VwGH vom 31.05.2017, Ro 2016/13/0003

VwGH vom 31.05.2017, Ro 2016/13/0003

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Fuchs und die Hofräte Dr. Nowakowski, MMag. Maislinger und Mag. Novak sowie die Hofrätin Dr. Reinbacher als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Karlovits, LL.M., über die Revision des Finanzamtes Wien 12/13/14 Purkersdorf in 1030 Wien, Marxergasse 4, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes vom , Zl. RV/7100671/2015, betreffend Haftung für Lohnsteuer, Dienstgeberbeitrag, Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag und Säumniszuschlag für die Jahre 2011 bis 2013 (mitbeteiligte Partei: C GesmbH in W, vertreten durch die Singer Fössl Rechtsanwälte OG in 1040 Wien, Prinz-Eugen-Straße 30), zu Recht erkannt:

Spruch

Die Revision wird als unbegründet abgewiesen.

Der Bund hat der mitbeteiligten Partei Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Im Anschluss an eine Außenprüfung bei der mitbeteiligten GmbH betreffend Haftung für Lohnsteuer, Dienstgeberbeitrag und Zuschlag zum Dienstgeberbeitrag für die Streitjahre 2011 bis 2013 vertrat das Finanzamt in diesbezüglichen Bescheiden die Auffassung, die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Steuerbefreiung des § 3 Abs. 1 Z 11 EStG 1988 für Fachkräfte der Entwicklungshilfe (und davon abgeleitet auch der Befreiung von der Entrichtung des Dienstgeberbeitrages und des Zuschlages dazu) seien bei den Arbeitnehmern der Mitbeteiligten nicht erfüllt, weil die Mitbeteiligte nicht zu den "Entwicklungsorganisationen im Sinne des § 3 Abs. 2 des Entwicklungszusammenarbeitsgesetzes" gehöre. Gestützt wurde diese Ansicht vor allem darauf, dass die Mitbeteiligte zwar im Auftrag verschiedenster Entwicklungsbanken und -organisationen bestimmte dem Dreijahresprogramm der österreichischen Entwicklungspolitik entsprechende Vorhaben in Entwicklungsländern plane und mitentwickle, dabei aber kein "eigenes Geld in die Hand" nehme. Ein Unternehmen, das nur über Auftrag gegen Entgelt bestimmte Vorhaben realisiere, werde dadurch nicht selbst zu einer Entwicklungsorganisation.

2 Mit dem angefochtenen Erkenntnis gab das Bundesfinanzgericht den dagegen erhobenen Beschwerden der Mitbeteiligten statt. Es stellte folgenden Sachverhalt fest:

"Die Bf. ist ein Unternehmen, das über Aufträge verschiedenster Entwicklungsbanken und -organisationen in Entwicklungsländern bestimmte Vorhaben, welche dem Dreijahresprogramm der österreichischen Entwicklungspolitik entsprechen, plant und mitentwickelt. Die dafür von der Bf. eingesetzten Mitarbeiter (Entwicklungsexperten) bilden auch Personen vor Ort zu Fachkräften aus, um künftig selbständig Projekte realisieren zu können.

Die tatsächliche Durchführung der einzelnen Entwicklungsprojekte durch die o.a. Mitarbeiter der Bf. ist unstrittig und wurde weder von der Abgabenbehörde noch der Bf. selbst beeinsprucht, weshalb von der Richtigkeit der vorgelegten Unterlagen und Nachweise betreffend die Entwicklungsprojekte ausgegangen wird."

3 In rechtlicher Hinsicht legte das Bundesfinanzgericht dar, es könne sich der Ansicht, eine Entwicklungsorganisation müsse "eigenes Geld in die Hand nehmen", nicht anschließen. Eine solche Auslegung wäre "überzogen". Hätte der Gesetzgeber eine solche Einschränkung beabsichtigt, so wäre dies gesetzlich verankert worden. Die Mitbeteiligte sei keine gemeinnützige Organisation, doch schließe § 3 Abs. 2 des Entwicklungszusammenarbeitsgesetzes, BGBl. I Nr. 49/2002 (EZA-G), auch "Unternehmen" ein, die nicht ausschließlich Entwicklungsarbeit leisteten. Dass ein "Unternehmen" aber erst auf Auftrag tätig werde, sei "typisch".

