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VwGH vom 11.05.2017, Ro 2016/21/0021

VwGH vom 11.05.2017, Ro 2016/21/0021

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch die Vorsitzende Vizepräsidentin Dr.in Sporrer und die Hofräte Dr. Pelant, Dr. Sulzbacher und Dr. Pfiel sowie die Hofrätin Dr. Julcher als Richterinnen und Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Halm-Forsthuber, über die Revision des M K, zuletzt in W, vertreten durch Mag. Johannes Schmidt, Rechtsanwalt in 1010 Wien, Nibelungengasse 8/1/1-3, gegen das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichtes vom , W112 2141306- 1/10E, betreffend Schubhaft (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.

Begründung

1 Der Revisionswerber ist kosovarischer Staatsangehöriger. Er reiste am , noch als Staatsangehöriger Serbiens, in das Bundesgebiet ein und stellte hier einen Asylantrag.

2 Das Bundesasylamt wies diesen Antrag mit Bescheid vom ab, stellte fest, dass die Zurückweisung, Zurückschiebung oder Abschiebung des Revisionswerbers nach Serbien, Provinz Kosovo, zulässig sei und wies ihn dorthin aus. Einer dagegen erhobenen Berufung gab der unabhängige Bundesasylsenat mit Bescheid vom keine Folge. Der Revisionswerber war weiter bis mit Hauptwohnsitz an einer Wiener Adresse gemeldet, konnte dort aber nicht angetroffen werden. Vom bis zum war er dann noch an einer Wiener Adresse mit Nebenwohnsitz gemeldet.

3 Am wurde der Revisionswerber in Wien aufgegriffen. In seinem Reisepass befanden sich diverse Einbzw. Ausreisestempel aus den Jahren 2009 und 2010. Im Zusammenhang mit einem Ende 2013 gestellten Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung nach § 43 Abs. 3 NAG brachte der Revisionswerber dann aber vor, seit "ohne jegliche Unterbrechung" in Österreich zu leben; er verfüge über keine aufrechte Meldung, weil er Angst vor behördlicher Außerlandesbringung habe.

4 Das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) wies den zuletzt genannten Antrag - im Hinblick auf § 81 Abs. 24 NAG - mit Bescheid vom gemäß § 55 AsylG 2005 ab. Unter einem erließ es gegen den Revisionswerber gemäß § 10 Abs. 3 AsylG 2005 iVm § 9 BFA-VG eine Rückkehrentscheidung gemäß § 52 Abs. 3 FPG, stellte gemäß § 52 Abs. 9 FPG fest, dass seine Abschiebung gemäß § 46 FPG in den Kosovo zulässig sei und setzte die Frist für die freiwillige Ausreise gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 FPG mit vierzehn Tagen ab Rechtskraft der Rückkehrentscheidung fest. Die gegen diesen Bescheid erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) mit Erkenntnis vom als unbegründet ab. Die Behandlung der gegen dieses Erkenntnis eingebrachten Beschwerde lehnte der Verfassungsgerichtshof mit Beschluss vom ab.

5 Mit dem Hinweis auf eine Lungenerkrankung stellte der Revisionswerber daraufhin im Oktober 2015 den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltsberechtigung besonderer Schutz nach § 57 AsylG 2005. Gemäß einem dem Antrag beigelegten Ambulanzbericht des Rudolfinerhauses vom zeige sich beim Revisionswerber eine in Progression befindliche Sarkoidose und sei eine Reisefähigkeit "in diesem Zeitpunkt" nicht gegeben. Im Dezember 2015 stellte der Revisionswerber sodann "zusätzlich" den Antrag auf Duldung seines Aufenthalts gemäß § 46a Abs. 1 Z 3 FPG, weil seine Abschiebung aus tatsächlichen Gründen (er sei nicht reisefähig) unmöglich sei.

6 Am wurde der - im Bundesgebiet nach wie vor nicht gemeldete - Revisionswerber im Zuge einer Verkehrskontrolle festgenommen. Nachdem im Zuge einer amtsärztlichen Untersuchung festgestellt wurde, dass er haftfähig sei und von einer Reisefähigkeit auf dem Landweg ausgegangen werden könne, verhängte das BFA mit Mandatsbescheid vom gemäß § 76 Abs. 2 Z 1 FPG Schubhaft zum Zweck der Sicherung der Abschiebung. Dabei ging das BFA davon aus, dass "Fluchtgefahr" bestehe, wobei es auf die Tatbestände des § 76 Abs. 3 Z 1, 3 und 9 FPG verwies.

7 Der Revisionswerber erhob Beschwerde, in der er insbesondere vorbrachte, er sei nicht reisefähig. In einer dazu erstatteten Stellungnahme führte das BFA aus, dass eine im Stande der Schubhaft erfolgte spitalsärztliche Untersuchung die Angaben des Amtsarztes bestätigt hätten, wonach "Reisefähigkeit auf dem Landweg" bestehe. Es sei beabsichtigt, den Revisionswerber am auf dem Landweg in den Kosovo abzuschieben.

8 Mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis vom wies das BVwG die Beschwerde des Revisionswerbers gemäß § 22a Abs. 1 BFA-VG iVm § 76 Abs. 2 Z 1 FPG ab, stellte gemäß § 22a Abs. 3 BFA-VG fest, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen vorlägen und verpflichtete den Revisionswerber zum Kostenersatz an den Bund.

