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VwGH vom 27.06.2017, Ro 2016/10/0038

VwGH vom 27.06.2017, Ro 2016/10/0038

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Stöberl, die Hofräte Dr. Lukasser, Dr. Hofbauer und Dr. Fasching sowie die Hofrätin Dr. Leonhartsberger als Richter, unter Mitwirkung des Schriftführers Mag. Uhlir, über die Revision der Bürgermeisterin der Landeshauptstadt Innsbruck in 6020 Innsbruck, Maria-Theresienstraße 18, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Tirol vom , Zl. LVwG- 2015/17/3071-1, betreffend Mindestsicherung (mitbeteiligte Partei: M P in I), zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben und das angefochtene Erkenntnis (in seiner berichtigten Fassung vom ) dahingehend abgeändert, dass die Beschwerde der mitbeteiligten Partei gegen den Bescheid der Revisionswerberin vom als unbegründet abgewiesen wird.

Begründung

1 Die Revisionswerberin wies mit Bescheid vom den Antrag der mitbeteiligten Partei auf Gewährung einer Sonderzahlung für den Monat Dezember 2015 gemäß § 5 Abs. 5 Tiroler Mindestsicherungsgesetz (TMSG) als unbegründet ab. Begründend führte sie aus, der Anspruch auf Gewährung einer Sonderzahlung nach § 5 Abs. 5 TMSG bestehe, soweit der Mindestsicherungsbezieher zum Stichtag (hier: ) seit mindestens drei Monaten laufend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts oder des Wohnbedarfs bezogen habe. Der Antragsteller beziehe seit Leistungen nach dem TMSG, weshalb kein Anspruch auf eine Sonderzahlung für Dezember 2015 bestehe. Leistungen nach anderen Sozial- oder Mindestsicherungsgesetzen (anderer Bundesländer oder auch ausländischer Sozialhilfeträger) seien dabei außer Ansatz zu belassen, weil sich der Anspruch "mangels anderer gesetzlicher Vorgaben logischerweise" nur auf Leistungen nach dem TMSG beziehen könne.

2 Der dagegen erhobenen Beschwerde des Mitbeteiligten gab das Landesverwaltungsgericht Tirol mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis statt und erkannte ihm gemäß § 5 Abs. 5 TMSG iVm der VO-Anpassungsfaktor für den Monat Dezember 2015 eine einmalige Sonderzahlung in der Höhe von EUR 872,31 zu. Weiters sprach das LVwG aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei.

3 In seiner Begründung ging das Verwaltungsgericht davon aus, der Mitbeteiligte habe zuvor bereits in Wien Mindestsicherung bezogen.

Aus der Bestimmung des § 5 Abs. 5 TMSG ergebe sich, dass der Mindestsicherungsbezieher dann zum jeweiligen Mindestsatz in den Monaten März, Juni, September und Dezember eine Sonderzahlung in der Höhe von 9 % des Ausgangsbetrags nach § 9 Abs. 1 leg. cit. erhalte, wenn er zum Stichtag bereits seit mindestens drei Monaten laufend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts oder des Wohnbedarfs bezogen habe. Als Stichtag gelte der 1. des jeweiligen Monats. Im gegenständlichen Fall habe der Mindestsicherungsbezieher bereits nachgewiesenermaßen mehr als drei Monate zuvor die Mindestsicherung in Wien bezogen. Dass die Bestimmung des § 5 Abs. 5 TMSG ausschließlich für jene gelten solle, die seit drei Monaten in Tirol lebten, gehe aus der Gesamtheit der Bestimmungen des TMSG nicht hervor.

In der Vereinbarung zwischen dem Bund und den Ländern gemäß Art. 15a B-VG über eine bundesweite Bedarfsorientierte Mindestsicherung sei festgehalten, dass auf der Grundlage der bundesstaatlichen Struktur Österreichs eine bundesweite Bedarfsorientierte Mindestsicherung zur verstärkten Bekämpfung und Vermeidung von Armut und sozialer Ausschließung zu schaffen sei. Diese Vereinbarung lasse die Interpretation zu, dass auf Grund der bundesweiten Regelung das Faktum, dass bereits zuvor Mindestsicherung bezogen worden sei, mit allen daraus folgenden Konsequenzen auch im nächsten Bundesland bei einem etwaigen Wohnsitzwechsel anerkannt werden müsse.