4 Eine Revision erklärte das Bundesfinanzgericht für zulässig, weil Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu der Frage, ob nur ein Unternehmen, das "eigenes Geld in die Hand nehme", als Entwicklungsorganisation anzuerkennen sei, noch nicht vorliege.

5 Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende Revision des Finanzamtes, deren Begründung im Anschluss an ein Gesetzeszitat (ungekürzt) lautet:

"Das Bundesfinanzgericht begründet seinerseits die Eigenschaft ‚Entwicklungsorganisation' damit, dass das Unternehmen durch seine Mitarbeiter aufgrund von Aufträgen verschiedenster Entwicklungsbanken bestimmte Vorhaben geplant und mitentwickelt hat.

Das Gesetz sieht jedoch vier gleichwertige Voraussetzungen für die Steuerfreiheit vor. Indem das Bundesfinanzgericht aber von den Tätigkeiten der Mitarbeiter auf die Eigenschaft des Unternehmens als Entwicklungsorganisation schließt beziehungsweise hier eine Verknüpfung zwischen zwei voneinander unabhängigen Voraussetzungen dahingehend erstellt, dass diese in einer Wechselbeziehung stehen, verkennt es die Intention des Gesetzgebers.

Hätte der Gesetzgeber hier Wechselwirkungen zwischen den Voraussetzungsmerkmalen als relevant erachtet, so hätten die Voraussetzungsmerkmale reduziert bzw. zusammengefasst werden können. Aber gerade weil der Gesetzgeber die Merkmale: Tätigkeit des Arbeitnehmers und Eigenschaft des Arbeitgebers als getrennt zu erfüllende Voraussetzungen erachtet, können sie nicht als Begründung füreinander fungieren.

Die Rechtsansicht des Bundesfinanzgerichtes, dass der Begriff der ‚Entwicklungsorganisation' gem. § 3 Abs. 2 EZA-G sehr umfassend ist und daher auch Unternehmen wie jenes der mitbeteiligten Partei miteinschließt, wird seitens des revisionswerbenden Finanzamtes nicht geteilt.

Der Begriff der Entwicklungsorganisation ist insofern umfassend, als er sämtliche Organisationsformen (Vereine, Kirchen, Unternehmen, öffentliche Akteure) umfasst. Dies trifft aber nicht auf die Ausrichtung bzw. die Tätigkeiten einer dieser Organisationen zu.

Indem gewisse Organisationsformen den gemeinnützigen juristischen Personen des privaten Rechts gleichgestellt werden, ergibt sich bereits, dass diese Anforderungen an die anderen Organisationsformen unter dem Blickwinkel der tatsächlichen Geschäftsführung und dem Zweck des Unternehmens zu betrachten sind.

Indem das Bundesfinanzgericht die Tätigkeiten der Mitarbeiter gleichzeitig als Erfüllung der maßgeblichen Kriterien für die mitbeteiligte Partei erachtet, übersieht es dabei, dass hier die gesamte Geschäftsführung und der Zweck des Unternehmens maßgeblich sind. Würde man der Rechtsansicht des Bundesfinanzgerichtes folgen, wäre beispielsweise jedes Bauunternehmen, das in Entwicklungsländern über Auftrag einer anerkannten Entwicklungsorganisation ein Bauwerk erichtet, ebenso eine Entwicklungsorganisation.

Das beschwerdeführende (gemeint: revisionswerbende) Finanzamt vertritt daher die Ansicht, dass die Voraussetzungen für die Steuer- und Abgabenfreiheit der gewährten Vergütungen nicht gegeben sind.

3.2. Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften

Das Bundesfinanzgericht ist nicht auf die Argumentation des Finanzamtes eingegangen, sondern sieht in dem Argument, dass eine Entwicklungsorganisation den öffentlichen Mitteleinsatz ergänzen und erweitern soll, lediglich eine überzogene Auslegung. Eine Begründung dafür ist dem Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes nicht zu entnehmen.