9 Das BVwG stellte u.a. fest, dass der Revisionswerber zwischen dem und dem mehrfach nach Österreich ein- und in den Kosovo ausgereist sei. In Österreich habe er sich seit 2013 "bewusst im Verborgenen" aufgehalten und im November 2015 einer behördlichen Ladung unentschuldigt keine Folge geleistet. In rechtlicher Hinsicht sei davon auszugehen, dass aufgrund des Erkenntnisses des BVwG vom eine rechtskräftige, weiterhin aufrechte Rückkehrentscheidung "betreffend den Kosovo" bestehe. Einer auf Basis dieser Rückkehrentscheidung vorzunehmenden Abschiebung stünden die noch unerledigten Anträge des Revisionswerbers nach § 57 AsylG 2005 bzw. auf Ausstellung einer Duldungskarte nach § 46a Abs. 4 FPG nicht entgegen. Angesichts dieser Rückkehrentscheidung liege auch gemäß den Ausführungen des BFA Fluchtgefahr nach § 76 Abs. 3 Z 3 erster Fall FPG vor. Zutreffend habe das BFA weiter ausgeführt, dass der Revisionswerber im Sinn des § 76 Abs. 3 Z 1 FPG ein Verhalten gesetzt habe, das geeignet sei, seine Abschiebung zu verhindern; er verfüge über keinen gemeldeten Wohnsitz, halte sich laut eigenen Angaben aus Angst vor Abschiebung bewusst im Verborgenen auf und habe einer Ladung für einen Termin im November 2015 keine Folge geleistet. Schließlich gehe der Revisionswerber keiner legalen Beschäftigung nach und habe weder Ehefrau noch Kinder im Bundesgebiet; er verfüge jedoch über ein soziales Netz, das ihm bisher den Aufenthalt im Verborgenen ermöglicht habe. Dem BFA sei sohin (auch) darin Recht zu geben, wenn es im Sinn des § 76 Abs. 3 Z 9 FPG davon ausgehe, dass die sozialen Bindungen des Revisionswerbers der Annahme von Fluchtgefahr nicht entgegenstünden.

10 Das BVwG resümierte schließlich, dass aufgrund der erheblichen Fluchtgefahr infolge der durchführbaren Rückkehrentscheidung, dem Vorverhalten des Revisionswerbers betreffend die Verhinderung der Abschiebung und seiner fehlenden sozialen Verankerung sowie seiner Haft- und Reisefähigkeit die Verhängung der Schubhaft notwendig und verhältnismäßig gewesen sei, zumal Personalausweis und Reisepass vorlägen und somit mit einer Effektuierung der Abschiebung innerhalb der Schubhafthöchstdauer zu rechnen gewesen wäre. Daran habe sich nichts geändert, die während der Schubhaft durchgeführte spitalsärztliche Untersuchung stehe dem Befund des Amtsarztes, dass der Revisionswerber am Landweg reisefähig sei, nicht entgegen. Die Abschiebung sei "für den organisiert", weshalb die Haft auch im Hinblick auf ihre Dauer nicht unverhältnismäßig sei. Die Voraussetzungen für die weitere Anhaltung des Revisionswerbers in Schubhaft lägen somit vor.

11 Das BVwG sprach dann schließlich noch gemäß § 25a Abs. 1 VwGG aus, dass die Revision gemäß Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig sei.

Über die gegen dieses Erkenntnis erhobene Revision, zu der keine Revisionsbeantwortungen erstattet wurden, hat der Verwaltungsgerichtshof erwogen:

12 Der Verwaltungsgerichtshof musste sich in Bezug auf die mit dem FrÄG 2015 neu gefasste zentrale Schubhaftnorm des § 76 FPG, auf deren Basis die hier gegenständliche Haft zu beurteilen ist, bislang nur mit Einzelaspekten befassen (so wurde im hg. Erkenntnis vom , Ra 2016/21/0243, Rz 10, festgehalten, schon im Hinblick auf die verfassungsrechtlichen Vorgaben gelte weiterhin, dass Schubhaft stets nur "ultima ratio" sein darf, und dass ihre Verhängung zu unterbleiben hat, wenn das zu sichernde Ziel auch durch die Anwendung gelinderer Mittel erreicht werden kann (siehe dazu im Übrigen näher den hg. Beschluss vom heutigen Tag, Ro 2016/21/0022, Rz 11 f); im hg. Erkenntnis vom , Ra 2016/21/0264, Rz 14, wurde darauf hingewiesen, dass in § 76 Abs. 2 Z 1 FPG nunmehr ausdrücklich der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz postuliert wurde). Zum Zweck darüber hinausgehender Klarstellungen der Rechtslage (nicht zuletzt vor dem Hintergrund des jüngst ergangenen , "Al Chodor") erweist sich die vorliegende Revision als zulässig, sie ist aber nicht berechtigt.

13 § 76 FPG idF des FrÄG 2015 lautet seit dem - auszugsweise - wie folgt:

"Schubhaft

§ 76. (1) Fremde können festgenommen und angehalten werden (Schubhaft), sofern der Zweck der Schubhaft nicht durch ein gelinderes Mittel (§ 77) erreicht werden kann. Unmündige Minderjährige dürfen nicht in Schubhaft angehalten werden.

(2) Die Schubhaft darf nur dann angeordnet werden, wenn

1. dies zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme, zur Sicherung des Verfahrens über einen Antrag auf internationalen Schutz im Hinblick auf die Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder der Abschiebung notwendig ist und sofern jeweils Fluchtgefahr vorliegt und die Schubhaft verhältnismäßig ist, oder

2. die Voraussetzungen des Art. 28 Abs. 1 und 2 Dublin-Verordnung vorliegen.

(3) Eine Fluchtgefahr im Sinne des Abs. 2 Z 1 oder im Sinne des Art. 2 lit. n Dublin-Verordnung liegt vor, wenn bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen,

1. ob der Fremde an dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme mitwirkt oder die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert;

2. ob der Fremde entgegen einem aufrechten Einreiseverbot, einem aufrechten Aufenthaltsverbot oder während einer aufrechten Anordnung zur Außerlandesbringung neuerlich in das Bundesgebiet eingereist ist;

3. ob eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme besteht oder der Fremde sich dem Verfahren zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder über einen Antrag auf internationalen Schutz bereits entzogen hat;

4. ob der faktische Abschiebeschutz bei einem Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005) aufgehoben wurde oder dieser dem Fremden nicht zukommt;

5. ob gegen den Fremden zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrages auf internationalen Schutz eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme bestand, insbesondere, wenn er sich zu diesem Zeitpunkt bereits in Schubhaft befand oder aufgrund § 34 Abs. 3 Z 1 bis 3 BFA-VG angehalten wurde;

