VwGH vom 23.05.2019, Ro 2017/07/0012

VwGH vom 23.05.2019, Ro 2017/07/0012

Betreff



Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Beck sowie die Hofrätin Dr. Hinterwirth und die Hofräte Dr. N. Bachler, Dr. Lukasser und Mag. Haunold als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Klima, LL.M., über die Revision des Bundesministers für Kunst und Kultur, Verfassung und Medien gegen den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom , W127 2007978-1/4E, betreffend Zugang zu Dokumenten in EU-Vertragsverletzungsverfahren im Umweltbereich (mitbeteiligte Partei: A in W), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1 Mit Bescheid des Revisionswerbers vom wurde der Antrag der mitbeteiligten Partei, eines Vereins mit Sitz in T, vom auf Zugang zu Informationen in den von der Europäischen Kommission gegen die Republik Österreich eingeleiteten Vertragsverletzungsverfahren Nr. 13/0205, 13/4077 und 13/4018 gemäß § 2 Z 3 und § 6 Abs. 2 Z 7 in Verbindung mit § 8 Abs. 1 Umweltinformationsgesetz (UIG) abgewiesen.

2 Wie einer im Akt aufliegenden Aufstellung zu entnehmen ist, betrifft das Vertragsverletzungsverfahren Nr. 13/0205 die Richtlinie 2011/97/EU des Rates vom zur Änderung der Richtlinie 1999/31/EG im Hinblick auf spezifische Kriterien für die Lagerung von als Abfall betrachtetem metallischem Quecksilber. Das Vertragsverletzungsverfahren Nr. 13/4077 betrifft die Anwendung der Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen. Das Vertragsverletzungsverfahren Nr. 13/4018 betrifft die Anwendung der Richtlinie 2000/60/EG (Wasserrahmenrichtlinie; Verfahren "Schwarze Sulm"). 3 Begründend führte der Revisionswerber in seinem Bescheid vom aus, mit an das Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft gerichtetem Schreiben vom habe der Geschäftsführer des Ö "im Namen (der mitbeteiligten Partei), einem europäischen Umweltrechtsnetzwerk", dem das Ö als Mitglied angehöre, Zugang zu Informationen in den genannten, eingeleiteten Vertragsverletzungsverfahren begehrt. Konkret sei um die Übermittlung der anonymisierten Beschwerdeschrift, ferner des Schreibens, mit dem die Europäische Kommission die Republik Österreich aufgefordert habe, zu dem aufgetretenen Problem Stellung zu nehmen, sowie des darauf bezugnehmenden Antwortschreibens der Republik Österreich ersucht worden.

4 Nach der zuständigkeitshalber erfolgten Weiterleitung an den Revisionswerber habe dieser mit Schreiben vom mitgeteilt, dass dem Begehren nicht entsprochen werden könne, weil es sich bei den betreffenden Dokumenten um keine Umweltinformationen im Sinne des UIG handle und weil sie mit laufenden, noch nicht abgeschlossenen Vertragsverletzungsverfahren in Zusammenhang stünden.

5 Mit Eingabe vom sei die Ausstellung eines Bescheides gemäß § 8 UIG über die Tatsache beantragt worden, dass die mit Schreiben vom angefragten Informationen nicht zur Verfügung gestellt worden seien.

