des täglichen Lebens selbstständig durchzuführen.

4 Da der Herkunftsort des Mitbeteiligten nicht feststellbar sei, könne die dortige Sicherheitslage nicht überprüft werden. Aus diesem Grund sowie der unzureichenden Sicherheitslage in einigen Provinzen und Distrikten Afghanistans, insbesondere auch einiger Distrikte der Herkunftsprovinz Herat, lasse sich nicht klar feststellen, ob die Sicherheitslage im Herkunftsort des Mitbeteiligten eine Rückkehr zuließe. Das BVwG sehe sich daher gehalten, den vorliegenden Fall so zu behandeln, dass für den Mitbeteiligten aufgrund der allgemeinen Sicherheitslage und seiner persönlichen Situation eine Schutzalternative nur an einem anderen Ort als seinem Herkunftsort in Frage komme. Der gegenständliche Fall sei daher anhand jener Maßstäbe zu beurteilen, die für eine innerstaatliche Fluchtalternative relevant seien.

5 Nach den Umständen des Einzelfalls seien angesichts der Schwierigkeiten am Arbeits- und Wohnungsmarkt, der Behandlungs- und Schutzbedürftigkeit des Mitbeteiligten, seiner langjährigen Abwesenheit, der fehlenden familiären Anknüpfungspunkte in Afghanistan sowie der schwer verfügbaren medizinischen Versorgungslage stichhaltige Gründe erkennbar, dass der Mitbeteiligte, ungeachtet der Möglichkeit einer finanziellen Unterstützung bei Inanspruchnahme von Rückkehrhilfe, außer Stande wäre, sein Überleben zu sichern. Eine Rückführung des Mitbeteiligten gehe mit einer Verletzung von Art. 3 EMRK einher. 6 Das BVwG ließ die ordentliche Revision mit der Begründung zu, das Verhältnis zwischen dem nationalen Recht und dem Unionsrecht sei ungeklärt. Der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) habe ausgesprochen, dass Situationen, in denen eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung auf das Fehlen angemessener Behandlungen zurückzuführen sei, ohne dass die Versorgung absichtlich verweigert werden würde, von der Statusrichtlinie 2011/95/EU nicht erfasst seien.

7 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl erhob gegen dieses Erkenntnis, soweit dem Mitbeteiligten der Status des subsidiär Schutzberechtigten zuerkannt und ihm infolge dessen eine Aufenthaltsberechtigung erteilt wurde, Amtsrevision. 8 Der MigrantInnenverein St. Marx brachte - unter Berufung auf eine nicht vorgelegte Vollmacht - namens des Mitbeteiligten eine Revisionsbeantwortung ein.

9 Mit verfahrensleitender Anordnung vom stellte der Verwaltungsgerichtshof dem Mitbeteiligten diesen Schriftsatz dahingehend zur Verbesserung zurück, als er durch den Mitbeteiligten selbst zu unterfertigen oder durch einen bevollmächtigten Rechtsanwalt einzubringen sei. Zudem wurde der Mitbeteiligte darüber belehrt, dass die Revisionsbeantwortung bei nicht fristgerechter Erfüllung zurückzuweisen sein werde. Der Mitbeteiligte entsprach diesem Auftrag nicht.

10 Der Verwaltungsgerichtshof hat über die Amtsrevision nach Vorlage derselben und der Verfahrensakten durch das Bundesverwaltungsgericht in einem gemäß § 12 Abs. 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

Zu I.:

11 Nach § 23 Abs. 1 erster Satz VwGG können die Parteien, von gesetzlich normierten Ausnahmen abgesehen, ihre Rechtssache vor dem Verwaltungsgerichtshof selbst führen oder sich durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen.

12 Wenn eine Partei ihre Sache vor dem Verwaltungsgerichtshof nicht selbst führt, kann sie sich somit nur durch einen Rechtsanwalt vertreten lassen. § 23 Abs. 1 VwGG normiert somit einen relativen Anwaltszwang (vgl. zu § 23 Abs. 1 VwGG etwa , und , 2007/15/0290). 13 Der als Revisionsbeantwortung bezeichnete Schriftsatz wurde weder vom Mitbeteiligten selbst noch durch einen von ihm bevollmächtigten Rechtsanwalt eingebracht. Da der Mitbeteiligte dem Mängelbehebungsauftrag nicht nachkam, war dieser Schriftsatz zurückzuweisen.

