VwGH vom 29.11.2018, Ro 2017/10/0033
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Lukasser, Dr. Hofbauer und Dr. Fasching als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Bleiweiss, über die Revision des Magistrats der Stadt Wien gegen das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom , Zl. VGW- 242/081/10320/2017/VOR-3, betreffend Mindestsicherung, zu Recht erkannt:
Spruch
Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.
Begründung
1 Mit Bescheid des Magistrats der Stadt Wien vom wurde O. Kü. unter Berücksichtigung zweier minderjähriger Kinder Mindestsicherung des Lebensunterhalts und Wohnbedarfs für den Zeitraum von bis in näher genannter Höhe zuerkannt.
2 Mit im Wege einer Entscheidung des Rechtspflegers ergangenem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom wurde einer dagegen von O. Kü. erhobenen Beschwerde mit der Maßgabe "stattgegeben", dass der Antrag auf Zuerkennung von Mindestsicherung gemäß § 5, 7 und 10 Wiener Mindestsicherungsgesetz (WMG) abgewiesen wurde.
3 Mit dem angefochtenen Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes Wien vom wurde eine dagegen vom Magistrat der Stadt Wien erhobene Vorstellung gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG als unbegründet abgewiesen (Spruchpunkt I.) und ausgesprochen, dass gemäß § 25a VwGG die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig sei (Spruchpunkt II.).
4 Begründend führte das Verwaltungsgericht nach Darstellung des Verfahrensganges und Wiedergabe der maßgeblichen Rechtsvorschriften im Wesentlichen aus, die gegenständliche Bedarfsgemeinschaft, bestehend aus O. Kü., seiner Ehefrau und deren beiden minderjährigen Kindern, habe mit Eingabe vom Leistungen aus der Mindestsicherung beantragt. Die Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft seien türkische Staatsangehörige. O. Kü. verfüge über einen Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt - EU", seiner Ehegattin und den beiden minderjährigen Kindern sei jeweils ein Aufenthaltstitel "Rot-Weiß-Rot - Karte plus" erteilt worden. O. Kü. sei beim Arbeitsmarktservice Wien als arbeitssuchend gemeldet und beziehe Notstandshilfe in der Höhe von EUR 31,09 täglich.
5 Anspruch auf Leistungen aus der Bedarfsorientierten Mindestsicherung hätten nur österreichische Staatsangehörige sowie solche Personen, die diesen aufgrund der ausdrücklichen Regelung des § 5 Abs. 2 WMG gleichgestellt seien. Da die Mitglieder der gegenständlichen Bedarfsgemeinschaft Staatsangehörige der Türkei seien, sei zu prüfen, ob einer der in § 5 Abs. 2 WMG angeführten Gleichstellungstatbestände verwirklicht sei. Nach dem Einleitungssatz des Abs. 2 der zitierten Bestimmung stelle der rechtmäßige Aufenthalt im Bundesgebiet eine Grundvoraussetzung für eine Gleichstellung dar. Darüber hinaus sei für die Gleichstellung erforderlich, dass neben dem rechtmäßigen Aufenthalt, der im gegenständlichen Fall vorliege, eine der in den Ziffern 1 bis 4 genannten Voraussetzungen vorliege. Als Gleichstellungstatbestand komme bei den Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft insbesondere jener des § 5 Abs. 2 Z 3 erster Fall WMG in Betracht. Demnach müssten diese Inhaber eines Aufenthaltstitels "Daueraufenthalt - EG" (nunmehr "Daueraufenthalt - EU") sein. Ein solcher Aufenthaltstitel sei bislang jedoch nur O. Kü. erteilt worden, seine Ehegattin und die beiden minderjährigen Kinder verfügten lediglich über den befristeten Aufenthaltstitel "Rot-Weiß-Rot - Karte plus". Da die Bestimmung des § 5 Abs. 2 Z 3 WMG lediglich eine Gleichstellung von Inhabern eines unbefristeten Aufenthaltstitels mit österreichischen Staatsangehörigen vorsehe und sich dieser Gleichstellungstatbestand auch nicht auf Familienangehörige von Inhabern eines Aufenthaltstitels "Daueraufenthalt - EU" erstrecke, seien die Ehegattin sowie die minderjährigen Kinder nicht zum Bezug von Leistungen der Mindestsicherung berechtigt.
