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VwGH vom 19.12.2017, Ro 2017/08/0010

VwGH vom 19.12.2017, Ro 2017/08/0010

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Bachler und den Hofrat Dr. Strohmayer, die Hofrätin Dr. Julcher sowie die Hofräte Mag. Berger und Mag. Stickler als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Sinai, über die Revisionen des Arbeitsmarktservice Freistadt in 4240 Freistadt, Am Pregarten 1, gegen die Erkenntnisse des Bundesverwaltungsgerichts 1. vom , Zl. L503 2126549- 1/12E, und 2. vom , L503 2161400-1/3E, jeweils betreffend Einstellung des Arbeitslosengeldes (mitbeteiligte Partei: U S in F, vertreten durch Mairhofer Gradl Rechtsanwälte in 4020 Linz, Spittelwiese 8), zu Recht erkannt:

Spruch

Die angefochtenen Erkenntnisse werden wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1 Mit Bescheid vom stellte das revisionswerbende Arbeitsmarktservice (im Folgenden: AMS) gemäß § 24 Abs. 1 iVm § 7 Abs. 1 Z 1 und Abs. 2 sowie § 8 Abs. 1 AlVG das Arbeitslosengeld der Mitbeteiligten mangels Arbeitsfähigkeit ab dem ein. Begründend wurde ausgeführt, die Mitbeteiligte sei laut Bescheid der Pensionsversicherungsanstalt (im Folgenden: PVA) vom nicht arbeitsfähig.

2 Mit dem genannten Bescheid der PVA war der Antrag der Mitbeteiligten vom auf Gewährung einer Berufsunfähigkeitspension abgelehnt und die Gewährung von Maßnahmen beruflicher Rehabilitation mangels Mitwirkung versagt worden.

3 Mit weiterem Bescheid der PVA vom wurde ausgesprochen, dass der Antrag der Mitbeteiligten auf Gewährung einer Berufsunfähigkeitspension mangels Mitwirkung am Berufsfindungsverfahren auf einen Antrag auf Feststellung der Berufsunfähigkeit eingeschränkt werde. Vorübergehende Berufsunfähigkeit im Ausmaß von voraussichtlich mindestens sechs Monaten liege vor. Dauerhafte Berufsunfähigkeit liege nicht vor, weil die Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt durch berufliche Rehabilitationsmaßnahmen nicht ausgeschlossen werden könne.

4 Die Klage der Mitbeteiligten auf Gewährung einer Berufsunfähigkeitspension ab wurde vom Landesgericht Linz mit Urteil vom abgewiesen. Ebenso wurde das Eventualbegehren auf Feststellung, dass über den hinaus vorübergehende Berufsunfähigkeit im Ausmaß von zumindest sechs Monaten vorliege, Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation zur Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit notwendig und infolge des Gesundheitszustandes zweckmäßig seien und ein Anspruch auf Rehabilitationsgeld bestehe, abgewiesen. Der Bescheid der PVA vom wurde insofern wiederhergestellt, als zwischen den Parteien festgestellt werde, dass ab dem vorübergehende Berufsunfähigkeit im Ausmaß von zumindest sechs Monaten vorliege und eine Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt durch berufliche Rehabilitationsmaßnahmen nicht ausgeschlossen werden könne. Begründend führte das Landesgericht aus, die Mitbeteiligte könne in ihrem zuletzt ausgeübten Beruf als Altenbetreuerin weiterhin tätig sein, und es stünden ihr darüber hinaus auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zahlreiche Berufstätigkeiten zur Verfügung, die ihre Leistungsfähigkeit nicht überschritten. Es liege daher keine Berufsunfähigkeit im Sinn des § 273 Abs. 1 ASVG vor. Daher sei das Klagebegehren auf Zuerkennung einer Berufsunfähigkeitspension abzuweisen gewesen, ebenso wie das als Säumnisklage formulierte Begehren auf Zuerkennung eines Anspruchs auf medizinische Rehabilitation samt Rehabilitationsgeld. Da die PVA jedoch mit dem Bescheid vom das Vorliegen einer vorübergehenden Berufsunfähigkeit im Ausmaß von mindestens sechs Monaten unwiderruflich anerkannt habe, sei dieser Ausspruch spruchgemäß festzustellen gewesen.

