VwGH vom 30.06.2021, Ro 2017/15/0035

VwGH vom 30.06.2021, Ro 2017/15/0035

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn, die Senatspräsidentin Dr. Büsser sowie die Hofräte MMag. Maislinger, Mag. Novak und Dr. Sutter als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Engenhart, über die Revision des A T in R, vertreten durch die Consilia Schwarzach Wirtschaftstreuhand GmbH, Steuerberatungsgesellschaft in 5620 Schwarzach, Höhenweg 4, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes vom , Zl. RV/2100484/2013, betreffend Abweisung eines Antrages auf Zuerkennung von Berufungszinsen, zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 2.946,10 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1Der Revisionswerber, der einen Hotelbetrieb führt, machte in seiner am eingereichten Umsatzsteuervoranmeldung für August 2007 einen Überschuss an Vorsteuern in Höhe von 60.689,28 € geltend.

2Der Vorsteuerüberschuss wurde dem Revisionswerber nicht antragsgemäß nach § 21 Abs. 1 UStG 1994 gutgeschrieben. Vielmehr setzte das Finanzamt - im Rahmen einer Umsatzsteuerprüfung, bei der ein Streit über das Ausmaß eines Zubaus zum Hotelbetrieb des Revisionswerbers entstand - die Umsatzsteuer für August 2007 gemäß § 21 Abs. 3 UStG 1994 mit einem Überschuss an Vorsteuern in Höhe von lediglich 14.689,28 € fest (Bescheid vom ).

3Der Revisionswerber brachte gegen den im Anschluss an die Prüfung erlassenen Bescheid über die Festsetzung von Umsatzsteuer für August 2007 Berufung ein, welche sich in weiterer Folge gegen den am ergangenen Umsatzsteuerjahresbescheid 2007 richtete.

4Mit Bescheid vom gab der unabhängige Finanzsenat der Berufung gegen den Umsatzsteuerjahresbescheid 2007 statt und setzte die Jahresumsatzsteuer wie vom Revisionswerber begehrt fest.

5Mit Eingabe vom beantragte der Revisionswerber Zinsen für die durch die Berufungsentscheidung entstandene Abgabengutschrift für den Zeitraum vom bis Mai 2013.

6Das Finanzamt wies diesen Antrag mit Bescheid vom ab.

7Der Revisionswerber berief gegen den Abweisungsbescheid und führte zur Begründung im Wesentlichen aus, bei der Festsetzung von Berufungszinsen könne es keinen Unterschied machen, ob eine Abgabenforderung vom Finanzamt festgesetzt worden sei und damit eine Abgabenschuld entstehe oder ob eine beantragte Vorsteuergutschrift nicht festgesetzt und somit nicht rückgezahlt werde. In beiden Fällen verfüge der Abgabepflichtige nicht über das Geld und es entstehe ihm bis zur Entscheidung über die Berufung ein Zinsschaden.

8Mit dem angefochtenen Erkenntnis, in dem eine Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG für zulässig erklärt wurde, gab das Bundesfinanzgericht der Berufung (nunmehr Beschwerde) keine Folge und führte aus, dem Revisionswerber sei beizupflichten, dass er für die Dauer des Rechtsmittelverfahrens durch das Warten auf die Abgabengutschrift wirtschaftlich belastet sei. Dass ihm Beschwerdezinsen iSd § 205a BAO zustünden, treffe indessen nicht zu, weil diese Bestimmung aufgrund des diesbezüglich klaren Gesetzeswortlautes eine „bereits entrichtete Abgabenschuldigkeit“ zur Voraussetzung habe.