6 Soweit der Magistrat der Stadt Wien die Auffassung vertrete, dass die Bestimmung des § 5 WMG auf minderjährige Personen nicht anzuwenden sei, weil der Begriff "zustehen" darauf hinweise, dass es um Anspruchsvoraussetzungen gehe, sodass diese Bestimmung im Zusammenhang mit § 7 Abs. 1 WMG zu lesen und daher ausschließlich auf volljährige Personen anzuwenden sei, sei dem Folgendes entgegenzuhalten: Zwar normiere § 7 Abs. 1 WMG, dass Anspruch auf Mindestsicherung des Lebensunterhalts und Wohnbedarfs volljährige Personen bei Erfüllung der Voraussetzungen nach § 4 Abs. 1 und 2 leg. cit. hätten und die Abdeckung des Bedarfs von zur Bedarfsgemeinschaft gehörenden minderjährigen Personen durch Zuerkennung des maßgeblichen Mindeststandards an die anspruchsberechtigten Personen der Bedarfsgemeinschaft, der sie angehören, erfolge. Aus dieser Bestimmung lasse sich jedoch nicht ableiten, dass Minderjährige von der Obliegenheit der Erfüllung der allgemeinen Anspruchsvoraussetzungen ausgenommen seien. Vielmehr sei § 7 Abs. 1 WMG im Lichte des Art. 4 Abs. 2 der Vereinbarung zwischen dem Bund und den Ländern gemäß Art. 15a B-VG über eine bundesweite Bedarfsorientierte Mindestsicherung zu sehen, wonach volljährigen Personen ein eigenes Antragsrecht und eine Parteistellung im Verfahren zustünde und hilfesuchende Personen Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung auch im Namen der mit ihnen im gemeinsamen Haushalt lebenden, ihnen gegenüber unterhaltsberechtigten oder mit ihnen in Lebensgemeinschaft lebenden Personen geltend machen dürften. Der Zweck des § 7 Abs. 1 WMG liege somit darin, das Antragsrecht und die Formalvoraussetzungen für die Geltendmachung der Leistungen der Mindestsicherung zu regeln. Dies zeige sich insbesondere auch in der Bestimmung des § 4 WMG, die nach ihrer Überschrift die allgemeinen Anspruchsvoraussetzungen regle und die in ihrem Abs. 1 Z 1 einen Anspruch auf Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung nur für jene Hilfesuchenden, die zum anspruchsberechtigten Personenkreis nach § 5 Abs. 1 und 2 leg. cit. gehörten, vorsehe. In diesem Zusammenhang sei schließlich auch darauf hinzuweisen, dass sich bereits aus dem systematischen Aufbau des WMG zweifelsfrei ergebe, dass Minderjährige ebenso die allgemeinen Anspruchsvoraussetzungen zur Erlangung von Leistungen der Mindestsicherung erfüllen müssten, seien diese doch bereits in § 4 WMG für alle hilfesuchenden Personen unabhängig vom Alter geregelt, werde in § 5 WMG der anspruchsberechtigte Personenkreis taxativ aufgezählt und würden erst in § 7 WMG das Konstrukt der Bedarfsgemeinschaft geschaffen sowie die Voraussetzungen für die Zurechnung zu einer solchen festgelegt; weiters würden erst dort die Regelungen zur Geltendmachung des Anspruchs der Bedarfsgemeinschaft normiert. Letztlich spreche auch § 5 WMG stets von Personen und beschränke sich somit nicht auf Volljährige, sodass diese Bestimmung zweifelsfrei auch auf minderjährige Hilfesuchende anzuwenden sei.
