VwGH vom 19.10.2017, Ro 2016/16/0018
Betreff
Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn und die Hofräte Dr. Mairinger, Dr. Thoma und Mag. Straßegger sowie die Hofrätin Dr. Reinbacher als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Baumann, über die Revision des Finanzamtes Hollabrunn Korneuburg Tulln gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes vom , Zl. RV/7100290/2015, betreffend Rückforderung von Familienbeihilfe und Kinderabsetzbeträgen, (mitbeteiligte Partei: G O in T), zu Recht erkannt:
Spruch
Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.
Begründung
1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis hob das Bundesfinanzgericht auf Grund einer Beschwerde des Mitbeteiligten den Bescheid des revisionswerbenden Finanzamtes Hollabrunn Korneuburg Tulln vom auf, mit welchem das Finanzamt vom Mitbeteiligten für den Zeitraum April 2013 bis Februar 2014 für dessen Sohn A bezogene Familienbeihilfe und Kinderabsetzbeträge zurückgefordert hatte. Das Bundesfinanzgericht sprach aus, dass eine Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig sei.
2 Der im Jänner 1993 geborene A habe ein Bundesoberstufenrealgymnasium besucht und im Schuljahr 2011/2012 die achte Klasse am erfolgreich abgeschlossen. Die Reifeprüfung im Juni 2012 habe er jedoch nicht bestanden. Im Anschluss an den Antritt zur Reifeprüfung habe A vom bis zum den ordentlichen Zivildienst geleistet.
3 Ursprünglich habe A geplant, zum Herbsttermin 2012 oder im Februar 2013 zum Nachprüfungstermin der Reifeprüfung anzutreten. Die im Rahmen des Zivildienstes ausgeübte Tätigkeit beim Roten Kreuz (umfangreiche Nachtdienste und Überstunden) hätten ein gezieltes Vorbereiten auf die Prüfungstermine nicht ermöglicht. Daher sei das Antreten auf den Sommertermin 2013 verschoben worden.
4 Im Zuge einer Informationsveranstaltung der Polizei im April 2013 habe A von der Möglichkeit erfahren, in den Exekutivdienst aufgenommen zu werden, obwohl er den Wehrdienst nicht abgeleistet habe.
5 Sofort nach dieser Informationsveranstaltung habe sich A im April 2013 um die Aufnahme in den Exekutivdienst beworben. Mit seiner Bewerbung habe er die Absicht aufgegeben, im Herbst 2013 zur Matura neuerlich anzutreten.
6 Die Landespolizeidirektion Wien habe A mit Schreiben vom mitgeteilt, dass er sich zur schriftlichen Auswahlprüfung am einzufinden habe. Nach dieser Auswahlprüfung seien ein Aufnahmegespräch am , eine chefärztliche Untersuchung am und ein sportmotorischer Leistungstest am erforderlich gewesen. Mit Schreiben der Landespolizeidirektion Wien vom sei A mitgeteilt worden, dass er das Auswahlverfahren positiv abgeschlossen habe. Mit Schreiben vom sei A verständigt worden, dass er mit aufgenommen werde. Er habe sich am zum Beginn der Ausbildung für den Polizeidienst im Bildungszentrum der Sicherheitsexekutive Steiermark in Graz einzufinden.
7 Es stehe nicht fest, dass A auf Grund seiner im April 2013 erfolgten Bewerbung nach Ableistung des Zivildienstes am zu einem früheren Zeitpunkt als am mit der Ausbildung zum Polizeidienst hätte beginnen können. Zu den Eignungstests werde man seitens der Landespolizeidirektion eingeladen; der Bewerber habe keinen Einfluss auf den Zeitpunkt der Prüfung und könne daher "das Stadium der Aufnahmetests weder beschleunigen noch verkürzen".
8 Die Ausbildung an der Polizeischule beginne üblicherweise am Anfang der Monate März, Juni, September und Dezember, wobei in der Regel der nächstmögliche Termin nach Abschluss des Aufnahmeverfahrens herangezogen werde.
9 Rechtlich folgerte das Bundesfinanzgericht daraus, dass die bloße Absicht, im Sommer 2013 (neuerlich) zur Reifeprüfung anzutreten, noch keine Fortsetzung der Berufsausbildung als Gymnasiast sei. A habe jedoch nach Ende des Zivildienstes am die Berufsausbildung zum frühestmöglichen Zeitpunkt begonnen. Die Ausbildung zum Polizeidienst stelle eine Berufsausbildung dar. Für die Zeit zwischen dem Ende des Zivildienstes und dem Beginn dieser Ausbildung sei Familienbeihilfe und Kinderabsetzbetrag zugestanden.