6 In den Erwägungen seines Bescheides vom hielt der Revisionswerber zur Abweisung des Antrages mit näheren Ausführungen fest, dass die begehrten Dokumente keine Umweltinformationen im Sinne des § 2 UIG darstellten. Zudem gewähre das UIG lediglich den Zugang zu Umweltinformationen im Sinne des § 2 UIG, nicht aber ein Recht auf Einsicht in bestimmte Dokumente oder Verfahrensakte. Selbst wenn die begehrten Dokumente als Umweltinformationen charakterisiert werden könnten, hätte deren Mitteilung aufgrund der Mitteilungsschranke nach § 6 Abs. 2 Z 7 UIG zu unterbleiben. Dieser Mitteilungsschranke unterlägen auch vorprozessuale Verfahren im Rahmen eines Vertragsverletzungsverfahrens. In Bezug auf die Mahnschreiben der Europäischen Kommission in den drei getrennt laufenden Vertragsverletzungsverfahren sei zudem darauf hinzuweisen, dass diese den Bestimmungen der Verordnung (EG) Nr. 1049/2001 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission (Transparenzverordnung) unterlägen. Nach Art. 4 Abs. 2 zweiter und dritter Spiegelstrich der Transparenzverordnung sei bei laufenden Vertragsverletzungsverfahren kein Dokumentenzugang - insbesondere zu Mahnschreiben der Europäischen Kommission - zu gewähren. Diese Auffassung sei durch die Rechtsprechung des EuG und des EuGH bestätigt worden.

7 Mit Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts (BVwG) vom wurde der von der mitbeteiligten Partei gegen den Bescheid vom erhobenen Beschwerde stattgegeben, der bekämpfte Bescheid behoben und die Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverwiesen.

8 Zur Frage, ob die begehrten Dokumente dem Begriff "Umweltinformationen" zu subsumieren seien, nahm das BVwG in seinen Erwägungen zunächst Bezug auf Bestimmungen der Verordnung (EG) Nr. 1367/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom über die Anwendung der Bestimmungen des Übereinkommens von Aarhus über den Zugang zu Informationen, die Öffentlichkeitsbeteiligung an Entscheidungsverfahren und den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten auf Organe und Einrichtungen der Gemeinschaft (Aarhus-Verordnung), ferner der Richtlinie 2003/4/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über den Zugang der Öffentlichkeit zu Umweltinformationen und zur Aufhebung der Richtlinie 90/313/EWG (Umweltinformations-Richtlinie) sowie des UIG.

9 Der Verwaltungsgerichtshof habe in seinem Erkenntnis vom (Anmerkung: gemeint ist wohl das Erkenntnis 2013/07/0081) ausgesprochen, dass im Sinne des weiten Umweltinformationsbegriffes und der Zielrichtung der Umweltinformations-RL, wonach die Bekanntgabe von Informationen der Regelfall sein sollte, davon auszugehen sei, dass bereits die Möglichkeit einer faktischen Einflusswirkung ausreichend sei, um der im dortigen Fall gegenständlichen Stellungnahme der Behörde nach § 4 Abs. 2 UVP-G 2000 die grundsätzliche Eignung als Umweltinformation zuzusprechen. Nach der Zitierung von Judikatur des deutschen Bundesverwaltungsgerichts führte das BVwG aus, auch im P und C- 605/11 P, LPN und Finnland/Kommission, in dem es um die Gewährung des Zugangs zu Dokumenten der Akte eines gegen die Portugiesische Republik eingeleiteten Vertragsverletzungsverfahrens gegangen sei, habe sich dieser ausschließlich mit der Prüfung befasst, ob ein Ausschließungsgrund betreffend den Informationszugang vorliege. Daher - so das BVwG - sei davon auszugehen, dass Dokumente, welche ein Vertragsverletzungsverfahren einleiteten, und die Stellungnahme des betroffenen Mitgliedstaates jedenfalls als Umweltinformationen im Sinne der gesetzlichen Bestimmungen gälten. 10 Zur Frage des Zugangs zu den Dokumenten im Vertragsverletzungsverfahren führte das BVwG aus, im Hinblick auf Art. 5 der Transparenzverordnung hätte der Revisionswerber entweder eine Anfrage an die Europäische Kommission stellen müssen, ob das Aufforderungsschreiben der Europäischen Kommission an die Republik Österreich verbreitet werden dürfe, oder die diesbezügliche Anfrage an die Europäische Kommission weiterleiten müssen.