Deshalb, und weil den gesetzlichen Bestimmungen nicht entnommen werden könne, dass die Frist zum Bezug der Mindestsicherung erst mit dem Datum wieder neuerlich zu laufen beginne, mit welchem der Mindestsicherungsbezieher in dem jeweiligen Bundesland seinen Wohnsitz neu nehme, sei davon auszugehen, dass auch die Zeiten davor, in welchen eine Person bereits Mindestsicherung bezogen habe, einzubeziehen und zu berücksichtigen seien. Da dazu noch keine Rechtsprechung vorliege, sei die ordentliche Revision zuzulassen gewesen.

4 Dieses Erkenntnis berichtigte das Landesverwaltungsgericht mit Berichtigungsbeschluss vom dahingehend, dass der im Spruch genannte Betrag von EUR 872,31 auf EUR 74,50 korrigiert wurde. Es sei offenkundig versehentlich der Ausgangsbetrag in der Höhe von EUR 872,31, von dem der 9%-Anteil als Sonderzahlung zu berechnen gewesen sei, in den Spruch aufgenommen worden.

5 Dagegen richtet sich die vorliegende Revision. Als zu lösende Rechtsfrage wird die Frage ausgeführt, ob bei der Berechnung des dreimonatigen Zeitraums nach § 5 Abs. 5 TMSG nur auf den Bezug von Leistungen nach dem Tiroler Mindestsicherungsgesetz abzustellen sei oder ob auch Bezugszeiträume von Leistungen nach Mindestsicherungsgesetzen anderer Bundesländer miteinzubeziehen seien.

6 Über die gegen dieses Erkenntnis gerichtete Revision hat der Verwaltungsgerichtshof nach Vorlage der Verwaltungsakten - Revisionsbeantwortungen wurden nicht erstattet - erwogen:

7 Die Revision ist im Hinblick auf die darin geltend gemachte Rechtsfrage zulässig.

8 Die maßgeblichen Bestimmungen des Tiroler Mindestsicherungsgesetzes (TMSG), LGBl. Nr. 99/2010 idF LGBl. Nr. 130/2013, lauten:

"1. Abschnitt

Allgemeine Bestimmungen

§ 1

Ziel, Grundsätze

(1) ...

(4) Leistungen der Mindestsicherung sind so weit zu gewähren, als der jeweilige Bedarf nicht durch den Einsatz eigener Mittel und Kräfte sowie durch Leistungen Dritter gedeckt werden kann. Dabei sind auch Hilfeleistungen, die nach anderen landesrechtlichen oder nach bundesrechtlichen oder ausländischen Vorschriften in Anspruch genommen werden können, zu berücksichtigen.

...

§ 3

Persönlicher Anwendungsbereich

(1) Anspruch auf Mindestsicherung haben österreichische Staatsbürger, die in Tirol ihren Hauptwohnsitz oder, in Ermangelung eines solchen, ihren Aufenthalt haben.

...

2. Abschnitt

Grundleistungen

§ 5

Hilfe zur Sicherung des Lebensunterhaltes

(1) Die Hilfe zur Sicherung des Lebensunterhaltes besteht in der Gewährung pauschalierter, monatlicher Geldleistungen (Mindestsätze).

(2) Der Mindestsatz beträgt für

  1. Alleinstehende und Alleinerzieher 75 v. H.,

  2. Volljährige, die nicht unter lit. a fallen 56,25 v. H.,

  3. Minderjährige, für die ein Anspruch auf Familienbeihilfe

  4. besteht 24,75 v. H. des Ausgangsbetrages nach § 9 Abs. 1.

  5. ...

(5) Zusätzlich zum jeweiligen Mindestsatz ist in den Monaten März, Juni, September und Dezember eine Sonderzahlung in der Höhe von 9 v. H. des Ausgangsbetrages nach § 9 Abs. 1 zu gewähren, soweit der Mindestsicherungsbezieher zum Stichtag bereits seit mindestens drei Monaten laufend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes oder des Wohnbedarfes bezogen hat. Als Stichtag gilt der Erste des jeweiligen Monats.

...

§ 6

Hilfe zur Sicherung des Wohnbedarfes

(1) Die Hilfe zur Sicherung des Wohnbedarfes besteht in der Übernahme der tatsächlich nachgewiesenen Mietkosten, Betriebskosten, Heizkosten und Abgaben für eine Wohnung, sofern diese die ortsüblichen Mietkosten, Betriebskosten, Heizkosten und Abgaben für eine Wohnung mit einer haushaltsbezogenen Höchstnutzfläche nach Abs. 2 nicht übersteigen.

..."

9 Zu klären ist verfahrensgegenständlich ausschließlich die Frage, ob nach § 5 Abs. 5 1. Satz TMSG bei der Beurteilung, ob der Mindestsicherungsbezieher bereits seit mindestens drei Monaten laufend Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts oder des Wohnbedarfs bezogen hat, nur solche nach dem TMSG zu berücksichtigen sind, oder auch solche nach den Mindestsicherungsvorschriften anderer Bundesländer.