9In der gegen dieses Erkenntnis gerichteten ordentlichen Revision wird vom Revisionswerber - wie im Beschwerdeverfahren - die Auffassung vertreten, es stünden ihm Zinsen zu. Ergänzend dazu wird vorgebracht, dass die Rechtsprechung des EuGH im Falle verspäteter Vorsteuergutschriften einen finanziellen Ausgleich nach den Grundsätzen der Äquivalenz und Effektivität fordere (Hinweis auf Enel Maritsa Iztok 3, C-107/10; , Rafinaria Steaua Romana, C-431/12). Das Recht auf Erstattung der Vorsteuer innerhalb angemessener Frist sei ein Grundsatz des Unionsrechtes. Daher seien finanzielle Verluste, die dem Steuerpflichtigen durch die fehlende Verfügbarkeit des Geldbetrages entstünden, wenn ihm der Mehrwertsteuerüberschuss nicht in angemessener Frist erstattet werde, durch die Zahlung von Zinsen auszugleichen.

10Das Finanzamt hat eine Revisionsbeantwortung erstattet.

11Der Verwaltungsgerichtshof hat eine mündliche Verhandlung durchgeführt, an welcher die steuerliche Vertreterin des Revisionswerbers teilgenommen und die Zuerkennung des Aufwandersatzes von 1.559,70 € (Verhandlungsaufwand 1.383 €, Aufenthaltskosten 26,50 €, Fahrtkosten 190,20 €) beantragt hat.

12Mit Beschluss vom hat der Verwaltungsgerichtshof in Bezug auf das gegenständliche und in Bezug auf ein weiteres Revisionsverfahren dem Gerichtshof der Europäischen Union Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt, bei denen es darum ging, ob das Unionsrecht eine unmittelbar anwendbare Regelung enthält, die einen Anspruch auf Verzinsung von nicht rechtzeitig erstatteten Umsatzsteuerguthaben einräumt.

13Die Generalanwältin Juliane Kokott stellt dazu in den Schlussanträgen vom fest, aus Art. 183 und Art. 90 RL 2006/112/EG in Verbindung mit dem Grundsatz der Neutralität folge eine unionsrechtliche Verzinsungspflicht des Mitgliedstaates für Vorsteuerüberschüsse und für Ansprüche auf Steuererstattungen aufgrund einer Verminderung der Bemessungsgrundlage (Rn 37), und führt in diesem Zusammenhang weiter aus:

„41. Folglich obliegt es den Mitgliedstaaten, die Einzelheiten der Verzinsung in ihrem nationalen Recht zu regeln. [...] Eine unmittelbare Anwendung von Art. 183 oder des Art. 90 der Mehrwertsteuerrichtlinie in Verbindung mit dem Grundsatz der Neutralität zur Bestimmung eines konkreten Anspruchs auf Verzinsung zugunsten des Steuerpflichtigen scheidet damit aus.

[...]

47. Da die Mehrwertsteuerrichtlinie somit keine unmittelbar anwendbare Verzinsungsregelung enthält, fällt die Ausgestaltung des Zinsanspruchs grundsätzlich in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten. Wie der Gerichtshof bereits entschieden hat, haben sie insoweit Spielraum und können die Modalitäten des Zinsanspruchs festlegen.

48. Allerdings dürfen die Einzelheiten der Erstattung nicht ungünstiger sein als die, die bei ähnlichen internen Sachverhalten gelten (Grundsatz der Äquivalenz), und nicht so ausgestaltet sein, dass sie die Ausübung der Rechte, die die Unionsrechtsordnung einräumt, praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (Grundsatz der Effektivität).

49. Diese Grundsätze wirken sich auf die Anwendung und Auslegung des nationalen Rechts durch die nationalen Gerichte aus. [...] Das nationale Gericht hat das gesamte nationale Recht zu berücksichtigen, um zu beurteilen, inwieweit es so angewandt werden kann, dass kein dem Unionsrecht widersprechendes Ergebnis erzielt wird.

[...]

51. [...] Ob aufgrund eines Rechtsbehelfs die Steuerschuld reduziert oder aber der Vorsteuerabzugsanspruch erhöht wird, ist für den sich daraus ergebenden Vorsteuerüberschuss (d. h. den Saldo nach Art. 183 der Mehrwertsteuerrichtlinie) nicht entscheidend. Möglicherweise kommt daher hier eine unionsrechtskonforme erweiternde Auslegung des § 205a BAO nach den Grundsätzen der Äquivalenz und der Effektivität doch in Betracht.