7 Die vom Magistrat vertretene Rechtsauffassung sei zudem widersprüchlich, zumal einerseits behauptet werde, dass § 5 WMG nicht auf minderjährige Personen anzuwenden sei, aber andererseits die Auffassung vertreten werde, dass eine Zurechnung von Leistungen der Mindestsicherung nur an legal aufhältige Minderjährige erfolgen könne. Damit wende dieser die Bestimmung des § 5 WMG teilweise doch auf minderjährige Personen an, zumal das Erfordernis des rechtmäßigen Aufenthalts im Inland für eine Gleichstellung mit österreichischen Staatsbürgern im Einleitungssatz des § 5 Abs. 2 leg. cit. geregelt sei. Folge man der Rechtsansicht des Magistrats, wonach die allgemeinen Anspruchsvoraussetzungen für Hilfesuchende nicht auf minderjährige Personen anzuwenden seien, habe dies zur Konsequenz, dass auch unrechtmäßig im Bundesgebiet aufhältigen minderjährigen Kindern eines Anspruchsberechtigten als Teil der Bedarfsgemeinschaft Leistungen der Mindestsicherung zuzuerkennen wären. Dass Derartiges vom Gesetzgeber beabsichtigt gewesen sei, sei nicht anzunehmen.
8 Soweit der Magistrat geltend mache, dass minderjährige Personen und die ihnen gegenüber unterhaltsverpflichtete Person in Bezug auf das existenzielle Überleben systemtheoretisch als eine Überlebenseinheit zu betrachten seien, sodass keine weiteren Anspruchsvoraussetzungen vom Gesetz gefordert wären, sei auf den eindeutigen Wortlaut des § 5 Abs. 2 WMG zu verweisen, wonach eine Gleichstellung mit österreichischen Staatsbürgern ausschließlich für Familienangehörige von aufenthaltsberechtigten EU- und EWR-Bürgern bzw. Staatsangehörigen der Schweiz vorgesehen sei, ein solcher Gleichstellungstatbestand jedoch für Familienangehörige von Inhabern eines unbefristeten Aufenthaltstitels eben nicht normiert sei. Diesbezüglich sei anzumerken, dass vor allem die ausdrückliche Erwähnung der Familienangehörigen etwa bei EU-Bürgern klarstelle, dass Familienangehörige von Personen, denen ein Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt - EU" erteilt worden sei, alleine aufgrund ihrer Angehörigeneigenschaft keinen Gleichstellungstatbestand verwirklichten.
9 Schließlich sei zur Rechtsansicht des Magistrats, wonach die Mindeststandards lediglich Berechnungsgrößen seien und über die unterhaltsrechtliche Beziehung hinaus keine weiteren Anspruchsvoraussetzungen vom Gesetz gefordert seien, anzumerken, dass dieser Auffassung folgend von minderjährigen Personen auch nicht der ebenso als allgemeine Anspruchsvoraussetzung festgelegte Einsatz der eigenen Arbeitskraft und die Mitwirkung an arbeitsintegrativen Maßnahmen verlangt werden dürfte und auch die Bestimmung des § 4 Abs. 3 WMG, wonach Personen keinen Anspruch auf Leistungen aus der Bedarfsorientierten Mindestsicherung hätten, wenn sie bereits insbesondere eine für Erwerbszwecke geeignete abgeschlossene Ausbildung hätten und ihre Arbeitskraft allein deshalb nicht voll einsetzen könnten, weil sie eine weiterführende Ausbildung absolvierten, auf Minderjährige nicht anwendbar wäre. Dies würde bedeuten, dass einer minderjährigen Person, welche bereits eine Lehre abgeschlossen habe und noch bei ihren Eltern wohne, jedenfalls Leistungen der Mindestsicherung zuzusprechen wären, unabhängig davon, ob sie ihre eigene Arbeitskraft dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stelle oder nicht. Auch dies könne dem WMG nicht entnommen werden und spiegle sich eine solche Betrachtungsweise auch nicht in der Vollzugspraxis des Magistrats wider. Familienangehörige einer Hilfe suchenden Person mit dem Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt - EU" seien somit - unabhängig von Verwandtschaftsgrad oder Alter - nach der ausdrücklichen Bestimmung des § 5 Abs. 2 Z 3 WMG bei der Bemessung der Mindestsicherung nicht zu berücksichtigen. Hinzuweisen sei auf die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, wonach für eine Gleichstellung eines Fremden mit österreichischen Staatsbürgern nach § 5 Abs. 2 Z 3 WMG die vorangegangene (konstitutive) Zuerkennung des Aufenthaltstitels "Daueraufenthalt - EG" (nunmehr "Daueraufenthalt - EU") erforderlich sei (Verweis auf ).