5 Das Oberlandesgericht Linz hob mit Urteil vom das Verfahren im Umfang des Eventualbegehrens als nichtig auf und wies die Klage insoweit wegen Unzulässigkeit des Rechtsweges zurück. Im Übrigen sprach es aus, dass der Berufung nicht Folge gegeben werde. Es bestätigte das Urteil des Landesgerichtes Linz, das hinsichtlich der Abweisung des Begehrens auf Gewährung einer Berufsunfähigkeitspension unbekämpft geblieben sei, mit der Maßgabe, dass es zu lauten habe: "Es wird festgestellt, dass ab bei der Klägerin vorübergehende Berufsunfähigkeit im Ausmaß von voraussichtlich mindestens sechs Monaten vorliegt". Begründend führte das Oberlandesgericht im Wesentlichen aus, es fehle für Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation noch an einer Entscheidung des Pensionsversicherungsträgers, sodass das diesbezügliche Klagebegehren zurückzuweisen sei. Es liege insoweit auch kein Säumnisfall vor. Da das Erstgericht einerseits das Klagebegehren auf Feststellung, dass über den hinaus vorübergehende Berufsunfähigkeit bestehe, abgewiesen habe, andererseits aber den Bescheid vom mit genau demselben Ausspruch wiederhergestellt habe, sei mit einer Maßgabebestätigung dieser Widerspruch zu beseitigen. Gemäß § 71 Abs. 2 ASGG dürfe der urteilsmäßige Zuspruch im gerichtlichen Verfahren nicht schlechter sein als der Bescheid des Versicherungsträgers, sodass von einer vorübergehenden Berufsunfähigkeit auszugehen sei, auch wenn das gerichtliche Verfahren ergeben habe, dass die Mitbeteiligte sogar berufsschutzerhaltend weiter tätig sein könnte. Die Nichtgewährung beruflicher Rehabilitationsmaßnahmen mangels Mitwirkung sei allerdings nicht wiederherzustellen. Über die dauernde Berufsunfähigkeit sei bereits rechtskräftig entschieden, sodass auch der Ausspruch, eine solche liege nicht vor, weil eine Wiedereingliederung durch Maßnahmen der beruflichen Rehabilitation nicht ausgeschlossen werden könne, nicht zu wiederholen sei.

6 Gegen den eingangs genannten Bescheid des AMS vom erhob die Mitbeteiligte Beschwerde. Dieser wurde - nach Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung des AMS vom - mit dem erstangefochtenen Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts vom stattgegeben, und der bekämpfte Bescheid wurde ersatzlos aufgehoben.

7 Begründend führte das Bundesverwaltungsgericht im Wesentlichen aus, dass sowohl das Landesgericht als auch das Oberlandesgericht Linz gerade nicht von einer Berufsunfähigkeit der Mitbeteiligten ausgingen. Der Ausspruch hinsichtlich der vorübergehenden Berufsunfähigkeit sei nur wegen des sozialgerichtlichen Verschlechterungsverbots zu treffen gewesen. Nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts sei in dieser Konstellation von dem durch die Gerichte festgestellten tatsächlichen Sachverhalt auszugehen, was auch durch den Wortlaut des § 8 Abs. 3 AlVG gedeckt erscheine. Selbst wenn man aber rein formell ausschließlich vom Spruch unter Außerachtlassung der Begründung ausgehe, wäre darauf hinzuweisen, dass lediglich eine Berufsunfähigkeit im Ausmaß von voraussichtlich mindestens sechs Monaten ab festgestellt worden sei. Sowohl die Beantragung von Arbeitslosengeld am durch die Mitbeteiligte als auch die Einstellung des Arbeitslosengeldes mit lägen somit nach Ablauf der sechsmonatigen (Mindest-)Frist. Für diese Zeit könnte somit ohnedies uneingeschränkt auf die Begründung der Gerichte zurückgegriffen werden, wonach die Mitbeteiligte nie berufsunfähig gewesen sei.

8 Mit Bescheid vom stellte das AMS gemäß § 24 Abs. 1 iVm § 7 Abs. 1 Z 1 und Abs. 2 sowie § 8 Abs. 1 AlVG das Arbeitslosengeld der Mitbeteiligten mangels Arbeitsfähigkeit ab dem ein. Begründend führte es aus, das Oberlandesgericht Linz habe mit Urteil vom ausgesprochen, dass ab bei der Mitbeteiligten vorübergehende Berufsunfähigkeit im Ausmaß von mindestens sechs Monaten vorliege.