10 Richtig ist, dass § 5 Abs. 5 1. Satz TMSG keinen ausdrücklichen Hinweis darauf gibt, dass nur Mindestsicherungsleistungen "nach diesem Gesetz" in die Betrachtung der dreimonatigen Frist einzubeziehen wären. Daraus alleine kann aber noch nicht abgeleitet werden, dass auch Leistungen nach mindestsicherungsrechtlichen Vorschriften anderer Bundesländer zu berücksichtigen wären.

11 Aus dem Kontext, in dem § 5 Abs. 5 TMSG steht, ergibt sich zunächst, dass unter "Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes oder des Wohnbedarfes" nur Leistungen nach dem TMSG zu verstehen sind, nicht aber Leistungen Dritter, dh. öffentlicher oder privater Stellen, die demselben Zweck dienen. Die Berücksichtigung solcher Leistungen anderer Stellen bedürfte einer ausdrücklichen Normierung (s. § 1 Abs. 4 TMSG).

12 Dazu kommt, dass ein Anspruch auf Mindestsicherungsleistungen gemäß § 3 Abs. 1 TMSG erst ab der Begründung des Wohnsitzes oder Aufenthalts in Tirol entsteht. Von einem "laufenden Bezug" solcher Leistungen kann daher frühestens ab der Begründung des Wohnsitzes bzw. des Aufenthalts in Tirol gesprochen werden.

13 Hätte der Landesgesetzgeber das vom Verwaltungsgericht vertretene weite Verständnis des Begriffs der "Hilfeleistungen" vor Augen gehabt, dann wäre nicht erklärbar, warum er in § 1 Abs. 4 TMSG die "Leistungen Dritter" ausdrücklich auch als Hilfeleistungen, die nach anderen landesrechtlichen, nach bundesrechtlichen oder ausländischen Vorschriften zustehen, näher erläutert. Bei einem solchen Verständnis dieses Begriffes erübrigte sich nämlich die Anführung von Leistungen anderer Bundesländer, des Bundes oder anderer Länder. Die ausdrückliche Erwähnung der Vorschriften anderer Bundesländer, des Bundes oder anderer Länder macht vielmehr deutlich, dass der Tiroler Landesgesetzgeber im Rahmen des TMSG nicht von vornherein an die Rechtslage anderer gesetzgebender Körperschaften anknüpfen wollte.

14 Diese in der allgemeinen Bestimmung des § 1 Abs. 4 TMSG zum Ausdruck kommende Sichtweise ist auch bei der Auslegung des § 5 Abs. 5 leg. cit. zu berücksichtigen. Wenn dort von "Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes oder des Wohnbedarfes" die Rede ist, meint der Tiroler Landesgesetzgeber nach dem Vorgesagten nicht auch Leistungen nach anderen Gesetzen als dem TMSG.

15 Für den vorliegenden Fall bedeutet dies, dass der Revisionswerber, der erst seit Leistungen nach dem TMSG bezog, keinen Anspruch auf eine Sonderzahlung für den Monat Dezember 2015 hat, weil der den Leistungen in Tirol vorangegangene Bezug solcher Leistungen in Wien nicht in die Berechnungsgrundlage des § 5 Abs. 5 TMSG einzubeziehen ist.

16 Gemäß § 42 Abs. 4 VwGG kann der Verwaltungsgerichtshof in der Sache selbst entscheiden, wenn sie entscheidungsreif ist und die Entscheidung in der Sache selbst im Interesse der Einfachheit, Zweckmäßigkeit und Kostenersparnis liegt. Dies trifft im vorliegenden Fall zu (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Ra 2016/02/0027).

17 Das angefochtene Erkenntnis des Verwaltungsgerichts war daher dahingehend abzuändern, dass die Beschwerde des Mitbeteiligten gegen den Bescheid der Revisionswerberin vom als unbegründet abzuweisen war, weil ihm aufgrund des Umstandes, dass er zum Stichtag noch nicht drei Monate lang Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts oder des Wohnbedarfs nach dem Tiroler Mindestsicherungsgesetz bezogen hatte, im Monat Dezember 2015 kein Anspruch auf eine Sonderzahlung nach § 5 Abs. 5 TMSG zustand.

Wien, am

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Schlagworte:
Maßgebende Rechtslage maßgebender Sachverhalt Auslegung Anwendung der Auslegungsmethoden VwRallg3/2 Auslegung unbestimmter Begriffe VwRallg3/4

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Fundstelle(n):
TAAAE-94249