Auf das zweite Argument des Finanzamtes, dass dem ‚Entwicklungshilfe leisten' zudem ein aktives Element im Sinne eines organisatorischen Engagements inhärent ist, wurde überhaupt nicht reflektiert.

Vom Bundesfinanzgericht wären für die Beurteilung, ob es sich bei der mitbeteiligten Partei um eine Entwicklungsorganisation handelt, Feststellungen hinsichtlich des organisatorischen Engagements als auch hinsichtlich des Mitteleinsatzes zu treffen gewesen. Diese Feststellungen hat das Bundesfinanzgericht nicht in ausreichendem Maße getroffen."

6 Die Mitbeteiligte hat eine Revisionsbeantwortung erstattet.

7 Der Verwaltungsgerichtshof hat erwogen:

8 Gemäß § 3 Abs. 1 Z 11 EStG 1988 in der für die Streitjahre maßgeblichen Fassung sind von der Einkommensteuer Einkünfte befreit, "die Fachkräfte der Entwicklungshilfe (Entwicklungshelfer oder Experten) als Arbeitnehmer von Entwicklungsorganisationen im Sinne des § 3 Abs. 2 des Entwicklungszusammenarbeitsgesetzes, BGBl. I Nr. 49/2002, für ihre Tätigkeit in Entwicklungsländern bei Vorhaben beziehen, die dem Dreijahresprogramm der österreichischen Entwicklungspolitik (§ 9 des Entwicklungszusammenarbeitsgesetzes) entsprechen." Der im letzten Teilsatz enthaltene Verweis auf § 9 EZA-G beruhte auf unterbliebener Berücksichtigung der EZA-Gesetz-Novelle 2003, BGBl. I Nr. 65, im Budgetbegleitgesetz 2003, BGBl. I Nr. 71, hätte sich auf § 23 EZA-G beziehen sollen und wurde mit dem 2. Abgabenänderungsgesetz 2014, BGBl. I Nr. 105, in diesem Sinn berichtigt.

9 Im vorliegenden Fall ist nur strittig, ob es sich bei der mitbeteiligten GmbH um eine Entwicklungsorganisation im Sinne des § 3 Abs. 2 EZA-G handelte. Dass ihre Arbeitnehmer als "Entwicklungsexperten" tätig waren, ist nicht strittig, sodass sich ein weiteres Eingehen auf den in der Revision angestellten Vergleich der mitbeteiligten Partei mit einem Bauunternehmen erübrigt.

10 § 3 Abs. 2 EZA-G lautet:

"Entwicklungsorganisationen im Sinne dieses Bundesgesetzes sind gemeinnützige juristische Personen des privaten Rechts, sofern Entwicklungszusammenarbeit zu ihren satzungsmäßigen Zielen und ihrer tatsächlichen Geschäftstätigkeit gehört. Den Entwicklungsorganisationen sind Einrichtungen insbesondere der gesetzlich anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften, der Länder, der Gemeinden und sonstiger öffentlich-rechtlicher Körperschaften sowie Unternehmen gleichzuhalten, soweit sie Entwicklungszusammenarbeit im Sinne des § 2 Abs. 3 leisten."

11 Die mitbeteiligte Partei gehört nicht zu den Entwicklungsorganisationen im Sinne des ersten Satzes dieser Bestimmung. Streitfrage ist, ob sie einer solchen gemäß dem zweiten Satz "gleichzuhalten" ist. Trifft dies zu, so ist es auch für Zwecke des § 3 Abs. 1 Z 11 EStG 1988 - mangels Einschränkung des dort enthaltenen Verweises auf den ersten Satz der Definition -

zu beachten (vgl. insoweit in Bezug auf Verweisungen innerhalb des EZA-G auch die Erläuterungen der Regierungsvorlage zu diesem Gesetz, 724 BlgNR 21. GP 10).

