VwGH vom 19.12.2017, Ro 2017/08/0017

VwGH vom 19.12.2017, Ro 2017/08/0017

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler und den Hofrat Dr. Strohmayer, die Hofrätin Dr. Julcher sowie die Hofräte Mag. Berger und Mag. Stickler als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Sinai, über die Revision des Arbeitsmarktservice Wien Wagramer Straße in 1220 Wien, Wagramer-Straße 224c, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom , Zl. W209 2140125-1/4E, betreffend Zuerkennung einer Leistung aus der Arbeitslosenversicherung (mitbeteiligte Partei: P L in W), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

1 Mit dem im Instanzenzug ergangenen angefochtenen Erkenntnis hat das Verwaltungsgericht dem Mitbeteiligten ab Notstandshilfe in Höhe von EUR 26,17 täglich zuerkannt. Der am geborene Mitbeteiligte habe seit 2013 Arbeitslosengeld und in weiterer Folge Notstandshilfe bezogen. Nach zwischenzeitiger Beschäftigung habe er am neuerlich einen Antrag auf Zuerkennung einer Leistung aus der Arbeitslosenversicherung gestellt. Ihm sei unter Zugrundelegung der Bemessungsgrundlage des Jahres 2013 Arbeitslosengeld in Höhe von EUR 16,12 zuerkannt worden. In seiner dagegen erhobenen Beschwerde habe er die Zuerkennung bzw. den Fortbezug von Notstandshilfe (mit einer günstigeren Bemessungsgrundlage) begehrt.

2 In rechtlicher Hinsicht führte das Verwaltungsgericht aus, der Mitbeteiligte erfülle die Voraussetzungen für eine weitere Inanspruchnahme von Arbeitslosengeld iSd § 14 Abs. 2 AlVG nicht, weil er in den letzten zwölf Monaten vor Geltendmachung des Anspruches nicht insgesamt 28 Wochen, sondern nur 183 Tage (26,14 Wochen) im Inland arbeitslosenversicherungspflichtig beschäftigt gewesen sei. Der Erfüllung der (kleinen) Anwartschaft iSd § 14 Abs. 1 zweiter Satz AlVG (26 Beschäftigungswochen in den letzten zwölf Monaten) stünde § 14 Abs. 2 zweiter Satz AlVG entgegen, der nur einen Verweis auf die Anwartschaft gemäß § 14 Abs. 1 erster Satz AlVG enthalte. Somit scheide die nochmalige Anwendung der Jugendanwartschaft gemäß § 14 Abs. 1 zweiter Satz AlVG im vorliegenden Fall aus. Dem Mitbeteiligten stehe ein Anspruch auf Fortbezug der Notstandshilfe zu (weil sein Anspruch auf Arbeitslosengeld infolge Nichtvorliegens der Voraussetzungen für dessen weitere Inanspruchnahme erschöpft war).

3 Die Revision sei gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig, weil - soweit ersichtlich - eine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage der nochmaligen Anwendung der Jugendanwartschaft gemäß § 14 Abs. 1 zweiter Satz AlVG fehle.

4 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die Revision. Der Mitbeteiligte hat keine Revisionsbeantwortung erstattet.

Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

5 Das revisionswerbende Arbeitsmarktservice (in der Folge: AMS) bringt unter Hinweis auf § 14 Abs. 1 und 2 AlVG idF BGBl. Nr. 364/1989 vor, der Gesetzgeber habe ursprünglich mit dem Verweis im § 14 Abs. 2 AlVG auf § 14 Abs. 1 erster Satz AlVG angeordnet, dass für eine wiederholte Inanspruchnahme des Arbeitslosengeldes alternativ zur kleinen Anwartschaft gemäß § 14 Abs. 2 AlVG auch die (für die erstmalige Inanspruchnahme geltende) große Anwartschaft ausreichen würde. Ein Verweis auf die begünstigte Anwartschaft für Jugendliche iSd § 14 Abs. 1 zweiter Satz AlVG (26 Wochen in den letzten zwölf Monaten) sei im Hinblick auf die damals ohnehin günstigere Regelung des § 14 Abs. 2 AlVG (20 Wochen in den letzten zwölf Monaten) nicht erforderlich gewesen. Aus der Beschränkung des Verweises auf § 14 Abs. 1 erster Satz AlVG (bzw. der Ausklammerung des § 14 Abs. 1 zweiter Satz AlVG aus diesem Verweis) könne nicht geschlossen werden, dass bei einer wiederholten Inanspruchnahme alternativ zur kleinen Anwartschaft gemäß § 14 Abs. 2 AlVG immer nur die große Anwartschaft gemäß § 14 Abs. 1 erster Satz AlVG erbracht werden könne. Bis zur Änderung des § 14 Abs. 2 AlVG durch die Novelle BGBl. I Nr. 142/2000, mit welcher die Mindestversicherungsdauer für die wiederholte Inanspruchnahme des Arbeitslosengeldes von 26 Wochen auf 28 Wochen angehoben worden sei, sei für Personen bis zur Vollendung des 25. Lebensjahres sowohl bei der erstmaligen als auch bei der wiederholten Inanspruchnahme des Arbeitslosengeldes jedenfalls eine Mindestversicherungsdauer von 26 Wochen ausreichend gewesen. Die Gesetzesmaterialien der genannten Novelle böten keinen Anhaltspunkt dafür, dass für Jugendliche die wiederholte Inanspruchnahme gegenüber der erstmaligen Inanspruchnahme von Arbeitslosengeld erschwert werden sollte. Der ursprüngliche Gesetzeszweck gehe vielmehr dahin, die wiederholte Inanspruchnahme von Arbeitslosengeld zu erleichtern. Eine "Pönalisierung" wiederholter Arbeitslosigkeit bei Jugendlichen sei vom Gesetzgeber nicht gewollt gewesen. Eine "wiederholte" Erfüllung der Jugendanwartschaft sei grundsätzlich mit einer finanziellen Besserstellung eines arbeitslosen Jugendlichen verbunden. Die mit dem neuen Anwartschaftserwerb einhergehende Neubemessung des Leistungsanspruches auf Grund einer neuen Bemessungsgrundlage sowie die Feststellung eines neuen Grundbetrags mit 55 % des täglichen Nettoeinkommens gemäß § 21 Abs. 3 AlVG würden bewirken, dass in der Regel ein neuer Anspruch auf Arbeitslosengeld betragsmäßig über einen allfälligen Anspruch auf Fortbezug der Notstandshilfe zu liegen komme. Ein weiterer Vorteil des Arbeitslosengeldes bestehe darin, dass dieses im Unterschied zur Notstandshilfe auch keiner Einkommensanrechnung unterliege.

6 Die vom Verwaltungsgericht gewählte, den erneuten Anwartschaftserwerb durch Jugendliche erschwerende Auslegung des § 14 Abs. 2 AlVG würde lediglich in Einzelfällen wie diesem zu einer Besserstellung führen, wohingegen es bei einer entsprechenden Anwendung für eine Vielzahl der Jugendlichen zu einer deutlichen Schlechterstellung komme. Die Zulässigkeit einer "wiederholten" Jugendanwartschaft wäre daher auch im Sinne einer sozialen Interpretation der genannten Gesetzesstelle.

7 Die Revision ist zulässig, aber nicht berechtigt. 8 § 14 AlVG idF BGBl. I Nr. 94/2014 lautet auszugsweise:

"Anwartschaft

§ 14. (1) Bei der erstmaligen Inanspruchnahme von Arbeitslosengeld ist die Anwartschaft erfüllt, wenn der Arbeitslose in den letzten 24 Monaten vor Geltendmachung des Anspruches (Rahmenfrist) insgesamt 52 Wochen im Inland arbeitslosenversicherungspflichtig beschäftigt war. Handelt es sich jedoch um einen Arbeitslosen, der das Arbeitslosengeld vor Vollendung des 25. Lebensjahres beantragt, ist die Anwartschaft auf Arbeitslosengeld auch dann erfüllt, wenn der Arbeitslose in den letzten zwölf Monaten vor Geltendmachung des Anspruches (Rahmenfrist) insgesamt 26 Wochen im Inland arbeitslosenversicherungspflichtig beschäftigt war.

(2) Bei jeder weiteren Inanspruchnahme des Arbeitslosengeldes ist die Anwartschaft erfüllt, wenn der Arbeitslose in den letzten 12 Monaten vor Geltendmachung des Anspruches (Rahmenfrist) insgesamt 28 Wochen im Inland arbeitslosenversicherungspflichtig beschäftigt war. Die Anwartschaft ist im Falle einer weiteren Inanspruchnahme auch dann erfüllt, wenn der Arbeitslose die Anwartschaft gemäß § 14 Abs. 1 erster Satz erfüllt."

