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VwGH vom 24.04.2015, Ra 2015/17/0005

VwGH vom 24.04.2015, Ra 2015/17/0005

Beachte

Serie (erledigt im gleichen Sinn):

Ra 2015/17/0008 E

Ra 2015/17/0009 E

Ra 2015/17/0010 E

Ra 2015/17/0007 E

Ra 2015/17/0006 E

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Holeschofsky, die Hofrätinnen Mag. Dr. Zehetner, Mag.a Nussbaumer-Hinterauer und Dr. Leonhartsberger und Hofrat Mag. Brandl als Richterinnen bzw Richter, im Beisein der Schriftführerin Mag.a Schubert-Zsilavecz, über die Revision des Bundesministers für Finanzen in 1010 Wien, Johannesgasse 5, gegen das Erkenntnis des Landesverwaltungsgerichts Niederösterreich vom , LVwG-TU-14-0100, betreffend Beschlagnahme nach dem Glücksspielgesetz (mitbeteiligte Partei: U sro in B, vertreten durch Dr Patrick Ruth, Rechtsanwalt in 6020 Innsbruck, Kapuzinergasse 8/4), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Begründung

Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Tulln vom wurde gegenüber der mitbeteiligten Partei als Eigentümerin und Veranstalterin die Beschlagnahme eines näher bezeichneten Glücksspielgeräts samt Schlüsseln und Bargeld aus der Geldlade gemäß § 53 Abs 1 Z 1 lit a Glücksspielgesetz (GSpG) angeordnet. Dabei wurde davon ausgegangen, dass zumindest am (Tag der Kontrolle) auf einer näher bezeichneten Tankstelle wiederholt Glücksspiele in Form von Walzen-, Karten- und Zahlenratespielen veranstaltet worden seien, wodurch der Verdacht bestehe, dass mit den beschlagnahmten Gegenständen in das Glücksspielmonopol des Bundes eingegriffen worden sei (möglicher Maximaleinsatz von EUR 15,--, in Aussicht gestellter Höchstgewinn von EUR 3.000,--) und somit fortgesetzt gegen die Bestimmung des § 52 Abs 1 GSpG verstoßen worden sei.

Gegen diesen Bescheid erhob die mitbeteiligte Partei Beschwerde. Ohne ein weiteres Verfahren durchzuführen, sprach das Landesverwaltungsgericht Niederösterreich mit dem nunmehr angefochtenen Erkenntnis vom aus, der Beschwerde werde gemäß § 50 VwGVG stattgegeben und der angefochtene Bescheid sowie die vorgenommene vorläufige Beschlagnahme aufgehoben. Weiters wurde ausgesprochen, dass gegen dieses Erkenntnis eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nicht zulässig sei.

In der Begründung ging das Landesverwaltungsgericht unter Bezugnahme auf das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofs vom , 2012/17/0507, davon aus, dass nach Feststehen der Möglichkeit zur Überschreitung der Einsatzhöhe von EUR 10,-- vom Vorliegen der ausschließlichen Gerichtszuständigkeit im Sinne der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs auszugehen sei, weshalb in solchen Fällen auch nicht länger die Zuständigkeit der Verwaltungsbehörde für die Beschlagnahme nach § 53 GSpG bestehe.

Zur Begründung der Unzulässigkeit der Revision führte das Landesverwaltungsgericht aus, im gegenständlichen Verfahren sei keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung zu lösen gewesen, insbesondere weil das Erkenntnis von der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs nicht abweiche bzw die zu lösende Rechtsfrage vom Verwaltungsgerichtshof eindeutig beantwortet worden sei.

Gegen dieses Erkenntnis richtet sich die vorliegende außerordentliche Revision des Bundesministers für Finanzen mit dem Antrag, der Verwaltungsgerichtshof möge das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes, in eventu wegen Rechtswidrigkeit infolge Verletzung von Verfahrensvorschriften aufheben. Die mitbeteiligte Partei sowie die Bezirkshauptmannschaft Tulln erstatteten jeweils eine Revisionsbeantwortung.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in einem gemäß § 12 Abs 2 VwGG gebildeten Senat erwogen:

§ 52 GSpG in der hier anzuwendenden Fassung BGBl I Nr 13/2014 lautet auszugsweise:

" § 52. (1) Es begeht eine Verwaltungsübertretung und ist von der Behörde in den Fällen der Z 1 mit einer Geldstrafe von bis zu 60 000 Euro und in den Fällen der Z 2 bis 11 mit bis zu 22 000 Euro zu bestrafen,

1. wer zur Teilnahme vom Inland aus verbotene Ausspielungen im Sinne des § 2 Abs. 4 veranstaltet, organisiert oder unternehmerisch zugänglich macht oder sich als Unternehmer im Sinne des § 2 Abs. 2 daran beteiligt;

...