9 Auch gegen diesen Bescheid erhob die Mitbeteiligte Beschwerde. Das Bundesverwaltungsgericht gab ihr - nachdem das AMS eine Beschwerdevorentscheidung vom erlassen hatte - mit dem zweitangefochtenen Erkenntnis vom statt und hob den bekämpften Bescheid ersatzlos auf. Die wesentliche Begründung deckt sich mit jener des erstangefochtenen Erkenntnisses.

10 In beiden Erkenntnissen sprach das Bundesverwaltungsgericht aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig sei, weil die Frage zu klären sei, ob sich die in § 8 Abs. 3 AlVG normierte Bindungswirkung von Bescheiden bzw. Gerichtsurteilen ausschließlich auf den Spruch beziehe oder ob eine derartige Entscheidung ausnahmsweise in ihrer Gesamtheit - also auch unter Berücksichtigung der Begründung - dem Verfahren nach dem AlVG zugrunde zu legen sei. Soweit ersichtlich fehle dazu Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.

11 Gegen diese Erkenntnisse richten sich die vorliegenden Revisionen des AMS, die der Verwaltungsgerichtshof wegen ihres sachlichen und persönlichen Zusammenhangs zur gemeinsamen Beratung und Beschlussfassung verbunden hat.

Der Verwaltungsgerichtshof hat nach Durchführung der Vorverfahren durch das Bundesverwaltungsgericht, in denen die Mitbeteiligte jeweils eine Revisionsbeantwortung erstattet hat, erwogen:

12 1. Die Revisionen sind zulässig. Sowohl das Bundesverwaltungsgericht als auch die Revisionen werfen (mit unterschiedlichen Akzentuierungen) als Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung die Frage nach den Grenzen der Bindungswirkung eines Bescheides oder Urteils, mit dem eine vorübergehende Berufsunfähigkeit festgestellt wird, auf. Zu dieser Frage gibt es bisher keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes.

13 2. Gemäß § 8 Abs. 1 AlVG ist arbeitsfähig, wer nicht invalid und nicht berufsunfähig im Sinn des ASVG ist. Arbeitsfähig ist jedenfalls nicht, wer eine Leistung aus dem Versicherungsfall der geminderten Arbeitsfähigkeit oder der Erwerbsunfähigkeit bezieht. Arbeitsfähig ist weiters nicht, wer die Anspruchsvoraussetzungen für eine derartige Leistung erfüllt.

14 Gemäß § 8 Abs. 3 AlVG hat das AMS Bescheide der Pensionsversicherungsträger und Gutachten des Kompetenzzentrums Begutachtung der Pensionsversicherungsanstalt zur Beurteilung der Arbeitsfähigkeit anzuerkennen und seiner weiteren Tätigkeit zu Grunde zu legen.

15 Die §§ 270b bis 273b ASVG in der im vorliegenden Fall maßgeblichen Fassung vor der Novelle BGBl. I Nr. 29/2017 (durch diese Novelle erfolgten - für die Lösung der hier zu beantwortenden Rechtsfragen nicht wesentliche - Änderungen der §§ 271 Abs. 1 Z 2 und 273a ASVG) lauten auszugsweise:

"§ 270b. (1) Personen, für die bescheidmäßig festgestellt wurde, dass vorübergehende Berufsunfähigkeit im Sinne des § 273 Abs. 1 oder 2 im Ausmaß von zumindest sechs Monaten vorliegt, haben Anspruch auf medizinische Maßnahmen der Rehabilitation (§ 302 Abs. 1), wenn dies zur Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit notwendig und infolge des Gesundheitszustandes zweckmäßig ist.

§ 271. (1) Anspruch auf Berufsunfähigkeitspension hat der (die) Versicherte, wenn

1. die Berufsunfähigkeit (§ 273) auf Grund des körperlichen oder geistigen Zustandes voraussichtlich dauerhaft vorliegt,

2. berufliche Maßnahmen der Rehabilitation bezogen auf das Berufsfeld nach § 222 Abs. 3 nicht zweckmäßig (§ 303 Abs. 3) oder nicht zumutbar (§ 303 Abs. 4) sind,

  1. ...

  2. ...

  3. ...

