VwGH 24.10.2019, Ro 2017/15/0035
Entscheidungsart: Beschluss
Rechtssätze
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Normen | BAO §205 BAO §205a BAO §212a ErstattungsV abziehbare Vorsteuern ausländischer Unternehmer 1995 UStG 1994 §16 UStG 1994 §21 Abs1 VwGG §38b 12010E267 AEUV Art267 32006L0112 Mehrwertsteuersystem-RL Art183 32006L0112 Mehrwertsteuersystem-RL Art90 Abs1 32008L0009 Mehrwertsteuererstattung-RL Art27 61981CJ0283 CILFIT und Lanificio di Gavardo VORAB 62010CJ0107 Enel Maritsa Iztok 3 VORAB 62010CJ0591 Littlewoods Retail VORAB 62012CJ0431 Rafinaria Steaua Romana VORAB 62016CJ0254 Glencore Agriculture VORAB 62016CJ0387 Nidera VORAB 62018CJ0133 Sea Chefs Cruise Services VORAB |
RS 1 | Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden gemäß Art. 267 AEUV folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt: 1. Ergibt sich aus dem Unionsrecht eine unmittelbar anwendbare Regelung, die einem Steuerpflichtigen, dem das Finanzamt in einer Situation, wie sie in den Ausgangsverfahren vorliegt, nicht rechtzeitig ein Umsatzsteuerguthaben erstattet, einen Anspruch auf Verzugszinsen einräumt, sodass er diesen Anspruch beim Finanzamt bzw. bei den Verwaltungsgerichten geltend machen kann, obwohl das nationale Recht eine solche Zinsenregelung nicht vorsieht? Für den Fall der Bejahung der 1. Vorlagefrage: 2. Ist es auch im Falle der durch eine nachträgliche Entgeltminderung nach Art. 90 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem entstandenen Umsatzsteuerforderung des Steuerpflichtigen zulässig, dass die Verzinsung erst nach Ablauf eines angemessenen Zeitraumes, der dem Finanzamt zur Überprüfung der Richtigkeit des vom Steuerpflichtigen geltend gemachten Anspruches zur Verfügung steht, beginnt? 3. Hat der Umstand, dass das nationale Recht eines Mitgliedstaates keine Verzinsungsregelung für die verspätete Gutschrift von Umsatzsteuerguthaben enthält, zur Folge, dass von den nationalen Gerichten bei der Bemessung der Zinsen die in Art. 27 Abs. 2 zweiter Unterabsatz der Richtlinie 2008/9/EG des Rates vom zur Regelung der Erstattung der Mehrwertsteuer gemäß der Richtlinie 2006/112/EG an nicht im Mitgliedstaat der Erstattung, sondern in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Steuerpflichtige angeordnete Rechtsfolge auch dann zur Anwendung zu bringen ist, wenn die Ausgangsverfahren nicht in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fallen? |
Normen | 32006L0112 Mehrwertsteuersystem-RL Art183 32006L0112 Mehrwertsteuersystem-RL Art90 Abs1 62019CJ0844 CS VORAB |
RS 1 | Der , zu Recht erkannt, dass "Art. 90 Abs. 1 und Art. 183 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem [...] in Verbindung mit dem Grundsatz der steuerlichen Neutralität dahin auszulegen [sind], dass eine Erstattung, die sich aus einer Berichtigung der Steuerbemessungsgrundlage nach Art. 90 Abs. 1 dieser Richtlinie ergibt, ebenso wie eine Erstattung eines Vorsteuerüberschusses nach Art. 183 dieser Richtlinie zu verzinsen ist, wenn sie nicht innerhalb einer angemessenen Frist erfolgt". Aus dem Urteil des EuGH ergibt sich, dass sich die unionsrechtliche Pflicht zur Verzinsung von Mehrwertsteuerbeträgen nicht aus unmittelbar anwendbarem Unionsrecht ergibt. Der EuGH sprach aber aus, dass der Verwaltungsgerichtshof alles in seiner Zuständigkeit Liegende zu unternehmen habe, um die volle Wirksamkeit und Erfüllung dieser unionsrechtlichen Verpflichtung durch eine unionsrechtskonforme Auslegung des nationalen Rechts bzw. durch eine unionsrechtskonforme analoge Anwendung von Bestimmungen aus der gesamten nationalen Rechtsordnung sicherzustellen. |
Normen | 32006L0112 Mehrwertsteuersystem-RL Art183 62010CJ0107 Enel Maritsa Iztok 3 VORAB 62012CJ0431 Rafinaria Steaua Romana VORAB 62019CJ0844 CS VORAB |
RS 2 | In Bezug auf die Mehrwertsteuer ergibt sich aus dem , dass die Durchführung des Art. 183 der RL 2006/112/EG zugrunde liegenden Anspruchs auf Erstattung des Mehrwertsteuerüberschusses zwar in ihrer näheren Ausgestaltung in die Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten fällt, dies jedoch nichts daran ändert, dass diese Autonomie durch die Grundsätze der Äquivalenz und Effektivität begrenzt wird (vgl. auch Enel Maritsa Iztok 3, C-107/10, Rn 29; , Rafinaria Steaua Romana, C-431/12, Rn 20). |
Normen | 32006L0112 Mehrwertsteuersystem-RL Art183 62011CJ0324 Toth VORAB 62013CJ0590 Idexx Laboratories Italia VORAB 62014CJ0183 Salomie und Oltean VORAB |
RS 3 | Das Recht der Steuerpflichtigen, von der von ihnen geschuldeten Mehrwertsteuer die Mehrwertsteuer abzuziehen, die bereits als Vorsteuer die von ihnen erworbenen Gegenstände und empfangenen Dienstleistungen belastet hat, ist ein fundamentaler Grundsatz des durch das Unionsrecht geschaffenen gemeinsamen Mehrwertsteuersystems (vgl. z. B. Gabor Toth, C-324/11, Rn 23; , Idexx Laboratories, C-590/13, Rn 30 und 31; , Radu Florin, C-183/14, Rn 56). |
Normen | 32006L0112 Mehrwertsteuersystem-RL Art183 62010CJ0107 Enel Maritsa Iztok 3 VORAB 62012CJ0431 Rafinaria Steaua Romana VORAB 62016CJ0254 Glencore Agriculture VORAB |
RS 4 | Art. 183 der RL 2006/112/EG sieht keine unmittelbar anwendbare unionsrechtliche Verpflichtung zur Zahlung von Zinsen auf den zu erstattenden Mehrwertsteuerüberschuss - oder gar den Zeitpunkt, ab dem solche Zinsen geschuldet werden - vor. Dieser Umstand bedeutet - nach der Rechtsprechung des EuGH - jedoch nicht, dass die von den Mitgliedstaaten autonom festzulegenden Einzelheiten hinsichtlich der Verzinsung der Mehrwertsteuerbeträge von der unionsrechtlichen Kontrolle freigestellt sind (vgl. , Enel Maritsa Iztok 3, C 107/10, Rn 27 und 28; , Rafinaria Steaua Romana, C 431/12, Rn 19; , Glencore Agriculture, C-254/16, Rn 18). Dabei verlangt der Grundsatz der Neutralität des Mehrwertsteuersystems, dass die finanziellen Verluste, die dem Gläubiger, wenn ihm der Mehrwertsteuerüberschuss nicht innerhalb einer angemessenen Frist erstattet wird, durch die fehlende Verfügbarkeit der fraglichen Geldbeträge entstehen, durch eine Zinszahlung ausgeglichen werden (vgl. Rafinaria Steaua Romana, Rn 23; Glencore Agriculture, Rn 22). |
Normen | |
RS 5 | Das österreichische materielle Abgabenrecht kennt im Bereich der Umsatzsteuer keine spezifische Verzugszinsenpflicht, mit der im Sinne der Rechtsprechung des EuGH die finanziellen Verluste durch die fehlende Verfügbarkeit der Geldbeträge durch eine Zinszahlung ausgeglichen würden. Auch das österreichische Abgabenverfahrensrecht sieht keine allgemeine Verzinsung von Abgabenschulden oder Abgabengutschriften vor. Allerdings enthält die BAO für mehrere konkret definierte Tatbestände sehr wohl Zinsfolgen. |
Normen | |