(3) Ist durch eine Tat sowohl der Tatbestand der Verwaltungsübertretung nach § 52 als auch der Tatbestand des § 168 StGB verwirklicht, so ist nur nach den Verwaltungsstrafbestimmungen des § 52 zu bestrafen."

§ 53 GSpG in der hier anzuwendenden Fassung BGBl I Nr 101/2010 lautet:

" § 53. (1) Die Behörde kann die Beschlagnahme der Glücksspielautomaten, der sonstigen Eingriffsgegenstände und der technischen Hilfsmittel anordnen, und zwar sowohl wenn der Verfall als auch wenn die Einziehung vorgesehen ist, wenn

1. der Verdacht besteht, dass

a) mit Glücksspielautomaten oder sonstigen Eingriffsgegenständen, mit denen in das Glücksspielmonopol des Bundes eingegriffen wird, fortgesetzt gegen eine oder mehrere Bestimmungen des § 52 Abs. 1 verstoßen wird, oder

b) durch die Verwendung technischer Hilfsmittel gegen § 52 Abs. 1 Z 7 verstoßen wird oder

2. fortgesetzt oder wiederholt mit Glücksspielautomaten oder sonstigen Eingriffsgegenständen gemäß Z 1 lit. a gegen eine oder mehrere Bestimmungen des § 52 Abs. 1 verstoßen wird oder

3. fortgesetzt oder wiederholt durch die Verwendung technischer Hilfsmittel gegen § 52 Abs. 1 Z 7 verstoßen wird.

(2) Die Organe der öffentlichen Aufsicht können die in Abs. 1 genannten Gegenstände auch aus eigener Macht vorläufig in Beschlag nehmen, um unverzüglich sicherzustellen, daß die Verwaltungsübertretungen gemäß einer oder mehrerer Bestimmungen des § 52 Abs. 1 nicht fortgesetzt begangen oder wiederholt werden. Sie haben darüber außer im Falle des § 52 Abs. 1 Z 7 dem Betroffenen sofort eine Bescheinigung auszustellen oder, wenn ein solcher am Aufstellungsort nicht anwesend ist, dort zu hinterlassen und der Behörde die Anzeige zu erstatten. In der Bescheinigung sind der Eigentümer der Gegenstände, der Veranstalter und der Inhaber aufzufordern, sich binnen vier Wochen bei der Behörde zu melden; außerdem ist auf die Möglichkeit einer selbständigen Beschlagnahme (Abs. 3) hinzuweisen. Tritt bei dieser Amtshandlung der Eigentümer der Gegenstände, der Veranstalter oder der Inhaber auf, so sind ihm die Gründe der Beschlagnahme bekanntzugeben.

(3) Die Behörde hat in den Fällen des Abs. 2 unverzüglich das Verfahren zur Erlassung des Beschlagnahmebescheides einzuleiten und Ermittlungen zur Feststellung von Identität und Aufenthalt des Eigentümers der Gegenstände, des Veranstalters und des Inhabers zu führen. Soweit nach der vorläufigen Beschlagnahme keine dieser Personen binnen vier Wochen ermittelt werden kann oder sich keine von diesen binnen vier Wochen meldet oder die genannten Personen zwar bekannt, aber unbekannten Aufenthaltes sind, so kann auf die Beschlagnahme selbständig erkannt werden, wenn im Übrigen die Voraussetzungen dafür vorliegen. Die Zustellung des Bescheides kann in einem solchen Fall durch öffentliche Bekanntmachung erfolgen.

(4) Die beschlagnahmten Gegenstände sind amtlich zu verwahren. Bereitet die amtliche Verwahrung Schwierigkeiten, so sind die Gegenstände einer dritten Person in Verwahrung zu geben; sie können aber auch dem bisherigen Inhaber belassen werden, wenn hierdurch der Zweck der Beschlagnahme nicht gefährdet wird. In solchen Fällen ist ein Verbot zu erlassen, über die Gegenstände zu verfügen, wobei hinsichtlich der Benützung, Pflege und Wertsicherung der Gegenstände die erforderlichen Bedingungen und Auflagen festzulegen sind. Die Gegenstände können auch durch amtliche Verschlüsse gesichert werden."