6. ob aufgrund des Ergebnisses der Befragung, der

Durchsuchung oder der erkennungsdienstlichen Behandlung anzunehmen

ist, dass ein anderer Mitgliedstaat nach der Dublin-Verordnung

zuständig ist, insbesondere sofern

a) der Fremde bereits mehrere Anträge auf internationalen

Schutz in den Mitgliedstaaten gestellt hat oder der Fremde falsche

Angaben hierüber gemacht hat,

b) der Fremde versucht hat, in einen dritten Mitgliedstaat

weiterzureisen, oder

c) es aufgrund der Ergebnisse der Befragung, der

Durchsuchung, der erkennungsdienstlichen Behandlung oder des bisherigen Verhaltens des Fremden wahrscheinlich ist, dass der Fremde die Weiterreise in einen dritten Mitgliedstaat beabsichtigt;

7. ob der Fremde seiner Verpflichtung aus dem gelinderen Mittel nicht nachkommt;

8. ob Auflagen, Mitwirkungspflichten, Gebietsbeschränkungen oder Meldeverpflichtungen gemäß §§ 56 oder 71 FPG,§ 13 Abs. 2 BFA-VG oder 15a AsylG 2005 verletzt wurden, insbesondere bei Vorliegen einer aktuell oder zum Zeitpunkt der Stellung eines Antrags auf internationalen Schutzes durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme;

9. der Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit beziehungsweise das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes.

..."

14 In den ErläutRV zum FrÄG 2015 (582 BlgNR 25. GP 21 ff)

wird dazu festgehalten:

"Aufgrund der Vorgaben von Art. 8 Neufassung der Aufnahmerichtlinie sowie der Judikatur der Höchstgerichte sind die Bestimmungen zur Schubhaft einer grundlegenden Bearbeitung zu unterziehen. Zudem sind gemäß Art. 2 lit. n Dublin-Verordnung innerstaatlich nähere Kriterien zur Beurteilung, ob Fluchtgefahr im Sinne der Verordnung vorliegt, festzulegen und erfolgt die Anpassung an die Vorgaben der Rückführungsrichtlinie.

Zu Abs. 1:

Dieser Absatz entspricht weitestgehend dem bisherigen Abs. 1 und Abs. 1a. Die Definition der Schubhaft bleibt unverändert. Unter ‚Fremde' im Sinne dieser Bestimmung sind sowohl illegal als auch rechtmäßig aufhältige Fremde sowie Asylwerber zu verstehen. Bei rechtmäßig aufhältigen Fremden müssen jedoch naturgemäß stärkere Hinweise für eine Fluchtgefahr vorliegen als bei unrechtmäßig aufhältigen Fremden (Verhältnismäßigkeit).

Gegen Asylberechtigte und subsidiär Schutzberechtigte kann Schubhaft aufgrund von § 1 Abs. 2 FPG nicht verhängt werden.

Zu Abs. 2:

Dieser Absatz soll bestimmen, unter welchen grundlegenden Voraussetzungen Schubhaft zulässig ist. Eine Schubhaft ist demgemäß zur Sicherung eines Verfahrens zulässig und sofern zudem Fluchtgefahr bzw. Sicherungsbedarf besteht. Das Prinzip der Verhältnismäßigkeit wird nun dezidiert in die Bestimmung aufgenommen. Nach der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs (ua. B 362/06 vom ; B 1330/06 sowie B 1331/06 vom ) ist die Behörde verpflichtet, von der Anwendung der Schubhaft jedenfalls Abstand zu nehmen, wenn sie im Einzelfall nicht notwendig und verhältnismäßig ist.

Betreffend das Kriterium der Verhältnismäßigkeit gilt, dass die Behörde verpflichtet ist, auf eine möglichst kurze Dauer der Schubhaft hinzuwirken. Diesbezüglich erörterte der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom , 2008/21/0527, ‚dass die Behörde schon von vornherein angehalten ist, im Fall der beabsichtigten Abschiebung eines Fremden ihre Vorgangsweise nach Möglichkeit so einzurichten, dass Schubhaft überhaupt unterbleiben kann. Unterlässt sie das, so erweist sich die Schubhaft als unverhältnismäßig' ().

Die Bestimmung ist in zwei Ziffern gegliedert, um die Schubhaftfälle außerhalb des Anwendungsbereiches der Dublin-Verordnung (Z 1) von den Dublin-Fällen (Z 2) zu unterscheiden. Für letztere gelten die Voraussetzungen der Dublin-Verordnung unmittelbar, weshalb sich in diesen Fällen die Voraussetzung der Verhältnismäßigkeit und der erheblichen Fluchtgefahr direkt aus dem Unionsrecht ergibt (siehe Art. 28 Abs. 2 Dublin-Verordnung). Weiters siehe Erläuterungen zu Abs. 3 Z 6.

Zu Abs. 3:

In diesem Absatz werden die Tatbestände, welche bei der Feststellung der Fluchtgefahr insbesondere zu berücksichtigen sind, näher determiniert. Es handelt sich bei der Schubhaftverhängung bzw. der Beurteilung, ob Fluchtgefahr vorliegt, nach wie vor um eine Abwägungsentscheidung, in die die in den Ziffern des Abs. 3 genannten Kriterien einfließen. Trotz der umfassenden Neuformulierung des § 76 FPG ist damit keine grundlegende rechtliche Änderung intendiert. Die genannten Kriterien zum Vorliegen von Fluchtgefahr spiegeln die herrschende Rechtsprechung insbesondere des Verwaltungsgerichtshofes zur Schubhaft wider. Es handelt sich daher lediglich um die Festschreibung der gängigen Judikatur.