RS 6 | Mit dem Budgetbegleitgesetz 2001 wurde (nur) für den Bereich der Einkommensteuer und Körperschaftsteuer eine (begrenzte) "grundsätzliche" Verzinsung eingeführt. § 205 BAO regelt dazu die sogenannten Anspruchszinsen und sieht - allerdings begrenzt für einen Zeitraum von maximal 48 Monaten ab dem auf das Steuerjahr folgenden Oktober - "Nachforderungszinsen" (zugunsten des Abgabengläubigers, also des Fiskus) und "Gutschriftszinsen" (zugunsten der Abgabepflichtigen) vor, die sich auf Basis der Differenz zwischen einer neuerlichen Abgabenfestsetzung und der bisher festgesetzt gewesenen Abgabe ergeben können. In den Erläuterungen zum Budgetbegleitgesetz 2001, BGBl. I Nr. 142/2000, mit welchem die Regelung des § 205 BAO eingeführt wurde, wird ausgeführt, der Zweck der Anspruchszinsenregelung sei "nach dem Vorbild des § 233a der (deutschen) Abgabenordnung 1977, die (möglichen) Zinsvorteile bzw. Zinsnachteile auszugleichen, die sich aus unterschiedlichen Zeitpunkten der Abgabenfestsetzungen ergeben" (ErlRV 311 BlgNR 21. GP 196). Eine andere, nicht auf Einkommensteuer und Körperschaftsteuer beschränkte Zinsregelung enthält § 205a BAO, der Beschwerdezinsen regelt und damit erst im Rechtsmittelstadium greift. Für den Fall, dass eine Abgabenvorschreibung zu einer Nachforderung führt und diese Nachforderung zwar mit Rechtsmittel bekämpft, aber während des Rechtsmittelverfahrens bereits an das Finanzamt entrichtet wird, normiert § 205a BAO zu Gunsten der im Rechtsmittel erfolgreichen Abgabepflichtigen auf Antrag einen Anspruch auf Beschwerdezinsen für den Zeitraum ab Entrichtung bis zur Bekanntgabe der die Abgabe herabsetzenden Rechtsmittelerledigung, um den erlittenen Zinsnachteil abzugelten. Da § 205a BAO auf eine entrichtete Abgabenschuldigkeit abstellt, kommt er bei Fällen ausstehender Zuerkennung eines Guthabens nicht zum Tragen (vgl. ). Wurde demgegenüber von Abgabepflichtigen die Abgabenschuld nicht entrichtet und gemäß § 212a BAO eine Aussetzung der Abgabeneinhebung während des Rechtsmittelverfahrens beantragt, sind für den spiegelbildlichen Zinsvorteil Aussetzungszinsen seitens der Abgabepflichtigen zu entrichten. |
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RS 7 | Die BAO kennt zwar keine allgemeine Verzinsung von Abgabenschulden, enthält sehr wohl aber mehrere Zinstatbestände, die dem Verwaltungsgerichtshof - solange der nationale Gesetzgeber keine entsprechende Regelung getroffen hat - in Verfahren beantragter Zinsen von Umsatzsteuer-Ansprüchen eine Rechtsanalogie zur Auflösung des derzeit bestehenden Normenkonflikts zwischen nationalem Recht und (nicht unmittelbar anwendbarem) Unionsrecht erlauben. In entsprechender Anwendung des diesen Bestimmungen zu Grunde liegenden Regelungsprinzips besteht der vom Unternehmer geltend gemachte Zinsenanspruch für die durch eine Berufungsentscheidung für einen bestimmten Zeitraum entstandene Abgabengutschrift betreffend Umsatzsteuer zu Recht. Als Zinssatz legen sowohl § 205 als auch § 205a und § 212a BAO zwei Prozentpunkte über dem Basiszinssatz fest. Dieser Zinssatz ist daher auch in Fällen der Verzinsung von Umsatzsteuer-Ansprüchen heranzuziehen. |
Normen | 32006L0112 Mehrwertsteuersystem-RL Art183 62010CJ0107 Enel Maritsa Iztok 3 VORAB 62012CJ0431 Rafinaria Steaua Romana VORAB 62016CJ0254 Glencore Agriculture VORAB 62016CJ0387 Nidera VORAB |
RS 8 | Unionsrechtlich kann ein zinsfreier Zeitraum für eine angemessene abgabenrechtliche Prüfung bestehen (vgl. etwa Enel Maritsa Iztok 3, C-107/10; , Rafinaria Steaua Romana, C-431/12; , Glencore Agriculture, C-254/16; und , Nidera BV, C-387/16), der den Beginn des Verzinsungszeitraumes verschiebt. Im vorliegenden Fall hat der Unternehmer erst für den Zeitraum ab Jänner 2012 eine Verzinsung der Ansprüche betreffend Umsatzsteuer 2007 beantragt. Ab Jänner 2012 kann nicht mehr von einer zinsfreien Periode ausgegangen werden. |
Entscheidungstext
Beachte
Vorabentscheidungsverfahren:
* EU-Register: EU 2019/0005
Vorabentscheidungsverfahren:
C-844/19
* EuGH-Entscheidung:
EuGH 62019CJ0844 B
* Enderledigung des gegenständlichen Ausgangsverfahrens im fortgesetzten Verfahren:
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn und die Hofrätin Dr. Büsser sowie die Hofräte MMag. Maislinger, Mag. Novak und Dr. Sutter als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Engenhart, 1) in der Revisionssache zu Zahl Ro 2017/15/0035 des A T in R, vertreten durch die Consilia Schwarzach Wirtschaftstreuhand GmbH, Steuerberatungsgesellschaft in 5620 Schwarzach, Höhenweg 4, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes vom , Zl. RV/2100484/2013, betreffend Abweisung eines Antrages auf Zuerkennung von Berufungszinsen, und 2) in der Revisionssache zu Zahl Ro 2018/15/0026 des Finanzamtes Graz-Stadt in 8010 Graz, Conrad von Hötzendorfstraße 14-18, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes vom , Zl. RV/2100689/2014, betreffend Festsetzung von Zinsen (mitbeteiligte Partei: t GmbH in G, vertreten durch die Schenz & Haider Rechtsanwälte OG in 2340 Mödling, Enzersdorfer Straße 4), denBeschluss gefasst:
Spruch
Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden gemäß Art. 267 AEUV folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1. Ergibt sich aus dem Unionsrecht eine unmittelbar anwendbare Regelung, die einem Steuerpflichtigen, dem das Finanzamt in einer Situation, wie sie in den Ausgangsverfahren vorliegt, nicht rechtzeitig ein Umsatzsteuerguthaben erstattet, einen Anspruch auf Verzugszinsen einräumt, sodass er diesen Anspruch beim Finanzamt bzw. bei den Verwaltungsgerichten geltend machen kann, obwohl das nationale Recht eine solche Zinsenregelung nicht vorsieht?
Für den Fall der Bejahung der 1. Vorlagefrage:
2. Ist es auch im Falle der durch eine nachträgliche Entgeltminderung nach Art. 90 Abs. 1 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem entstandenen Umsatzsteuerforderung des Steuerpflichtigen zulässig, dass die Verzinsung erst nach Ablauf eines angemessenen Zeitraumes, der dem Finanzamt zur Überprüfung der Richtigkeit des vom Steuerpflichtigen geltend gemachten Anspruches zur Verfügung steht, beginnt?
3. Hat der Umstand, dass das nationale Recht eines Mitgliedstaates keine Verzinsungsregelung für die verspätete Gutschrift von Umsatzsteuerguthaben enthält, zur Folge, dass von den nationalen Gerichten bei der Bemessung der Zinsen die in Art. 27 Abs. 2 zweiter Unterabsatz der Richtlinie 2008/9/EG des Rates vom zur Regelung der Erstattung der Mehrwertsteuer gemäß der Richtlinie 2006/112/EG an nicht im Mitgliedstaat der Erstattung, sondern in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Steuerpflichtige angeordnete Rechtsfolge auch dann zur Anwendung zu bringen ist, wenn die Ausgangsverfahren nicht in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fallen?
Begründung
1 A. Sachverhalt und bisheriges Verfahren:
2 1. Die Revisionssache Ro 2017/15/0035
3 Der in Österreich ansässige Revisionswerber machte in seiner Umsatzsteuervoranmeldung für August 2007 am einen Überschuss an Vorsteuern in Höhe von 60.689,28 € geltend.
4 Das Finanzamt verbuchte diesen Überschuss zunächst nicht am Steuerkonto des Revisionswerbers, sondern führte eine Umsatzsteuerprüfung durch. Es entstand dabei ein Streit über das Ausmaß des Vorsteuerabzugs aus der Errichtung eines Zubaus zum Hotelbetrieb des Revisionswerbers. Deshalb setzte das Finanzamt den Überschuss an Vorsteuern mit Bescheid vom um 46.000 € niedriger fest, also in Höhe von 14.689,28 €.