§ 60 Abs. 34 GSpG in der Fassung BGBl I Nr 13/2014 lautet:

"(34) § 1 Abs. 2, § 22 samt Überschrift, § 25 Abs. 3 und § 52, jeweils in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 13/2014, treten am Tag nach der Kundmachung im Bundesgesetzblatt in Kraft."

Zur Zulässigkeit der Revision:

Zwar führt das bloße Fehlen von Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes, wenn die Rechtslage eindeutig ist, nicht bereits zum Vorliegen einer Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung (vgl ). Allerdings liegt fallbezogen eine Konstellation vor, die es im Einzelfall erforderlich macht, aus Gründen der Rechtssicherheit korrigierend einzugreifen (vgl ).

In der Sache:

Das Landesverwaltungsgericht hat im vorliegenden Fall die Anwendung des § 52 Abs 3 GSpG in der Fassung BGBl I Nr 13/2014 rechtswidrig unterlassen.

In den Materialien zu BGBl I Nr 13/2014 (vgl ErläutRV24

BlgNr 15. GP 16 heißt es betreffend § 52 GSpG:

"Zu Z 4 lit. a, b und c (§ 52 GSpG):

Die Änderung erfolgt aufgrund der höchstgerichtlichen Rechtsprechung, die verfassungsrechtliche Bedenken im Hinblick auf eine Doppelbestrafungssituation durch § 168 StGB und § 52 Abs. 1 und 2 konstatierte ( und ). Durch die Neufassung des § 52 Abs. 3 soll die Zuständigkeit der Verwaltungsbehörden klar geregelt und die Gefahr einer Doppelbestrafung (-ssituation) im Sinne des Art. 4 Abs. 1 7. ZPEMRK hintangehalten werden.

Die Abgrenzung der Zuständigkeit der Verwaltungsstrafbehörden nach dem Glücksspielgesetz und der Strafgerichte nach § 168 StGB soll im Sinne einer in § 22 VStG bestimmten grundsätzlichen Zulässigkeit einer Subsidiarität des Strafrechts gegenüber dem Verwaltungsstrafrecht erfolgen.

Dies steht auch in Einklang mit den Schlussanträgen in der Rs. Pfleger (SA Sharpston vom , Rs. C-390/12, Rn. 83), in denen es als unbeachtlich angesehen wurde, ob ein Verwaltungs- oder ein Strafgericht tätig wird und keine Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeit mit Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union erkannt wurden. Die zuständigen Verwaltungsgerichte der Länder verfügen über volle Kognitionsbefugnis, sodass dies im Einklang mit Art. 6 EMRK steht.

Künftig sollen zahlreiche Ermittlungs- und Feststellungserfordernisse betreffend die Zuständigkeit von Verwaltungsbehörden wie z.B. hinsichtlich möglicher oder tatsächlich geleisteter Einsätze, hinsichtlich der maximal möglichen Einsatzhöhen und hinsichtlich der allfällig gebotenen Zusammenrechnung geringer einzelner Einsatzhöhen (sog. Serienspiele mit allf. Automatikstarttaste) sowie hinsichtlich des Spielens zum Zeitvertreib oder zu bloßen gemeinnützigen Zwecken nicht mehr erforderlich sein, wodurch eine Entlastung und Beschleunigung der Verfahren der Verwaltungsbehörden erreicht wird.

Durch eine gänzliche Konzentration der Zuständigkeiten bei den Verwaltungsbehörden für alle Glücksspielstraftatbestände verbleibt kein Anwendungsbereich für § 168 StGB; auch der Versuch des gerichtlichen Tatbestandes tritt aufgrund dieser Subsidiaritätsbestimmung hinter § 52 zurück, weil es sich auch bei der Verwirklichung des Tatbestandes des § 15 in Verbindung mit § 168 StGB um dasselbe Delikt handelt, wenngleich diese nicht in der Verwirklichung des verpönten Erfolges des § 168 StGB mündete.

