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VwGH vom 23.05.2017, Ro 2017/10/0008

VwGH vom 23.05.2017, Ro 2017/10/0008

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl und die Hofräte Dr. Lukasser, Dr. Hofbauer und Dr. Fasching sowie die Hofrätin Dr. Leonhartsberger als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Uhlir, über die Revisionen der 1. A KG,

2. Apotheke H e.U., beide in Vöcklabruck, beide vertreten durch Prof. Dr. Wolfgang Völkl, Rechtsanwalt in 1090 Wien, Nußdorfer Straße 10-12 (protokolliert zu hg. Zl. Ra 2017/10/0008), sowie 3. Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck (protokolliert zu hg. Zl. Ra 2017/10/0009) gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Oberösterreich vom , Zl. LVwG-050072/15/Gf/Mu, betreffend Apothekenkonzession (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck; mitbeteiligte Parteien: 1. M K in A, 2. E V in V, diese vertreten durch Mag. Dr. Eleonore Berchtold-Ostermann, Rechtsanwältin in 1010 Wien, Bräunerstraße 6), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird im Umfang seines Spruchpunktes I. (Abweisung der gegen die Erteilung einer Filialapothekenbewilligung an die Erstmitbeteiligte gerichteten Beschwerde der Zweitmitbeteiligten) wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes, im Umfang seines Spruchpunktes II. (Erteilung der Apothekenkonzession an die Zweitmitbeteiligte) wegen Rechtswidrigkeit infolge Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichtes aufgehoben.

Der Bund hat den erst- und zweitrevisionswerbenden Parteien Aufwendungen in der Höhe von (insgesamt) EUR 1.346,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Die Erstmitbeteiligte hat mit Eingabe vom bei der belangten Behörde um die Bewilligung zur Errichtung einer Filialapotheke in der Ortschaft Rutzenmoos (Gemeinde Regau) angesucht.

2 Die Zweitmitbeteiligte hat mit Eingabe vom bei derselben Behörde um die Erteilung einer Konzession zur Errichtung und zum Betrieb einer neuen öffentlichen Apotheke in Vöcklabruck angesucht.

3 Mit Bescheid der belangten Behörde vom wurde der Erstmitbeteiligten die beantragte Bewilligung zur Errichtung einer Filialapotheke erteilt. Dagegen erhob die Zweitmitbeteiligte Beschwerde. Über den Antrag der Zweitmitbeteiligten entschied die belangte Behörde in der Folge nicht; eine Säumnisbeschwerde wurde nicht erhoben.

4 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde die Beschwerde der Zweitmitbeteiligten als unbegründet abgewiesen (I.) und gleichzeitig der Zweitmitbeteiligten die Konzession für eine neu zu errichtende öffentliche Apotheke in Vöcklabruck mit einem näher genannten Standort erteilt (II.). Die Revision an den Verwaltungsgerichtshof wurde für zulässig erklärt (III.).

5 Begründend ging das Verwaltungsgericht vom Vorliegen einer Verwaltungsverfahrensgemeinschaft zwischen den Mitbeteiligten aus. Die belangte Behörde hätte diese Verfahren somit nicht getrennt führen dürfen sondern mittels einheitlichen Bescheides erledigen müssen. Aus § 28 Abs. 2 VwGVG ergebe sich eine prinzipielle gesetzgeberische Wertenentscheidung dahin, dass die Ausübung der verwaltungsgerichtlichen Sacherledigungskompetenz bloß wegen behördlicher Verfahrensfehler in aller Regel nicht gehindert sei, sondern die Verwaltungsgerichte derartige Rechtswidrigkeiten der Behörde vielmehr aus Eigenem zu sanieren hätten. In einem Fall wie dem vorliegenden, in dem die Behörde die Verfahren getrennt geführt und nur ein Verfahren abgeschlossen habe, welches mit Beschwerde bekämpft worden sei, habe das Verwaltungsgericht auch hinsichtlich der übrigen, noch nicht rechtskräftig erledigten Ansuchen eine Sachentscheidung zu treffen; dies selbst dann, wenn in jenen Verfahren noch kein Rechtsmittel erhoben, insbesondere keine Säumnisbeschwerde eingebracht worden sei. Es komme in derartigen Konstellationen gleichsam zu einer "ex-lege-Devolution der Zuständigkeit kraft sachlicher Konnexität", wenngleich ein derartiger Zuständigkeitsübergang nicht explizit gesetzlich vorgesehen sei.

