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VwGH vom 17.10.2016, Ro 2016/22/0007

VwGH vom 17.10.2016, Ro 2016/22/0007

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Robl, Hofrätin Mag.a Merl sowie die Hofräte Dr. Mayr, Dr. Schwarz und Mag. Berger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Dr. Gruber, über die Revision der M A, vertreten durch Dr. Herbert Pochieser, Rechtsanwalt in 1070 Wien, Schottenfeldgasse 2-4/23, gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichtes Wien vom , VGW- 102/V/067/27400/2014-1, betreffend Maßnahmenbeschwerde in einer Angelegenheit nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), zu Recht erkannt:

Spruch

Der angefochtene Beschluss wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

1 Mit dem angefochtenen Beschluss wies das Verwaltungsgericht Wien die Maßnahmenbeschwerde der Revisionswerberin, einer Staatsangehörigen von Ghana, vom gemäß § 28 Abs. 6 in Verbindung mit § 31 Abs. 1 VwGVG zurück.

2 Das Verwaltungsgericht traf dabei folgende Feststellungen:

Die Revisionswerberin habe in der Beschwerde vorgebracht, dass ihr bei der Österreichischen Botschaft Abuja, Nigeria, am unter Vorlage aller Dokumente gestellter Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels als Familienangehörige gemäß § 46 Abs. 1 Z 2 NAG mit der Begründung nicht angenommen worden sei, dass sie erst alle Originaldokumente und nicht bloß Kopien davon vorlegen müsste, um einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels einreichen zu können. Ihren Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels habe die Revisionswerberin erst am einbringen können. Die Verweigerung ihrer Antragsannahme am erachte die Revisionswerberin als Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt. Das Verwaltungsgericht habe am die Beschwerde zuständigkeitshalber an das Bundesverwaltungsgericht mit dem Hinweis weitergeleitet, dass sich dessen Zuständigkeit aus Art. 131 Abs. 2 B-VG ergebe, weil sich die Beschwerde ihrem Vorbringen nach gegen ein der Österreichischen Botschaft Abuja zurechenbares Verhalten richte. Am habe das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde mit der Mitteilung retourniert, die Unzuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichtes resultiere daraus, dass kein Bescheid einer Vertretungsbehörde gemäß § 7 Abs. 1 Z 2 BFA-Verfahrensgesetz und auch keine Maßnahme nach dem in Z 3 leg. cit. genannten Hauptstück des Fremdenpolizeigesetzes 2005 vorliege, "wogegen die mit der gegenständlichen Beschwerde bekämpfte Maßnahme als Entscheidung im Sinn des § 3 Abs. 2 NAG anzusehen sei".

Mit Eingabe vom habe die Revisionswerberin bekanntgegeben, dass sie auf einer Entscheidung durch das Verwaltungsgericht Wien beharre.

3 In der rechtlichen Beurteilung führte das Verwaltungsgericht aus, dass die Bestimmung des § 3 Abs. 2 NAG bloß die Regelung der sachlichen Rechtsmittelbzw. Beschwerdezuständigkeit gegen Entscheidungen der im Inland sachlich zuständigen Niederlassungs- und Aufenthaltsbehörden zum Gegenstand habe und nicht, dass davon auch die von den im Ausland tätigen Berufsvertretungsbehörden getroffenen Entscheidungen erfasst würden. Diese Auslegung werde auch durch § 3 Abs. 3 NAG gestützt, wonach gegen Entscheidungen der Berufsvertretungsbehörden gemäß § 22 Abs. 2 NAG kein ordentliches Rechtsmittel zulässig sei.

Mangels einfachgesetzlicher Zuständigkeitsbestimmung sei die Frage der Zuständigkeit unmittelbar aufgrund des B-VG zu beurteilen. Gemäß Art. 131 Abs. 1 und Abs. 2 erster Satz B-VG sei das Bundesverwaltungsgericht in Rechtssachen in den Angelegenheiten der Vollziehung des Bundes zuständig, die unmittelbar von Bundesbehörden besorgt werden, es sei denn, dass gemäß Art. 131 Abs. 4 Z 1 B-VG bundesgesetzlich eine Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte der Länder vorgesehen sei und die Länder dazu ihre Zustimmung erteilt hätten.

Die österreichischen Botschaften bzw. Berufsvertretungsbehörden seien Organe des Bundes (Art. 10 Abs. 1 Z 2 B-VG) und würden daher funktionell und organisatorisch auf Grundlage ihrer im NAG festgelegten Zuständigkeiten in Besorgung der unmittelbaren Bundesverwaltung als Bundesbehörden einschreiten.

4 Weiters sprach das Verwaltungsgericht aus, dass die Erhebung einer Revision zulässig sei, weil Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu der Rechtsfrage fehle, ob das Bundesverwaltungsgericht oder die Verwaltungsgerichte der Länder zur Entscheidung über Beschwerden gegen die von den Berufsvertretungsbehörden im Ausland gesetzten Akte unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt sachlich zuständig seien.

5 Gegen dieses Erkenntnis erhob die Revisionswerberin zunächst Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof, der deren Behandlung mit Beschluss vom , E 984/2014-21, ablehnte und sie mit Beschluss vom , E 984/2014- 24, gemäß Art. 144 Abs. 3 B-VG dem Verwaltungsgerichtshof zur Entscheidung abtrat.

6 Die nunmehr vorliegende Revision moniert, dass die Entscheidung des Verwaltungsgerichtes bei der Beurteilung seiner (fehlenden) Zuständigkeit nicht mit dem Gesetz in Einklang gebracht werden könne.

7 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

8 Art. 130 und Art. 131 B-VG lauten auszugsweise:

"Artikel 130. (1) Die Verwaltungsgerichte erkennen über Beschwerden

(...)