52. Da aber nicht jedes nationale Recht einer unionsrechtskonformen Auslegung zugänglich ist, wie sich u. a. auch aus der Schadensersatzpflicht der Mitgliedstaaten für Unionsrechtsverstöße ergibt, kann dies letztendlich nur das vorlegende Gericht entscheiden.“

14Mit Urteil vom , C-844/19, hat der Gerichtshof der Europäischen Union über das Vorabentscheidungsersuchen des Verwaltungsgerichtshofes vom entschieden:

„Art. 90 Abs. 1 und Art. 183 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem sind in Verbindung mit dem Grundsatz der steuerlichen Neutralität dahin auszulegen, dass eine Erstattung, die sich aus einer Berichtigung der Steuerbemessungsgrundlage nach Art. 90 Abs. 1 dieser Richtlinie ergibt, ebenso wie eine Erstattung eines Vorsteuerüberschusses nach Art. 183 dieser Richtlinie zu verzinsen ist, wenn sie nicht innerhalb einer angemessenen Frist erfolgt. Dem vorlegenden Gericht obliegt es, alles in seiner Zuständigkeit Liegende zu tun, um die volle Wirksamkeit dieser Bestimmungen durch eine unionsrechtskonforme Auslegung des nationalen Rechts sicherzustellen.“

15Aus der Entscheidungsbegründung dieses Urteils ergibt sich, dass eine unmittelbar anwendbare Richtlinienbestimmung betreffend die Verzinsung der in Rede stehenden MwSt-Guthaben nicht existiert. Der EuGH führt in den Rn. 52 bis 54 sodann aus:

„Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs sowohl die nationalen Verwaltungsbehörden als auch die nationalen Gerichte, die im Rahmen ihrer jeweiligen Zuständigkeit die Bestimmungen des Unionsrechts anzuwenden haben, gehalten sind, für die volle Wirksamkeit dieser Bestimmungen Sorge zu tragen (Urteil vom , Eesti Pagar, C‑349/17, EU:C:2019:172, Rn. 91 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Insbesondere ist der Grundsatz der unionsrechtskonformen Auslegung des innerstaatlichen Rechts, wonach es dem nationalen Gericht obliegt, das innerstaatliche Recht so weit wie möglich in Übereinstimmung mit den Anforderungen des Unionsrechts auszulegen, dem System der Verträge immanent, da dem nationalen Gericht dadurch ermöglicht wird, im Rahmen seiner Zuständigkeit die volle Wirksamkeit des Unionsrechts sicherzustellen, wenn es über den bei ihm anhängigen Rechtsstreit entscheidet (Urteil vom , A. K. u. a. [Unabhängigkeit der Disziplinarkammer des Obersten Gerichts], C-585/18, C-624/18 und C‑625/18, EU:C:2019:982, Rn. 159). Diese Verpflichtung zur unionsrechtskonformen Auslegung des nationalen Rechts verlangt, dass das nationale Gericht gegebenenfalls das gesamte nationale Recht berücksichtigt, um zu beurteilen, inwieweit es so angewandt werden kann, dass kein dem Unionsrecht widersprechendes Ergebnis erzielt wird (Urteil vom , Telecom Italia, C-34/19, EU:C:2020:148, Rn. 59 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Allerdings bestehen für den Grundsatz der unionsrechtskonformen Auslegung des nationalen Rechts bestimmte Grenzen. So ist die Verpflichtung des nationalen Richters, bei der Auslegung und Anwendung der einschlägigen Vorschriften des innerstaatlichen Rechts den Inhalt des Unionsrechts heranzuziehen, durch die allgemeinen Rechtsgrundsätze - zu denen auch der Grundsatz der Rechtssicherheit gehört - begrenzt und darf nicht als Grundlage für eine Auslegung contra legem des nationalen Rechts dienen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom , Pöpperl, C‑187/15, EU:C:2016:550, Rn. 44 und die dort angeführte Rechtsprechung).“

16Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

17Art. 183 Abs. 1 der RL 2006/112/EG des Rates vom über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (im Folgenden: RL 2006/112/EG) bestimmt:

„Übersteigt der Betrag der abgezogenen Vorsteuer den Betrag der für einen Steuerzeitraum geschuldeten Mehrwertsteuer, können die Mitgliedstaaten den Überschuss entweder auf den folgenden Zeitraum vortragen lassen oder nach den von ihnen festgelegen Einzelheiten erstatten.“

18Gemäß § 21 Abs. 4 UStG 1994 wird der Unternehmer nach Ablauf des Kalenderjahres zur Umsatzsteuer veranlagt.

19§ 20 Abs. 1 und 2 lauten auszugsweise:

„(1) Bei der Berechnung der Steuer ist in den Fällen des § 1 Abs. 1 Z 1 und 2 von der Summe der Umsätze auszugehen, für welche die Steuerschuld im Laufe eines Veranlagungszeitraumes entstanden ist. [...]

(2) 1. Von dem nach Abs. 1 errechneten Betrag sind die in den Veranlagungszeitraum fallenden, nach § 12 abziehbaren Vorsteuerbeträge abzusetzen. [...]“

20Der Revisionswerber machte in seiner am eingereichten Umsatzsteuervoranmeldung für August 2007 einen Überschuss an Vorsteuern in Höhe von 60.689,28 € geltend. Dieser Überschuss wurde dem Revisionswerber (zunächst) nicht gutgeschrieben, vielmehr setzte das Finanzamt die Umsatzsteuer für August 2007 gemäß § 21 Abs. 3 UStG 1994 mit einem Überschuss an Vorsteuern in Höhe von 14.689,28 € fest (Bescheid vom ).

21Auch im Umsatzsteuerjahresbescheid 2007 vom wurde der vom Revisionswerber in der Umsatzsteuervoranmeldung August 2007 geltend gemachte Überschuss an Vorsteuern nur teilweise berücksichtigt.

22Erst im Rechtsmittelverfahren erging ein Umsatzsteuerjahresbescheid 2007, in welchem der Überschuss an Vorsteuern in der vom Revisionswerber geltend gemachten Höhe anerkannt wurde (Bescheid des unabhängigen Finanzsenates vom ). Strittig ist, ob dem Revisionswerber (seinem Begehren entsprechend) ab dem Zinsen auf den erst nach Abschluss des Rechtsmittelverfahrens gutgeschriebenen Teil des Vorsteuerüberschusses gebühren.

23Der , zu Recht erkannt, dass „Art. 90 Abs. 1 und Art. 183 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem [...] in Verbindung mit dem Grundsatz der steuerlichen Neutralität dahin auszulegen [sind], dass eine Erstattung, die sich aus einer Berichtigung der Steuerbemessungsgrundlage nach Art. 90 Abs. 1 dieser Richtlinie ergibt, ebenso wie eine Erstattung eines Vorsteuerüberschusses nach Art. 183 dieser Richtlinie zu verzinsen ist, wenn sie nicht innerhalb einer angemessenen Frist erfolgt“. Aus dem Urteil des EuGH ergibt sich, dass sich die unionsrechtliche Pflicht zur Verzinsung von Mehrwertsteuerbeträgen nicht aus unmittelbar anwendbarem Unionsrecht ergibt. Der EuGH sprach aber aus, dass der Verwaltungsgerichtshof alles in seiner Zuständigkeit Liegende zu unternehmen habe, um die volle Wirksamkeit und Erfüllung dieser unionsrechtlichen Verpflichtung durch eine unionsrechtskonforme Auslegung des nationalen Rechts bzw. durch eine unionsrechtskonforme analoge Anwendung von Bestimmungen aus der gesamten nationalen Rechtsordnung sicherzustellen.