6 Das Verwaltungsgericht habe infolge der gegen den angefochtenen Bescheid gerichteten Beschwerde nicht nur über dieses Rechtsmittel, sondern auch über den Antrag der Zweitmitbeteiligten auf Erteilung einer Apothekenkonzession zu entscheiden gehabt.

7 Die gegen die Erteilung der Filialapothekenkonzession an die Erstmitbeteiligte gerichtete Beschwerde der Zweitmitbeteiligten sei abzuweisen gewesen, weil das Bedarfskriterium des § 10 Abs 2 Z 3 iVm § 10 Abs. 6a ApG (in der Fassung BGBl I 30/2016), auf welches der die Filialapotheken regelnde § 24 leg. cit. implizit verweise, infolge des ("Sokoll-Seebacher II"), nicht mehr anwendbar sei. Ebenso sei der Zweitmitbeteiligten die beantragte Apothekenkonzession zu erteilen gewesen, weil § 10 Abs. 2 Z 3 iVm § 10 Abs. 6a ApG nicht zum Tragen komme und der Bedarf an der Errichtung der neuen Apotheke als tatsächlich gegeben anzunehmen sei.

8 Die Revision erachtete das Verwaltungsgericht für zulässig, weil Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage fehle, "ob (auch) im Anwendungsbereich des ApG in dem Fall, dass die Behörde mehrere in Form einer Verwaltungsverfahrensgemeinschaft zu führende Verfahren tatsächlich getrennt hat, die Verwaltungsgerichte diese über eine Beschwerdeerhebung hin dennoch mit einer einheitlichen Entscheidung abzuschließen haben oder die begonnene Verfahrenstrennung auch für das Rechtsmittelverfahren bestehen bleibt."

9 Gegen dieses Erkenntnis richten sich die vorliegenden - jeweils Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften geltend machenden - Revisionen. Die zweitmitbeteiligte Partei erstattete jeweils eine Revisionsbeantwortung.

10 Der Verwaltungsgerichtshof hat die gegenständlichen Revisionen wegen ihres sachlichen und persönlichen Zusammenhanges zur gemeinsamen Beratung und Beschlussfassung verbunden und darüber erwogen:

11 Die maßgeblichen Bestimmungen des Apothekengesetzes - ApG, RGBl. Nr. 5/1907 in der zum Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses maßgeblichen Fassung BGBl. I Nr. 30/2016, lauten (auszugsweise):

"Sachliche Voraussetzung der Konzessionserteilung

§ 10. (1) Die Konzession für eine neu zu errichtende

öffentliche Apotheke ist zu erteilen, wenn

1. ...

2. ein Bedarf an einer neu zu errichtenden öffentlichen

Apotheke besteht.

(2) Ein Bedarf besteht nicht, wenn,

...

3. die Zahl der von der Betriebsstätte einer der

umliegenden bestehenden öffentlichen Apotheken aus weiterhin zu versorgenden Personen sich in Folge der Neuerrichtung verringert und weniger als 5 500 betragen wird.

...

(6a) Die Zahl der von der Betriebsstätte einer oder mehrerer der umliegenden bestehenden öffentlichen Apotheken aus weiterhin zu versorgenden Personen gemäß Abs. 2 Z 3 ist zu unterschreiten, wenn es in ländlichen und abgelegenen Regionen auf Grund besonderer örtlicher Verhältnisse im Interesse einer ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung der Bevölkerung unter Berücksichtigung des Versorgungsangebots durch bestehende Apotheken einschließlich Filialapotheken und ärztlichen Hausapotheken dringend erforderlich ist.

(7) Zur Frage des Bedarfes an einer neu zu errichtenden öffentlichen Apotheke ist ein Gutachten der österreichischen Apothekerkammer einzuholen. ...

Filialapotheken

§ 24. (1) Dem Inhaber einer öffentlichen Apotheke ist die Bewilligung zum Betrieb einer Filialapotheke für eine Ortschaft, in der sich keine öffentliche Apotheke oder ärztliche Hausapotheke befindet, zu erteilen, wenn diese Ortschaft nicht mehr als vier Straßenkilometer von der Betriebsstätte der öffentlichen Apotheke entfernt ist und der Bedarf nach einer Verabreichungsstelle von Arzneimitteln besteht.

..."