Dadurch sollen Reibungsverluste bei der Zuständigkeitsabgrenzung vermieden und Doppelgleisigkeiten im Rahmen der Vollziehung bereinigt werden. Es wird durch die Vollzugskonzentration in der Verwaltung auch eine sachnähere, spezialisierte Verfolgung mit spezifischen Sanktionierungsmöglichkeiten wie der Beschlagnahme nach § 53, der Einziehung nach § 54 und der Betriebsschließung nach § 56a ermöglicht, wodurch ein schnelles und wirksames Reagieren auf bewilligungsloses Angebot sichergestellt wird.

Die Erfahrungen aus dem bisherigen Vollzug der zuständigen Verwaltungsbehörden zeigen die Wirksamkeit und Effektivität des gewählten Modells. In den Jahren 2010 bis 2012 kam es erstinstanzlich zu 638 Verurteilungen, 1 195 Beschlagnahmen und 164 Einziehungen, die rechtskräftig in zweiter Instanz zu 478 Verurteilungen, 1 125 Beschlagnahmen und 58 Einziehungen führten. Im Jahr 2012 gab es demgegenüber nur zwei gerichtliche Verurteilungen nach § 168 StGB, in beiden Fällen wurde jeweils eine Geldstrafe verhängt, im Jahr 2011 gab es elf gerichtliche Verurteilungen nach § 168, die zu insgesamt sieben Geldstrafen, jeweils einer bedingten und teilbedingten Freiheitsstrafe sowie zu zwei anderen Sanktionen führten (Statistik Austria, Gerichtliche Kriminalstatistik 2011 und 2012). Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass die Umkehr der bisherigen Subsidiaritätsregel zu keiner 'Entkriminalisierung' führt."

Es bleibt sohin nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut des § 52 Abs 3 GSpG idF BGBl I Nr 13/2014 sowie den Erläuternden Bemerkungen zur Regierungsvorlage kein Platz für Zweifel, dass die nahezu vollständige Ausschließung der strafgerichtlichen Zuständigkeit mit der hier anzuwendenden Novelle des Glücksspielgesetzes intendiert war.

Im vorliegenden Fall wurde die Beschlagnahme des Glücksspielgerätes gemäß § 53 Abs 1 Z 1 lit a GSpG wegen des Verdachts, dass damit zumindest am gegen eine oder mehrere Bestimmungen des § 52 Abs 1 leg cit verstoßen worden sei, mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Tulln vom ausgesprochen.

Gemäß § 52 Abs 3 GSpG idF BGBl I Nr 13/2014 ist, wenn durch eine Tat sowohl der Tatbestand der Verwaltungsübertretung nach § 52 als auch der Tatbestand des § 168 StGB verwirklicht ist, nur nach den Verwaltungsstrafbestimmungen des § 52 zu bestrafen. § 52 Abs 3 GSpG idF BGBl I Nr 13/2014 trat gemäß § 60 Abs 34 GSpG idF BGBl I Nr 13/2014 am Tag nach der Kundmachung im Bundesgesetzblatt, somit am in Kraft.

Da hier der Verdacht bestand, dass mit den beschlagnahmten Gegenständen zumindest am gegen die Bestimmung des § 52 Abs 1 GSpG verstoßen worden sei, bestand gemäß § 52 Abs 3 GSpG idF BGBl I Nr 13/2014 iVm § 53 Abs 1 Z 1 lit a GSpG die Zuständigkeit der Verwaltungsbehörde zur Beschlagnahme der Gegenstände.

Ob und in welchem Ausmaß nach Inkrafttreten der genannten Novelle des Glücksspielgesetzes noch Raum für eine gerichtliche Strafbarkeit verbleibt, muss im Revisionsfall nicht beantwortet werden. Zu den verfassungsrechtlichen Überlegungen in der Revisionsbeantwortung der mitbeteiligten Partei ist auf das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs vom , G 203/2014-16 ua, zu verweisen, wonach § 52 Abs 3 GSpG idF BGBl I Nr 13/2014 nicht verfassungswidrig ist.

Von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung wurde gemäß § 39 Abs 2 Z 6 VwGG abgesehen.

Dadurch, dass das Landesverwaltungsgericht das Glücksspielgesetz in der Fassung vor der Novelle BGBl I Nr 13/2014 anwendete, hat es das angefochtene Erkenntnis mit Rechtswidrigkeit des Inhaltes belastet.

Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs 2 Z 1 VwGG aufzuheben.

Wien, am