VwGH vom 27.11.2019, Ro 2017/16/0004
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn und den Hofrat Dr. Mairinger sowie die Hofrätin Dr. Reinbacher als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Galli, LL.M., über die Revision der M K in W, vertreten durch die Hasberger Seitz & Partner Rechtsanwälte GmbH in 1010 Wien, Gonzagagasse 4, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom , Zl. RV/7100257/2016, betreffend u.a. Familienbeihilfe und Kinderabsetzbeträge für März bis Juli 2015 (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Finanzamt Wien 2/20/21/22), zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird im angefochtenen Umfang, somit hinsichtlich der Rückforderung der Familienbeihilfe und der Kinderabsetzbeträge für März bis Juli 2015, aufgehoben.
Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom wies das Bundesfinanzgericht u.a. die Beschwerde der Revisionswerberin wegen der Rückforderung der für ihren Sohn gewährten Familienbeihilfe und Kinderabsetzbeträge für den Zeitraum März bis Juli 2015 ab.
2 In der Begründung führte das Bundesfinanzgericht - soweit hier wesentlich - aus, der Sohn der Revisionswerberin sei wegen einer vor der Vollendung des 21. Lebensjahres eingetretenen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. Er beziehe eine Pension wegen geminderter Arbeitsfähigkeit. Der Sohn der Revisionswerberin befindet sich aufgrund des Urteils des Landesgerichts Wien vom im Maßnahmenvollzug. Ab diesem Zeitpunkt habe der Bund gemäß § 324 Abs. 3 und 4 ASVG 80% der Pension des Sohns der Revisionswerberin einbehalten. Die Revisionswerberin habe an ihren Sohn nachweislich die im Vorlagebericht des Finanzamts aufgezählten Leistungen erbracht.
3 Zwar habe der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom , 2006/13/0092, ausgeführt, dass im Rahmen des § 2 Abs. 5 lit. c FLAG 1967 auch freiwillige Unterhaltsleistungen zu berücksichtigen seien. Im Erkenntnis vom , 2011/16/0173, sei der Verwaltungsgerichtshof in einem Fall der "schlichten" Strafhaft jedoch zum Ergebnis gelangt, dass ein Familienbeihilfenanspruch nach § 2 Abs. 1 lit. a FLAG 1967 nicht zustehe, wenn die typischen Unterhaltskosten, wie Unterkunft, Bekleidung und Verpflegung von der öffentlichen Hand getragen würden. Diese Judikatur habe der Verwaltungsgerichtshof im Erkenntnis vom , Ra 2014/16/0014, betreffend den Familienbeihilfenanspruch für subsidiär schutzberechtigte Kinder nach § 3 Abs. 4 zweiter Satz FLAG 1967 bestätigt.
4 Auch im vorliegenden Fall seien die typischen Unterhaltskosten des Sohns der Revisionswerberin von § 31 Abs. 1 des Strafvollzugsgesetzes (StVG) erfasst, wonach die Anstalten zum Vollzug von Freiheitsstrafen für den Unterhalt der Strafgefangenen zu sorgen hätten. Dies gelte gemäß § 167 Abs. 1 StVG sinngemäß auch für den Maßnahmenvollzug nach § 21 Abs. 1 StGB. Dass die Revisionswerberin die für einen Gefangenen im Maßnahmenvollzug verbleibende Restbedürfnisse in Erfüllung ihrer Unterhaltspflicht oder freiwillig decke, ändere daran nichts. Auch § 2 Abs. 1 lit. c FLAG 1967 müsse telelogisch reduziert werden, sodass der Revisionswerberin ab März 2015 kein Anspruch auf Familienbeihilfe zustehe.
5 Eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof erklärte das Bundesfinanzgericht für zulässig. Das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , 2006/13/0092, scheine den späteren Erkenntnissen (; ) zu widersprechen und gehe auf den Umstand, dass § 31 Abs. 1 StVG auch auf den Maßnahmenvollzug anzuwenden sei, nicht ein.
6 Der Verwaltungsgerichtshof hat über die vorliegende ordentliche Revision (das Finanzamt erstattete keine Revisionsbeantwortung) - in einem nach § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat - erwogen:
7 Nach § 2 Abs. 1 lit. c FLAG 1967 haben Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, einen Anspruch auf Familienbeihilfe für volljährige Kinder, die wegen einer vor Vollendung des 21. Lebensjahres eingetretenen körperlichen oder geistigen Behinderung voraussichtlich dauernd außerstande sind, sich selbst den Unterhalt zu verschaffen. 8 Gemäß § 8 Abs. 4 FLAG 1967 steht für erheblich behinderte Kinder ein Erhöhungsbetrag zur Familienbeihilfe zu. 9 Der Anspruch einer Person auf Familienbeihilfe setzt nach § 2 Abs. 2 erster Satz FLAG 1967 grundsätzlich die Haushaltszugehörigkeit des Kindes voraus.