Insbesondere wurde durch die Formulierung des Absatz 3 der neuesten VwGH-Rechtsprechung vom (GZ Ro 2014/21/0075) Rechnung getragen. Grundsätzlich ist eine Inhaftnahme zwecks Sicherstellung von Überstellungsverfahren gemäß Art. 28 Abs. 2 Dublin-Verordnung zulässig, sofern eine erhebliche Fluchtgefahr besteht, die Haft verhältnismäßig ist und sich gelindere Maßnahmen nicht wirksam anwenden lassen. Fluchtgefahr wird in Art. 2 lit. n Dublin-Verordnung mit dem Vorliegen von Gründen im Einzelfall definiert, die auf objektiven gesetzlich festgelegten Kriterien beruhen und annehmen lassen, dass sich der Betreffende dem laufenden Überstellungsverfahren möglicherweise durch Flucht entziehen könnte. Der VwGH hielt dazu fest, dass die Bestimmungen des bisherigen § 76 Abs. 2 keine - gesetzlich festgelegten - objektiven Kriterien für die Annahme von erheblicher Fluchtgefahr iSd Dublin-Verordnung enthielten. Die Dublin-Verordnung verlange gesetzlich festgelegte Kriterien zur Konkretisierung der in der Verordnung für die Schubhaftverhängung normierten Voraussetzung des Vorliegens von Fluchtgefahr. Diese Kriterien fanden nunmehr durch die deklarative Aufzählung der Tatbestände Eingang in Absatz 3 und lassen allesamt annehmen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird. Bei Dublin-Fällen ist insbesondere auch Z 6 zu beachten.

Die Definition der Fluchtgefahr gilt für sämtliche Schubhaftfälle, also auch für jene im Rahmen der Dublin - Verordnung (Art. 2 lit. n Dublin-Verordnung).

Z 1: Der Begriff Rückkehr stammt aus der Rückführungsrichtlinie (Art. 3 Z 3) und umfasst sowohl die freiwillige als auch die erzwungene Rückführung.

Diese Ziffer ist sowohl durch Art. 15 der Rückführungsrichtlinie als auch Art. 8 Neufassung der Aufnahmerichtlinie gedeckt. Zudem gibt es hierzu bereits gefestigte höchstgerichtliche Judikatur. So hat der Verwaltungsgerichtshof wiederholt ausgesprochen, dass die bereits manifestierte wiederholte Weigerung bei der Abschiebung mitzuwirken sowie deren erfolgreiche Vereitelung ausreichend Sicherungsbedarf begründet ( und vom , 2008/21/0588).

In einem frühen Stadium des Asylverfahrens bedarf es besonderer Umstände, die ein Untertauchen des betreffenden Fremden schon zu diesem Zeitpunkt konkret befürchten lassen. In einem späteren Stadium des Asylverfahrens, insbesondere nach Vorliegen einer durchsetzbaren Ausweisung, können unter Umständen auch weniger ausgeprägte Hinweise auf eine Vereitelung oder Erschwerung der Aufenthaltsbeendigung für die Annahme eines Sicherungsbedarfs genügen ().

Z 2: Diese Bestimmung findet sich im Wesentlichen bereits im bisherigen § 76 Abs. 2 Z 3 und ist auch je nach betroffenem Personenkreis sowohl in Art. 8 lit. d Neufassung der Aufnahmerichtlinie sowie in Art. 15 Rückführungsrichtlinie vorgesehen.

Z 3: Die Notwendigkeit der Schubhaft kann sich daraus ergeben, dass sich der Fremde vor der Einreise in das Bundesgebiet in einem anderen Staat dem behördlichen Zugriff entzogen und hierüber nach seiner Einreise zusätzlich falsche Angaben gemacht hat (). Zur Prüfung des Sicherungserfordernisses ist auf alle Umstände des konkreten Falles Bedacht zu nehmen, um die Befürchtung, es bestehe das Risiko des Untertauchens, als schlüssig anzusehen. Dabei kommt insbesondere dem bisherigen Verhalten des Fremden Bedeutung zu. Die konkrete Situation des Asylwerbers muss geprüft werden, auch wenn er als Fremder vorher in einem sicheren Drittland einen Asylantrag gestellt hat (vgl. ).

Z 4: Wenn der Asylwerber einen Folgeantrag (§ 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005) gestellt hat und der faktische Abschiebeschutz gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 aufgehoben wurde, kann Schubhaft verhängt werden. Erforderlich ist jedoch eine bereits tatsächlich erfolgte (und nicht nur für die Zukunft in Aussicht gestellte) Aufhebung des faktischen Abschiebeschutz gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 ().

Z 5: Liegt eine durchsetzbare aufenthaltsbeendende Maßnahme vor, so kann ab diesem Zeitpunkt die Schubhaft daher jedenfalls (auch) der Sicherung der Abschiebung dienen. Schubhaft zur Sicherung der Abschiebung kommt aber nur dann in Betracht, wenn mit der Möglichkeit einer Abschiebung auch tatsächlich zu rechnen ist (). In späteren Stadien des Asylverfahrens - insbesondere nach Vorliegen einer durchsetzbaren Ausweisung - können schon weniger ausgeprägte Hinweise auf eine Vereitelung oder Erschwerung der Aufenthaltsbeendigung die Annahme eines Sicherungsbedarfs rechtfertigen ().

Z 6: Auch bei Fällen mit Dublin-Bezug ist darauf zu achten, dass die Schubhaftverhängung keine Standardmaßnahme gegen Asylwerber sein darf (). Siehe auch Erläuterungen zu Z 3.

Z 6 berücksichtigt insbesondere die bisherige Judikatur des VwGH, wonach für die Schubhaftverhängung ‚besondere Gesichtspunkte vorliegen (müssen), die erkennen ließen, es handle sich um eine von den typischen ‚Dublin-Fällen' abweichende Konstellation, in der mit maßgeblicher Wahrscheinlichkeit auf Grund konkreter Anhaltspunkte auf eine drohende Verfahrensvereitelung durch den Fremden geschlossen werden könne' (Zl 2014/21/0075 sowie Zl 2013/21/0170 mwN).

Z 7: Unter diese Ziffer fallen unter anderem Fälle, in denen sich der Fremde aktuell dem gelinderen Mittel entzogen hat (§ 77 Abs. 1 FPG), da dann angenommen werden kann, dass der Zweck der Schubhaft nicht durch Anwendung des gelinderen Mittels erreicht werden kann. Ebenso fallen darunter jene Fälle, in denen sich der Fremde schon in der Vergangenheit dem gelinderen Mittel entzogen hat, in der Zwischenzeit nicht greifbar war und nun wieder aufgetaucht ist.