§ 273. (1) Als berufsunfähig gilt die versicherte Person, deren Arbeitsfähigkeit infolge ihres körperlichen oder geistigen Zustandes auf weniger als die Hälfte derjenigen einer körperlich und geistig gesunden versicherten Person von ähnlicher Ausbildung und gleichwertigen Kenntnissen und Fähigkeiten herabgesunken ist, wenn innerhalb der letzten 15 Jahre vor dem Stichtag (§ 223 Abs. 2) in zumindest 90 Pflichtversicherungsmonaten eine Erwerbstätigkeit als Angestellte/r oder nach § 255 Abs. 1 ausgeübt wurde. § 255 Abs. 2 dritter und vierter Satz sowie Abs. 2a sind anzuwenden.

(2) Liegen die Voraussetzungen nach Abs. 1 nicht vor, so gilt die versicherte Person auch dann als berufsunfähig, wenn sie infolge ihres körperlichen oder geistigen Zustandes nicht mehr imstande ist, durch eine Tätigkeit, die auf dem Arbeitsmarkt noch bewertet wird und die ihr unter billiger Berücksichtigung der von ihr ausgeübten Tätigkeiten zugemutet werden kann, wenigstens die Hälfte des Entgeltes zu erwerben, das eine körperlich und geistig gesunde versicherte Person regelmäßig durch eine solche Tätigkeit zu erzielen pflegt.

...

§ 273a. Die versicherte Person ist ausschließlich zum Zweck der Prüfung der Durchführbarkeit von medizinischen oder beruflichen Maßnahmen der Rehabilitation berechtigt, vor Stellung eines Antrages auf Pension einen gesonderten Antrag auf Feststellung zu stellen, ob Berufsunfähigkeit im Sinne des § 273 Abs. 1 oder im Sinne des § 273 Abs. 2 voraussichtlich dauerhaft vorliegt. Über diesen Antrag hat der Versicherungsträger in einem gesonderten Verfahren (§ 354 Z 4a) zu entscheiden.

§ 273b. Anspruch auf Rehabilitationsgeld hat die versicherte Person, wenn vorübergehende Berufsunfähigkeit voraussichtlich im Ausmaß von zumindest sechs Monaten und die Voraussetzungen nach § 271 Abs. 1 Z 2 bis 4 vorliegen. Der Pensionsversicherungsträger hat über das Vorliegen dieser Voraussetzungen auf Grund eines Antrages nach § 361 Abs. 1 letzter Satz mit gesondertem Feststellungsbescheid zu entscheiden."

16 Gemäß § 367 Abs. 4 ASVG (in der Fassung vor der Novelle BGBl. I Nr. 29/2017) hat der Versicherungsträger von Amts wegen festzustellen, ob Invalidität (Berufsunfähigkeit) im Sinn des § 255 Abs. 1 und 2 (§ 273 Abs. 1) ASVG oder im Sinn des § 255 Abs. 3 (§ 273 Abs. 2) ASVG vorliegt und wann sie eingetreten ist (§ 223 Abs. 1 Z 2 lit. a ASVG) sowie ob die Invalidität (Berufsunfähigkeit) voraussichtlich mindestens sechs Monate andauern wird, wenn nach § 255a (§ 273a, § 280a) ASVG festgestellt wird, dass die Invalidität (Berufsunfähigkeit) voraussichtlich nicht dauerhaft vorliegt. Nach der Rechtslage in der Fassung der genannten Novelle ist in einem solchen Fall außerdem festzustellen, ob ein Rechtsanspruch auf berufliche Maßnahmen der Rehabilitation nach § 253e (§ 270a, § 276e) ASVG besteht und für welches Berufsfeld die versicherte Person durch diese Maßnahmen qualifiziert werden kann.

17 3. Aus der Anknüpfung des § 8 Abs. 1 AlVG an die Invalidität bzw. Berufsunfähigkeit im Sinn des ASVG folgt, dass das AMS bei der Beurteilung der Arbeitsfähigkeit jedenfalls an eine positive rechtskräftige Feststellung der Invalidität bzw. Berufsunfähigkeit - als maßgebliche Vorfragenbeurteilung durch die PVA bzw. das Gericht - gebunden ist. Ebenso ist eine negative Feststellung der dauernden Invalidität bzw. Berufsunfähigkeit grundsätzlich bindend für das AMS.