10 Da die Ausbildung zum Polizisten jeweils im März, Juni, September und Dezember beginne, wäre der frühestmögliche Zeitpunkt nach Beendigung des Zivildienstes am der gewesen, wenn A zu diesem Zeitpunkt bereits zur Ausbildung zugelassen worden wäre. Das Ansuchen um Aufnahme in den Polizeidienst sei unmittelbar nach Beendigung des Zivildienstes gestellt worden. Bei einem im April 2013 gestellten Aufnahmeansuchen sei eine frühere Ausbildung als ab März 2014 infolge des Aufnahmeverfahrens nicht möglich gewesen.
11 Das Bundesfinanzgericht begründete seinen Ausspruch über die Zulässigkeit der Revision damit, es fehle Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zur Frage, ob ein allenfalls erforderliches Auswahlverfahren für die Berufsausbildung bereits vor oder während des Präsenz- oder Ausbildungs- oder Zivildienstes absolviert werden müsse, wenn das Kind von der Möglichkeit, eine bestimmte Berufsausbildung wählen zu können, erst unmittelbar nach Beendigung dieses Dienstes erfahre und zuvor davon ausgegangen sei, dieser Berufsausbildung aus rechtlichen Gründen nicht nachgehen zu können.
12 Die gegen dieses Erkenntnis erhobene Revision des Finanzamtes Hollabrunn Korneuburg Tulln und die vom Mitbeteiligten mit Schriftsatz vom eingereichte Revisionsbeantwortung legte das Bundesfinanzgericht unter Anschluss der Akten des Verfahrens dem Verwaltungsgerichtshof vor.
13 Nach der Erklärung des Umfangs der Anfechtung (§ 28 Abs. 2 VwGG) werde das Erkenntnis insoweit angefochten, als der Rückforderungsbescheid des Finanzamtes aufgehoben worden sei.
14 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:
15 § 2 Abs. 1 lit. e des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 (FLAG) lautet:
"§ 2. (1) Anspruch auf Familienbeihilfe haben Personen, die im Bundesgebiet einen Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben,
...
e) für volljährige Kinder, die das 24. Lebensjahr noch nicht vollendet haben, für die Zeit zwischen der Beendigung des Präsenz- oder Ausbildungs- oder Zivildienstes und dem Beginn oder der Fortsetzung der Berufsausbildung, wenn die Berufsausbildung zum frühestmöglichen Zeitpunkt nach dem Ende des Präsenz- oder Ausbildungs- oder Zivildienstes begonnen oder fortgesetzt wird,"
16 Wer Familienbeihilfe zu Unrecht bezogen hat, hat gemäß § 26 Abs. 1 FLAG die entsprechenden Beträge zurückzuzahlen.
17 Gemäß § 33 Abs. 3 EStG 1988 steht Steuerpflichtigen, denen auf Grund des FLAG Familienbeihilfe gewährt wird, ein Kinderabsetzbetrag in näher festgelegter Höhe zu. Wurden Kinderabsetzbeträge zu Unrecht bezogen, ist § 26 FLAG anzuwenden.
18 Der Verwaltungsgerichtshof hat im Erkenntnis vom , 2011/16/0057, VwSlg. 8.643/F, ausgesprochen, dass im Fall des Unterbleibens der Ausbildung mangels Aufnahme des Bewerbers - unerheblich aus welchem Grund - die Berufsausbildung nicht im Sinn des § 2 Abs. 1 lit. e FLAG begonnen werde. Die einer tatsächlichen Ausbildung vorangehenden Schritte einer Bewerbung einschließlich eines Tests und eines Bewerbungsgesprächs stellen noch keine Ausbildung dar. Auf die näheren Gründe jenes Erkenntnisses wird gemäß § 43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG verwiesen.
19 Dass im vorliegenden Revisionsfall die vom Sohn des Mitbeteiligten im März 2014 begonnene Ausbildung eine Berufsausbildung im Sinn des § 2 Abs. 1 lit. e FLAG darstellt, ist zwischen den Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens genauso unstrittig wie der Umstand, dass A diese Ausbildung im März 2014 tatsächlich begonnen hatte.
20 Strittig ist, ob im Revisionsfall die Ausbildung zum frühestmöglichen Zeitpunkt im Sinn des § 2 Abs. 1 lit. e FLAG begonnen wurde.
21 Das Finanzamt führt insoweit zutreffend an, dass der besseren "Studienvorbereitung" dienende Vorbereitungskurse und persönliche oder andere nicht unmittelbar mit der Berufsausbildung im Zusammenhang stehende Gründe bei der Beurteilung, ob eine Berufsausbildung zum frühestmöglichen Zeitpunkt im Sinn des § 2 Abs. 1 lit. e FLAG begonnen werde, unbeachtlich sind und dass der frühestmögliche Zeitpunkt nach rein objektiven Kriterien zu beurteilen ist.