Grundsätzlich gilt der Vorrang des gelinderen Mittels ( ua - G86/12 ua). Fehlt ein Sicherungsbedürfnis, darf jedoch weder gelinderes Mittel noch Schubhaft angeordnet werden (). Z 8: Die Verletzung von Auflagen, Mitwirkungspflichten, der Gebietsbeschränkung oder Meldeverpflichtung kann ein Indiz für das Vorliegen von Fluchtgefahr sein, wobei auch hier gilt, den konkreten Einzelfall zu berücksichtigen. Der Tatbestand der Verletzung der Gebietsbeschränkung fand sich bisher in § 76 Abs. 2a Z 2 (). Z 9: Dem Gesichtspunkt einer ‚sozialen Verankerung in Österreich' kommt im Zusammenhang mit der Verhängung der Schubhaft wesentliche Bedeutung zu. Dabei kommt es u.a. entscheidend auf das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit oder auf die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes an ().

Je länger somit der Fremde bereits in Österreich ist und je stärker er hier sozial verwurzelt ist, desto stärker müssen auch die Hinweise und Indizien für eine vorliegende Fluchtgefahr sein.

Dabei ist zu beachten, dass Mittellosigkeit und fehlende soziale Integration in Bezug auf (noch nicht lange aufhältige) Asylwerber, die Anspruch auf Grundversorgung haben, allein noch keine tragfähigen Argumente für das Bestehen eines Sicherungsbedarfs sind ()."

15 In den eben zitierten ErläutRV werden einleitend zwei Gesichtspunkte angesprochen, auf denen die Neufassung des § 76 FPG beruht: Einerseits soll der Judikatur der Höchstgerichte, andererseits aber unionsrechtlichen Vorgaben entsprochen werden.

16 Dem ersten Aspekt Rechnung tragend werden dann auch in den ErläutRV (aaO. 22 f) die in den einzelnen Ziffern des Abs. 3 des § 76 FPG formulierten Tatbestände unter Bezugnahme auf die im Zusammenhang mit ähnlichen Vorgängerbestimmungen ergangene Rechtsprechung (v.a.) des Verwaltungsgerichtshofes interpretiert. Das ist insofern folgerichtig, als nach den Gesetzesmaterialien "trotz der umfassenden Neuformulierung des § 76 FPG (...) damit keine grundlegende rechtliche Änderung intendiert" ist und es "sich daher lediglich um die Festschreibung der gängigen Judikatur" handelt. Das bedeutet zunächst, dass die Auslegung der neugefassten Bestimmungen in diesem Sinn und vor dem Hintergrund der schon existierenden Judikatur der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts vorzunehmen ist.

17 Was die unionsrechtlichen Vorgaben anlangt, so werden ausdrücklich die Aufnahmerichtlinie und die Rückführungsrichtlinie sowie die Dublin-III-VO erwähnt. Die Neufassung des § 76 FPG soll also überdies der Umsetzung der in den genannten Richtlinien getroffenen einschlägigen Anordnungen sowie der Anpassung der österreichischen Rechtslage an die unmittelbar geltenden Vorschriften der Dublin-III-VO dienen. Vor dem Hintergrund dieser zweifachen unionsrechtlichen Aufgabenstellung erklärt sich die in § 76 Abs. 2 FPG vorgenommene Aufgliederung der Schubhaftfälle, wobei der im vorliegenden Fall herangezogene Tatbestand der Z 1 des § 76 Abs. 2 FPG alle außerhalb der Dublin-III-VO liegenden Situationen erfasst. In dessen Rahmen werden im Übrigen anders als nach der bis zum geltenden Rechtslage dem Grunde nach keine unterschiedlichen Voraussetzungen mehr einerseits für die Verhängung von Schubhaft gegenüber Asylwerbern und Fremden, die einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt haben, und andererseits für die Verhängung von Schubhaft gegenüber allen anderen Fremden normiert. Die in § 76 Abs. 3 FPG bei der Beurteilung des Vorliegens von Fluchtgefahr "zu berücksichtigen(den)" Tatbestände sind dessen ungeachtet teilweise nur auf Asylwerber zugeschnitten.

18 Unabhängig vom ausdrücklich geäußerten Umsetzungswillen des österreichischen Gesetzgebers kann ohnehin kein Zweifel bestehen, dass im jeweiligen Anwendungsbereich der Aufnahmerichtlinie und der Rückführungsrichtlinie auch eine an deren Regelungen zur Haft orientierte unionsrechtskonforme Auslegung des § 76 FPG Platz zu greifen hat. Im vorliegenden Fall eines unrechtmäßig aufhältigen Fremden sind in diesem Sinn (nur) die Vorschriften der Rückführungsrichtlinie zu beachten. Es liegt nämlich weder eine "Dublin-Konstellation" vor, noch ist der Revisionswerber überhaupt Asylwerber, sodass auch die Aufnahmerichtlinie nicht relevant ist.

19 Unter Punkt 16. der Präambel der Rückführungsrichtlinie heißt es:

"Das Mittel der Inhaftnahme für die Zwecke der Abschiebung sollte nur begrenzt zum Einsatz kommen und sollte im Hinblick auf die eingesetzten Mittel und die angestrebten Ziele dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit unterliegen. Eine Inhaftnahme ist nur gerechtfertigt, um die Rückkehr vorzubereiten oder die Abschiebung durchzuführen und wenn weniger intensive Zwangsmaßnahmen ihren Zweck nicht erfüllen."

20 Ihr Art. 15 Abs. 1 normiert Folgendes:

"Inhaftnahme

(1) Sofern in dem konkreten Fall keine anderen ausreichenden,

jedoch weniger intensiven Zwangsmaßnahmen wirksam angewandt werden

können, dürfen die Mitgliedstaaten Drittstaatsangehörige, gegen

die ein Rückkehrverfahren anhängig ist, nur in Haft nehmen, um

deren Rückkehr vorzubereiten und/oder die Abschiebung

durchzuführen, und zwar insbesondere dann, wenn

a) Fluchtgefahr besteht oder

b) die betreffenden Drittstaatsangehörigen die Vorbereitung

der Rückkehr oder das Abschiebungsverfahren umgehen oder behindern.

Die Haftdauer hat so kurz wie möglich zu sein und sich nur auf die Dauer der laufenden Abschiebungsvorkehrungen erstrecken, solange diese mit der gebotenen Sorgfalt durchgeführt werden."