12 Die Gleichstellung durch den zweiten Satz der Definition hängt nach dem Gesetz nur davon ab, dass "Entwicklungszusammenarbeit im Sinne des § 2 Abs. 3" geleistet wird, und ist jeweils auf diesen Tätigkeitsbereich beschränkt ("soweit"), woraus das Bundesfinanzgericht auch zutreffend geschlossen hat, es müsse sich nicht um die einzige Tätigkeit der Einrichtung oder des Unternehmens handeln. Das Gesetz stellt hier aber auch - anders, als das Finanzamt anzunehmen scheint - im Sinne der in der Revision kritisierten "Verknüpfung" auf die jeweils konkret entfalteten Tätigkeiten ab.

13 § 2 Abs. 3 EZA-G, auf den § 3 Abs. 2 EZA-G in diesem Zusammenhang verweist, zählt bestimmte Arten von "Vorhaben" auf. Dass die Mitarbeiter der mitbeteiligten Partei nicht mit solchen "Vorhaben" beschäftigt gewesen seien, ist im vorliegenden Fall nicht der Streitpunkt.

14 Welche gesetzliche Voraussetzung des § 3 Abs. 2 EZA-G die mitbeteiligte Partei nicht erfüllt haben soll, geht vor diesem Hintergrund (vgl. schon den Hinweis von Geiger, taxlex 2016, 110 (111), auf den "klaren Gesetzeswortlaut") auch aus dem Vorbringen in der Revision - unter Einschluss der Verfahrensrüge - nicht nachvollziehbar hervor. Dass das Gesetz etwa verlange, die Einrichtung oder das Unternehmen müsse "eigenes Geld in die Hand nehmen", wird in der Revision nicht mehr ausdrücklich geltend gemacht. Wenn vom Ziel einer Ergänzung und Erweiterung des öffentlichen Mitteleinsatzes und vom Erfordernis eines nicht näher bezeichneten "organisatorischen Engagements" die Rede ist, dann wird nicht klar, inwiefern Tätigkeiten im Auftrag "verschiedenster Entwicklungsbanken und -organisationen", die sich ihrem Inhalt nach nicht als Bauarbeiten, sondern als Planung und Entwicklung von Vorhaben der in § 2 Abs. 3 EZA-G genannten Art darstellen, mit diesen Zielen nicht im Einklang stehen sollten.

15 Zu berücksichtigen ist aber auch, dass die erstmals mit dem Abgabenänderungsgesetz 1981, BGBl. Nr. 620, eingeführte Steuerbefreiung für Fachkräfte der Entwicklungshilfe aus "sozialen Gründen" vorgesehen wurde (vgl. die Erläuterungen der Regierungsvorlage, 850 BlgNR 15. GP 15) und sich damit auf die Situation der betroffenen Arbeitnehmer bezieht, für die sie nach Puchinger/Kopecek, FJ 2002, 355 (358), einen Anreiz zur (gemäß § 15 Entwicklungshelfergesetz, BGBl. Nr. 574/1983, im öffentlichen Interesse gelegenen) Übernahme dieser Aufgaben darstellen sollte. Sie zielt direkt auf die Fachkräfte ab (Puchinger, ecolex 2003, 439 (441)) und ist "auch unter dem Gesichtspunkt zu sehen, dass die Tätigkeit in einem Entwicklungsland im Allgemeinen mit höheren (die Steuerfreistellung der Einkünfte rechtfertigenden) persönlichen Belastungen verbunden ist" als eine Tätigkeit in anderen Ländern (vgl. Fuchs in Hofstätter/Reichel, Die Einkommensteuer - Kommentar, 55. Lfg, Dezember 2013, § 3 Tz 18, mit Hinweis auf das Erkenntnis vom , 2006/15/0328, VwSlg 8338/F). Die "eher weit gefasste Begriffsbestimmung" der Entwicklungsorganisationen (vgl. zur noch auf inländische Einrichtungen beschränkten, aber sonst schon ähnlichen Definition im später durch das EZA-G abgelösten Entwicklungshilfegesetz, BGBl. Nr. 474/1974, die Erläuterungen der damaligen Regierungsvorlage, 1020 BlgNR 13. GP 4) und die Maßgeblichkeit vor allem der konkret entfalteten Tätigkeit tragen dem Rechnung.

16 Die Revision war daher gemäß § 42 Abs. 1 VwGG als unbegründet abzuweisen.

17 Der Ausspruch über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG in Verbindung mit der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am