Zu II.:

14 Die Revision ist im Hinblick auf das zur Zulässigkeit geltend gemachte Vorbringen zum Vorliegen einer realen Gefahr einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung durch eine Rückkehr nach Afghanistan zulässig; sie ist insoweit auch berechtigt.

15 Der Verwaltungsgerichtshof hat mit Verweis auf die Rechtsprechung des EuGH dargelegt, dass es der Statusrichtlinie 2011/95/EU widerspricht, einem Fremden den Status des subsidiär Schutzberechtigten unabhängig von einer Verursachung durch Akteure oder einer Bedrohung in einem bewaffneten Konflikt im Herkunftsstaat zuzuerkennen (vgl. ; , Ra 2019/14/0160, Rn. 32). Eine damit in Einklang stehende Interpretation des § 8 Abs. 1 AsylG 2005 würde jedoch die Grenzen der Auslegung nach den innerstaatlichen Auslegungsregeln überschreiten und zu einer - unionsrechtlich nicht geforderten - Auslegung contra legem führen. Daher hält der Verwaltungsgerichtshof an seiner Rechtsprechung fest, wonach eine reale Gefahr einer Verletzung von Art. 2 und 3 EMRK durch eine Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Fremden in seinen Herkunftsstaat - auch wenn diese Gefahr nicht durch das Verhalten eines Dritten (Akteurs) bzw. die Bedrohungen in einem bewaffneten Konflikt verursacht wird - die Zuerkennung subsidiären Schutzes nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 begründen kann (vgl. , mwN).

16 Die Revision rügt zu Recht, dass das Bestehen einer innerstaatlichen Fluchtalternative im Sinne des § 11 Abs. 1 AsylG 2005 dann zu prüfen ist, wenn glaubhaft ist, dass einem Asylwerber in der Herkunftsregion seines Herkunftsstaats Verfolgung im Sinne des Art. 1 Abschnitt A Z 2 Genfer Flüchtlingskonvention droht oder die Voraussetzungen für die Gewährung des Status des subsidiär Schutzberechtigten iSd § 8 Abs. 1 AsylG 2005 vorliegen (vgl. ).

17 Der Verwaltungsgerichtshof hat sich u.a. jüngst in seinem Erkenntnis vom , Ra 2019/01/0243, auf dessen Entscheidungsgründe gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verwiesen wird, umfassend mit dem Kriterium nach § 8 Abs. 1 AsylG 2005 einer realen Gefahr einer gegen Art. 3 EMRK verstoßenden Behandlung durch eine Rückkehr nach Afghanistan auseinandergesetzt und dazu festgehalten, dass es der Rechtsprechung des VwGH entspricht, dass es einem gesunden Asylwerber im erwerbsfähigen Alter, der eine der Landessprachen Afghanistans beherrsche, mit den kulturellen Gepflogenheiten seines Herkunftsstaates vertraut sei und die Möglichkeit habe, sich durch Gelegenheitstätigkeiten eine Existenzgrundlage zu sichern, die Inanspruchnahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative in bestimmten Gebieten Afghanistans zugemutet werden könne, und zwar selbst dann, wenn er nicht in Afghanistan geboren worden sei, dort nie gelebt und keine Angehörigen in Afghanistan habe, sondern im Iran aufgewachsen und dort in die Schule gegangen sei.

18 Im Hinblick auf das Vorliegen einer allgemein prekären Sicherheitslage hat der VwGH in diesem Erkenntnis - unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung von EGMR und EuGH - zum Vorliegen eines realen Risikos iSd Art. 3 EMRK ausgesprochen, dass diese Voraussetzung nur in sehr extremen Fällen ("in the most extreme cases") erfüllt ist. In den übrigen Fällen bedarf es des Nachweises von besonderen Unterscheidungsmerkmalen ("special distinguishing features"), aufgrund derer sich die Situation des Betroffenen kritischer darstellt als für die Bevölkerung im Herkunftsstaat im Allgemeinen. Liegt - wie vorliegend in der Herkunftsregion - keine Verletzung des Art. 3 EMRK vor, so kommt es auf die Frage der Möglichkeit einer innerstaatlichen Fluchtalternative (IFA) nicht mehr an (vgl. erneut , mwN).