10 Aufgrund der eindeutigen Anwendbarkeit des § 5 WMG auch auf minderjährige Personen seien somit die Kinder von O. Kü. genauso wie seine Ehegattin aufgrund der Innehabung bloß befristeter Aufenthaltstitel österreichischen Staatsbürgern nicht gleichgestellt und hätten daher keinen Anspruch auf Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung. Bei der Bemessung des Bedarfs von O. Kü. sei vom Mindeststandard für alleinstehende volljährige Personen in der Höhe von EUR 837,76 auszugehen. Aufgrund des Einkommens von O. Kü. durch Leistungen der Notstandshilfe in der Höhe von EUR 31,09 täglich erziele dieser ein monatliches Einkommen von EUR 932,70 bzw. EUR 963,79 (sowie im Monat Februar von EUR 870,52). Da sein monatliches Einkommen somit den anzuwendenden Mindeststandard überschreite, ergebe sich für ihn ebenfalls kein Anspruch auf eine Leistung zur Deckung des Lebensunterhaltes und des Wohnbedarfs. Die Abweisung des Antrags vom sei daher zu Recht erfolgt, sodass die Vorstellung als unbegründet abzuweisen gewesen sei.
11 Die Revision gegen dieses Erkenntnis ließ das Verwaltungsgericht mit der Begründung zu, dass Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage fehle, ob minderjährige Personen einen eigenen Rechtsanspruch auf Leistungen der Mindestsicherung hätten bzw. ob die allgemeinen Voraussetzungen der § 4 und 5 WMG auch auf Minderjährige anzuwenden seien.
12 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Amtsrevision des Magistrats der Stadt Wien.
13 Das Verwaltungsgericht legte die Verfahrensakten vor.
Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
14 Das Wiener Mindestsicherungsgesetz, LGBl. Nr. 02/2011
idF Nr. 29/2013 (WMG), lautet auszugsweise:
"Ziele und Grundsätze
§ 1. (1) Die Bedarfsorientierte
Mindestsicherung hat zum Ziel, Armut und soziale Ausschließung verstärkt zu bekämpfen und zu vermeiden sowie die dauerhafte Eingliederung oder Wiedereingliederung in das Erwerbsleben weitest möglich zu fördern.
(2) Die Bedarfsorientierte Mindestsicherung erfolgt durch Zuerkennung von pauschalierten Geldleistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts und Wohnbedarfs sowie von den bei Krankheit, Schwangerschaft und Entbindung erforderlichen Leistungen. Auf diese Leistungen besteht ein Rechtsanspruch.
...
Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung
Erfasste Bedarfsbereiche
§ 3. (1) Die Bedarfsorientierte Mindestsicherung deckt den Mindeststandard in den Bedarfsbereichen Lebensunterhalt, Wohnen, Krankheit, Schwangerschaft und Entbindung ab.
...