5 Der Revisionswerber erhob gegen diesen Bescheid Berufung.
6 Mit Bescheid des unabhängigen Finanzsenates vom wurde der Berufung Folge gegeben und die Umsatzsteuer wie vom Revisionswerber begehrt festgesetzt. Der Vorsteuerbetrag wurde dem Revisionswerber am auf seinem Steuerkonto gutgeschrieben.
7 Mit Eingabe vom beantragte der Revisionswerber Berufungszinsen gemäß § 205a Bundesabgabenordnung (BAO) für die Abgabengutschrift für den Zeitraum ab , weil mit die Regelung des § 205a BAO in Kraft getreten sei, die in unionsrechtskonformer Interpretation auch einen Anspruch auf Verzugszinsen auf Vorsteuerguthaben begründe.
8 Das Finanzamt wies diesen Antrag mit Bescheid vom ab.
9 Mit dem vor dem Verwaltungsgerichtshof angefochtenen Erkenntnis gab das Bundesfinanzgericht der gegen den Abweisungsbescheid erhobenen Beschwerde keine Folge.
10 Zur Begründung führte das Bundesfinanzgericht im Wesentlichen aus, aus der Bestimmung des § 205a BAO ergebe sich zwar eine Verzinsung, wenn eine vom Steuerpflichtigen an das Finanzamt entrichtete (zunächst strittige) Abgabenschuldigkeit als Folge eines Rechtsmittels herabgesetzt werde, nicht aber für den hier vorliegenden Fall der Zuerkennung einer Abgabengutschrift im Rechtsmittelverfahren.
11 Der Revisionswerber bekämpft die Entscheidung des Bundesfinanzgerichts mit Revision an den Verwaltungsgerichtshof.
12 Der Verwaltungsgerichtshof hat eine mündliche Verhandlung über die Revision abgehalten. Im Rahmen der Verhandlung brachte der Revisionswerber vor, dass ihm das Unionsrecht einen Anspruch auf Verzugszinsen auf das Vorsteuerguthaben einräumt. Die Finanzverwaltung bestritt, dass sich aus dem Unionsrecht ein unmittelbar anwendbarer Anspruch auf Verzugszinsen ergebe. Die bisherige Rechtsprechung des EuGH habe immer Fälle betroffen, in denen bereits die nationale Rechtsordnung ein Verzugszinsenregime kannte.
13 2. Die Revisionssache Ro 2018/15/0026
14 Die mitbeteiligte Partei, eine in Deutschland ansässige Gesellschaft mit beschränkter Haftung, hatte in den Jahren 2003 und 2004 Maschinen in Österreich verkauft und diese Geschäftsfälle in Österreich der Umsatzsteuer unterzogen. Im Jahr 2005 machte sie in der Umsatzsteuervoranmeldung für den Monat Mai 2005 mit der Begründung, dass sich nachträglich eine Minderung des Entgelts (§ 16 UStG 1994) ergeben habe, eine Umsatzsteuergutschrift in Höhe von 367.081,58 € geltend.
15 Die Umsatzsteuergutschrift wurde im Rahmen einer abgabenbehördlichen Prüfung, die im Juli 2006 begann und im Juni 2008 endete, geprüft und während des Prüfungsverfahrens am dem Abgabenkonto der mitbeteiligten Partei gutgeschrieben. Im Hinblick auf eine am Abgabenkonto vorher bestandene Schuld von 18.000 € ergab sich daraus ein Guthaben der mitbeteiligten Partei von rund 345.000 €.
16 Bei Ende der Prüfung vertrat das Finanzamt jedoch die Auffassung, dass die Entgeltsberichtigung nicht vorzunehmen sei und die Umsatzsteuerforderung der mitbeteiligten Partei nicht bestehe. Mit Bescheid vom setzte das Finanzamt daher die Umsatzsteuer 2005 mit 2.734,36 € fest, wodurch sich eine Nachforderung in Höhe von 367.081,58 € ergab. Diese Nachforderung wurde von der mitbeteiligten Partei einerseits durch das auf ihrem Abgabenkonto bestehende Guthaben und andererseits durch eine Zahlung an das Finanzamt entrichtet.
17 Einer gegen den Umsatzsteuerbescheid vom gerichteten Berufung der mitbeteiligten Partei gab der unabhängige Finanzsenat mit Berufungsentscheidung vom Folge. Der Betrag von 367.081,58 € wurde der mitbeteiligten Partei am gutgeschrieben.
18 Mit Schriftsatz vom beantragte die mitbeteiligte Partei, unter Verweis auf Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes (u.a. Littlewoods Retail Ltd, C-591/10), für den Zeitraum Juli 2005 bis Mai 2013 eine Verzinsung des Betrages von 367.081,58 €.
19 Über diesen Antrag entschied das Finanzamt mit Bescheid vom dahingehend, dass nur für den Zeitraum bis ein Anspruch auf Zinsen (in Höhe von 10.021,32 €) bestehe. Die mit dem Umsatzsteuerbescheid vom festgesetzte Nachforderung in Höhe von 367.081,58 € habe die mitbeteiligte Partei an das Finanzamt entrichtet. Für die während des Streitverfahrens an das Finanzamt entrichtete Abgabe räume § 205a BAO Beschwerdezinsen ein; § 205a BAO sei mit in Kraft getreten.
20 Einer gegen den Bescheid vom gerichteten Beschwerde gab das Bundesfinanzgericht mit Erkenntnis vom zum Teil Folge, indem es der mitbeteiligten Partei auch für den Zeitraum bis Verzugszinsen zusprach, wodurch sich die Verzugszinsen auf insgesamt 51.170,02 € erhöhten.
21 Für den Zeitraum vom bis stützte sich das Bundesfinanzgericht nicht auf § 205a BAO, weil in Bezug auf diesen Zeitraum keine von der mitbeteiligten Partei an das Finanzamt entrichtete Steuer vorlag. Zur Begründung des Anspruches auf Verzugszinsen für diesen Zeitraum stützt sich das Bundesfinanzgericht auf Unionsrecht und zwar insbesondere auf das Littlewoods Retail Ltd, C-591/10. Das Bundesfinanzgericht führt aus, die mitbeteiligte Partei habe über den Betrag von 367.081,58 € vom Tag der Geltendmachung bis zur am erfolgten Gutschrift nicht verfügen können. Nach der Rechtsprechung des EuGH stehe ihr für diesen Zeitraum eine Verzinsung zu, wobei der Zinsenlauf mit dem 46. Tag nach Einreichung der Umsatzsteuervoranmeldung und damit am beginne ( Enel Maritsa Iztok 3, C-107/10, Rn. 61). Dem Anspruch auf Verzinsung stehe auch nicht entgegen, dass die Abgabenbehörde eine Prüfung der Umsatzsteuergutschrift vorgenommen habe.
22 Ab dem habe die mitbeteiligte Partei über den Betrag von 367.081,58 € verfügen können. Der Umsatzsteuerjahresbescheid 2005 vom ändere daran nichts, weil die mitbeteiligte Partei gegen diesen Bescheid ein Rechtsmittel erhoben habe, sodass auf Antrag die Entrichtung der aus diesem Bescheid resultierenden Nachforderung von 367.081,58 € nach innerstaatlichem Recht (§ 212a BAO) bis zum Ergehen der Rechtsmittelentscheidung ausgesetzt sei und über diesen Geldbetrag verfügt werden könne.
23 Die gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichts vom gerichtete Revision des Finanzamtes wendet sich ausschließlich gegen den Zuspruch von Verzugszinsen für den Zeitraum bis .
24 Der Verwaltungsgerichtshof hat eine mündliche Verhandlung über die Revision abgehalten. Im Rahmen der Verhandlung bestritt die Finanzverwaltung, dass sich aus dem Unionsrecht ein unmittelbar anwendbarer Anspruch auf Verzugszinsen ergebe. Die nationale Rechtsordnung in Österreich enthalte - im Gegensatz zur Rechtsordnung im Ausgangsverfahren des Urteils Littlewoods Retail Ltd, in dem der EuGH Verzugszinsen auf Umsatzsteuerguthaben unionsrechtlich beurteilt habe - keine Anspruchsgrundlage für Verzugszinsen auf die hier in Rede stehenden Steuerguthaben. Aus Art. 27 der Richtlinie 2008/9/EG sei auch abzuleiten, dass es unionsrechtlich nicht zu beanstanden sei, wenn ein Mitgliedstaat keine Verzinsung für Steuerguthaben kenne.