12 Die Revision ist zulässig und begründet.

13 Vorauszuschicken ist, dass es - worauf die Amtsrevision hinweist - der dem gegenständlichen Erkenntnis zu Grunde liegenden Prämisse des Vorliegens einer Mitbewerbereigenschaft (Verfahrensgemeinschaft) zwischen den Mitbeteiligten an einer tragfähigen Grundlage mangelt, weil das Verwaltungsgericht die zur Beurteilung dieser Frage notwendigen Feststellungen zur konkreten Bedarfslage nicht getroffen hat (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. Ra 2015/10/0063, mit Hinweisen auf die Vorjudikatur; vgl. zur Konstellation einer Filialapotheke im Verhältnis zu öffentlichen Apotheken auch das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2009/10/0078). Für den Fall, dass die Mitbeteiligten tatsächlich Mitbewerber sind und eine Verfahrensgemeinschaft bilden, wäre von der belangten Behörde über die konkurrierenden Anträge in einem einzigen, alle Anträge erledigenden Bescheid abzusprechen (vgl. auch dazu das erwähnte hg. Erkenntnis vom , mwN).

14 Zur Erteilung der Filialapothekenbewilligung an die Erstmitbeteiligte:

Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom , Zl. Ra 2016/10/0141, auf dessen Entscheidungsgründe gemäß § 43 Abs. 2 VwGG verwiesen wird, klargestellt, dass der EuGH in dem vom Verwaltungsgericht angeführten Beschluss vom , C-634, nicht etwa die Prüfung des Bedarfs an einer neu zu errichtenden Apotheke als solche, sondern lediglich die "allgemeine" Zugrundelegung einer unveränderlich festgelegten Anzahl von "weiterhin zu versorgenden Personen" als unionsrechtswidrig erachtet hat. Die Berücksichtigung des in § 10 Abs. 2 Z 3 ApG normierten Bedarfskriteriums (nach Maßgabe des - im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses geltenden -

§ 10 Abs. 6a ApG) entfaltete auch keine (unsachliche) inländerdiskriminierende Wirkung. Die Nichtbeachtung des Bedarfskriteriums nach § 10 ApG durch das Verwaltungsgericht erweist sich daher im Umfang des Spruchpunktes I. schon aus diesem Grund als rechtswidrig, zumal das negative Bedarfsmerkmal des § 10 Abs. 2 Z 3 ApG in den für Filialapotheken geltenden Bedarfsbegriff des § 24 ApG einzubeziehen ist (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Zl. 96/10/0113). Im Übrigen wäre - im Falle des tatsächlichen Vorliegens der vom Verwaltungsgericht angenommenen Mitbewerberkonkurrenz mit Verfahrensgemeinschaft - für die Erteilung einer Filialapothekenbewilligung nur Raum, wenn (gleichzeitig) der Konzessionsantrag, insbesondere mangels Erfüllung der Bedarfsvoraussetzungen im Sinne des § 10 ApG, abgewiesen werden müsste (vgl. das erwähnte hg. Erkenntnis vom ).

15 Zur Erteilung der Konzession an die Zweitmitbeteiligte:

Die Erteilung der Apothekenkonzession gemäß Spruchpunkt II. erweist sich schon deshalb als rechtswidrig, weil das Gesetz für die vom Verwaltungsgericht angenommene "ex-lege-Devolution der Zuständigkeit kraft sachlicher Konnexität" - selbst für den Fall des Vorliegens einer Verfahrensgemeinschaft - keine Grundlage enthält. Das Verwaltungsgericht ist insofern von einer unvertretbaren Rechtsauffassung ausgegangen und hat eine ihm nicht zukommende Zuständigkeit in Anspruch genommen. Im Übrigen wäre auch diese Konzessionserteilung - wäre das Verwaltungsgericht zur Entscheidung in der Sache zuständig gewesen - aus den in Rz. 14 genannten Gründen inhaltlich rechtswidrig.

16 Das angefochtene Erkenntnis war aus den genannten Gründen im Umfang seines Spruchpunktes I. gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen inhaltlicher Rechtswidrigkeit, im Umfang seines Spruchpunktes II. gemäß § 42 Abs. 2 Z 2 VwGG wegen Unzuständigkeit des Verwaltungsgerichtes, aufzuheben.

17 Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet auf den §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am

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Schlagworte:
Gemeinschaftsrecht Auslegung des Mitgliedstaatenrechtes EURallg2 Besondere Rechtsgebiete Verwaltungsverfahrensgemeinschaft VwRallg13

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Fundstelle(n):
BAAAE-94443