Allgemeine Anspruchsvoraussetzungen
§ 4. (1) Anspruch auf Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung hat, wer
1. zum anspruchsberechtigten Personenkreis (§ 5 Abs. 1 und 2) gehört,
2. seinen Lebensmittelpunkt in Wien hat, sich tatsächlich
in Wien aufhält und seinen Lebensunterhalt in Wien bestreiten muss,
3. die in § 3 definierten Bedarfe nicht durch den Einsatz seiner Arbeitskraft, mit eigenen Mitteln oder durch Leistungen Dritter abdecken kann,
4. einen Antrag stellt und am Verfahren und während des
Bezuges von Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung entsprechend mitwirkt.
(2) Ein Anspruch auf Mindestsicherung des Lebensunterhalts und Wohnbedarfs einschließlich Mietbeihilfe besteht ab einem errechneten Mindestbetrag von fünf Euro monatlich.
(3) Personen, die bereits eine für Erwerbszwecke geeignete abgeschlossene Ausbildung oder eine Schulausbildung auf Maturaniveau haben und ihre Arbeitskraft allein deshalb nicht voll einsetzen können, weil sie eine weiterführende Ausbildung absolvieren, steht ein Anspruch auf Leistungen aus der Bedarfsorientierten Mindestsicherung nicht zu.
Personenkreis
§ 5. (1) Leistungen nach diesem Gesetz stehen grundsätzlich nur österreichischen Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern zu.
(2) Den österreichischen Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern sind folgende Personen gleichgestellt, wenn sie sich rechtmäßig im Inland aufhalten und die Einreise nicht zum Zweck des Sozialhilfebezuges erfolgt ist:
...
2. Staatsangehörige eines EU- oder EWR-Staates oder der
Schweiz, wenn sie erwerbstätig sind oder die Erwerbstätigeneigenschaft nach § 51 Abs. 2 Bundesgesetz über die Niederlassung und den Aufenthalt in Österreich (Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz - NAG) erhalten bleibt oder sie das Recht auf Daueraufenthalt nach § 53a NAG erworben haben und deren Familienangehörige;
3. Personen mit einem Aufenthaltstitel "Daueraufenthalt - EG" oder "Daueraufenthalt - Familienangehöriger", denen dieser Aufenthaltstitel nach § 45 oder § 48 NAG erteilt wurde oder deren vor In-Kraft-Treten des NAG erteilte Aufenthalts- und Niederlassungsberechtigung als solche gemäß § 81 Abs. 2 NAG in Verbindung mit der Verordnung der Bundesministerin für Inneres zur Durchführung des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz-Durchführungsverordnung - NAG-DV) weiter gilt;
...
Anspruch auf Mindestsicherung des Lebensunterhalts und Wohnbedarfs
§ 7. (1) Anspruch auf Mindestsicherung des Lebensunterhalts und Wohnbedarfs haben volljährige Personen bei Erfüllung der Voraussetzungen nach § 4 Abs. 1 und 2. Der Anspruch auf Mindestsicherung des Lebensunterhalts und Wohnbedarfs kann nur gemeinsam geltend gemacht werden und steht volljährigen Personen der Bedarfsgemeinschaft solidarisch zu. Die Abdeckung des Bedarfs von zur Bedarfsgemeinschaft gehörenden minderjährigen Personen erfolgt durch Zuerkennung des maßgeblichen Mindeststandards an die anspruchberechtigten Personen der Bedarfsgemeinschaft, der sie angehören.
(2) Die Zurechnung zu einer Bedarfsgemeinschaft erfolgt nach folgenden Kriterien:
...
2. Volljährige Personen im gemeinsamen Haushalt, zwischen
denen eine unterhaltsrechtliche Beziehung oder eine
Lebensgemeinschaft besteht, bilden eine Bedarfsgemeinschaft.