11 Im Zusammenhang mit der im Bescheid des Revisionswerbers hervorgehobenen Mitteilungsschranke nach § 6 Abs. 2 Z 7 UIG und nach Art. 4 Abs. 2 zweiter und dritter Spiegelstrich der Transparenzverordnung verwies das BVwG erneut auf das P und C-605/11 P. Darin habe der EuGH ausgesprochen, dass die allgemeine Vermutung, wonach die Verbreitung der Dokumente zu einem Vertragsverletzungsverfahren während des zugehörigen Vorverfahrens den Charakter dieses Verfahrens verändern und dessen Ablauf beeinträchtigen könnte und somit durch diese Verbreitung der Schutz des Zwecks der Untersuchungstätigkeiten im Sinne von Art. 4 Abs. 2 dritter Spiegelstrich der Transparenzverordnung grundsätzlich beeinträchtigt würde, nicht die Möglichkeit ausschließe darzulegen, dass die Vermutung für ein bestimmtes Dokument, um dessen Verbreitung ersucht werde, nicht gelte, oder dass gemäß Art. 4 Abs. 2 der Transparenzverordnung ein überwiegendes öffentliches Interesse an der Verbreitung des betreffenden Dokuments bestehe.

12 Da der Revisionswerber weder die Europäische Kommission konsultiert, noch das verfahrensgegenständliche Begehren an diese weitergeleitet habe, erweise sich der angefochtene Bescheid als rechtswidrig. Der Revisionswerber habe daher im weiteren Verfahren hinsichtlich der Dokumente der Europäischen Kommission wie beschrieben vorzugehen, wobei auch die anonymisierte Beschwerdeschrift einzubeziehen sei, zumal Art. 4 Abs. 4 der Transparenzverordnung vorsehe, dass die Europäische Kommission bezüglich Dokumente Dritter diese zu konsultieren habe. Anzumerken sei, dass Art. 5 der Transparenzverordnung sowohl hinsichtlich bereits abgeschlossener als auch noch offener Verfahren Geltung habe.

13 Der Ausgang der Konsultation der Europäischen Kommission durch den Revisionswerber habe aber auch Wirkungen auf die Beurteilung der Weitergabe der Informationen betreffend die Stellungnahmen der Republik Österreich im jeweiligen Vertragsverletzungsverfahren. Aufgrund der Bedeutsamkeit einer loyalen Zusammenarbeit zwischen der Kommission und dem Mitgliedstaat (Verweis auf , Schweden/Kommission) werde der Revisionswerber erst nach Antwort der Europäischen Kommission entscheiden können, ob er die Stellungnahmen als Ganzes oder nur Teile daraus (insbesondere wenn aus den anderen Dokumenten zitiert worden sei) weitergeben könne, bzw. eine Prüfung der Mitteilungsschranken und Ablehnungsgründe nach § 6 UIG unter Einbeziehung der Umweltinformations-RL und der Aarhus-Verordnung vorzunehmen haben.

14 Zur mit dem angefochtenen Beschluss ausgesprochenen Zurückverweisung der Angelegenheit an den Revisionswerber führte das BVwG aus, der Revisionswerber habe es unterlassen, entsprechend den unionsrechtlichen Vorgaben die Europäische Kommission zu konsultieren. Vor diesem Hintergrund verbunden mit der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sei es im gegenständlichen Fall geboten gewesen, die Entscheidung an den Revisionswerber zurückzuverweisen.

15 Der Vollständigkeit halber werde angemerkt, dass der Verwaltungsgerichtshof mit Erkenntnis vom , Ra 2015/03/0038, ausgesprochen habe, dass - bezogen auf das Wiener Auskunftspflichtgesetz - eine Auskunft selbst nicht Gegenstand des in der Sache zu treffenden Spruchs des Erkenntnisses eines Verwaltungsgerichtes sein könne. Das Verwaltungsgericht könne lediglich einen (feststellenden) Ausspruch treffen, ob die belangte Behörde eine Auskunft zu Unrecht verweigert habe oder nicht.

