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VwGH vom 27.06.2017, Ro 2017/10/0011

VwGH vom 27.06.2017, Ro 2017/10/0011

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl sowie die Hofräte Dr. Lukasser, Dr. Hofbauer, Dr. Fasching und die Hofrätin Dr. Leonhartsberger als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Uhlir, über die Revision der Bürgermeisterin der Stadt Innsbruck in 6020 Innsbruck, Maria-Theresien-Straße 18, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichtes Tirol vom , Zl. LVwG-2016/31/2119-1, betreffend Mindestsicherung (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bürgermeisterin der Stadt Innsbruck; mitbeteiligte Partei: M A in Innsbruck), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

Begründung

I.

1 1. Mit Bescheid der belangten Behörde (der Revisionswerberin) vom wurden dem Mitbeteiligten (u.a.) gemäß §§ 5 und 9 Tiroler Mindestsicherungsgesetz (TMSG) Leistungen als Hilfe zur Sicherung des Lebensunterhalts für den Zeitraum vom 12. bis in der Höhe von EUR 295,13 und für den Zeitraum vom 1. bis in der Höhe von EUR 502,66 zuerkannt.

2 Begründend wurde im Bescheid ausgeführt, der Mitbeteiligte habe einen Kontrolltermin des Arbeitsmarktservice (AMS) im Juni (2016) nicht wahrgenommen, weshalb sein AMS-Bezug eingestellt worden sei. Weiters habe er seitdem nicht versucht, den Bezug wieder aufzunehmen. Der Mitbeteiligte habe durch dieses Verhalten seine Notlage grob fahrlässig herbeigeführt, weshalb der Mindestsatz gemäß § 19 Abs. 1 lit. a TMSG um 20% zu kürzen sei.

3 2. Mit dem angefochtenen Erkenntnis vom gab das Verwaltungsgericht der gegen diesen Bescheid erhobenen Beschwerde des Mitbeteiligten Folge und änderte den Bescheid dahin ab, dass für den Zeitraum vom bis "die Richtsatzkürzung des Mindestsatzes für Alleinstehende von 20% nicht vorgenommen" werde.

4 Das Verwaltungsgericht begründete seine Entscheidung im Wesentlichen damit, dass auf den vorliegenden Fall nicht § 19 Abs. 1 lit. a TMSG, sondern die speziellere Bestimmung des § 19 Abs. 1 lit. d TMSG anzuwenden sei. Danach sei der Hilfesuchende zunächst schriftlich zu ermahnen, Bereitschaft zum Einsatz seiner Arbeitskraft zu zeigen bzw. sich um eine zumutbare Beschäftigung zu bemühen. Erst wenn nach einer derartigen schriftlichen Ermahnung weiterhin kein entsprechender Einsatz erfolge - wozu auch die regelmäßige Meldung beim AMS zu zählen sei - sei die Mindestsicherung zu kürzen. Vorliegend sei in Ermangelung einer schriftlichen Ermahnung der Beschwerde Folge zu geben gewesen.

5 Die Revision gegen dieses Erkenntnis ließ das Verwaltungsgericht mit der Begründung zu, dass keine Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage der Abgrenzung der Tatbestände nach § 19 Abs. 1 lit. a und lit. d TMSG bestehe.

6 3. Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die Revision der belangten Behörde, die das Verwaltungsgericht samt den Akten des Verfahrens vorgelegt hat. Revisionsbeantwortungen wurden nicht erstattet.

II.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

7 1. Die im vorliegenden Fall in den Blick zu nehmenden Bestimmungen des TMSG, LGBl. Nr. 99/2010 idF LGBl. Nr. 130/2013, lauten auszugsweise:

"§ 5

Hilfe zur Sicherung des Lebensunterhaltes

(1) Die Hilfe zur Sicherung des Lebensunterhaltes besteht in der Gewährung pauschalierter, monatlicher Geldleistungen (Mindestsätze).

(...)

§ 16.

Einsatz der Arbeitskraft

(1) Vor der Gewährung von Mindestsicherung ist der arbeitsfähige Hilfesuchende verpflichtet, die Bereitschaft zum Einsatz seiner Arbeitskraft zu zeigen oder sich um eine ihm zumutbare Erwerbstätigkeit zu bemühen.

(...)

§ 19.

Kürzung von Leistungen

(1) Die Hilfe zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach § 5

kann gekürzt werden, wenn der Mindestsicherungsbezieher

a) seine Notlage vorsätzlich oder grob fahrlässig

herbeigeführt hat,

b) mit den eigenen oder den ihm zur Verfügung gestellten

Mitteln trotz Belehrung und Ermahnung nicht sparsam umgeht,

c) seine Ansprüche gegenüber Dritten nicht in zumutbarer

Weise verfolgt,

d) trotz schriftlicher Ermahnung keine Bereitschaft zum

Einsatz seiner Arbeitskraft zeigt oder sich nicht um eine ihm

zumutbare Beschäftigung bemüht,

e) an einer Begutachtung zur Feststellung der

Arbeitsfähigkeit nicht mitwirkt oder

f) an einer ihm vom Arbeitsmarktservice angebotenen

Schulungs- oder Fortbildungsmaßnahme nicht teilnimmt.