3. Minderjährige Personen im gemeinsamen Haushalt mit
zumindest einem Elternteil oder mit einer zur Obsorge berechtigten Person bilden mit diesem oder dieser eine Bedarfsgemeinschaft.
...
(3) Bezieht eine zur Bedarfsgemeinschaft gehörende minderjährige oder volljährige Person mit Anspruch auf Familienbeihilfe oder eine volljährige Person bis zum vollendeten
21. Lebensjahr ohne Einkommen oder mit einem Einkommen bis zu einer Geringfügigkeitsgrenze eine Unterhaltsleistung von einer nicht zur Bedarfsgemeinschaft gehörenden Person, eine Lehrlingsentschädigung oder ein sonstiges Einkommen, das die Höhe des für diese Person maßgeblichen Mindeststandards übersteigt, so ist diese Person bei der Bemessung nicht zu berücksichtigen.
(4) Ist die Verfolgung von Unterhaltsansprüchen einer minderjährigen Person nicht offenbar aussichtslos oder unzumutbar und ist die Höhe des Anspruchs nicht gerichtlich festgestellt oder nur frei vereinbart, so ist diese Person bei der Bemessung nicht zu berücksichtigen.
...
Mindeststandards
§ 8. (1) Die Bemessung der Leistungen zur Deckung des Lebensunterhalts und Wohnbedarfs erfolgt auf Grund der Mindeststandards gemäß Abs. 2, die bei volljährigen Personen auch einen Grundbetrag zur Deckung des Wohnbedarfs im Ausmaß von 25 vH des jeweiligen Mindeststandards enthalten. Für Personen, die das Regelpensionsalter nach dem Bundesgesetz vom über die Allgemeine Sozialversicherung (Allgemeines Sozialversicherungsgesetz - ASVG) erreicht haben und für volljährige, auf die Dauer von mindestens einem Jahr arbeitsunfähige Personen beträgt der Grundbetrag zur Deckung des Wohnbedarfs 13,5 vH der Mindeststandards, wenn sie alleinstehend sind oder mit Personen, die diese Voraussetzungen nicht erfüllen, in der Bedarfsgemeinschaft leben. Liegen bei mehr als einer Person in der Bedarfsgemeinschaft diese Voraussetzungen vor, beträgt der Grundbetrag zur Deckung des Wohnbedarfs 9 vH der Mindeststandards.
(2) Die Mindeststandards betragen:
...
2. 75 vH des Wertes nach Z 1 für volljährige Personen, die mit anderen volljährigen Personen in einer Bedarfsgemeinschaft gemäß § 7 Abs. 2 Z 2 leben;
...
4. 27 vH des Wertes nach Z 1 für minderjährige Personen mit Anspruch auf Familienbeihilfe in einer Bedarfsgemeinschaft gemäß § 7 Abs. 2 Z 3.
...
Anrechnung von Einkommen und sonstigen Ansprüchen bei der Bemessung der Mindestsicherung
§ 10. (1) Auf den Mindeststandard ist das Einkommen der Person, für die der jeweilige Mindeststandard gilt, anzurechnen.
(2) Bei der Berechnung der Mindestsicherung des Lebensunterhalts und Wohnbedarfs von mehreren Personen, die eine Bedarfsgemeinschaft bilden, erfolgt die Bemessung für die Bedarfsgemeinschaft. Dabei ist auf die Summe der heranzuziehenden Mindeststandards die Summe der Einkommen aller anspruchsberechtigten Personen der Bedarfsgemeinschaft anzurechnen.
...
Antragstellung
§ 32. (1) Antragsberechtigt sind volljährige Personen. Besteht die Bedarfsgemeinschaft aus mehreren anspruchsberechtigten Personen muss der Antrag gemeinsam gestellt werden und eine gemeinsame zustellungsbevollmächtigte Person namhaft gemacht werden. Unterbleibt die Nennung einer zustellungsbevollmächtigten Person, gilt die an erster Stelle genannte Person als gemeinsame zustellungsbevollmächtigte Person.