2. gegen die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt wegen Rechtswidrigkeit;

(...)"

"Artikel 131. (1) Soweit sich aus Abs. 2 und 3 nicht anderes ergibt, erkennen über Beschwerden nach Art. 130 Abs. 1 die Verwaltungsgerichte der Länder.

(2) Soweit sich aus Abs. 3 nicht anderes ergibt, erkennt das Verwaltungsgericht des Bundes über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 in Rechtssachen in den Angelegenheiten der Vollziehung des Bundes, die unmittelbar von Bundesbehörden besorgt werden. (...)

(3) Das Verwaltungsgericht des Bundes für Finanzen erkennt über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 1 bis 3 in Rechtssachen in Angelegenheiten der öffentlichen Abgaben (mit Ausnahme der Verwaltungsabgaben des Bundes, der Länder und Gemeinden) und des Finanzstrafrechts sowie in sonstigen gesetzlich festgelegten Angelegenheiten, soweit die genannten Angelegenheiten unmittelbar von den Abgaben- oder Finanzstrafbehörden des Bundes besorgt werden.

(...)"

§ 3 und § 21 NAG lauten auszugsweise:

"§ 3. (1) Behörde nach diesem Bundesgesetz ist der örtlich zuständige Landeshauptmann. (...)

(2) Über Beschwerden gegen Entscheidungen nach diesem Bundesgesetz entscheidet das örtlich zuständige Verwaltungsgericht des Landes.

(...)

(3) Wird ein Antrag im Ausland gestellt (§ 22), ist die örtlich zuständige Berufsvertretungsbehörde zur Entgegennahme des Antrags zuständig. Gegen die Einstellung eines Verfahrens aus formalen Gründen gemäß § 22 Abs. 2 ist kein ordentliches Rechtsmittel zulässig.

(...)"

"§ 21. (1) Erstanträge sind vor der Einreise in das Bundesgebiet bei der örtlich zuständigen Berufsvertretungsbehörde im Ausland einzubringen. Die Entscheidung ist im Ausland abzuwarten.

(...)"

9 Gemäß Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG erkennen die Verwaltungsgerichte über Beschwerden gegen die Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt wegen Rechtswidrigkeit.

Diese Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte zur Entscheidung über eine Maßnahmenbeschwerde entspricht der (bis zur Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle 2012, BGBl. I Nr. 51/2012) bestandenen Zuständigkeit der unabhängigen Verwaltungssenate, nach Art. 129a Abs. 1 Z 2 B-VG über Maßnahmenbeschwerden zu entscheiden (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Ra 2014/04/0046 bis 0051, mit Verweis auf die Erläuterungen in RV 1618 BlgNR

24. GP, 13, und Faber , Verwaltungsgerichtsbarkeit (2013), Rz. 15 zu Art. 130 B-VG).

10 Nach Art. 131 Abs. 1 B-VG erkennen über Beschwerden nach Art. 130 Abs. 1 B-VG die Verwaltungsgerichte der Länder, sofern sich aus Abs. 2 und 3 nichts anderes ergibt. In Abs. 2 erster Satz des Art. 131 B-VG ist vorgesehen, dass das Verwaltungsgericht des Bundes über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 in Rechtssachen in den Angelegenheiten der Vollziehung des Bundes, die unmittelbar von Bundesbehörden besorgt werden, erkennt.

11 Grundsätzlich ist gemäß § 3 Abs. 1 NAG der örtlich zuständige Landeshauptmann die sachlich zuständige Behörde nach diesem Bundesgesetz, der in mittelbarer Bundesverwaltung tätig wird. In Ergänzung dazu ordnet § 3 Abs. 3 NAG an, dass die örtlich zuständige Berufsvertretungsbehörde zur Entgegennahme des Antrags zuständig ist, wenn ein solcher im Ausland gestellt wird (§ 22 NAG).

12 Die Anordnung des § 21 Abs. 1 NAG, der zufolge Erstanträge vor der Einreise in das Bundesgebiet bei der örtlich zuständigen Berufsvertretungsbehörde im Ausland einzubringen sind, enthält keine Zuständigkeitsnorm zur Entscheidung in der Sache (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Ra 2014/22/0152 und 0153). Die Auffassung des Verwaltungsgerichtes, wonach die österreichischen Botschaften als Bundesbehörden Angelegenheiten in unmittelbarer Bundesverwaltung besorgen, trifft somit nicht zu.

13 Soweit das Verwaltungsgericht eine sachliche Zuständigkeit der österreichischen Botschaft aus dem Kompetenztatbestand "äußere Angelegenheiten" nach Art. 10 Abs. 1 Z 2 B-VG ableitet, ist ihm entgegen zu halten, dass sich die von der Revisionswerberin behauptete Maßnahme, nämlich die Verweigerung der Annahme eines Antrages auf Erteilung eines Aufenthaltstitels, auf eine Angelegenheit nach dem NAG stützt (vgl. zur Maßgeblichkeit der Rechtsgrundlage auf die sich die Maßnahme stützt Eisenberger/Ennöckl/Helm , Die Maßnahmenbeschwerde,

2. Auflage, S. 32), die in mittelbarer Bundesverwaltung (vgl. Art. 102 Abs. 2 B-VG) vom zuständigen Landeshauptmann zu vollziehen ist.

Die sachliche Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtes Wien ergibt sich somit aus Art. 131 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 130 Abs. 1 Z 2 B-VG.

14 Für diese Beurteilung ist unerheblich, dass keine Entscheidung gemäß § 3 Abs. 2 NAG nach diesem Bundesgesetz vorliegt, weil keine Bescheidbeschwerde nach Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG Gegenstand des Verfahrens ist.

15 Der angefochtene Beschluss war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben.

Wien, am