18 Allerdings gibt es nach dem ASVG auch die Möglichkeit, bei Verneinung der dauernden Invalidität bzw. Berufsunfähigkeit eine bloß vorübergehende Invalidität bzw. Berufsunfähigkeit festzustellen. Auch eine solche vorübergehende Invalidität bzw. Berufsunfähigkeit bewirkt - solange sie vorliegt - Arbeitsunfähigkeit im Sinn des § 8 AlVG, und eine diesbezügliche rechtskräftige Feststellung durch den Pensionsversicherungsträger oder das Gericht ist im Verfahren nach § 8 AlVG ebenfalls bindend. Entgegen der Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts kann aus der Formulierung nach § 367 Abs. 4 Z 2 ASVG "im Ausmaß von voraussichtlich mindestens sechs Monaten" - die deswegen so getroffen wird, weil an diese Mindestdauer der Anspruch auf medizinische Rehabilitation nach § 253f bzw. § 270b ASVG und auf Rehabilitationsgeld nach § 255b bzw. § 273b ASVG anknüpft - nicht geschlossen werden, dass nach Ablauf von sechs Monaten jedenfalls nicht mehr vom Vorliegen einer Invalidität bzw. Berufsunfähigkeit auszugehen ist. Vielmehr besteht die Bindungswirkung einer entsprechenden Feststellung erst dann nicht mehr, wenn sich der ihr zugrunde liegende Sachverhalt wesentlich geändert hat, sodass (auf Antrag der versicherten Person oder - insbesondere auf Grund einer Überprüfung durch den Krankenversicherungsträger nach § 143a ASVG - von Amts wegen) auch eine anderslautende Feststellung getroffen werden könnte, ohne dass dem die entschiedene Sache entgegenstünde (vgl. zu den Grenzen der Bindungswirkung einer Vorfragenentscheidung Hengstschläger/Leeb, AVG § 38 Rz 23). Die dann vorzunehmende Neubeurteilung der Arbeitsfähigkeit hat wieder unter Einbeziehung des Kompetenzzentrums Begutachtung der Pensionsversicherungsanstalt gemäß § 8 Abs. 2 und 3 AlVG zu erfolgen.

19 Auf die Begründung kommt es für die Bindungswirkung einer rechtskräftigen Feststellung der (dauernden oder vorübergehenden) Invalidität bzw. Berufsunfähigkeit nicht an. Dass das AMS nach § 8 Abs. 3 AlVG Bescheide der Pensionsversicherungsträger und Gutachten des Kompetenzzentrums Begutachtung der Pensionsversicherungsanstalt zur Beurteilung der Arbeitsfähigkeit "anzuerkennen und seiner weiteren Tätigkeit zu Grunde zu legen" hat, kann - in Verbindung mit der tatbestandsmäßigen Anknüpfung in § 8 Abs. 1 AlVG - in Bezug auf rechtskräftige Bescheide und Gerichtsurteile nur bedeuten, dass ihre Rechtskraftwirkung zu beachten ist, die nach allgemeinen Grundsätzen durch den Inhalt des Spruchs bestimmt wird (vgl. dazu Hengstschläger/Leeb, AVG § 38 Rz 24). Nur in Bezug auf Gutachten kann nicht von einer strikten Bindungswirkung, sondern bloß von einer Verpflichtung zur vorrangigen Heranziehung im Verfahren nach dem AlVG ausgegangen werden (vgl. dazu etwa , VwSlg. 18.592 A).

20 Im vorliegenden Fall wurde in Bezug auf die Mitbeteiligte zum einen gemäß § 273a ASVG festgestellt, dass dauernde Berufsunfähigkeit nicht vorliege, und zum anderen gemäß § 367 Abs. 4 ASVG festgestellt, dass eine vorübergehende Berufsunfähigkeit im Ausmaß von voraussichtlich mindestens sechs Monaten vorliege. Diese Feststellung war nach der Aktenlage und den Feststellungen des Bundesverwaltungsgerichts nach wie vor aufrecht. Sie entfaltete daher Bindungswirkung, es sei denn, der maßgebliche Sachverhalt hätte sich in entscheidungswesentlichen Punkten geändert. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht aber nicht festgestellt (und wurde auch im Verfahren nicht behauptet). Es hätte folglich - auf Basis seiner Feststellungen - die Arbeitsfähigkeit im Sinn des § 8 AlVG verneinen müssen, sodass die Einstellung des Arbeitslosengeldes als rechtmäßig zu beurteilen gewesen wäre.

21 4. Die angefochtenen Erkenntnisse waren daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufzuheben.

Wien, am

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Schlagworte:
Individuelle Normen und Parteienrechte Rechtswirkungen von Bescheiden Rechtskraft VwRallg9/3

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