16 Das BVwG ließ die Revision an den Verwaltungsgerichtshof mit der Begründung zu, dass noch keine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage der Weitergabe von Umweltinformationen aus Vertragsverletzungsverfahren, insbesondere der erforderlichen Konsultation der Europäischen Kommission, vorliege.

17 Gegen diesen Beschluss richtet sich die vorliegende Amtsrevision wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes und Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften. 18 Die mitbeteiligte Partei beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung die Abweisung der Revision.

19 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

20 Zur Frage des Zugangs zu Dokumenten, etwa der Europäischen

Kommission in einem Vertragsverletzungsverfahren, existiert bereits Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes (vgl. ). Die Revision erweist sich, weil das BVwG von dieser Judikatur abgewichen ist und aufgrund der in der Zulässigkeitsbegründung der Revision unter anderem aufgeworfenen Fragen, ob es entsprechend der einschlägigen Rechtsprechung der Europäischen Gerichte klar im Sinne des Art. 5 der Verordnung Nr. 1049/2001 sei, dass Schreiben der Kommission aus laufenden Vertragsverletzungsverfahren, nicht verbreitet und somit auch ohne vorherige Konsultation derselben von der zuständigen mitgliedstaatlichen Behörde zurückbehalten werden dürften und ob das BVwG nicht selbst die Kommission nach Art. 5 der Verordnung Nr. 1049/2001 konsultieren hätte müssen (womit im Ergebnis die Zurückverweisung der Angelegenheit an den Revisionswerber bemängelt wird), als zulässig. Sie ist im Ergebnis auch berechtigt.

21 Der Revisionswerber bringt vor, nach gefestigter Rechtsprechung der Europäischen Gerichte bestehe bei laufenden Vertragsverletzungsverfahren auf der Grundlage des Art. 4 Abs. 2 zweiter bzw. dritter Spiegelstrich der Verordnung Nr. 1049/2001 (Transparenzverordnung) eine allgemeine Vermutung für die Nichtveröffentlichung der damit zusammenhängenden Unterlagen. Die Tragweite der allgemeinen Vermutung gelte zwar nicht unbegrenzt, die "Relativierung" der allgemeinen Vermutung sei für das gegenständliche Verfahren allerdings unerheblich, zumal eine entsprechende Darlegung durch die mitbeteiligte Partei nicht erfolgt sei. Es liege kein überwiegendes öffentliches Interesse an der Verbreitung der gegenständlichen Dokumente vor (wird näher ausgeführt). Ferner bringt der Revisionswerber unter dem Gesichtspunkt der Verletzung von Verfahrensvorschriften vor, die gesetzlichen Voraussetzungen für die Zurückverweisung der Angelegenheit an den Revisionswerber durch das BVwG seien nicht vorgelegen.

22 Der Verwaltungsgerichtshof hat zu § 28 VwGVG festgehalten, dass dem Verwaltungsgericht sowohl in den in Art. 130 Abs. 4 B-VG vorgesehenen und in § 28 Abs. 2 VwGVG genannten, als auch in den von § 28 Abs. 3 erster Satz VwGVG erfassten Fällen (kein Widerspruch durch die Verwaltungsbehörde gegen eine Entscheidung in der Sache), in denen § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG eingreift, eine kassatorische Entscheidung nicht offen steht. Der Verwaltungsgerichtshof hat weiters ausgeführt, dass das Verwaltungsgericht nachvollziehbar zu begründen hat, weshalb es keine meritorische Entscheidungskompetenz annehme (vgl. etwa , mwN).