(2) Der Antrag muss von allen anspruchsberechtigten oder zu deren Vertretung befugten Personen unterfertigt sein. ..."
15 Die Revision bringt im Wesentlichen vor, aus dem Wortlaut des § 7 Abs. 1 WMG ergebe sich eindeutig, dass minderjährigen Personen kein gesetzlicher Anspruch zustehe, sondern deren Bedarf indirekt dadurch abgedeckt werde, dass bei der Bemessung des Anspruchs der volljährigen anspruchsberechtigten Personen der entsprechende Mindeststandard für die minderjährige Person als Berechnungsgröße zu berücksichtigen sei. Damit sei klargestellt, dass sich allfällige Anspruchsvoraussetzungen nur auf anspruchsberechtigte Personen beziehen könnten. Eine Anwendung der Anspruchsvoraussetzungen auf minderjährige Personen würde diese zum Adressaten der Norm und somit aufgrund ihrer rechtlichen Betroffenheit zur Partei machen. Eine derartige Rechtsstellung minderjähriger Personen lasse sich in das Gefüge des WMG aber "systemlogisch nicht einordnen". Minderjährigen Personen sei ein Anspruch auf Leistungen weder eingeräumt noch zuzuerkennen. Die in § 8 WMG festgelegten Mindeststandards seien nicht als einer Person zugeordnete Ansprüche, sondern lediglich als Berechnungsgrößen zu verstehen, die im Rahmen der Bemessung zur Ermittlung der Gesamtsumme an Geldleistungen, die den volljährigen Personen der Bedarfsgemeinschaft als Anspruch solidarisch zustünde, bei der Berechnung heranzuziehen seien. Wenn das Verwaltungsgericht § 5 WMG auch auf minderjährige und in keinem Fall anspruchsberechtigte Personen anwende, sei dem entgegenzuhalten, dass § 5 Abs. 1 und Abs. 2 WMG bestimmten, dass Leistungen nach diesem Gesetz grundsätzlich nur österreichischen Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern und diesen gleichgestellten Personen zustünden. Der Begriff "zustehen" weise darauf hin, dass es um Anspruchsvoraussetzungen gehe, sodass diese Bestimmung im Zusammenhang mit § 7 Abs. 1 WMG zu lesen, zu interpretieren und daher ausschließlich auf volljährige Personen anzuwenden sei. Minderjährigen Personen stünden aber keine Leistungen zu. Die Bestimmung des § 5 WMG sei daher auf minderjährige Personen nicht anzuwenden.
16 Die Revision ist aus den vom Verwaltungsgericht angeführten Gründen zulässig. Sie erweist sich auch als begründet.
17 Nach § 1 Abs. 2 WMG erfolgt die Bedarfsorientierte Mindestsicherung nach diesem Gesetz durch Zuerkennung von pauschalierten Geldleistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts und Wohnbedarfs sowie von den bei Krankheit, Schwangerschaft und Entbindung erforderlichen Leistungen, wobei auf diese Leistungen ein Rechtsanspruch besteht. § 4 WMG formuliert diesbezüglich allgemeine Anspruchsvoraussetzungen: Danach hat Anspruch auf Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung, wer (u.a.) zum anspruchsberechtigten Personenkreis nach § 5 Abs. 1 und 2 leg. cit. gehört (§ 4 Abs. 1 Z 1 WMG) und einen Antrag stellt (§ 4 Abs. 1 Z 4 WMG).