25 B. Maßgebliche Bestimmungen des nationalen Rechts:
26 Vorweg ist darauf zu verweisen, dass das österreichische Abgabenrecht keine allgemeine Regelung betreffend Verzinsung von Abgabenschulden oder Abgabengutschriften enthält. § 205 BAO sieht (für einen Zeitraum von maximal 48 Monaten ab dem auf das Steuerjahr folgenden Oktober) „Nachforderungszinsen“ (zugunsten des Abgabengläubigers) und „Gutschriftszinsen“ (zugunsten des Steuerpflichtigen), die sich auf Basis der Differenz zwischen den festgesetzten Vorauszahlungen und dem im Jahressteuerbescheid festgesetzten Abgabenbetrag ergeben können, nur im Bereich der Einkommensteuer und Körperschaftsteuer vor. Für den Fall, dass eine Abgabenvorschreibung zu einer Nachforderung führt und der Steuerpflichtige diese Nachforderung mit Rechtsmittel bekämpft, aber während des Rechtsmittelzeitraums bereits an das Finanzamt entrichtet, und diese Steuernachforderung schließlich durch die Erledigung des Rechtsmittels herabgesetzt wird, normiert § 205a BAO Beschwerdezinsen für den Zeitraum ab Entrichtung bis zur Bekanntgabe der die Abgabe herabsetzenden Rechtsmittelerledigung.
27 Das österreichische Umsatzsteuergesetz sieht in § 21 Abs. 1 UStG 1994 u.a. vor, dass ein im Voranmeldungszeitraum (Kalendermonat) vorangemeldeter Überschuss (an Vorsteuer gegenüber der Umsatzsteuer) - im Allgemeinen - umgehend am Abgabenkonto des Steuerpflichtigen gutzuschreiben ist, wobei die Gutschrift auf den Tag der Einreichung der Voranmeldung, frühestens auf den Tag nach Ablauf des Voranmeldungszeitraums, zurückwirkt und unmittelbar am Abgabenkonto ausgewiesene Steuerschulden tilgt bzw. zur Auszahlung an den Steuerpflichtigen zur Verfügung steht. Eine Verzinsung des durch die Gutschrift allenfalls entstehenden Guthabens am Abgabenkonto ist nicht vorgesehen.
28 Die Bundesabgabenordnung sieht in § 217 Säumniszuschläge für den Fall vor, dass eine Abgabe nicht spätestens am Fälligkeitstag entrichtet wird. Der erste Säumniszuschlag beträgt 2% des nicht zeitgerecht entrichteten Abgabenbetrags, ein zweiter und ein dritter Säumniszuschlag (jeweils in Höhe von 1%) sind nach jeweils weiteren drei Monaten zu entrichten.
29 Betreffend Unternehmer, die nicht im Inland ansässig sind und im Inland auch keine Umsätze erzielen, sieht die - in Umsetzung der Richtlinie 2008/9/EG des Rates vom zur Regelung der Erstattung der Mehrwertsteuer gemäß der Richtlinie 2006/112/EG an nicht im Mitgliedstaat der Erstattung, sondern in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Steuerpflichtige ergangene - Verordnung des Bundesministers für Finanzen, BGBl. Nr. 279/1995 (in der Fassung BGBl. II Nr. 158/2014), die Erstattung von Vorsteuern in einem gesonderten Verfahren vor. Für im übrigen Gemeinschaftsgebiet ansässige Unternehmer sieht diese Verordnung in § 3 eine Säumnisabgeltung vor: Erfolgt nach Ablauf von vier Monaten und zehn Werktagen nach Eingang des Erstattungsantrages bei der Abgabenbehörde keine Zahlung des zu erstattenden Betrages durch das Finanzamt, ist zu Gunsten des Steuerpflichtigen eine Säumnisabgeltung in Höhe von 2% für den nicht zeitgerecht erstatteten Abgabenbetrag festzusetzen. Fordert die Abgabenbehörde zusätzliche Informationen an, so besteht der Anspruch auf die Säumnisabgeltung im Falle einer einmaligen Aufforderung frühestens mit Ablauf von zehn Werktagen nach Ablauf einer Frist von sechs Monaten und im Falle einer zweimaligen Aufforderung frühestens mit Ablauf von zehn Werktagen nach Ablauf einer Frist von acht Monaten ab Eingang des Erstattungsantrages. Zweite und dritte Säumnisabgeltungen (in Höhe von jeweils 1% des nicht erstatteten Abgabenbetrages) sind festzusetzen, soweit der Abgabenbetrag nicht spätestens nach jeweils drei weiteren Monaten erstattet wird.
30 C. Erläuterung zu den Vorlagefragen:
31 1. Unmittelbar anwendbarer unionsrechtlicher Anspruch auf Verzugszinsen dem Grunde nach
32 Die zur Zahl Ro 2017/15/0035 anhängige Revision betrifft die verspätete Erstattung eines Vorsteuerüberhanges.
33 Der EuGH hat in den Urteilen vom , Enel Maritsa Iztok 3, C-107/10; , Rafinaria Steaua Romana, C-431/12; , Glencore Agriculture, C-254/16; und , Nidera BV, C-387/16, zu Fällen mit Vorsteuerüberschüssen in Auslegung von Art. 183 der Mehrwertsteuerrichtlinie entschieden, dass dem Steuerpflichtigen Verzugszinsen zu zahlen sind, wenn ihm ein Mehrwertsteuerüberschuss nicht innerhalb angemessener Frist ausbezahlt wird. Den Ausgangsverfahren der angeführten Urteile des EuGH ist gemeinsam, dass die jeweilige nationale Rechtsordnung eine Regelung enthielt, der zufolge der Staat verpflichtet war, dem Steuerpflichtigen im Falle einer rechtswidrig verspäteten Erstattung von Steuern Verzugszinsen zu zahlen. Im österreichischen nationalen Recht gibt es keine solche Norm. Es gibt keine gesetzlichen Bestimmungen, die dem Steuerpflichtigen für die verspätete Erstattung von Umsatzsteuerforderungen Verzugszinsen einräumen. Die in der Literatur gelegentlich erwähnten Bestimmungen der §§ 205 und 205a BAO sind auf einen solchen Fall nicht anwendbar. Sowohl der Wortlaut dieser Bestimmungen als auch deren Zweck und Systematik schließen eine Anwendung auf verspätet gutgeschriebene Umsatzsteuerforderungen aus (vgl. ).
34 Vor dem Hintergrund, dass das nationale Recht keinen Anspruch auf Zinsen einräumt, stellt sich daher die Frage, ob das Unionsrecht, insbesondere Art. 183 der Mehrwertsteuerrichtlinie eine unmittelbar anwendbare Regelung enthält, auf welche sich der Steuerpflichtige vor dem Finanzamt und vor den Gerichten berufen kann, um Verzugszinsen wegen der verspäteten Auszahlung von Vorsteuerüberhängen zugesprochen zu erhalten.
35 In diesem Zusammenhang ist auch darauf Bedacht zu nehmen, dass Art. 27 der Richtlinie 2008/9/EG (siehe hiezu unten unter 3.) Regelungen für den Fall enthält, dass das nationale Recht eines Mitgliedstaates eine solche Verzinsung nicht kennt. Art. 27 der Richtlinie 2008/9/EG geht also nicht davon aus, dass dem Steuerpflichtigen unionsrechtlich zwingend ein Anspruch auf Verzugszinsen einzuräumen ist. Würde das Unionsrecht ohnedies bereits einen Verzinsungsanspruch vorsehen, wäre Art. 27 Abs. 2 zweiter Unterabsatz der Richtlinie 2008/9/EG seines Anwendungsbereiches beraubt (vgl. wenn auch zu Art. 26 Abs. 2 dieser Richtlinie Sea Chefs Cruise, C-133/18, Rn. 45).
36 Das zur Zahl Ro 2018/15/0026 anhängige Revisionsverfahren betrifft keinen Vorsteuerüberhang und kann nicht nach Art. 183 der Mehrwertsteuerrichtlinie beurteilt werden. Bei diesem Verfahren geht es um eine Umsatzsteuerforderung des Steuerpflichtigen gegenüber dem Finanzamt, die sich aus einer nachträglichen Minderung des Entgelts ergeben hat. Nach der in Umsetzung von Art. 90 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie ergangenen Bestimmung des § 16 Abs. 1 und 3 UStG 1994, hat der Unternehmer, der in der Vergangenheit den Umsatz ausgeführt hat, den dafür geschuldeten Steuerbetrag zu mindern, wenn sich der vereinbarte Kaufpreis nachträglich mindert oder uneinbringlich wird. Gemäß § 16 Abs. 1 UStG 1994 ist die Berichtigung für den Veranlagungszeitraum vorzunehmen, in dem die Änderung des Entgeltes eingetreten ist; im gegenständlichen Fall also in jenem Veranlagungszeitraum, in welchem die Kaufpreisforderung uneinbringlich geworden ist (Mai 2005).