23 Das BVwG begründete im angefochtenen Beschluss die Behebung des erstinstanzlichen Bescheides und die Zurückverweisung der Angelegenheit an den Revisionswerber damit, dass dieser es unterlassen habe, entsprechend den unionsrechtlichen Vorgaben (offenkundig sind hier die Bestimmungen der Transparenzverordnung angesprochen) die Europäische Kommission zu konsultieren. 24 Art. 4 und Art. 5 der Verordnung Nr. 1049/2001 (Transparenzverordnung) lauten auszugsweise:

"Artikel 4

Ausnahmeregelung

(1) (...)

(2) Die Organe verweigern den Zugang zu einem Dokument, durch dessen Verbreitung Folgendes beeinträchtigt würde:

  • der Schutz der geschäftlichen Interessen einer natürlichen oder juristischen Person, einschließlich des geistigen Eigentums,

  • der Schutz von Gerichtsverfahren und der Rechtsberatung,

  • der Schutz des Zwecks von Inspektions-, Untersuchungs- und Audittätigkeiten,

  • es sei denn, es besteht ein überwiegendes öffentliches Interesse an der Verbreitung.

(3) (...)

(4) Bezüglich Dokumente Dritter konsultiert das Organ diese, um zu beurteilen, ob eine der Ausnahmeregelungen der Absätze 1 oder 2 anwendbar ist, es sei denn, es ist klar, dass das Dokument verbreitet werden muss bzw. nicht verbreitet werden darf.

(5) Ein Mitgliedstaat kann das Organ ersuchen, ein aus diesem Mitgliedstaat stammendes Dokument nicht ohne seine vorherige Zustimmung zu verbreiten.

(6) Wenn nur Teile des angeforderten Dokuments einer der Ausnahmen unterliegen, werden die übrigen Teile des Dokuments freigegeben.

(7) Die Ausnahmen gemäß den Absätzen 1 bis 3 gelten nur für den Zeitraum, in dem der Schutz aufgrund des Inhalts des Dokuments gerechtfertigt ist. Die Ausnahmen gelten höchstens für einen Zeitraum von 30 Jahren. Im Falle von Dokumenten, die unter die Ausnahmeregelungen bezüglich der Privatsphäre oder der geschäftlichen Interessen fallen, und im Falle von sensiblen Dokumenten können die Ausnahmen erforderlichenfalls nach Ablauf dieses Zeitraums weiter Anwendung finden.

Artikel 5

Dokumente in den Mitgliedstaaten

Geht einem Mitgliedstaat ein Antrag auf ein in seinem Besitz befindliches Dokument zu, das von einem Organ stammt, so konsultiert der Mitgliedstaat - es sei denn, es ist klar, dass das Dokument verbreitet werden muss bzw. nicht verbreitet werden darf -

das betreffende Organ, um eine Entscheidung zu treffen, die die Verwirklichung der Ziele dieser Verordnung nicht beeinträchtigt.

Der Mitgliedstaat kann den Antrag stattdessen an das Organ weiterleiten."

25 Unstrittig handelt es sich bei den hier in Rede stehenden Dokumenten um im Rahmen von gegen Österreich anhängigen Vertragsverletzungsverfahren ergangene Dokumente.

26 Soweit der verfahrenseinleitende Antrag der mitbeteiligten Partei auf das (jeweilige) Aufforderungsschreiben der Europäischen Kommission abzielte, ist Art. 5 der Verordnung Nr. 1049/2001 (Transparenzverordnung) zu beachten. Nach dieser Bestimmung konsultiert der Mitgliedstaat, dem ein Antrag auf ein in seinem Besitz befindliches Dokument zugeht, das von einem Organ (Anmerkung: zu den Organen im Sinne der Transparenzverordnung zählt gemäß Art. 1 lit. a leg. cit. unter anderem die Kommission) stammt, das betreffende Organ, um eine Entscheidung zu treffen, die die Verwirklichung der Ziele dieser Verordnung nicht beeinträchtigt, es sei denn, es ist klar, dass das Dokument verbreitet werden muss bzw. nicht verbreitet werden darf. Der Mitgliedstaat kann den Antrag stattdessen an das Organ weiterleiten.

