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VwGH vom 29.01.2020, Ro 2017/22/0013

VwGH vom 29.01.2020, Ro 2017/22/0013

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Köhler sowie die Hofräte Dr. Mayr und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag.a Thaler, über die Revision des Landeshauptmanns von Wien (als belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht) gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichts Wien vom , VGW- 151/063/9926/2017-3, betreffend Aufenthaltstitel (mitbeteiligte Partei: H K in W, vertreten durch die Rechtsanwälte Gruber Partnerschaft KG in 1010 Wien, Wipplingerstraße 20), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts aufgehoben.

Begründung

1. Der Mitbeteiligte, ein türkischer Staatsangehöriger, verfügte über eine zuletzt bis zum verlängerte Aufenthaltsbewilligung "Studierender" gemäß § 64 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG, in der fallbezogen maßgeblichen Fassung BGBl. I Nr. 70/2015). Am stellte er einen Zweckänderungsantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" gemäß § 41a NAG. Er bezog sich dabei (im Ergebnis) auf Art. 6 Abs. 1 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates vom über die Entwicklung der Assoziation (ARB 1/80).

2.1. Der Landeshauptmann von Wien (im Folgenden: Revisionswerber) wies den Antrag mit Bescheid vom ab. Das NAG sehe keine Zweckänderung von einer Aufenthaltsbewilligung "Studierender" auf einen Aufenthaltstitel "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" vor. Eine solche sei zur Wahrung der Rechte aus dem ARB 1/80 auch nicht erforderlich, könne der Mitbeteiligte doch seine Erwerbstätigkeit weiterhin neben dem Studium im Rahmen seiner Aufenthaltsbewilligung "Studierender" uneingeschränkt ausüben.

2.2. Der dagegen erhobenen Beschwerde des Mitbeteiligten gab das Verwaltungsgericht Wien mit dem angefochtenen Erkenntnis Folge und erteilte den beantragten Aufenthaltstitel "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" für die Dauer von zwölf Monaten. Der Mitbeteiligte wolle zwar nicht mehr weiter studieren, sodass die Erteilung einer Aufenthaltsbewilligung "Studierender" nicht mehr in Betracht komme. Er sei jedoch ein dem regulären Arbeitsmarkt angehörender Arbeitnehmer, der durchgehend seit dem beim selben Arbeitgeber ordnungsgemäß beschäftigt sei und daher die Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 1 erster Spiegelstrich ARB 1/80 erfülle. Mit den im Bereich der Beschäftigung verliehenen Rechten gehe ein entsprechendes Aufenthaltsrecht einher, das ex lege bestehe. Einen gesonderten Aufenthaltstitel für einen türkischen Staatsangehörigen, der Ansprüche aus Art. 6 oder 7 ARB 1/80 ableiten könne, kenne das NAG nicht. Mangels einer innerstaatlichen Regelung betreffend eine für diese Fälle auszustellende Dokumentation sei jener nationale Aufenthaltstitel zu erteilen, der den türkischen Staatsangehörigen bestmöglich in die Lage versetze, von seinen aus Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 ableitbaren Rechten Gebrauch zu machen. Das Verwaltungsgericht verkenne zwar nicht, dass der Mitbeteiligte nach Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 noch keinen unbeschränkten Zugang zum Arbeitsmarkt erworben habe, allerdings komme entsprechend dem beantragten Aufenthaltszweck kein anderer Aufenthaltstitel als die "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" in Betracht.

Das Verwaltungsgericht sprach ferner aus, dass die Revision zulässig sei. Es fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs, welcher Aufenthaltstitel nach dem NAG einem türkischen Staatsangehörigen, der Ansprüche nach Art. 6 Abs. 1 erster Spiegelstrich ARB 1/80 erworben habe und beabsichtige, weiter einer unselbständigen Erwerbstätigkeit nachzugehen, zu erteilen sei.