21 Für den in Art. 15 Abs. 1 lit. a verwendeten Terminus "Fluchtgefahr" findet sich außerdem in Art. 3 Z 7 der Rückführungsrichtlinie nachstehende Begriffsbestimmung:

"Das Vorliegen von Gründen im Einzelfall, die auf objektiven, gesetzlich festgelegten Kriterien beruhen und zu der Annahme Anlass geben, dass sich Drittstaatsangehörige einem Rückkehrverfahren durch Flucht entziehen könnten."

22 Auch in dem in § 76 Abs. 2 Z 2 FPG genannten Art. 28 Abs. 2 der Dublin-III-VO wird auf "Fluchtgefahr", die außerdem "erheblich" sein muss, Bezug genommen. Sie wird in Art. 2 lit. n der Dublin-III-VO im Wesentlichen wie in Art. 3 Z 7 der Rückführungsrichtlinie definiert als "das Vorliegen von Gründen im Einzelfall, die auf objektiven gesetzlich festgelegten Kriterien beruhen und zu der Annahme Anlass geben, dass sich ein Antragsteller, ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser, gegen den ein Überstellungsverfahren läuft, diesem Verfahren möglicherweise durch Flucht entziehen könnte". Das sei - so der EuGH in seinem schon genannten Urteil "Al Chodor" - dahin auszulegen, dass die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, in einer zwingenden Vorschrift mit allgemeiner Geltung die objektiven Kriterien festzulegen, auf denen die Gründe beruhen, die zu der Annahme Anlass geben, dass sich ein Antragsteller, gegen den ein Überstellungsverfahren läuft, diesem Verfahren möglicherweise durch Flucht entziehen könnte. Erläuternd wurde u.a. festgehalten (Rz 44), (nur) der Erlass von Vorschriften mit allgemeiner Geltung biete die erforderlichen Garantien, da ein solcher Text den Spielraum der Behörden bei der Beurteilung der Umstände eines jeden konkreten Falles in zwingender und im Voraus erkennbarer Weise abstecke.

23 Schon in seinem Erkenntnis vom , Ro 2014/21/0075, war der Verwaltungsgerichtshof in diesem Sinn zu dem Ergebnis gelangt, dass es auf dem Boden von Art. 2 lit. n der Dublin-III-VO "unmissverständlich gesetzlich festgelegte(r) Kriterien zur Konkretisierung der im Unionsrecht für die Verhängung von Schubhaft (u.a.) normierten Voraussetzung des Vorliegens von ‚Fluchtgefahr' " bedürfe.

24 Wie schon unter Rz 15 f betont, soll die Neufassung des § 76 FPG insbesondere der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes Rechnung tragen. Demgemäß wird dann in den zitierten ErläutRV (aaO. 22) konsequenterweise auch das Erkenntnis Ro 2014/21/0075 angeführt, dem durch die Formulierung des § 76 Abs. 3 FPG entsprochen werden soll. "Die Dublin-Verordnung verlange" - so die ErläutRV dann ausdrücklich - "gesetzlich festgelegte Kriterien zur Konkretisierung der in der Verordnung für die Schubhaftverhängung normierten Voraussetzung des Vorliegens von Fluchtgefahr. Diese Kriterien fanden nunmehr durch die deklarative Aufzählung der Tatbestände Eingang in Abs. 3 und lassen allesamt annehmen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung entziehen wird oder dass der Fremde die Abschiebung wesentlich erschweren wird."

25 Dazu ist zunächst anzumerken, dass die innerstaatliche Definition von "Fluchtgefahr", wie sie in den eben zitierten ErläuRV angesprochen wird und wie sie sich dann im Einleitungssatz des § 76 Abs. 3 FPG findet, dem Wortlaut nach über "Fluchtgefahr" nach Art. 2 lit. n der Dublin-III-VO und nach Art. 3 Z 7 der Rückführungsrichtlinie hinausgeht. Im Hinblick auf das gebotene unionsrechtliche Verständnis (siehe Rz 18) ist aber auch die innerstaatliche Umschreibung von "Fluchtgefahr" im Sinn der zuletzt genannten Artikel ausnahmslos derart eingeschränkt zu verstehen, dass es sich um Gründe handeln muss, die zu der Annahme Anlass geben, der Fremde könnte sich dem Verfahren oder der Abschiebung durch Flucht entziehen. Die Annahme, ein Fremder werde die Abschiebung wesentlich erschweren, ist daher isoliert betrachtet nicht hinreichend. Das wird freilich dadurch entschärft, dass im Fall einer solchen Vermutung in der Regel ohnehin auch die Annahme gerechtfertigt sein wird, der Fremde könnte sich der Abschiebung durch Flucht entziehen. Dass das eingeschränkte Verständnis von Fluchtgefahr nicht nur "Dublinfälle" betrifft, für die die Dublin-III-VO keinen Spielraum lässt, sondern auch alle Konstellationen nach § 76 Abs. 2 Z 1 FPG, bringt der Gesetzgeber durch die ausdrückliche Gleichstellung in der Einleitung des § 76 Abs. 3 FPG zum Ausdruck (vgl. überdies die diesbezüglichen ErläutRV (aaO. 22), wo es heißt "Die Definition der Fluchtgefahr gilt für sämtliche Schubhaftfälle, also auch für jene im Rahmen der Dublin - Verordnung (Art. 2 lit. n Dublin - Verordnung).").