27 In dem bereits zitierten hg. Erkenntnis vom , Ro 2015/10/0027, war (ebenso) über die Frage des Zugangs zu einem im Rahmen des gegen Österreich zur Zl. 2013/4077 anhängigen Vertragsverletzungsverfahrens ergangenen Dokument der Europäischen Kommission zu befinden. Wie der Verwaltungsgerichtshof in diesem Erkenntnis hervorhob, hat der EuGH in seinem Urteil vom , C-514/11 P und C- 605/11 P, LPN und Finnland/Kommission, entschieden, dass Dokumente zu einem Vertragsverletzungsverfahren während des Vorverfahrens von der allgemeinen Vertraulichkeitsvermutung erfasst werden können und dass "vermutet werden (kann), dass die Verbreitung der Dokumente zu einem Vertragsverletzungsverfahren während des zugehörigen Vorverfahrens den Charakter dieses Verfahrens verändern und dessen Ablauf beeinträchtigen könnte und dass somit durch diese Verbreitung der Schutz des Zwecks der Untersuchungstätigkeiten im Sinne von Art. 4 Abs. 2 dritter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1049/2001 grundsätzlich beeinträchtigt würde". Diese allgemeine Vermutung schließt nicht die Möglichkeit aus darzulegen, dass die Vermutung für ein bestimmtes Dokument, um dessen Verbreitung ersucht wird, nicht gilt oder dass gemäß Art. 4 Abs. 2 letzter Halbsatz der Verordnung Nr. 1049/2001 ein überwiegendes öffentliches Interesse an der Verbreitung des betreffenden Dokuments besteht. Derjenige, der das Bestehen eines überwiegenden öffentlichen Interesses geltend macht, muss konkrete Umstände anführen, die eine Verbreitung der betroffenen Dokumente rechtfertigen; rein allgemeine Erwägungen reichen nicht aus, um darzutun, dass ein öffentliches Interesse schwerer wiegt als die Gründe für die Verweigerung der Freigabe der fraglichen Dokumente (vgl. LPN und Finnland/Kommission, Rn. 65, 66, 93 und 94; siehe auch Schweden/Kommission, C-562/14 P, Rn. 40, 46 und 56). 28 Das BVwG legte im angefochtenen Beschluss nicht dar, weshalb die - hier unter anderem in Rede stehende, (jeweils) unstrittig im Rahmen des Vorverfahrens zu einem Vertragsverletzungsverfahren ergangenen - Schreiben der Kommission nicht von der allgemeinen Vertraulichkeitsvermutung erfasst sein sollten.

29 Ohne eine derartige Beurteilung kann allerdings nicht gesagt werden, es sei im Sinne des Art. 5 der Verordnung Nr. 1049/2001 nicht klar, dass das betreffende Dokument nicht verbreitet werden dürfe, lässt sich der genannten Rechtsprechung des EuGH doch unmissverständlich entnehmen, dass demjenigen, der das Bestehen eines überwiegenden öffentlichen Interesses im Sinne von Art. 4 Abs. 2 letzter Halbsatz der Verordnung Nr. 1049/2001 geltend macht, insofern die Beweislast auferlegt ist (vgl. Schweden/Kommission, Rn. 55 ff).