37 Mit der Frage von Verzugszinsen bei Umsatzsteuerforderungen des Unternehmers, die nicht auf einen Vorsteuerüberhang, sondern auf andere Umstände zurückzuführen sind, hat sich der EuGH soweit ersichtlich nur im Urteil vom , Littlewoods Retail Ltd, C-591/10, auseinandergesetzt, wobei auch für das Ausgangsverfahren dieses Urteils bedeutsam ist, dass das nationale Recht bereits eine Verzugszinsenregelung für entsprechende Steuergutschriften kannte. Dieses Urteil betrifft eine Umsatzsteuerforderung, die auf in der Vergangenheit fälschlicherweise zu hoch berechnete Gegenleistungen (Kaufpreise für Waren) zurückzuführen war. In diesem Urteil leitet der EuGH den Anspruch auf Verzugszinsen aus seiner Rechtsprechung zur Erstattung von „unter Verstoß gegen das Unionsrecht erhobenen Abgaben“ ab (vgl. Littlewoods Retail Ltd, Rn. 24).
38 Im Revisionsfall Ro 2018/15/0026 stellt sich die Frage, ob eine nachträglich eingetretene Entgeltsminderung, hier in Form einer nachträglich eingetretenen Uneinbringlichkeit von Kaufpreisforderungen, als Fall einer „unter Verstoß gegen das Unionsrecht erhobenen Abgabe“ beurteilt werden kann. Sollte die Rechtsprechung des EuGH zu „unter Verstoß gegen das Unionsrecht erhobenen Abgaben“ auf einen solchen Fall anwendbar sein, stellt sich weiters die Frage, ob sich aus dem Unionsrecht eine unmittelbar anwendbare Regelung ergibt, die einem Steuerpflichtigen, dem das Finanzamt in einer Situation, wie sie im Ausgangsverfahren vorliegt, nicht rechtzeitig ein Umsatzsteuerguthaben gutschreibt, einen Anspruch auf Verzugszinsen einräumt, sodass er, obwohl das nationale Recht keine Verzugszinsen für vergleichbare Steuergutschriften kennt, diesen Anspruch beim Finanzamt bzw. bei den Verwaltungsgerichten geltend machen kann.
39 2. Beginn des Zinsenlaufes
40 Sollte dem Steuerpflichtigen ein unmittelbar anwendbarer unionsrechtlicher Anspruch auf Verzugszinsen bei Verzug des Finanzamtes eingeräumt sein, stellt sich die Frage, ab welchem Zeitpunkt die Zinsen zu berechnen sind. In den Urteilen Enel Maritsa Iztok 3, Rafinaria Steaua Romana, Glencore Agriculture und Nidera BV, welche die Verzugszinsen bei verspäteter Gutschrift von Vorsteuerüberhängen und damit die Auslegung von Art. 183 der Mehrwertsteuerrichtlinie betreffen, hat der EuGH ausgesprochen, dass die Verzinsung erst nach Ablauf eines angemessenen Zeitraumes, der dem Finanzamt zur Prüfung der Richtigkeit des Vorsteueranspruches zur Verfügung steht, beginnt.
41 Zu Verzugszinsen aus Umsatzsteuerforderungen des Steuerpflichtigen, die nicht auf Vorsteuerüberhänge zurückzuführen sind, existiert nur das EuGH-Urteil Littlewoods Retail Ltd. In diesem Urteil finden sich keine Hinweise über den Beginn des Zinsenlaufes. Das Urteil nimmt - wie bereits erwähnt - Bezug auf die EuGH-Rechtsprechung zu den „unter Verstoß gegen Unionsrecht erhobenen Abgaben“, welche - soweit ersichtlich - keine Aussage enthält, dass die Verzinsung erst nach Ablauf eines angemessenen Zeitraumes beginnen sollte. Nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshof wäre es allerdings sachgerecht, die Aussagen zum Beginn des Zinsenlaufes, die der EuGH zu Vorsteuerüberhängen nach Art. 183 der Mehrwertsteuerrichtlinie getroffen hat, auch auf Fälle zu übertragen, in denen die Umsatzsteuerforderung des Steuerpflichtigen gegenüber dem Finanzamt nicht auf Vorsteuerüberhänge zurückzuführen ist. Auch in diesen Fällen muss nämlich dem Finanzamt ein angemessener Zeitraum für die Prüfung der Rechtmäßigkeit der vom Steuerpflichtigen geltend gemachten Forderung zur Verfügung stehen, um den ordnungsgemäßen Vollzug der Mehrwertsteuerrichtlinie sicherstellen zu können.
42 Auch in Bezug auf den Beginn des Zinsenlaufes scheint das Verhältnis zur Richtlinie 2008/9/EG (siehe hiezu unter 3.) noch nicht ausreichend geklärt.
43 3. Verhältnis zur Richtlinie 2008/9/EG des Rates vom
44 Sollte der EuGH zum Ergebnis kommen, dass sich aus dem Unionsrecht ein unmittelbarer Anspruch auf Verzugszinsen ergibt, wird das vorlegende Gericht ein Regulativ entwickeln müssen, wie dieser Anspruch umzusetzen ist. Dabei kann an verschiedene Rechtsinstitute des nationalen Rechts Anlehnung genommen werden, wobei das Verhältnis zur Richtlinie 2008/9/EG unklar ist.
45 Art. 27 der Richtlinie 2008/9/EG enthält Regelungen für Verzugszinsen im Fall der verspäteten Erstattung von Vorsteuern. Art. 27 Abs. 2 zweiter Unterabsatz regelt dabei: „Falls nach nationalem Recht für Erstattungen an ansässige Personen keine Zinsen zu zahlen sind“, seien sinngemäß die Regelungen anzuwenden, die der Mitgliedstaat für verspätete Mehrwertsteuerzahlungen des Steuerpflichtigen vorsieht.
46 Aus Art. 27 der Richtlinie 2008/9/EG ergibt sich nun, dass der Unionsgesetzgeber von der Möglichkeit ausgeht, dass das nationale Recht des Mitgliedstaates kein Verzinsungsregime enthält. Damit erachtet der Unionsgesetzgeber einen solchen Rechtszustand nicht von vornherein für unionsrechtswidrig, sondern regelt, dass in einer solchen Situation das Säumnisregime des Mitgliedstaates spiegelbildlich anzuwenden sei. Jedenfalls geht der Unionsgesetzgeber davon aus, dass ohne die Regelung des Art. 27 der Richtlinie 2008/9/EG dem im anderen Mitgliedstaat ansässigen Steuerpflichtigen kein Anspruch auf Verzugszinsen zustünde, wenn nicht schon das nationale Recht einen solchen einräumt.
47 Das österreichische nationale Recht enthält keine Verzinsungsregelung für die verspätete Gutschrift von Umsatzsteuerguthaben. Es stellt sich daher die Frage, ob dies zur Folge hat, dass die nationalen Gerichte die in Art. 27 Abs. 2 zweiter Unterabsatz der Richtlinie 2008/9/EG angeordnete Rechtsfolge zur Anwendung bringen sollen, auch wenn die Ausgangsverfahren nicht in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fallen. Die Anwendung des Art. 27 Abs. 2 zweiter Unterabsatz würde für Österreich bedeuten, dass die Verzinsung pauschal mit einem ersten Säumniszuschlag von 2% sowie einem zweiten und dritten Säumniszuschlag von jeweils 1%, aber keinen zusätzlichen Zinsen zu erfolgen hätte.
48 Die Richtlinie 2008/9/EG enthält in den Art. 19, 21 und 22 auch Zeiträume, die dem Finanzamt zur Prüfung der Rechtmäßigkeit der geltend gemachten Vorsteuern eingeräumt sind. Nach Art. 27 der Richtlinie beginnt der Verzinsungszeitraum erst nach Ablauf dieser Zeiträume. Für das vorlegende Gericht stellt sich daher die Frage, ob die in dieser Richtlinie vorgesehenen Zeiträume auch auf Fälle wie die Ausgangsverfahren, also auf Fälle, die nicht unmittelbar von der Richtlinie erfasst sind, anzuwenden sind.