10 § 2 Abs. 5 lit. c FLAG 1967 enthält die gesetzliche Fiktion, dass diese Haushaltszugehörigkeit nicht als aufgehoben gilt, wenn sich das Kind wegen eines Leidens oder Gebrechens nicht nur vorübergehend in Anstaltspflege befindet, und die Person zu den Kosten des Unterhalts mindestens in Höhe der (erhöhten) Familienbeihilfe für ein Kind beiträgt.
11 Die durch die Anstaltspflege bedingte Abwesenheit des Kindes steht somit dem Erfordernis der Haushaltszugehörigkeit nicht entgegen, wenn die Familienbeihilfe dem Kind trotz der räumlichen Trennung zur Gänze zugutekommt, wobei es unerheblich ist, ob zu den Kosten des Unterhalts freiwillig oder aufgrund einer gesetzlichen Verpflichtung beigetragen wird (vgl. , VwSlg 8497/F). 12 Dem - ausschließlich die Haushaltszugehörigkeit nach § 2 Abs. 5 lit. c FLAG 1967 betreffenden - Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom ist weiters zu entnehmen, dass eine "Anstaltspflege" iSd § 2 Abs. 5 lit. c FLAG 1967 auch dann vorliegt, wenn sich ein Kind im Maßnahmenvollzug nach § 21 Abs. 1 StGB befindet, wobei es hier für die Erfüllung des Kriteriums der Anstaltspflege nicht darauf ankommt, wer die Kosten der Unterbringung trägt.
13 Ist eine pensionsberechtigte Person nach § 21 Abs. 1 StGB auf Kosten den Bundes in einer Anstalt oder Einrichtung untergebracht, gebührt deren Pensionsanspruch (einschließlich allfälliger Zulagen und Zuschläge) höchstens jedoch bis zu 80 vH, dem Bund, wobei dieser Betrag vom Versicherungsträger unmittelbar an jene Anstalt oder Einrichtung ausgezahlt werden kann, in der die pensionsberechtigte Person untergebracht ist (vgl. § 324 Abs. 3 und 4 ASVG).
14 Das Bundesfinanzgericht hat im angefochtenen Erkenntnis die Feststellung getroffen, dass 80% der Pension des Sohns der Revisionswerberin anlässlich des Maßnahmenvollzugs nach § 21 Abs. 1 StGB aufgrund der gesetzlichen Vorgaben des § 324 Abs. 3 und 4 ASVG einbehalten worden sind.
15 Darin unterscheidet sich die Gestaltung des vorliegenden Revisionsfalls von derjenigen, die dem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom , 2011/16/0173, zu Grunde lag. Im Revisionsfall durfte das Bundesfinanzgericht die Versagung der Familienbeihilfe nicht darauf stützen, dass die öffentliche Hand (hier: der Bund) die Kosten des typischen Unterhalts getragen hätte, denn dem Bund oder unmittelbar der Anstalt, in welcher der Sohn der Revisionswerberin untergebracht war, wurde ein Betrag vom Pensionsanspruch des Sohns der Revisionswerberin ausbezahlt.
16 Dass das Einkommen des Sohns der Revisionswerberin im Kalenderjahr 2015 eine Höhe erreicht hätte, welche einen Wegfall der Familienbeihilfe nach § 5 Abs. 1 FLAG 1967 nach sich zöge, hat das Bundesfinanzgericht, welches lediglich eine monatliche Pension "netto" ohne Dauer des Bezugs erwähnt, nicht festgestellt. 17 Eine abschließende Beurteilung, ob die Voraussetzungen für die Fiktion des § 2 Abs. 5 lit. c FLAG 1967 der für den Familienbeihilfenanspruch der Revisionswerberin erforderlichen Haushaltszugehörigkeit ihres Sohns im Revisionsfall gegeben wären oder nicht, erlauben die Feststellungen im angefochtenen Erkenntnis nicht.
18 Das angefochtene Erkenntnis war deshalb gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben. 19 Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die § 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 20
14.
Wien, am
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ECLI: | ECLI:AT:VWGH:2019:RO2017160004.J00 |
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