18 Für den hier in Rede stehenden Anspruch auf Mindestsicherung des Lebensunterhalts und Wohnbedarfs sieht § 7 Abs. 1 WMG vor, dass einen solchen Anspruch volljährige Personen bei Erfüllung der Voraussetzungen nach § 4 Abs. 1 und 2 WMG haben, wobei dieser Anspruch nur gemeinsam geltend gemacht werden kann und volljährigen Personen der Bedarfsgemeinschaft solidarisch zusteht. Die Abdeckung des Bedarfs von zur Bedarfsgemeinschaft gehörenden minderjährigen Personen erfolgt gemäß § 7 Abs. 1 dritter Satz WMG durch die Zuerkennung des maßgeblichen Mindeststandards an die anspruchsberechtigten Personen der Bedarfsgemeinschaft, der sie angehören. Antragsberechtigt sind nach § 32 Abs. 1 erster Satz WMG volljährige Personen.
19 Aus diesen Bestimmungen in ihrem Zusammenhang folgt somit, dass der Gesetzgeber einen Rechtsanspruch auf Mindestsicherung des Lebensunterhalts und Wohnbedarfs nur volljährigen, nicht aber minderjährigen Personen eingeräumt hat. Die Abdeckung des Bedarfs von zu einer Bedarfsgemeinschaft gehörenden minderjährigen Personen (vgl. § 7 Abs. 2 Z 3 WMG) erfolgt vielmehr durch die Zuerkennung des maßgeblichen Mindeststandards an die anspruchsberechtigten Personen der Bedarfsgemeinschaft. Da minderjährigen Personen ein Rechtsanspruch auf Mindestsicherung des Lebensunterhalts und Wohnbedarfs gesetzlich nicht eingeräumt ist, können sich die in § 4 WMG formulierten allgemeinen Anspruchsvoraussetzungen auch nicht auf diese minderjährigen Personen beziehen.
20 Dass die gegenteilige, vom Verwaltungsgericht eingenommene Sichtweise mit dem Gesetz nicht in Einklang zu bringen ist, wird etwa auch dadurch deutlich, dass minderjährige Personen die allgemeine Anspruchsvoraussetzung des § 4 Abs. 1 Z 4 WMG im Grunde des § 32 Abs. 1 erster Satz WMG niemals erfüllen können, sodass eine Berücksichtigung des Bedarfs von minderjährigen Personen bei der Bemessung - legt man die Ansicht des Verwaltungsgerichtes zugrunde, diese Personen hätten die allgemeinen Anspruchsvoraussetzungen nach § 4 WMG zu erfüllen - niemals zum Tragen kommen könnte. Derartiges kann dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden.
21 Demnach ist entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichtes davon auszugehen, dass der Umstand, dass die zu einer Bedarfsgemeinschaft gehörenden minderjährigen Personen nicht gemäß § 4 Abs. 1 Z 1 WMG zum anspruchsberechtigten Personenkreis im Sinne des § 5 Abs. 1 und 2 WMG gehören, einer Berücksichtigung deren Bedarfs gemäß § 7 Abs. 1 dritter Satz WMG nicht entgegensteht.
22 Ein Eingehen darauf, ob - im Sinne des Standpunktes des Amtsrevisionswerbers - eine Berücksichtigung des Bedarfs von minderjährigen Personen gemäß § 7 Abs. 1 dritter Satz WMG zur Voraussetzung hat, dass sich diese Personen rechtmäßig im Inland aufhalten, bedarf es im vorliegenden Fall nicht, geht das Verwaltungsgericht doch davon aus, dass sich die beiden minderjährigen Kinder von O. Kü. rechtmäßig im Inland aufhalten (vgl. aber zur Frage, ob rechtswidriges Verhalten im mindestsicherungsrechtlichen Kontext die Grundlage für einen Anspruch auf staatliche Leistungen bilden könnte, ).
23 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.
Wien, am
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ECLI: | ECLI:AT:VWGH:2018:RO2017100033.J00 |
Schlagworte: | Besondere Rechtsgebiete Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden Verhältnis der wörtlichen Auslegung zur teleologischen und historischen Auslegung Bedeutung der Gesetzesmaterialien VwRallg3/2/2 Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtsanspruch Antragsrecht Anfechtungsrecht VwRallg9/2 |
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