49 Insgesamt erscheint die Auslegung des Unionsrechts in Bezug auf die oben angeführten Fragen nicht derart offenkundig zu sein, dass für Zweifel im Sinne der Rechtsprechung CILFIT ( 283/81) kein Raum bliebe.
50 Die Fragen werden daher dem EuGH mit dem Ersuchen um Vorabentscheidung gemäß Art. 267 AEUV vorgelegt.
Wien, am
Entscheidungstext
Entscheidungsart: Erkenntnis
Entscheidungsdatum:
Beachte
Vorabentscheidungsverfahren:
* Vorabentscheidungsantrag:
* EuGH-Entscheidung:
EU 2019/0005
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn, die Senatspräsidentin Dr. Büsser sowie die Hofräte MMag. Maislinger, Mag. Novak und Dr. Sutter als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Engenhart, über die Revision des A T in R, vertreten durch die Consilia Schwarzach Wirtschaftstreuhand GmbH, Steuerberatungsgesellschaft in 5620 Schwarzach, Höhenweg 4, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes vom , Zl. RV/2100484/2013, betreffend Abweisung eines Antrages auf Zuerkennung von Berufungszinsen, zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Der Bund hat dem Revisionswerber Aufwendungen in der Höhe von € 2.946,10 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.
Begründung
1 Der Revisionswerber, der einen Hotelbetrieb führt, machte in seiner am eingereichten Umsatzsteuervoranmeldung für August 2007 einen Überschuss an Vorsteuern in Höhe von 60.689,28 € geltend.
2 Der Vorsteuerüberschuss wurde dem Revisionswerber nicht antragsgemäß nach § 21 Abs. 1 UStG 1994 gutgeschrieben. Vielmehr setzte das Finanzamt - im Rahmen einer Umsatzsteuerprüfung, bei der ein Streit über das Ausmaß eines Zubaus zum Hotelbetrieb des Revisionswerbers entstand - die Umsatzsteuer für August 2007 gemäß § 21 Abs. 3 UStG 1994 mit einem Überschuss an Vorsteuern in Höhe von lediglich 14.689,28 € fest (Bescheid vom ).
3 Der Revisionswerber brachte gegen den im Anschluss an die Prüfung erlassenen Bescheid über die Festsetzung von Umsatzsteuer für August 2007 Berufung ein, welche sich in weiterer Folge gegen den am ergangenen Umsatzsteuerjahresbescheid 2007 richtete.
4 Mit Bescheid vom gab der unabhängige Finanzsenat der Berufung gegen den Umsatzsteuerjahresbescheid 2007 statt und setzte die Jahresumsatzsteuer wie vom Revisionswerber begehrt fest.
5 Mit Eingabe vom beantragte der Revisionswerber Zinsen für die durch die Berufungsentscheidung entstandene Abgabengutschrift für den Zeitraum vom bis Mai 2013.
6 Das Finanzamt wies diesen Antrag mit Bescheid vom ab.
7 Der Revisionswerber berief gegen den Abweisungsbescheid und führte zur Begründung im Wesentlichen aus, bei der Festsetzung von Berufungszinsen könne es keinen Unterschied machen, ob eine Abgabenforderung vom Finanzamt festgesetzt worden sei und damit eine Abgabenschuld entstehe oder ob eine beantragte Vorsteuergutschrift nicht festgesetzt und somit nicht rückgezahlt werde. In beiden Fällen verfüge der Abgabepflichtige nicht über das Geld und es entstehe ihm bis zur Entscheidung über die Berufung ein Zinsschaden.
8 Mit dem angefochtenen Erkenntnis, in dem eine Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG für zulässig erklärt wurde, gab das Bundesfinanzgericht der Berufung (nunmehr Beschwerde) keine Folge und führte aus, dem Revisionswerber sei beizupflichten, dass er für die Dauer des Rechtsmittelverfahrens durch das Warten auf die Abgabengutschrift wirtschaftlich belastet sei. Dass ihm Beschwerdezinsen iSd § 205a BAO zustünden, treffe indessen nicht zu, weil diese Bestimmung aufgrund des diesbezüglich klaren Gesetzeswortlautes eine „bereits entrichtete Abgabenschuldigkeit“ zur Voraussetzung habe.
9 In der gegen dieses Erkenntnis gerichteten ordentlichen Revision wird vom Revisionswerber - wie im Beschwerdeverfahren - die Auffassung vertreten, es stünden ihm Zinsen zu. Ergänzend dazu wird vorgebracht, dass die Rechtsprechung des EuGH im Falle verspäteter Vorsteuergutschriften einen finanziellen Ausgleich nach den Grundsätzen der Äquivalenz und Effektivität fordere (Hinweis auf Enel Maritsa Iztok 3, C-107/10; , Rafinaria Steaua Romana, C-431/12). Das Recht auf Erstattung der Vorsteuer innerhalb angemessener Frist sei ein Grundsatz des Unionsrechtes. Daher seien finanzielle Verluste, die dem Steuerpflichtigen durch die fehlende Verfügbarkeit des Geldbetrages entstünden, wenn ihm der Mehrwertsteuerüberschuss nicht in angemessener Frist erstattet werde, durch die Zahlung von Zinsen auszugleichen.
10 Das Finanzamt hat eine Revisionsbeantwortung erstattet.
11 Der Verwaltungsgerichtshof hat eine mündliche Verhandlung durchgeführt, an welcher die steuerliche Vertreterin des Revisionswerbers teilgenommen und die Zuerkennung des Aufwandersatzes von 1.559,70 € (Verhandlungsaufwand 1.383 €, Aufenthaltskosten 26,50 €, Fahrtkosten 190,20 €) beantragt hat.
12 Mit Beschluss vom hat der Verwaltungsgerichtshof in Bezug auf das gegenständliche und in Bezug auf ein weiteres Revisionsverfahren dem Gerichtshof der Europäischen Union Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt, bei denen es darum ging, ob das Unionsrecht eine unmittelbar anwendbare Regelung enthält, die einen Anspruch auf Verzinsung von nicht rechtzeitig erstatteten Umsatzsteuerguthaben einräumt.
13 Die Generalanwältin Juliane Kokott stellt dazu in den Schlussanträgen vom fest, aus Art. 183 und Art. 90 RL 2006/112/EG in Verbindung mit dem Grundsatz der Neutralität folge eine unionsrechtliche Verzinsungspflicht des Mitgliedstaates für Vorsteuerüberschüsse und für Ansprüche auf Steuererstattungen aufgrund einer Verminderung der Bemessungsgrundlage (Rn 37), und führt in diesem Zusammenhang weiter aus:
„41. Folglich obliegt es den Mitgliedstaaten, die Einzelheiten der Verzinsung in ihrem nationalen Recht zu regeln. [...] Eine unmittelbare Anwendung von Art. 183 oder des Art. 90 der Mehrwertsteuerrichtlinie in Verbindung mit dem Grundsatz der Neutralität zur Bestimmung eines konkreten Anspruchs auf Verzinsung zugunsten des Steuerpflichtigen scheidet damit aus.
[...]
47. Da die Mehrwertsteuerrichtlinie somit keine unmittelbar anwendbare Verzinsungsregelung enthält, fällt die Ausgestaltung des Zinsanspruchs grundsätzlich in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten. Wie der Gerichtshof bereits entschieden hat, haben sie insoweit Spielraum und können die Modalitäten des Zinsanspruchs festlegen.
48. Allerdings dürfen die Einzelheiten der Erstattung nicht ungünstiger sein als die, die bei ähnlichen internen Sachverhalten gelten (Grundsatz der Äquivalenz), und nicht so ausgestaltet sein, dass sie die Ausübung der Rechte, die die Unionsrechtsordnung einräumt, praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (Grundsatz der Effektivität).
49. Diese Grundsätze wirken sich auf die Anwendung und Auslegung des nationalen Rechts durch die nationalen Gerichte aus. [...] Das nationale Gericht hat das gesamte nationale Recht zu berücksichtigen, um zu beurteilen, inwieweit es so angewandt werden kann, dass kein dem Unionsrecht widersprechendes Ergebnis erzielt wird.
[...]