22 Solcherart kommt es auf den vom Bundesfinanzgericht herangezogenen Zeitpunkt gar nicht an, wann der Sohn des Mitbeteiligten die Kenntnis erlangt hat, dass ihm die Ausbildung zum Polizeidienst auch bei Ableistung des Zivildienstes und ohne Ableistung des Grundwehrdienstes offenstehe.
23 Die Auslegung des gesetzlichen Tatbestandsmerkmals "zum frühestmöglichen Zeitpunkt nach dem Ende des Präsenz- oder Ausbildungs- oder Zivildienstes begonnen" hat sich am Bestimmtheitsgebot des rechtsstaatlichen Grundsatzes (Art. 18 B-VG) zu orientieren, wonach eine gesetzliche Vorschrift einen soweit bestimmbaren Inhalt haben muss, dass der Rechtsunterworfene sein Verhalten danach einrichten kann (vgl. etwa die Erkenntnisse des ua, VfSlg 19.749, und vom , B 1868/92, VfSlg 13.460).
24 Das Finanzamt tritt den Feststellungen des Bundesfinanzgerichtes nicht entgegen, dass ein Bewerber um die im Revisionsfall in Rede stehende Berufsausbildung den zeitlichen Ablauf zwischen seinem Bewerbungsgesuch und dem tatsächlichen Beginn der Ausbildung nicht beschleunigen, die Zeit bis zum tatsächlichen Beginn der Ausbildung nicht verkürzen könne, und dass zu den Eignungstests durch die Landespolizeidirektion eingeladen werde.
25 Es besteht kein Hinweis darauf, dass das Aufnahmeverfahren für die in Rede stehende Ausbildung mit einem für einen Bewerber zeitlich bestimmbaren Ablauf in einer allgemein, zumindest für Interessenten zugänglichen Art festgelegt wäre.
26 Damit ist für einen solchen Bewerber im Zeitpunkt der Abgabe seiner Bewerbung noch nicht absehbar, wann der konkrete Beginn der Ausbildung erfolgen werde.
27 Ist von einem Bewerber jedoch der Zeitpunkt des tatsächlichen Ausbildungsbeginns nicht ersichtlich und ist daher nicht berechenbar, wann (wie lange vor Ende des Präsenz- oder Ausbildungsdienstes oder des Zivildienstes) er sich bewerben müsste, um möglichst unmittelbar nach Ende des Präsenz- oder Ausbildungsdienstes oder des Zivildienstes mit der Ausbildung beginnen zu können, so würde nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofes eine Auslegung des § 2 Abs. 1 lit. e FLAG, vom Bewerber zu fordern, sich gleichsam "auf gut Glück" möglichst lange vor dem Ende des Präsenz- oder Ausbildungsdienstes oder Zivildienstes zu bewerben, um "möglichst rasch" nach Ende dieses Dienstes mit der Ausbildung beginnen zu können, der Bestimmung einen unsachlichen Inhalt beimessen.
28 Vielmehr ist dem Erfordernis des § 2 Abs. 1 lit. e FLAG dann entsprochen, wenn die Bewerbung um eine solche Ausbildung unmittelbar nach dem Ende des Präsenz- oder Ausbildungsdienstes oder des Zivildienstes erfolgt und in weiterer Folge die bis zum tatsächlichen Ausbildungsbeginn erforderlichen Schritte (etwa Antreten zu Bewerbungsgesprächen, Aufnahmeprüfungen udgl.) ohne dem Bewerber anzulastende Verzögerung gesetzt werden.
29 Das Bundesfinanzgericht spricht von einer Bewerbung "im April 2013". Dass bei einer früheren Bewerbung, nämlich an den ersten Tagen des April 2013, die Ausbildung tatsächlich früher als - wie im Revisionsfall - am begonnen hätte, wird vom revisionswerbenden Finanzamt nicht behauptet.
30 Dass der Sohn des Mitbeteiligten vor dem Zivildienst eine Berufsausbildung (in Form einer Schulausbildung an einem Bundesoberstufenrealgymnasium) begonnen und nach Ende des Zivildienstes nicht fortgesetzt habe (zur Reifeprüfung nicht mehr angetreten sei), ist im Revisionsfall ohne Belang. Der Tatbestand des § 2 Abs. 1 lit. e FLAG, des Beginns einer Berufsausbildung, stellt nicht darauf ab, dass vor dem Zivildienst eine andere Berufsausbildung begonnen und nicht abgebrochen, sondern bereits abgeschlossen worden wäre.
31 Die Revision war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.
Wien, am