24In Bezug auf die Mehrwertsteuer ergibt sich aus dem , dass die Durchführung des Art. 183 der RL 2006/112/EG zugrunde liegenden Anspruchs auf Erstattung des Mehrwertsteuerüberschusses zwar in ihrer näheren Ausgestaltung in die Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten fällt, dies jedoch nichts daran ändert, dass diese Autonomie durch die Grundsätze der Äquivalenz und Effektivität begrenzt wird (vgl. auch Enel Maritsa Iztok 3, C-107/10, Rn 29; , Rafinaria Steaua Romana, C-431/12, Rn 20).

25Das Recht der Steuerpflichtigen, von der von ihnen geschuldeten Mehrwertsteuer die Mehrwertsteuer abzuziehen, die bereits als Vorsteuer die von ihnen erworbenen Gegenstände und empfangenen Dienstleistungen belastet hat, ist ein fundamentaler Grundsatz des durch das Unionsrecht geschaffenen gemeinsamen Mehrwertsteuersystems (vgl. z. B. Gabor Toth, C-324/11, Rn 23; , Idexx Laboratories, C-590/13, Rn 30 und 31; , Radu Florin, C-183/14, Rn 56).

26Art. 183 der RL 2006/112/EG sieht keine unmittelbar anwendbare unionsrechtliche Verpflichtung zur Zahlung von Zinsen auf den zu erstattenden Mehrwertsteuerüberschuss - oder gar den Zeitpunkt, ab dem solche Zinsen geschuldet werden - vor. Dieser Umstand bedeutet - nach der Rechtsprechung des EuGH - jedoch nicht, dass die von den Mitgliedstaaten autonom festzulegenden Einzelheiten hinsichtlich der Verzinsung der Mehrwertsteuerbeträge von der unionsrechtlichen Kontrolle freigestellt sind (vgl. Enel Maritsa Iztok 3, Rn 27 und 28; Rafinaria Steaua Romana, Rn 19; , Glencore Agriculture, C-254/16, Rn 18). Dabei verlangt der Grundsatz der Neutralität des Mehrwertsteuersystems, dass die finanziellen Verluste, die dem Gläubiger, wenn ihm der Mehrwertsteuerüberschuss nicht innerhalb einer angemessenen Frist erstattet wird, durch die fehlende Verfügbarkeit der fraglichen Geldbeträge entstehen, durch eine Zinszahlung ausgeglichen werden (vgl. Rafinaria Steaua Romana, Rn 23; Glencore Agriculture, Rn 22).

27Das österreichische materielle Abgabenrecht kennt im Bereich der Umsatzsteuer keine spezifische Verzugszinsenpflicht, mit der im Sinne der Rechtsprechung des EuGH die finanziellen Verluste durch die fehlende Verfügbarkeit der Geldbeträge durch eine Zinszahlung ausgeglichen würden.

28Auch das österreichische Abgabenverfahrensrecht sieht keine allgemeine Verzinsung von Abgabenschulden oder Abgabengutschriften vor. Allerdings enthält die BAO für mehrere konkret definierte Tatbestände sehr wohl Zinsfolgen.

29Mit dem Budgetbegleitgesetz 2001 wurde (nur) für den Bereich der Einkommensteuer und Körperschaftsteuer eine (begrenzte) „grundsätzliche“ Verzinsung eingeführt. § 205 BAO regelt dazu die sogenannten Anspruchszinsen und sieht - allerdings begrenzt für einen Zeitraum von maximal 48 Monaten ab dem auf das Steuerjahr folgenden Oktober - „Nachforderungszinsen“ (zugunsten des Abgabengläubigers, also des Fiskus) und „Gutschriftszinsen“ (zugunsten der Abgabepflichtigen) vor, die sich auf Basis der Differenz zwischen einer neuerlichen Abgabenfestsetzung und der bisher festgesetzt gewesenen Abgabe ergeben können. In den Erläuterungen zum Budgetbegleitgesetz 2001, BGBl. I Nr. 142/2000, mit welchem die Regelung des § 205 BAO eingeführt wurde, wird ausgeführt, der Zweck der Anspruchszinsenregelung sei „nach dem Vorbild des § 233a der (deutschen) Abgabenordnung 1977, die (möglichen) Zinsvorteile bzw. Zinsnachteile auszugleichen, die sich aus unterschiedlichen Zeitpunkten der Abgabenfestsetzungen ergeben“ (ErlRV 311 BlgNR 21. GP 196).