51. [...] Ob aufgrund eines Rechtsbehelfs die Steuerschuld reduziert oder aber der Vorsteuerabzugsanspruch erhöht wird, ist für den sich daraus ergebenden Vorsteuerüberschuss (d. h. den Saldo nach Art. 183 der Mehrwertsteuerrichtlinie) nicht entscheidend. Möglicherweise kommt daher hier eine unionsrechtskonforme erweiternde Auslegung des § 205a BAO nach den Grundsätzen der Äquivalenz und der Effektivität doch in Betracht.
52. Da aber nicht jedes nationale Recht einer unionsrechtskonformen Auslegung zugänglich ist, wie sich u. a. auch aus der Schadensersatzpflicht der Mitgliedstaaten für Unionsrechtsverstöße ergibt, kann dies letztendlich nur das vorlegende Gericht entscheiden.“
14 Mit Urteil vom , C-844/19, hat der Gerichtshof der Europäischen Union über das Vorabentscheidungsersuchen des Verwaltungsgerichtshofes vom entschieden:
„Art. 90 Abs. 1 und Art. 183 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem sind in Verbindung mit dem Grundsatz der steuerlichen Neutralität dahin auszulegen, dass eine Erstattung, die sich aus einer Berichtigung der Steuerbemessungsgrundlage nach Art. 90 Abs. 1 dieser Richtlinie ergibt, ebenso wie eine Erstattung eines Vorsteuerüberschusses nach Art. 183 dieser Richtlinie zu verzinsen ist, wenn sie nicht innerhalb einer angemessenen Frist erfolgt. Dem vorlegenden Gericht obliegt es, alles in seiner Zuständigkeit Liegende zu tun, um die volle Wirksamkeit dieser Bestimmungen durch eine unionsrechtskonforme Auslegung des nationalen Rechts sicherzustellen.“
15 Aus der Entscheidungsbegründung dieses Urteils ergibt sich, dass eine unmittelbar anwendbare Richtlinienbestimmung betreffend die Verzinsung der in Rede stehenden MwSt-Guthaben nicht existiert. Der EuGH führt in den Rn. 52 bis 54 sodann aus:
„Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs sowohl die nationalen Verwaltungsbehörden als auch die nationalen Gerichte, die im Rahmen ihrer jeweiligen Zuständigkeit die Bestimmungen des Unionsrechts anzuwenden haben, gehalten sind, für die volle Wirksamkeit dieser Bestimmungen Sorge zu tragen (Urteil vom , Eesti Pagar, C‑349/17, EU:C:2019:172, Rn. 91 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Insbesondere ist der Grundsatz der unionsrechtskonformen Auslegung des innerstaatlichen Rechts, wonach es dem nationalen Gericht obliegt, das innerstaatliche Recht so weit wie möglich in Übereinstimmung mit den Anforderungen des Unionsrechts auszulegen, dem System der Verträge immanent, da dem nationalen Gericht dadurch ermöglicht wird, im Rahmen seiner Zuständigkeit die volle Wirksamkeit des Unionsrechts sicherzustellen, wenn es über den bei ihm anhängigen Rechtsstreit entscheidet (Urteil vom , A. K. u. a. [Unabhängigkeit der Disziplinarkammer des Obersten Gerichts], C-585/18, C-624/18 und C‑625/18, EU:C:2019:982, Rn. 159). Diese Verpflichtung zur unionsrechtskonformen Auslegung des nationalen Rechts verlangt, dass das nationale Gericht gegebenenfalls das gesamte nationale Recht berücksichtigt, um zu beurteilen, inwieweit es so angewandt werden kann, dass kein dem Unionsrecht widersprechendes Ergebnis erzielt wird (Urteil vom , Telecom Italia, C-34/19, EU:C:2020:148, Rn. 59 und die dort angeführte Rechtsprechung).
Allerdings bestehen für den Grundsatz der unionsrechtskonformen Auslegung des nationalen Rechts bestimmte Grenzen. So ist die Verpflichtung des nationalen Richters, bei der Auslegung und Anwendung der einschlägigen Vorschriften des innerstaatlichen Rechts den Inhalt des Unionsrechts heranzuziehen, durch die allgemeinen Rechtsgrundsätze - zu denen auch der Grundsatz der Rechtssicherheit gehört - begrenzt und darf nicht als Grundlage für eine Auslegung contra legem des nationalen Rechts dienen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom , Pöpperl, C‑187/15, EU:C:2016:550, Rn. 44 und die dort angeführte Rechtsprechung).“
16 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
17 Art. 183 Abs. 1 der RL 2006/112/EG des Rates vom über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (im Folgenden: RL 2006/112/EG) bestimmt:
„Übersteigt der Betrag der abgezogenen Vorsteuer den Betrag der für einen Steuerzeitraum geschuldeten Mehrwertsteuer, können die Mitgliedstaaten den Überschuss entweder auf den folgenden Zeitraum vortragen lassen oder nach den von ihnen festgelegen Einzelheiten erstatten.“
18 Gemäß § 21 Abs. 4 UStG 1994 wird der Unternehmer nach Ablauf des Kalenderjahres zur Umsatzsteuer veranlagt.
19 § 20 Abs. 1 und 2 lauten auszugsweise:
„(1) Bei der Berechnung der Steuer ist in den Fällen des § 1 Abs. 1 Z 1 und 2 von der Summe der Umsätze auszugehen, für welche die Steuerschuld im Laufe eines Veranlagungszeitraumes entstanden ist. [...]
(2) 1. Von dem nach Abs. 1 errechneten Betrag sind die in den Veranlagungszeitraum fallenden, nach § 12 abziehbaren Vorsteuerbeträge abzusetzen. [...]“
20 Der Revisionswerber machte in seiner am eingereichten Umsatzsteuervoranmeldung für August 2007 einen Überschuss an Vorsteuern in Höhe von 60.689,28 € geltend. Dieser Überschuss wurde dem Revisionswerber (zunächst) nicht gutgeschrieben, vielmehr setzte das Finanzamt die Umsatzsteuer für August 2007 gemäß § 21 Abs. 3 UStG 1994 mit einem Überschuss an Vorsteuern in Höhe von 14.689,28 € fest (Bescheid vom ).
21 Auch im Umsatzsteuerjahresbescheid 2007 vom wurde der vom Revisionswerber in der Umsatzsteuervoranmeldung August 2007 geltend gemachte Überschuss an Vorsteuern nur teilweise berücksichtigt.
22 Erst im Rechtsmittelverfahren erging ein Umsatzsteuerjahresbescheid 2007, in welchem der Überschuss an Vorsteuern in der vom Revisionswerber geltend gemachten Höhe anerkannt wurde (Bescheid des unabhängigen Finanzsenates vom ). Strittig ist, ob dem Revisionswerber (seinem Begehren entsprechend) ab dem Zinsen auf den erst nach Abschluss des Rechtsmittelverfahrens gutgeschriebenen Teil des Vorsteuerüberschusses gebühren.
23 Der , zu Recht erkannt, dass „Art. 90 Abs. 1 und Art. 183 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem [...] in Verbindung mit dem Grundsatz der steuerlichen Neutralität dahin auszulegen [sind], dass eine Erstattung, die sich aus einer Berichtigung der Steuerbemessungsgrundlage nach Art. 90 Abs. 1 dieser Richtlinie ergibt, ebenso wie eine Erstattung eines Vorsteuerüberschusses nach Art. 183 dieser Richtlinie zu verzinsen ist, wenn sie nicht innerhalb einer angemessenen Frist erfolgt“. Aus dem Urteil des EuGH ergibt sich, dass sich die unionsrechtliche Pflicht zur Verzinsung von Mehrwertsteuerbeträgen nicht aus unmittelbar anwendbarem Unionsrecht ergibt. Der EuGH sprach aber aus, dass der Verwaltungsgerichtshof alles in seiner Zuständigkeit Liegende zu unternehmen habe, um die volle Wirksamkeit und Erfüllung dieser unionsrechtlichen Verpflichtung durch eine unionsrechtskonforme Auslegung des nationalen Rechts bzw. durch eine unionsrechtskonforme analoge Anwendung von Bestimmungen aus der gesamten nationalen Rechtsordnung sicherzustellen.
24 In Bezug auf die Mehrwertsteuer ergibt sich aus dem , dass die Durchführung des Art. 183 der RL 2006/112/EG zugrunde liegenden Anspruchs auf Erstattung des Mehrwertsteuerüberschusses zwar in ihrer näheren Ausgestaltung in die Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten fällt, dies jedoch nichts daran ändert, dass diese Autonomie durch die Grundsätze der Äquivalenz und Effektivität begrenzt wird (vgl. auch Enel Maritsa Iztok 3, C-107/10, Rn 29; , Rafinaria Steaua Romana, C-431/12, Rn 20).