26 Im Übrigen ist vor dem dargestellten Hintergrund dann aber schon innerstaatlich davon auszugehen, dass die Tatbestände des § 76 Abs. 3 FPG trotz des insoweit missverständlichen Gesetzeswortlautes insgesamt nicht bloß "zu berücksichtigen" sind, sondern "Fluchtgefahr" - auch - im Sinn des § 76 Abs. 2 Z 1 FPG an sich konstituieren bzw. die einleitend in § 76 Abs. 3 FPG genannten "bestimmte(n) Tatsachen" darstellen sollen, die - im Sinn des eben Gesagten - die Annahme rechtfertigen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung durch Flucht entziehen könnte. Dass dieses Ziel nicht durchgehend erreicht wurde, sei schon an dieser Stelle bemerkt (siehe dazu etwa den in Rz 30 behandelten ersten Fall der Z 3). Festzuhalten ist in diesem Zusammenhang aber vor allem, dass es zur Erfüllung des Kriteriums der "Fluchtgefahr" zunächst einmal - um, in den Worten des EuGH,

"den Spielraum der Behörden ... in zwingender und im Voraus

erkennbarer Weise ab(zu)steck(en)" - jedenfalls des Vorliegens eines in diesem Sinne tauglichen Tatbestandes des § 76 Abs. 3 FPG bedarf. Eine derartige Tatbestandserfüllung, damit die geforderte Anknüpfung an abstrakt formulierte Umstände, stellt gleichsam den Ausgangspunkt für jegliche Annahme von "Fluchtgefahr" dar, die allerdings im Ergebnis nur dann bejaht werden kann, wenn auch eine fallbezogene Betrachtung der Gesamtsituation zu der Schlussfolgerung führt, der Fremde könnte sich dem Verfahren oder der Abschiebung durch Flucht entziehen. Es bedarf also über die Erfüllung eines tauglichen Tatbestandes nach § 76 Abs. 3 FPG hinaus einer konkreten Bewertung aller im Einzelfall maßgeblichen Gesichtspunkte, die insofern in die "Abwägungsentscheidung" (so die einleitenden Überlegungen in den wiedergegebenen ErläutRV zu § 76 Abs. 3) einzufließen haben. Unter diesem Aspekt bieten die Tatbestände des § 76 Abs. 3 FPG - uneingeschränkt, also ohne Rücksicht auf ihre Eignung, schon abstrakt "Fluchtgefahr" zu umschreiben - maßgebliche Beurteilungskriterien. Nur in diesem Sinn ist die Aufzählung der Tatbestände des § 76 Abs. 3 FPG auch, wie es in den ErläutRV heißt, "deklarativ" (offenbar gemeint: demonstrativ).

27 Nach Art. 15 Abs. 1 der Rückführungsrichtlinie kommt Haft nicht nur bei "Fluchtgefahr" im Sinn der Definition nach ihrem Art. 3 Z 7 in Betracht, sondern (insbesondere) auch dann, wenn "die betreffenden Drittstaatsangehörigen die Vorbereitung der Rückkehr oder das Abschiebungsverfahren umgehen oder behindern". Das ist indes eine Konstellation, die der österreichische Gesetzgeber im Rahmen der Z 1 des § 76 Abs. 3 FPG schon als Tatbestand für "Fluchtgefahr" erfasst. Das ist unbedenklich, ist doch aus dem Umgehen oder Behindern (insbesondere) der Abschiebung typischerweise zu folgern, dass sich der betreffende Fremde einem Verfahren bzw. der Abschiebung künftig auch durch Flucht entziehen könnte (siehe schon Rz 25).

28 Vom eben aufgezeigten Umstand abgesehen korreliert § 76 FPG (namentlich dessen hier maßgeblicher Abs. 2 Z 1) - vor dem Hintergrund der hier zu prüfenden Gesichtspunkte - mit Art. 15 Abs. 1 der Rückführungsrichtlinie: Schubhaft muss nach dem Wortlaut der erstgenannten Bestimmung zur Sicherung des Verfahrens zur Erlassung einer aufenthaltsbeendenden Maßnahme oder zur Sicherung der Abschiebung "notwendig" sein (in den Worten der Richtlinie: Darf nur erfolgen, um die Rückkehr von Drittstaatsangehörigen vorzubereiten und/oder die Abschiebung durchzuführen), erfordert "Fluchtgefahr" (siehe insbesondere oben Rz 25) und muss dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit standhalten, womit der schon nach dem bereits genannten Erkenntnis vom , Ra 2016/21/0243, auch für das neue Recht allgemein geltende Grundsatz, Schubhaft müsse stets "ultima ratio" sein, im Zusammenhang steht.

29 Im vorliegenden Fall ist vom Vorliegen dieser Voraussetzungen auszugehen. Dazu kann auf die im Wesentlichen zutreffenden Ausführungen im angefochtenen Erkenntnis verwiesen werden, denen auch die Revision - im Zusammenhang mit der Rüge der Verletzung des Rechts auf Parteiengehör - letztlich der Sache nach nur insoweit entgegentritt, als eine mangelnde Reisefähigkeit des Revisionswerbers aus gesundheitlichen Gründen behauptet wird. Diese Behauptung ist aus rechtlicher Sicht so zu qualifizieren, dass ein tauglicher Sicherungszweck sowie die Verhältnismäßigkeit von Schubhaft in Abrede gestellt werden. Unter beiden Gesichtspunkten stehen der Haft allerdings keine Bedenken entgegen. Schubhaft erfordert nämlich keine Gewissheit darüber, dass es letztlich - hier konkret im Hinblick auf Reisefähigkeit - zu einer Abschiebung kommen könne (in diesem Sinn unter dem Aspekt der Möglichkeit der Beschaffung eines Heimreisezertifikates siehe etwa das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2009/21/0047). Sie muss sich nach Lage des Falles "bloß" mit ausreichender Wahrscheinlichkeit als möglich darstellen, wovon im vorliegenden Fall angesichts der ohnehin erfolgten medizinischen Abklärung des Gesundheitszustandes des Revisionswerbers, die ein positives Ergebnis erbrachte (es bestehe zwar Fluguntauglichkeit, jedoch Reisefähigkeit auf dem Landweg), aber trotz der von ihm geäußerten Bedenken jedenfalls vorderhand ausgegangen werden durfte.