Die Kürzung ist der Höhe nach mit 50 v. H. des jeweiligen Mindestsatzes nach § 5 begrenzt; sie darf nur stufenweise vorgenommen werden.

(...)"

8 § 49 Arbeitslosenversicherungsgesetz 1977 (AlVG), BGBl. Nr. 609/1977 idF BGBl. I Nr. 106/2015, lautet:

"Kontrollmeldungen

§ 49. (1) Zur Sicherung des Anspruches auf den Bezug von Arbeitslosengeld bzw. Notstandshilfe hat sich der Arbeitslose wöchentlich mindestens einmal bei der nach seinem Wohnort zuständigen regionalen Geschäftsstelle persönlich zu melden. Je nach der Situation auf dem Arbeitsmarkt kann die regionale Geschäftsstelle die Einhaltung von Kontrollmeldungen gänzlich nachsehen, die Zahl der einzuhaltenden Kontrollmeldungen herabsetzen oder öftere Kontrollmeldungen vorschreiben. Die regionale Geschäftsstelle kann auch öftere Kontrollmeldungen vorschreiben, wenn der begründete Verdacht besteht, daß das Arbeitslosengeld bzw. die Notstandshilfe nicht gebührt. Die näheren Bestimmungen über die Kontrollmeldungen trifft die Landesgeschäftsstelle. Die Landesgeschäftsstelle kann auch andere Stellen als Meldestellen bezeichnen.

(2) Ein Arbeitsloser, der trotz Belehrung über die Rechtsfolgen eine Kontrollmeldung unterläßt, ohne sich mit triftigen Gründen zu entschuldigen, verliert vom Tage der versäumten Kontrollmeldung an bis zur Geltendmachung des Fortbezuges den Anspruch auf Arbeitslosengeld bzw. Notstandshilfe. Liegen zwischen dem Tag der versäumten Kontrollmeldung und der Geltendmachung mehr als 62 Tage, so erhält er für den übersteigenden Zeitraum kein Arbeitslosengeld bzw. keine Notstandshilfe. (...)"

9 2. Die Revision ist aus den vom Verwaltungsgericht angeführten Gründen zulässig. Sie ist auch begründet.

10 2.1. Dem vorliegenden Fall liegt zugrunde, dass der Mitbeteiligte eine Kontrollmeldung bei der Geschäftsstelle des AMS versäumt hat, was zur Einstellung seiner Bezüge nach dem AlVG geführt hat.

11 Das Verwaltungsgericht und die Revisionswerberin vertreten allerdings unterschiedliche Auffassungen zu der Frage, ob der Mitbeteiligte durch die Nichtwahrnehmung des Kontrolltermins seine Notlage grob fahrlässig im Sinne des § 19 Abs. 1 lit. a TMSG herbeigeführt hat oder ob sein Verhalten als mangelnde Bereitschaft zum Einsatz seiner Arbeitskraft bzw. mangelndes Bemühen um eine zumutbare Beschäftigung (vgl. § 19 Abs. 1 lit. d TMSG) zu qualifizieren ist. Für den letzteren Fall käme eine Kürzung der Hilfe zur Sicherung des Lebensunterhaltes nur nach vorheriger schriftlicher Ermahnung in Betracht.

12 2.2. § 19 Abs. 1 TMSG enthält verschiedene, nebeneinander bestehende und mit "oder" miteinander verknüpfte Tatbestände, deren Verwirklichung jeweils zur Kürzung der Hilfe zur Sicherung des Lebensunterhaltes führen kann.

13 2.3. Der mit dem angefochtenen Erkenntnis vorgenommenen Abänderung des Bescheides der belangten Behörde vom liegt die Auffassung des Verwaltungsgerichtes zugrunde, die Versäumung einer Kontrollmeldung bei der Geschäftsstelle des AMS durch den Mitbeteiligten sei nach § 19 Abs. 1 lit. d TMSG zu beurteilen.

14 Der Tatbestand des § 19 Abs. 1 lit. d TMSG stellt allerdings entweder auf die fehlende Bereitschaft zum Einsatz der Arbeitskraft oder auf das mangelnde Bemühen um eine zumutbare Beschäftigung ab. Die Nichteinhaltung der durch § 49 Abs. 1 AlVG auferlegten Verpflichtung zur Kontrollmeldung bei der Geschäftsstelle des AMS ist im vorliegenden spezifischen Regelungszusammenhang des § 19 Abs. 1 TMSG nicht geeignet, eine dieser beiden Tatbestandsvarianten zu erfüllen. Gegebenenfalls ist in diesem Zusammenhang § 19 Abs. 1 lit. a TMSG in den Blick zu nehmen. Das Verwaltungsgericht hat daher § 19 Abs. 1 lit. d TMSG zu Unrecht zur Beurteilung des vorliegenden Sachverhaltes herangezogen.

15 3. Nach dem Gesagten ist das angefochtene Erkenntnis mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet, weshalb es gemäß § 42 Abs. 2 Z. 1 VwGG aufzuheben war.

Wien, am

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