9 Gegenstand der Auslegung einer Norm ist grundsätzlich der Gesetzestext als Träger des in ihm niedergelegten Sinnes, um dessen Verständnis es bei der Auslegung geht. Ziel der Auslegung ist die Ermittlung des rechtlich maßgeblichen, des normativen Sinnes des Gesetzes. Jede Gesetzesauslegung (im Sinne des § 6 ABGB) hat mit der Erforschung des Wortsinnes zu beginnen, wobei zu fragen ist, welche Bedeutung einem Ausdruck oder Satz nach dem allgemeinen Sprachgebrauch des Gesetzgebers zukommt. Wird auf diesem Weg keine Eindeutigkeit des Gesetzeswortlautes erkannt, ist insbesondere auch der Regelungszusammenhang, in welchem die anzuwendende Norm steht, zu berücksichtigen ().

10 Es trifft zu, dass Arbeitslosen, die das Arbeitslosengeld vor Vollendung des 25. Lebensjahres beantragen, die weitere Inanspruchnahme des Arbeitslosengeldes in der Regel (zusätzlich) erleichtert würde, wenn der Gesetzgeber eine Regelung getroffen hätte, wonach die Anwartschaft im Falle einer weiteren Inanspruchnahme auch dann erfüllt ist, wenn der Arbeitslose die Anwartschaft gemäß § 14 Abs. 1 zweiter Satz AlVG erfüllt. Der Gesetzgeber hat jedoch nach dem eindeutigen Wortlaut des § 14 Abs. 2 zweiter Satz AlVG nur auf § 14 Abs. 1 erster Satz AlVG verwiesen und damit § 14 Abs. 1 zweiter Satz AlVG aus dem Verweis ausgeklammert. Den Materialien ist kein Hinweis zu entnehmen, dass dem Gesetzgeber diese Ausklammerung bzw. die Nichtanpassung im Zuge der Novelle BGBl. I Nr. 142/2000 versehentlich unterlaufen wäre. Der eindeutige Wortlaut der genannten Regelung spricht dafür, dass es sich bei dem eingeschränkten Verweis um eine vom Gesetzgeber gewollte Begrenzung der ohnehin erleichterten weiteren Inanspruchnahme von Arbeitslosengeld handelt. Durch die Sonderregelung des § 14 Abs. 1 zweiter Satz AlVG sollten Jugendliche, die nur eine kurze Erwerbstätigkeit z.B. nach ihrer Schulausbildung aufweisen und dadurch die "große" Anwartschaft nicht erfüllen, in die Lage versetzt werden, Arbeitslosengeld beziehen zu können (Krapf/Keul, Arbeitslosenversicherungsgesetz, Rz 341 zu § 14). Bei der wiederholten Inanspruchnahme des Arbeitslosengeldes würde diese Voraussetzung idR nicht mehr zutreffen, was ein mögliches Motiv des Gesetzgebers gewesen sein könnte, die genannte Altersgruppe bei der neuerlichen Inanspruchnahme von Arbeitslosengeld nicht mehr zusätzlich zu begünstigen. Eine verfassungsrechtlich bedenkliche Ungleichbehandlung jener Arbeitslosen, die das Arbeitslosengeld vor Vollendung des 25. Lebensjahres beantragen, ist im Übrigen nicht erkennbar.

11 Der Mitbeteiligte hat in den letzten zwölf Monaten vor Geltendmachung des Anspruches (Rahmenfrist) nur etwas mehr als 26 statt der iSd § 14 Abs. 2 erster Satz AlVG für die weitere Inanspruchnahme geforderten 28 Beschäftigungswochen aufzuweisen. Er vermag auch die (große) Anwartschaft iSd § 14 Abs. 1 erster Satz AlVG nicht zu erfüllen. Die in § 14 Abs. 2 AlVG genannten Voraussetzungen für eine weitere Inanspruchnahme des Arbeitslosengeldes sind nicht erfüllt. Ihm ist daher zu Recht auf Grund seines Antrags der Fortbezug der Notstandshilfe in nicht bestrittenem Ausmaß zuerkannt worden.

12 Die Revision war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

Wien, am

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Schlagworte:
Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden VwRallg3/2

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