30 Einer Anmerkung bedarf es allerdings noch in Bezug auf die vom BVwG bejahte "Fluchtgefahr" nach Maßgabe des § 76 Abs. 3 FPG. Vorweg ist dazu festzuhalten, dass es keine Rechtswidrigkeit begründet, dass die Angabe der verwirklichten Tatbestände dieses Absatzes nicht schon im Spruch des angefochtenen Erkenntnisses (bzw. des vorangegangenen Schubhaftbescheides) erfolgte, weil es sich bei der "Fluchtgefahr" nur um ein Element des herangezogenen Schubhafttatbestandes (§ 76 Abs. 2 Z 1 oder Z 2 FPG) handelt. Im Übrigen ist dem BVwG zunächst insoweit zuzustimmen, als es davon ausging, es sei angesichts des vom Revisionswerber an den Tag gelegten Verhaltens (Leben im Verborgenen ohne behördliche Meldung, Nichtbefolgung einer behördlichen Ladung) der Tatbestand der Z 1 des genannten Absatzes erfüllt, weil der Revisionswerber "die Rückkehr oder Abschiebung umgeht oder behindert". Zutreffend gelangte das BVwG dann auch noch zu dem Ergebnis, es liege der erste Fall des § 76 Abs. 3 Z 3 FPG (Bestehen einer durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme) vor. Das soll zwar nach der Systematik des Gesetzes "Fluchtgefahr" begründen. Eine bestimmte Verfahrensrechtslage als solche sagt aber für sich betrachtet nichts darüber aus, ob - im Sinne des Art. 3 Z 7 der Rückführungsrichtlinie - anzunehmen sei, "dass sich Drittstaatsangehörige einem Rückkehrverfahren durch Flucht entziehen könnten" (siehe in diesem Sinn vor dem Hintergrund des Art. 2 lit. n der Dublin-III-VO ähnlich zum seinerzeitigen Schubhafttatbestand nach § 76 Abs. 2a Z 1 erster Fall FPG idF vor dem FrÄG 2015 das hg. Erkenntnis vom , Ro 2014/21/0065). Von daher vermag das Bestehen einer durchsetzbaren aufenthaltsbeendenden Maßnahme per se zwar keinen Tatbestand zu verwirklichen, der in tauglicher Weise "Fluchtgefahr" zum Ausdruck bringt. Der Existenz einer solchen Maßnahme kommt jedoch im Rahmen der gebotenen einzelfallbezogenen Bewertung der Größe der auf Grund der Verwirklichung eines anderen tauglichen Tatbestandes des § 76 Abs. 3 FPG grundsätzlich anzunehmenden Fluchtgefahr Bedeutung zu. In diesem Sinn weisen auch die in der Rz 14 zitierten ErläutRV (aaO. 22 f) auf Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes hin, wonach sich bei typisierender Betrachtung mit Fortschreiten des Verfahrens auf internationalen Schutz aus der Sicht des Fremden die Wahrscheinlichkeit verdichten kann, letztlich abgeschoben zu werden, sodass sich dadurch die Fluchtgefahr erhöht.

31 Ähnliche Einwände könnten auf den ersten Blick dem schließlich vom BVwG noch geprüften Tatbestand des § 76 Abs. 3 Z 9 FPG entgegen gehalten werden, in dem auf den Grad der sozialen Verankerung in Österreich, insbesondere das Bestehen familiärer Beziehungen, das Ausüben einer legalen Erwerbstätigkeit bzw. das Vorhandensein ausreichender Existenzmittel sowie die Existenz eines gesicherten Wohnsitzes Bezug genommen könnte. Die auf das Bestehen integrationsbegründender Umstände abstellende Formulierung dieses Tatbestandes und die dabei vorgenommene Zusammenfassung verschiedenster Aspekte erschweren nämlich ein Verständnis, dass es sich dabei um Kriterien handelt, die annehmen ließen, dass sich der Fremde dem Verfahren oder der Abschiebung durch Flucht entziehen könnte. Um § 76 Abs. 3 Z 9 FPG nicht "leer laufen" zu lassen, wird es daher umgekehrt darauf ankommen, dass keine maßgebliche - der Annahme einer Entziehungsabsicht entgegen stehende - soziale Verankerung des Fremden in Österreich vorliegt, was an Hand der genannten Parameter ((Nicht)bestehen familiärer Beziehungen, ...) zu beurteilen ist. Dem kam in diesem Sinn schon in der bisherigen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes Bedeutung zu (vgl. etwa das noch zum Fremdengesetz 1997 ergangene Erkenntnis vom , Zl. 2005/21/0301). Dass eine demnach abstrakt gegebene "Fluchtgefahr" im Rahmen der gebotenen Gesamtbewertung allerdings unter Umständen nicht ausreichen kann, halten die zitierten ErläutRV zu § 76 Abs. 3 Z 9 FPG, unter Verweis auf das hg. Erkenntnis vom , Zl. 2007/21/0233, selbst fest, wenn dort ausgeführt wird, dass Mittellosigkeit und fehlende soziale Integration in Bezug auf (noch nicht lange aufhältige) Asylwerber, die Anspruch auf Grundversorgung haben, allein noch keine tragfähigen Argumente für das Bestehen eines "Sicherungsbedarfs" sind.

32 Für die Lösung des vorliegenden Falles spielen die eben angestellten Erwägungen aber keine Rolle. Wie unter Rz 30 einleitend festgehalten, trifft es nämlich im Sinn der Ausführungen des BVwG zu, dass der Tatbestand des § 76 Abs. 3 Z 1 FPG in Gestalt seiner zweiten Variante erfüllt ist. An der Eignung dieses Tatbestandes, abstrakt "Fluchtgefahr" zu begründen, kann aber - auch unter unionsrechtlichem Blickwinkel (siehe schon Rz 27) - kein Zweifel bestehen. Verstärkend durften dann aber fallbezogen die Existenz einer durchsetzbaren Rückkehrentscheidung sowie der geringe Grad der sozialen Verankerung des Revisionswerbers in Österreich (ohnehin auch den tauglichen "Fluchtgefahrtatbestand" nach § 76 Abs. 3 Z 9 FPG verwirklichend) miteinbezogen werden, sodass insgesamt die Annahme, es liege auch konkret "Fluchtgefahr" vor, nicht zu beanstanden ist.

33 Die Abweisung der gegenständlichen Schubhaftbeschwerde einerseits und die Feststellung nach § 22a Abs. 3 BFA-VG andererseits, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung die für die Fortsetzung der Schubhaft maßgeblichen Voraussetzungen (weiterhin) vorliegen, erweisen sich damit als rechtmäßig, weshalb die gegenständliche Revision gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen war.

Wien, am

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