3.1. Gegen dieses Erkenntnis wendet sich die ordentliche Revision, in der im Wesentlichen ausgeführt wird, das Recht auf Zugang zum Arbeitsmarkt und auf Ausübung einer Beschäftigung im Sinn des Art. 6 Abs. 1 erster Spiegelstrich ARB 1/80 impliziere notwendigerweise ein Aufenthaltsrecht, welches unmittelbar aus dem ARB 1/80 abzuleiten sei und nicht erst durch die Erteilung einer entsprechenden nationalen Erlaubnis (die nur deklaratorische Bedeutung und Beweisfunktion habe) begründet werde. Vorliegend erfülle der Mitbeteiligte die Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 1 erster Spiegelstrich ARB 1/80, sodass ihm ein direkt aus dem ARB 1/80 ableitbares Aufenthaltsrecht zukomme, ein gesondertes Recht auf Erteilung eines bestimmten Aufenthaltstitels nach dem NAG stehe nicht zu. Ein Aufenthaltstitel "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" könne auch deshalb nicht erteilt werden, weil dieser das Recht auf unbeschränkten Zugang zum Arbeitsmarkt umfasse, wohingegen Art. 6 Abs. 1 erster Spiegelstrich ARB 1/80 nur ein Recht auf Verlängerung der Arbeitserlaubnis bei demselben Arbeitgeber beinhalte.

3.2. Der Mitbeteiligte erstattete eine Revisionsbeantwortung mit dem Antrag auf Zurück- bzw. Abweisung der Revision.

4. Der Verwaltungsgerichtshof hat - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat - erwogen:

Die Revision ist zulässig und berechtigt.

5.1. Die gegenständliche Rechtssache gleicht in Ansehung sowohl des relevanten Sachverhalts als auch der maßgeblichen Rechtsfragen jenem Fall, über den der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom , Ro 2017/22/0015, entschieden hat. Gemäß § 43 Abs. 2 VwGG wird auf die eingehenden Entscheidungsgründe dieses Erkenntnisses verwiesen.

5.2. Daraus ergibt sich für den vorliegenden Fall zusammengefasst, dass dem Mitbeteiligten die ihm aus Art. 6 Abs. 1 erster Spiegelstrich ARB 1/80 zukommenden individuellen Rechte unmittelbar und unabhängig davon zustehen, ob die Behörden eine Aufenthaltsbewilligung ausstellen (vgl. etwa ; , Ra 2017/22/0113). Dem Vorbringen, der Mitbeteiligte wolle sein Studium nicht fortführen und werde fortan über keine Aufenthaltsberechtigung "Studierender" verfügen, kommt daher keine Relevanz zu (vgl. zu Fallkonstellationen nach Beendigung eines Studiums auch ; neuerlich Ro 2017/22/0015).

Dem Interesse an einer Bescheinigung der aus dem ARB 1/80 abgeleiteten Berechtigung wird durch die Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung (vgl. § 4c Abs. 1 AuslBG), auf deren Ausstellung ein türkischer Arbeitnehmer bei Erfüllen der Voraussetzungen des ersten Spiegelstrichs des Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 einen Rechtsanspruch hat, Rechnung getragen (vgl. etwa ).

Hingegen gingen die Rechte aus dem beantragten Aufenthaltstitel "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" über die Berechtigung nach Art. 6 Abs. 1 erster Spiegelstrich ARB 1/80 hinaus. Der Mitbeteiligte hat daher jedenfalls keinen Anspruch auf Erteilung eines solchen Aufenthaltstitels, mit dem ein unbeschränkter Zugang zum Arbeitsmarkt verbunden ist (vgl. § 17 AuslBG), der aus Art. 6 Abs. 1 erster Spiegelstrich ARB 1/80 nicht abgeleitet werden kann (vgl. etwa VwGH Ro 2018/22/0009; , Ro 2018/22/0003).

5.3. Soweit sich der Mitbeteiligte in der Revisionsbeantwortung auf die Stillhalteklausel des Art. 13 ARB 1/80 beruft, vermag auch dieses - nicht näher konkretisierte - Vorbringen am dargestellten Ergebnis nichts zu ändern.

6. Das angefochtene Erkenntnis war daher wegen Rechtswidrigkeit seines Inhalts gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Wien, am

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2020:RO2017220013.J00
Schlagworte:
Besondere Rechtsgebiete Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtsanspruch Antragsrecht Anfechtungsrecht VwRallg9/2

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