30 Ob die mitbeteiligte Partei (deren verfahrenseinleitender Antrag vom in den dem Verwaltungsgerichtshof übermittelten Aktenunterlagen nicht aufliegt) im Verfahren überhaupt näher begründend das Bestehen eines überwiegenden öffentlichen Interesses an der Verbreitung im Sinne von Art. 4 Abs. 2 letzter Halbsatz der Verordnung Nr. 1049/2001 geltend machte, kann nicht abschließend beurteilt werden. Lediglich dann, wenn das BVwG vom Gelingen dieses Nachweises auszugehen gehabt hätte, wäre im Sinne des Art. 5 der Verordnung Nr. 1049/2001 nicht klar, dass das betreffende Dokument nicht verbreitet werden darf, sodass der in Art. 5 leg. cit. vorgesehene Konsultationsmechanismus ausgelöst werden müsste (). Dies hat das Verwaltungsgericht verkannt. 31 In der Revision wird aber auch darauf hingewiesen (vgl. auch die im Akt aufliegende tabellarische Aufstellung betreffend Vertragsverletzungsverfahren gegen Österreich), dass von den drei in Rede stehenden Vertragsverletzungsverfahren das Verfahren Nr. 13/4018 mit C- 346/14, Kommission/Österreich, entschieden und das Verfahren Nr. 13/0205 mit Beschluss der Europäischen Kommission vom eingestellt worden seien. Legt man dieses Vorbringen zugrunde, sind sowohl die genannte Entscheidung des EuGH als auch die Einstellung des anderen Verfahrens somit bereits zeitlich vor der Erlassung des angefochtenen Beschlusses des BVwG vom erfolgt.

32 Feststellungen dazu finden sich im angefochtenen Beschluss nicht. Das genannte Vorbringen ist aber deshalb beachtlich, weil nach der Judikatur des EuGH die Prüfung, ob das Bestehen einer allgemeinen Vermutung anzuerkennen sei, wonach unter solchen Umständen die Verbreitung der Dokumente zu einem Vertragsverletzungsverfahren im Stadium des Vorverfahrens den Schutz des Zwecks einer Untersuchungstätigkeit beeinträchtigen würde, davon abhängig gemacht wird, dass der "Antrag gestellt wurde, als sich das Vertragsverletzungsverfahren noch im Stadium des Vorverfahrens befand, und dass dieses Verfahren zum Zeitpunkt des Erlasses der streitigen Entscheidung weder von der Kommission eingestellt noch beim Gerichtshof anhängig gemacht worden war" ( LPN und Finnland/Kommission, Rn. 50, 51; vgl. auch P, Schweden/Kommission, Rn. 45 und 50).

33 Dies spricht - im Zusammenhang mit den beiden erwähnten, im Zeitpunkt der Erlassung des angefochtenen Beschlusses des BVwG bereits abgeschlossenen bzw. eingestellten Vertragsverletzungsverfahren - jedoch gegen die Annahme der allgemeinen Vertraulichkeitsvermutung im Sinne der zitierten Judikatur, soweit die Herausgabe des Schreibens der Europäischen Kommission (und wohl auch der anonymisierten Beschwerdeschrift) begehrt wurde. Auch in diesen Fällen wäre aber vor einer Konsultation der Europäischen Kommission im Sinne des Art. 5 der Verordnung Nr. 1049/2001 zunächst zu beurteilen gewesen, ob es klar ist, dass das Dokument verbreitet werden muss bzw. nicht verbreitet werden darf, weil vom Ergebnis dieser Beurteilung die Auslösung des Konsultationsmechanismus abhängt. Eine entsprechende Beurteilung hat das BVwG jedoch nicht vorgenommen.

34 Die allein mit der Begründung einer notwendigen Konsultation erfolgte Zurückverweisung der Angelegenheit an den Revisionswerber durch das BVwG erweist sich daher auch unter diesem Aspekt als rechtswidrig. Auf die Frage, ob der genannte Konsultationsmechanismus, sollte er sich als notwendig erweisen, für sich genommen einen Grund für eine Zurückverweisung gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG darstellen könnte, war daher nicht mehr einzugehen.