19 Nach den Feststellungen des BVwG handle es sich beim Mitbeteiligten um einen jungen, alleinstehenden Mann im berufsfähigen Alter, der an einer Anpassungsstörung mit leichtgradiger depressiver Reaktion leide, die in Form von Medikamenten und Psychotherapie zu behandeln sei. Der Mitbeteiligte sei ungeachtet seiner Erkrankung in der Lage, Arbeiten des täglichen Lebens selbstständig durchzuführen. Weiters seien in Afghanistan, auch in der Herkunftsprovinz des Mitbeteiligten, psychiatrische Einrichtungen vorhanden. Es sei nicht von einer dauerhaften Behandlungsbedürftigkeit auszugehen und es bestehe keine reale Gefahr, dass der Mitbeteiligte im Falle seiner Abschiebung aufgrund seiner psychischen Erkrankung in einen lebensbedrohlichen Zustand gerate. Ausgehend davon ist nicht zu erkennen, dass der Mitbeteiligte im Falle seiner Abschiebung dem realen Risiko ausgesetzt wäre, unter qualvollen Umständen zu sterben oder einer ernsten, raschen und unwiederbringlichen Verschlechterung seines Gesundheitszustands, die zu intensivem Leiden oder einer erheblichen Verkürzung der Lebenserwartung führen würde, ausgesetzt zu sein.

20 Zur Frage, wie mit einer vom Revisionswerber geltend gemachten gesundheitlichen Beeinträchtigung umzugehen sei, ist auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu verweisen, wonach im Allgemeinen kein Fremder ein Recht hat, in einem fremden Aufenthaltsstaat zu verbleiben, bloß um dort medizinisch behandelt zu werden, und zwar selbst dann nicht, wenn er an einer schweren Krankheit leidet oder suizidgefährdet ist. Dass die Behandlung im Zielland nicht gleichwertig, schwerer zugänglich oder kostenintensiver ist, ist unerheblich, allerdings muss der Betroffene auch tatsächlich Zugang zur notwendigen Behandlung haben. Nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände führt die Abschiebung zu einer Verletzung von Art. 3 EMRK. Solche liegen jedenfalls vor, wenn ein lebensbedrohlich Erkrankter durch die Abschiebung einem realen Risiko ausgesetzt würde, unter qualvollen Umständen zu sterben, aber bereits auch dann, wenn stichhaltige Gründe dargelegt werden, dass eine schwerkranke Person mit einem realen Risiko konfrontiert würde, wegen des Fehlens angemessener Behandlung im Zielstaat der Abschiebung oder des fehlenden Zugangs zu einer solchen Behandlung einer ernsten, raschen und unwiederbringlichen Verschlechterung ihres Gesundheitszustands ausgesetzt zu sein, die zu intensivem Leiden oder einer erheblichen Verkürzung der Lebenserwartung führt (vgl. etwa bis 0379, mwN, und Hinweis auf EGMR , Paposhvili gegen Belgien, 41738/10;

s. auch ). Derartige Umstände zeigt das Zulässigkeitsvorbringen der gegenständlichen Revision nicht auf.

21 Darüber hinaus hat das BVwG zwar eine schwierige Lebenssituation für den Mitbeteiligten im Fall seiner Rückführung in den Herkunftsstaat, vor allem in wirtschaftlicher Hinsicht und im Besonderen betreffend die Arbeitsplatz- und Wohnraumsuche, aufgezeigt. Eine nähere und nachvollziehbare Begründung, weshalb der Mitbeteiligte aufgrund der aufgezeigten Umstände, auch unter Berücksichtigung seines Gesundheitszustandes, in eine ausweglose Lage geraten sollte, enthält das angefochtene Erkenntnis jedoch nicht.

22 Auch die Annahme des BVwG, dem Mitbeteiligten sei eine Rückkehr in die "Provinz Herat" nicht zumutbar, vermag die Zuerkennung von subsidiärem Schutz nicht zu rechtfertigen, weil die Zumutbarkeit einer Rückkehr wie bereits ausgeführt bei der Annahme einer innerstaatlichen Fluchtalternative, nicht aber bei einer Rückkehr in die Herkunftsprovinz zu prüfen ist. 23 Das BVwG ist somit von der erwähnten hg. Rechtsprechung abgewichen und hat die zu Spruchpunkt A.II. getroffene Entscheidung mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet, weshalb dieser Ausspruch gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war. Dies hat zur Folge, dass auch Spruchpunkt A.III. die rechtliche Grundlage entzogen ist, weshalb auch dieser Ausspruch wegen Rechtswidrigkeit des Inhalts zu beheben war (vgl. etwa ; , Ra 2018/01/0188; , Ra 2019/01/0243).

Wien, am

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2020:RO2018010016.J00
Schlagworte:
Gemeinschaftsrecht Richtlinie EURallg4

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