VwGH vom 30.03.2017, Ra 2015/16/0138

VwGH vom 30.03.2017, Ra 2015/16/0138

Betreff

Der Verwaltungsgerichtshof hat durch den Vorsitzenden Senatspräsident Dr. Zorn und die Hofräte Dr. Mairinger und Mag. Straßegger als Richter, unter Mitwirkung der Schriftführerin Mag. Baumann, über die Revision der S T in G, vertreten durch die Kocher & Bucher Rechtsanwälte OG in 8010 Graz, Friedrichgasse 31, gegen das Erkenntnis des Bundesfinanzgerichtes vom , Zl. RV/2100215/2015, betreffend Familienbeihilfe (belangte Behörde vor dem Verwaltungsgericht: Finanzamt Graz-Stadt), zu Recht erkannt:

Spruch

Das angefochtene Erkenntnis wird wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Der Bund hat der Revisionswerberin Aufwendungen in der Höhe von EUR 1.106,40 binnen zwei Wochen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

Begründung

1 Mit dem angefochtenen Erkenntnis wies das Bundesfinanzgericht im Instanzenzug den von der Revisionswerberin, einer in Österreich aufhältigen türkischen Staatsangehörigen, gestellten Antrag auf rückwirkende Gewährung der Familienbeihilfe u. a. für ihren am geborenen Sohn betreffend den noch strittigen Zeitraum von August 2008 bis November 2011 als unbegründet ab und sprach aus, dass eine Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig sei.

2 Begründend wurde dazu im Wesentlichen ausgeführt, der Asylantrag der Revisionswerberin vom und der Antrag ihres Sohnes auf internationalen Schutz seien am rechtskräftig abgewiesen worden, wobei das Verfahren für den Sohn der Revisionswerberin nach dem AsylG 2005 durchgeführt worden sei, sodass § 3 FLAG in der ab geltenden Fassung BGBl. I Nr. 100/2005 anzuwenden sei. Da sich der Sohn der Revisionswerberin während des in Rede stehenden Zeitraums nicht nach §§ 8 und 9 NAG rechtmäßig in Österreich aufgehalten habe, sei er nicht in der Lage gewesen, der dem Grunde nach anspruchsberechtigten Revisionswerberin einen Beihilfeanspruch zu vermitteln.

3 In der dagegen erhobenen außerordentlichen Revision erachtet sich die Revisionswerberin im Recht auf Gewährung der Familienbeihilfe für ihren Sohn im Zeitraum August 2008 bis November 2011 verletzt.

4 Der Verwaltungsgerichtshof hat - in einem gemäß § 12 Abs. 1 Z 2 VwGG gebildeten Senat - erwogen:

5 Die Revisionswerberin sieht die Zulässigkeit ihrer Revision iSd Art. 133 Abs. 4 B-VG darin, dass das Bundesfinanzgericht von näher genannter Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes abgewichen sei, nach der § 3 FLAG in der Fassung des Pensionsharmonisierungsgesetzes weiter anzuwenden sei, wenn das Asylverfahren des Antragstellers auf Gewährung von Familienbeihilfe nach den Bestimmungen des AsylG 1997 zu Ende zu führen sei.

6 Die Revision ist zulässig und berechtigt.

7 Gemäß § 2 Abs. 1 lit. a des Familienlastenausgleichsgesetzes 1967 - FLAG haben Personen, die im Bundesgebiet ihren Wohnsitz oder ihren gewöhnlichen Aufenthalt haben, Anspruch auf Familienbeihilfe für minderjährige Kinder.

8 § 3 FLAG idF des Pensionsharmonisierungsgesetzes, BGBl. I Nr. 142/2004, lautet:

"§ 3. (1) Personen, die nicht österreichische Staatsbürger sind, haben nur dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn sie im Bundesgebiet bei einem Dienstgeber beschäftigt sind und aus dieser Beschäftigung Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit oder zufolge einer solchen Beschäftigung Bezüge aus der gesetzlichen Krankenversicherung im Bundesgebiet beziehen; kein Anspruch besteht jedoch, wenn die Beschäftigung nicht länger als drei Monate dauert. Kein Anspruch besteht außerdem, wenn die Beschäftigung gegen bestehende Vorschriften über die Beschäftigung ausländischer Arbeitnehmer verstößt.

(2) Abs. 1 gilt nicht für Personen, die sich seit mindestens 60 Kalendermonaten ständig im Bundesgebiet aufhalten, sowie für Staatenlose und Personen, denen Asyl nach dem Asylgesetz 1997 gewährt wurde.

(3) Ist der Elternteil, der den Haushalt überwiegend führt (§ 2a Abs. 1), nicht österreichischer Staatsbürger, genügt für dessen Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn der andere Elternteil österreichischer Staatsbürger ist oder die Voraussetzungen nach Abs. 1 oder 2 erfüllt."

9 Mit dem Fremdenrechtspaket 2005, BGBl. I Nr. 100, wurde § 3 FLAG geändert und lautete sodann:

"§ 3. (1) Personen, die nicht österreichische Staatsbürger sind, haben nur dann Anspruch auf Familienbeihilfe, wenn sie sich nach §§ 8 und 9 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes ..... oder nach § 54 des Asylgesetzes 2005 ..... rechtmäßig in Österreich aufhalten.

(2) Anspruch auf Familienbeihilfe besteht für Kinder, die nicht österreichische Staatsbürger sind, sofern sie sich nach §§ 8 und 9 NAG oder nach § 54 AsylG 2005 rechtmäßig in Österreich aufhalten.

(3) Abweichend von Abs. 1 haben Personen, denen Asyl nach dem Asylgesetz 2005 ..... gewährt wurde, Anspruch auf Familienbeihilfe. Anspruch besteht auch für Kinder, denen nachdem Asylgesetz 2005 Asyl gewährt wurde."

10 § 55 Abs. 1 FLAG lautet:

"§ 55. (1) Die §§ 2 Abs. 8 erster Satz und 3 in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 100/2005, treten mit , nach Maßgabe der Übergangsbestimmungen des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005, sowie des Asylgesetzes 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100, in Kraft."

11 § 75 Abs. 1 Asylgesetz 2005 (AsylG 2005) lautet samt

Überschrift:

"Übergangsbestimmungen

§ 75. (1) Alle am anhängigen Verfahren sind nach den Bestimmungen des Asylgesetzes 1997 zu Ende zu führen. ....."

12 § 55 FLAG ist dahingehend zu verstehen, dass § 3 FLAG in der Fassung des Pensionsharmonisierungsgesetzes weiterhin anzuwenden ist, wenn - wie hier - das Asylverfahren betreffend den Antragsteller auf Familienbeihilfe mit Ablauf des noch anhängig war (vgl. das hg. Erkenntnis vom , Ra 2014/16/0018). In dieser Konstellation ist die asylrechtliche Stellung des den Anspruch vermittelnden Kindes bedeutungslos (vgl. das hg. Erkenntnis vom , 2008/15/0199).

13 Das angefochtene Erkenntnis war daher gemäß § 42 Abs. 2 Z 1 VwGG wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufzuheben. Von der beantragten Durchführung einer Verhandlung vor dem Verwaltungsgerichtshof konnte aus dem Grund des § 39 Abs. 2 Z 4 VwGG abgesehen werden.

14 Die Entscheidung über den Aufwandersatz gründet sich auf die §§ 47 ff VwGG iVm der VwGH-Aufwandersatzverordnung 2014.

Wien, am