35 Hinsichtlich der begehrten Herausgabe der Stellungnahmen der Republik Österreich in den jeweiligen Vertragsverletzungsverfah ren legte das BVwG seiner Beurteilung zugrunde, erst nach der Antwort der Europäischen Kommission werde der Revisionswerber eine Entscheidung darüber, ob diese Stellungnahmen der Republik Österreich als Ganzes oder nur in Teilen weitergegeben werden könnten, treffen können bzw. eine Prüfung der Mitteilungsschranken und Ablehnungsgründe nach § 6 UIG unter Einbeziehung der Umweltinformations-RL und der Aarhus-Verordnung vorzunehmen haben. 36 Der Fall, in dem einer Behörde eines Mitgliedstaates ein Antrag auf Zugang zu einer von diesem Mitgliedstaat in einem Vertragsverletzungsverfahren abgegebenen Stellungnahme zugeht, ist in Art. 4 und Art. 5 der Transparenzverordnung nicht geregelt (Art. 4 Abs. 4 der Verordnung betrifft nur die Vorgehensweise im Falle eines entsprechenden, einem Organ im Sinne der Verordnung zugegangenen Antrages).

37 Im 15. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1049/2001 heißt es jedoch, dass "(d)iese Verordnung (...) weder auf eine Änderung des Rechts der Mitgliedstaaten über den Zugang zu Dokumenten ab(zielt), noch bewirkt sie eine solche Änderung; es versteht sich jedoch von selbst, dass die Mitgliedstaaten aufgrund des Prinzips der loyalen Zusammenarbeit, das für die Beziehungen zwischen den Organen und den Mitgliedstaaten gilt, dafür sorgen sollten, dass sie die ordnungsgemäße Anwendung dieser Verordnung nicht beeinträchtigen, und dass sie die Sicherheitsbestimmungen der Organe beachten sollten."

38 Käme die Beurteilung nach der Transparenzverordnung zum Ergebnis, dass der Zugang zu den in den Vertragsverletzungsverfahre n ergangenen Schreiben der Europäischen Kommission (und zu den anonymisierten Beschwerdeschriften) zu verweigern sei, dann dürften demnach auch die dazu abgegebenen Stellungnahmen der Republik Österreich nur dann bzw. insoweit zugänglich gemacht werden, als die ordnungsgemäße Anwendung der Verordnung Nr. 1049/2001 (die gegebenenfalls in der Verweigerung des Zugangs zu den Schreiben der Kommission und den anonymisierten Beschwerdeschriften zum Ausdruck käme) nicht beeinträchtigt wird. 39 Für dieses Ergebnis spricht auch der Umstand, dass der EuGH bei der Beurteilung der Verweigerung des Zugangs zu Dokumenten auf Dokumente, die "in den Akten des Vertragsverletzungsverfahrens enthalten sind" ( LPN und Finnland/Kommission, Rn. 50) bzw. - in vergleichbaren Rechtssachen - auf die "Gesamtheit von Dokumenten, die durch ihre Zugehörigkeit zu einer Akte zu einem noch anhängigen Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren klar umschrieben waren" ( ClientEarth/Kommission, C- 612/13 P), abstellt und diese Dokumente gleich behandelt. 40 Im vorliegenden Fall sind auch die im angefochtenen Beschluss genannten Sonderregelungen im Umweltrecht in den Blick zu nehmen. Das BVwG unterließ es - von der mitbeteiligten Partei unbekämpft - unter Verweis auf die von ihm zunächst für notwendig erachtete Konsultation der Europäischen Kommission und die deshalb vorgenommene Zurückverweisung der Angelegenheit an den Revisionswerber jedoch, eine Beurteilung auf der Grundlage der Aarhus-Verordnung, der Umweltinformations-RL und des UIG vorzunehmen. Deshalb und weil sich - wie dargelegt - bereits die Zurückverweisung der Angelegenheit gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG als rechtswidrig erweist, kann an dieser Stelle eine nähere Erörterung auf dem Boden der zitierten Rechtsvorschriften des Umweltbereiches unterbleiben.

41 Der angefochtene Beschluss erweist sich aus den angeführten Gründen als inhaltlich rechtswidrig, weshalb er gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG aufzuheben war.

Wien, am

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ECLI:
ECLI:AT:VWGH:2019:RO2017070012.J00

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