25 Das Recht der Steuerpflichtigen, von der von ihnen geschuldeten Mehrwertsteuer die Mehrwertsteuer abzuziehen, die bereits als Vorsteuer die von ihnen erworbenen Gegenstände und empfangenen Dienstleistungen belastet hat, ist ein fundamentaler Grundsatz des durch das Unionsrecht geschaffenen gemeinsamen Mehrwertsteuersystems (vgl. z. B. Gabor Toth, C-324/11, Rn 23; , Idexx Laboratories, C-590/13, Rn 30 und 31; , Radu Florin, C-183/14, Rn 56).
26 Art. 183 der RL 2006/112/EG sieht keine unmittelbar anwendbare unionsrechtliche Verpflichtung zur Zahlung von Zinsen auf den zu erstattenden Mehrwertsteuerüberschuss - oder gar den Zeitpunkt, ab dem solche Zinsen geschuldet werden - vor. Dieser Umstand bedeutet - nach der Rechtsprechung des EuGH - jedoch nicht, dass die von den Mitgliedstaaten autonom festzulegenden Einzelheiten hinsichtlich der Verzinsung der Mehrwertsteuerbeträge von der unionsrechtlichen Kontrolle freigestellt sind (vgl. Enel Maritsa Iztok 3, Rn 27 und 28; Rafinaria Steaua Romana, Rn 19; , Glencore Agriculture, C-254/16, Rn 18). Dabei verlangt der Grundsatz der Neutralität des Mehrwertsteuersystems, dass die finanziellen Verluste, die dem Gläubiger, wenn ihm der Mehrwertsteuerüberschuss nicht innerhalb einer angemessenen Frist erstattet wird, durch die fehlende Verfügbarkeit der fraglichen Geldbeträge entstehen, durch eine Zinszahlung ausgeglichen werden (vgl. Rafinaria Steaua Romana, Rn 23; Glencore Agriculture, Rn 22).
27 Das österreichische materielle Abgabenrecht kennt im Bereich der Umsatzsteuer keine spezifische Verzugszinsenpflicht, mit der im Sinne der Rechtsprechung des EuGH die finanziellen Verluste durch die fehlende Verfügbarkeit der Geldbeträge durch eine Zinszahlung ausgeglichen würden.
28 Auch das österreichische Abgabenverfahrensrecht sieht keine allgemeine Verzinsung von Abgabenschulden oder Abgabengutschriften vor. Allerdings enthält die BAO für mehrere konkret definierte Tatbestände sehr wohl Zinsfolgen.
29 Mit dem Budgetbegleitgesetz 2001 wurde (nur) für den Bereich der Einkommensteuer und Körperschaftsteuer eine (begrenzte) „grundsätzliche“ Verzinsung eingeführt. § 205 BAO regelt dazu die sogenannten Anspruchszinsen und sieht - allerdings begrenzt für einen Zeitraum von maximal 48 Monaten ab dem auf das Steuerjahr folgenden Oktober - „Nachforderungszinsen“ (zugunsten des Abgabengläubigers, also des Fiskus) und „Gutschriftszinsen“ (zugunsten der Abgabepflichtigen) vor, die sich auf Basis der Differenz zwischen einer neuerlichen Abgabenfestsetzung und der bisher festgesetzt gewesenen Abgabe ergeben können. In den Erläuterungen zum Budgetbegleitgesetz 2001, BGBl. I Nr. 142/2000, mit welchem die Regelung des § 205 BAO eingeführt wurde, wird ausgeführt, der Zweck der Anspruchszinsenregelung sei „nach dem Vorbild des § 233a der (deutschen) Abgabenordnung 1977, die (möglichen) Zinsvorteile bzw. Zinsnachteile auszugleichen, die sich aus unterschiedlichen Zeitpunkten der Abgabenfestsetzungen ergeben“ (ErlRV 311 BlgNR 21. GP 196).
30 Eine andere, nicht auf Einkommensteuer und Körperschaftsteuer beschränkte Zinsregelung enthält die - vom Revisionswerber angesprochene - Bestimmung des § 205a BAO, die Beschwerdezinsen regelt und damit erst im Rechtsmittelstadium greift. Für den Fall, dass eine Abgabenvorschreibung zu einer Nachforderung führt und diese Nachforderung zwar mit Rechtsmittel bekämpft, aber während des Rechtsmittelverfahrens bereits an das Finanzamt entrichtet wird, normiert § 205a BAO zu Gunsten der im Rechtsmittel erfolgreichen Abgabepflichtigen auf Antrag einen Anspruch auf Beschwerdezinsen für den Zeitraum ab Entrichtung bis zur Bekanntgabe der die Abgabe herabsetzenden Rechtsmittelerledigung, um den erlittenen Zinsnachteil abzugelten. Da § 205a BAO auf eine entrichtete Abgabenschuldigkeit abstellt, kommt er bei Fällen ausstehender Zuerkennung eines Guthabens nicht zum Tragen (vgl. ).
31 Wurde demgegenüber von Abgabepflichtigen die Abgabenschuld nicht entrichtet und gemäß § 212a BAO eine Aussetzung der Abgabeneinhebung während des Rechtsmittelverfahrens beantragt, sind für den spiegelbildlichen Zinsvorteil Aussetzungszinsen seitens der Abgabepflichtigen zu entrichten.
32 Es zeigt sich somit, dass die BAO zwar keine allgemeine Verzinsung von Abgabenschulden kennt, sehr wohl aber mehrere Zinstatbestände enthält, die dem Verwaltungsgerichtshof - solange der nationale Gesetzgeber keine entsprechende Regelung getroffen hat - in Verfahren beantragter Zinsen von Umsatzsteuer-Ansprüchen eine Rechtsanalogie zur Auflösung des derzeit bestehenden Normenkonflikts zwischen nationalem Recht und (nicht unmittelbar anwendbarem) Unionsrecht erlaubt. In entsprechender Anwendung des diesen Bestimmungen zu Grunde liegenden Regelungsprinzips besteht der vom Revisionswerber geltend gemachte Zinsenanspruch zu Recht.
33 Als Zinssatz legen sowohl § 205 als auch § 205a und § 212a BAO zwei Prozentpunkte über dem Basiszinssatz fest. Dieser Zinssatz ist daher auch in Fällen der Verzinsung von Umsatzsteuer-Ansprüchen heranzuziehen.
34 Mit den (mangels gesetzlicher Regelung einzelfallbezogen zu beantwortenden) Fragen des genauen Beginns eines solchen Zinsenlaufs muss sich der Verwaltungsgerichtshof im Revisionsfall nicht näher auseinandersetzen. Unionsrechtlich kann ein zinsfreier Zeitraum für eine angemessene abgabenrechtliche Prüfung bestehen (vgl. etwa Enel Maritsa Iztok 3, C-107/10; , Rafinaria Steaua Romana, C-431/12; , Glencore Agriculture, C-254/16; und , Nidera BV, C-387/16), der den Beginn des Verzinsungszeitraumes verschiebt. Im vorliegenden Fall hat der Revisionswerber erst für den Zeitraum ab Jänner 2012 eine Verzinsung der Ansprüche betreffend Umsatzsteuer 2007 beantragt. Ab Jänner 2012 kann nicht mehr von einer zinsfreien Periode ausgegangen werden.
35 Das angefochtene Erkenntnis erweist sich daher als mit Rechtswidrigkeit seines Inhaltes belastet, weshalb es gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.
36 Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet auf §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.
Wien, am
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Normen | BAO §205 BAO §205a BAO §212a ErstattungsV abziehbare Vorsteuern ausländischer Unternehmer 1995 UStG 1994 §16 UStG 1994 §21 Abs1 VwGG §38b 12010E267 AEUV Art267 32006L0112 Mehrwertsteuersystem-RL Art183 32006L0112 Mehrwertsteuersystem-RL Art90 Abs1 32008L0009 Mehrwertsteuererstattung-RL Art27 61981CJ0283 CILFIT und Lanificio di Gavardo VORAB 62010CJ0107 Enel Maritsa Iztok 3 VORAB 62010CJ0591 Littlewoods Retail VORAB 62012CJ0431 Rafinaria Steaua Romana VORAB 62016CJ0254 Glencore Agriculture VORAB 62016CJ0387 Nidera VORAB 62018CJ0133 Sea Chefs Cruise Services VORAB |
ECLI | ECLI:AT:VWGH:2019:RO2017150035.J00 |
Datenquelle |
Fundstelle(n):
JAAAE-94504