30Eine andere, nicht auf Einkommensteuer und Körperschaftsteuer beschränkte Zinsregelung enthält die - vom Revisionswerber angesprochene - Bestimmung des § 205a BAO, die Beschwerdezinsen regelt und damit erst im Rechtsmittelstadium greift. Für den Fall, dass eine Abgabenvorschreibung zu einer Nachforderung führt und diese Nachforderung zwar mit Rechtsmittel bekämpft, aber während des Rechtsmittelverfahrens bereits an das Finanzamt entrichtet wird, normiert § 205a BAO zu Gunsten der im Rechtsmittel erfolgreichen Abgabepflichtigen auf Antrag einen Anspruch auf Beschwerdezinsen für den Zeitraum ab Entrichtung bis zur Bekanntgabe der die Abgabe herabsetzenden Rechtsmittelerledigung, um den erlittenen Zinsnachteil abzugelten. Da § 205a BAO auf eine entrichtete Abgabenschuldigkeit abstellt, kommt er bei Fällen ausstehender Zuerkennung eines Guthabens nicht zum Tragen (vgl. ).

31Wurde demgegenüber von Abgabepflichtigen die Abgabenschuld nicht entrichtet und gemäß § 212a BAO eine Aussetzung der Abgabeneinhebung während des Rechtsmittelverfahrens beantragt, sind für den spiegelbildlichen Zinsvorteil Aussetzungszinsen seitens der Abgabepflichtigen zu entrichten.

32Es zeigt sich somit, dass die BAO zwar keine allgemeine Verzinsung von Abgabenschulden kennt, sehr wohl aber mehrere Zinstatbestände enthält, die dem Verwaltungsgerichtshof - solange der nationale Gesetzgeber keine entsprechende Regelung getroffen hat - in Verfahren beantragter Zinsen von Umsatzsteuer-Ansprüchen eine Rechtsanalogie zur Auflösung des derzeit bestehenden Normenkonflikts zwischen nationalem Recht und (nicht unmittelbar anwendbarem) Unionsrecht erlaubt. In entsprechender Anwendung des diesen Bestimmungen zu Grunde liegenden Regelungsprinzips besteht der vom Revisionswerber geltend gemachte Zinsenanspruch zu Recht.

33Als Zinssatz legen sowohl § 205 als auch § 205a und § 212a BAO zwei Prozentpunkte über dem Basiszinssatz fest. Dieser Zinssatz ist daher auch in Fällen der Verzinsung von Umsatzsteuer-Ansprüchen heranzuziehen.

34Mit den (mangels gesetzlicher Regelung einzelfallbezogen zu beantwortenden) Fragen des genauen Beginns eines solchen Zinsenlaufs muss sich der Verwaltungsgerichtshof im Revisionsfall nicht näher auseinandersetzen. Unionsrechtlich kann ein zinsfreier Zeitraum für eine angemessene abgabenrechtliche Prüfung bestehen (vgl. etwa Enel Maritsa Iztok 3, C-107/10; , Rafinaria Steaua Romana, C-431/12; , Glencore Agriculture, C-254/16; und , Nidera BV, C-387/16), der den Beginn des Verzinsungszeitraumes verschiebt. Im vorliegenden Fall hat der Revisionswerber erst für den Zeitraum ab Jänner 2012 eine Verzinsung der Ansprüche betreffend Umsatzsteuer 2007 beantragt. Ab Jänner 2012 kann nicht mehr von einer zinsfreien Periode ausgegangen werden.

35Das angefochtene Erkenntnis erweist sich daher als mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet, weshalb es gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.

36Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet auf § 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am

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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2021:RO2017150035.J00

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